Wilhelm Stiassny
Wilhelm Stiassny, * 15. Oktober 1842 Pressburg (Bratislava, Slowakische Republik), † 11. Juli 1910 Bad Ischl, Architekt, Gemeinderat.
Biografie
Wilhelm Stiassny absolvierte die Realschule bei St. Anna und besuchte von 1857 bis 1860 das Polytechnikum. Dieses verließ er im Alter von 19 Jahren und studierte anschließend fünf Jahre lang an der Akademie der bildenden Künste in Wien, wo Eduard van der Nüll, August Sicard von Sicardsburg und Friedrich von Schmidt zu seinen Lehrern zählten. 1862 gründete er mit der Unterstützung seiner Lehrer den an der Akademie der bildenden Künste bestehenden "Verein für Mitteilungen über Architektur", später Bauhütte.
Nach seinem Studium unternahm er Studienreisen und wurde 1867 im Alter von 25 Jahren vom Handelsministerium zur Pariser Weltausstellung entsendet, um dort bei den Installationsarbeiten der Ausstellungskommission mitzuhelfen. Später war er auch Mitglied der internationalen Jury für Arbeiterhäuser. In diesem Zusammenhang hielt er zahlreiche Vorträge zur Wohnungsfrage in Wien mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Arbeiterklasse. Im selben Jahr trat er auch dem Verwaltungsrat des niederösterreichischen Gewerbevereins bei, an dessen Leitung er bis 1877 beteiligt war.
1868 ließ er sich als freischaffender Architekt in Wien nieder, wo er bald zu den meistbeschäftigten seiner Zeit zählte. Zu seinen Werken gehörten vor allem Synagogen, Wohnhäuser und Fabriken, zu seinem bekanntesten das Rothschild-Spital (Anselm Salomon Rothschild), das Israelitische Blindeninstitut (19), die Zeremonienhalle beim ersten Tor des Zentralfriedhofs und eine Villenanlage in der Hermannsgasse in Oberdöbling. 1873 erhielt er anlässlich der Wiener Weltausstellungsarbeiten das goldene Verdienstkreuz.
Politische Tätigkeit als Gemeinderat
1878 wurde Stiassny in den Gemeinderat gewählt und gehörte diesem bis 1900 und nach einer Unterbrechung von 1904 bis 1910 erneut an. Im März 1883 wurde ihm der Titel eines "Baurates" verliehen. Er war Mitglied der Donauregulierungskommission und setzte sich intensiv für das Stadtbahnprojekt ein, zu dem er 1885 einen Vortrag im Club österreichischer Eisenbahn-Beamter hielt. Zudem hielt er im März 1890 im Donau-Club, dessen Präsident er war, einen Vortrag mit großer Resonanz über die bauliche Entwicklung Wiens.
Es verwundert nicht, dass er sich als Architekt hauptsächlich zu Belangen des Bauwesens äußerte. Er hielt fast 200 Referate zu Kanalbauten, Straßenregulierungen, einem Gemeindehausbau im 10. Bezirk, einem Schulhausbau im 10. Bezirk, zur Kanalisierung und Beleuchtung neuer Straßen im 2. Bezirk, dem Markthallenbau im 8. Und 9. Bezirk, der Wientalwasserleitung, Herstellung der Stephaniebrücke, Regulierung der Schwimmschulalleestraße und Aufstellung des Denkmals am Praterstern. Auch seine neun Anträge und fünf Interpellationen hatten fast ausschließlich das Bauwesen zum Inhalt.
1894/1895 war er Stadtrat, von 1895 bis 1896 Beirat sowie Vorstandsmitglied der Israelitischen Kultusgemeinde. 1903 wurde ihm das Offizierskreuz des Franz-Joseph-Ordens verliehen. Er war in der 1., Lichtenfelsgasse 7 beziehungsweise 1., Krugerstraße 8, in der auch eine Gedenktafel angebracht wurde, wohnhaft.
Stiassny verstarb in Bad Ischl, seine Leiche wurde nach Wien überführt und am Wiener Zentralfriedhof bestattet.
Quellen
- ANNO: Baurat Wilhelm Stiassny †. In: Monatsschrift "Wiener Bauhütte", 1910, S. 160
- ANNO: Baurat Wilhelm Stiassny †. In: Illustrierte Kronen Zeitung, 12.07.1910, S. 8
- Wienbibliothek Digital: Wien im Jahre 1900. Vortrag gehalten im Donau-club am 9. März 1890 von Wilhelm Stiassny. 1890
- ANNO: Todesfall. In: Wiener Montags-Journal, 11.11.1889, S. 4
- ANNO: Das Stadtbahnproject Siemens & Halske von Wilhelm Stiassny. In: Österreichische Eisenbahn-Zeitung, 27.12.1885, S. 840
- ANNO: Wilhelm Stiassny wird Baurat. In: Wiener Vorstadt-Presse, 14.03.1883, S. 3
- Wienbibliothek Digital: Wilhelm Stiassny. In: Künstler-Album, Wien, 1882, S. 163–164
- ANNO: Wiener Bauhütte. In: Blätter für Musik, Theater und Kunst, 14.10.1864, S. 331
Literatur
- Inge Scheidl / Ursula Prokop / Wolfgang Herzner: Wilhelm Stiassny (1842-1910). Jüdischer Architekt und Stadtpolitiker im gesellschaftlichen Spannungsfeld des Wiener Fin de Siècle. Wien: Böhlau 2019
- Satoko Tanaka: Wilhelm Stiassny (1842–1910). Synagogenbau, Orientalismus und jüdische Identität. Diss. Univ. Wien. Wien 2009
- Patricia Steines: Hunderttausend Steine. Grabstellen großer Österreicher jüdischer Konfession auf dem Wiener Zentralfriedhof, Tor I und Tor IV. Wien: Falter-Verlag 1993, S. 217
- Brigitte Fiala: Der Wiener Gemeinderat in den Jahren 1879 bis 1883 mit besonderer Berücksichtigung der in diesen Jahren neu eingetretenen Gemeinderäte. Diss. Univ. Wien. Wien 1974
- Martha Steffal: Die Tätigkeit des Wiener Gemeinderates von 1889-1892. Wilhelm Stiassny (1842–1910). Diss. Univ. Wien. Wien 1974
Wilhelm Stiassny im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.