Adolf-Loos-Stadtführung (6. Dezember 1913)

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Michaelertrakt, um 1900
Daten zum Ereignis
Art des Ereignisses Stadtführung
Datum vonDatum (oder Jahr) von 6. Dezember 1913
Datum bisDatum (oder Jahr) bis 6. Dezember 1913
Thema Architektur
VeranstalterVeranstalter Adolf Loos
Teilnehmerzahl
Gewalt Nein
Wien Geschichte WikiIdentifier/Persistenter URL zur Seite  360231
GNDGemeindsame Normdatei
WikidataIDID von Wikidata
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Letzte Änderung am 20.09.2022 durch WIEN1.lanm09mur
BildnameName des Bildes Michaelertor Wien Museum Online Sammlung 43375 1-2.jpg
BildunterschriftInformation, die unterhalb des Bildes angezeigt werden soll Michaelertrakt, um 1900

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48° 12' 22.53" N, 16° 21' 49.39" E, 48° 12' 27.18" N, 16° 21' 54.14" E, 48° 12' 27.99" N, 16° 22' 0.00" E  zur Karte im Wien Kulturgut

Route: HeldenplatzIn der BurgMichaelerplatz

Es handelt sich um die vierte von zehn Stadtführungen, die Adolf Loos im Rahmen seiner Bauschule zwischen November 1913 und März 1914 veranstaltete.

Transkription der Mitschrift

"Das Burgthor von Peter Nobile 1820 erbaut löst sehr gut die ihm gestellte Aufgabe; es wirkt abschließend, fest von aussen, hat 2 Tore, damit falls das äußere gestürmt wird, das innere der letzte Rettungsanker sei. Von innen wirkt es viel freier, und das ist richtig so.- Wenn man das Tor passiert hat, ist man nicht mehr auf städtischem Boden, die Polizei hat dort nichts dreinzureden, alle städtischen Verordnungen sind dort außer Wirksamkeit. Pflasterung und Beleuchtung zahlt der Hof. Vom Nobile ist auch der Theseustempel. Die beiden Reiterstatuen von Fernkorn, die des Prinzen Eugen, die beste Reiterstatue, die Wien hat, wurde am meisten angegriffen und wurde der arme Fernkorn viel derentwegen geplagt. Die Stellung des Pferdes ist genau die in seiner Zeit übliche Haltung, wie auch die Denkmäler Augusts des Starken in Dresden und Peter des Großen Petersburg sie aufweisen, und ist eine Pose aus der spanischen Reitschule.-

Der Burgbau ist also nach den ursprünglichen Plänen Sempers von den Nachfolgenden so verpatzt als nur möglich. Jeder hat daran herumgeändert. Die Genien auf der Bekrönung, an sich schon schrecklich, sind aus Blech und wie Stein angestrichen, aus Sicherheitsgründen, damit nicht etwa durch eine Erschütterung, die ein vorübergehender Hofwagen verursacht, ein Flügel abbricht! Die Säulen, die an der Exedra sind, sollten dann auch an dem Prunksaalbau, der die beiden Flügel verbunden hätte, sich wiederholen. Damit ist es nun für immer vorbei.-

Die Figuren, die Förster anbrachte und die furchtbar plump wirken, standen bei Semper in Nischen, von je einem Pfeiler flankiert, nach ihm baute Niedzielski weiter, dann Ohmann und zum Schluss Baumann, der den Prunksaal baute, nicht gerade schlecht, ihm liegt so etwas, aber auch nicht besonders gut und fein. Das innere Burgtor wurde im Jahre 1668-70 gebaut. Der Schweizerhof 1200-21 von Leopold dem Glorreichen. Der Reichskanzleitrakt von Fischer von Erlach, der auch in der Lösung der Frage des äußeren Teiles teilnahm. Die Hälfte des Rundbaues war fertig und so war es nicht schwer, die zweite Hälfte dazu zu bauen. Aber mit der Kuppel kam ein Riss in die Arbeit. Die Architektur war damals schon so herunter, dass die Leute nicht einmal gut kopieren konnten und ungemein plump und schäbig im Detail wurden. Loos kann begreifen, dass man die Sixtinische Madonna schwer kopieren könne, aber eine Säule müsse doch ein Steinmetz genau nachmachen können. Aber auch dies ist nicht der Fall, wie man sehen kann, wenn man die beiden Säulen, die an der Reitschule von Fischer sind, mit denen, die über dem Haupteingange sind, vergleicht. Letztere sind viel plumper, zeigen nicht die schöne Anschwellung und sind oben mindestens um 5 cm dicker als die von Fischer.

Goldman & Salatsch. Das Wichtigste bei der Inneneinrichtung ist, dass man die Stimmung durch Form und Material festhält. Dies hier ist ein Herrenschneidergeschäft und hier kann man nicht Wurst verkaufen, wie beim Wild, aber dort wäre es leicht möglich, Damenhüte zu verkaufen. Das Geländer ist ein Maßstab und je niedriger es ist, desto höher sieht der Raum aus. Es ist wie die Stufe eine menschliche Sache – und wenn man noch so große Fenster baut und daneben einen Balkon mit niederem Geländer, wird man daran die richtige Größe der Zimmer erkennen."

Kommentar

Diesen Termin widmete Loos einer Führung vom Heldenplatz durch die Hofburg bis hin zum Michaelerplatz. In Fortsetzung der beiden vorangegangenen Termine besprach Loos weitere Teile des Kaiserforums. Das Burgtor skizziert Loos nicht nur als Element der Verteidigungsanlagen um den Burgbezirk, sondern bemerkenswerter Weise auch als Rechts- und Verwaltungsgrenze: "Wenn man das Tor passiert hat, ist man nicht mehr auf städtischem Boden, die Polizei hat dort nichts dreinzureden, alle städtischen Verordnungen sind dort außer Wirksamkeit. Pflasterung und Beleuchtung zahlt der Hof." Damals wie auch heute war der Burgbezirk ein seit 1850 vom Burghauptmann verwaltetes Gebiet außerhalb der kommunalen Administration. Sehr feinsinnig analysiert Loos das Bauwerk und merkt an, dass es zwei "Gesichter" habe: nach außen hin wirke es wesentlich fester und strenger als nach innen, was den jeweils verschiedenen Aufgaben nach beiden Seiten hin entsprach: Sollte der Burgbezirk abgeriegelt werden, war das Burgtor nur von innen nach außen durchlässig, nicht aber umgekehrt.

Vorstadtseite des Äußeren Burgtores, um 1905
Stadtseite des Äußeren Burgtores, um 1908, um 1908

Loos wandte dieses Prinzip bei seinen privaten Wohnhausbauten, etwa dem Haus Moller, selbst an und verlieh ihnen ebenfalls ein doppeltes Antlitz: Die der Straßenseite zugewendete und somit auch von außerhalb des Grundstückes einsehbare Fassade verbirgt das Innere wie eine Maske, wobei die Anordnung der sehr reduzierten Maueröffnungen in ihrer Grundform an Augen, Mund und Nase des menschlichen Gesichtes erinnern. Die nichteinsehbare Gartenfront dagegen gestaltete Adolf Loos offener, der Innenraum wird durch großzügige Fensterflächen und Terrassen auch nach außen hin vermittelt. Anschließend wandte sich Loos den beiden Reiterstandbildern zu: Das Prinz-Eugen-Denkmal wurde dabei als beste diesbezügliche Arbeit in Wien beschrieben, wobei Loos auch auf die psychisch labile Gesundheit ihres Schöpfers Anton Dominik Fernkorns, der in einem Sanatorium verstarb, zu sprechen kam.

Straßenseitige Ansicht des Hauses Moller um 1930
Das Haus Moller von der Gartenseite aus gesehen, um 1930

"Der Burgbau ist also nach den ursprünglichen Plänen Gottfried Sempers, von den nachfolgenden Architekten so verpatzt als nur möglich", dies ist das prägnant kurze Resümee, welches Adolf Loos für den Hemizykelbau der Neuen Burg fand. Der Innenausbau war zur Zeit der Besichtigung noch nicht abgeschlossen, die Architekten, auf welche Loos hier anspielt waren nach Hasenauers Tod 1894 Otto Hofer, Emil von Förster und Friedrich Ohmann. Auch den heute kaum mehr bekannten Architekten Julian Niedzielski, der an den Ausbauarbeiten beteiligt war, nannte Loos. Als Adolf Loos seine Gruppe zur Neuen Burg führte, war Ludwig Baumann für den Burgbau zuständig. Die Eingriffe dieser späteren Architekten bezogen sich sowohl auf die Architektur als auch auf die künstlerische Ausgestaltung der Anlage. Sie bezeichnete Loos im Vergleich zu Sempers Vorgaben als plump, wobei er sich auch zu sarkastischen Äußerungen hinreißen ließ. Besonders gallig reagierte Loos auf die vier Viktoria-Figuren (bei Loos als Genien bezeichnet) von Josef Beyer, Anton Břenek , Josef Kassin und Alois Düll. Es handelte sich dabei nicht um "Blech", das "wie Stein angestrichen" war, sondern um einen Bronzeguss. Wissentlich oder nicht wissentlich referierte Loos hier einen falschen Sachverhalt, um die künstlerische Ausstattung der Neuen Burg als billig und minderwertig abzutun. Mit dem Hinweis auf eine Steinfarbe wird zudem eine Täuschungsabsicht suggeriert, die jedoch nicht dem tatsächlichen Befund entspricht. Loos mag sich an die Zinkgusstechnik erinnert gefühlt haben, die dann zum Einsatz kam, wenn Geld gespart werden und eine Steinoptik bewirkt werden sollte.

Julian Niedzielski, 1901
Friedrich Ohmann, 1920
Ludwig Baumann, 1910

Die Qualität der Architektur hing bei Adolf Loos immer von ihrer präzisen handwerklichen und technischen Umsetzbarkeit ab. Er erkennt im Michaelertrakt der Hofburg, welcher nach den Plänen Joseph Emanuel Johann Fischers von Erlach zwischen 1729 und 1735 begonnen sowie zwischen 1889 und 1893 vollendet wurde, einen eklatanten Bruch. Die vom Platz aus gesehen links der Durchfahrt gelegenen Bauteile sind Loos zufolge mit größerer handwerklicher Meisterschaft ausgeführt worden, als die Kuppel, die Durchfahrt sowie die rechts davon gelegenen Teile. Aus der Unfähigkeit der Steinmetze des ausgehenden 19. Jahrhunderts, Säulen im Sinne des 18. Jahrhunderts zu kopieren, leitete Loos einen Verfall der Architektur und des Handwerks überhaupt ab.

Das unvollendete Kuppelrondell am Michaelerplatz, um 1890
Reichskanzleitrakt der Hofburg mit Michaelertor (links), Schweizerhoftrakt (rechts), um 1925

Die etwas hart anmutende Kritik am Verfall des Handwerks im Allgemeinen, in diesem Fall des Steinmetzgewerbes im Besonderen, hat einen sehr engen biographischen Hintergrund. Loos' Vater, Adolf Loos sen. (1829–1879) hatte an der Akademie der bildenden Künste in Wien (ohne Abschluss) studiert und in Brünn als Steinmetz und Bildhauer gearbeitet. Aus der Werkstatt von Adolf Loos sen. stammen viele Grabdenkmäler sowie zahlreiche Skulpturen und Reliefs an öffentlichen Gebäuden und Plätzen in Brünn. Die ersten Jahre der Kindheit verbrachte Loos bei seinem Vater im Steinmetzbetrieb, die später von Loos zweiter Frau Elsie Altmann-Loos aufgezeichneten Lebenserinnerungen heben diese Jahre als prägend hervor. Es ist trotz aller Idealisierung der Vater-Sohn-Beziehung durch Elsie Altmann davon auszugehen, dass Loos dieser handwerklichen Disziplin nicht zuletzt aus diesen persönlichen Gründen sehr nahe stand und sich entsprechende Urteile zutrauen mochte.

Die präzise Beobachtungsgabe, die Loos auch bei Details an anderen Gebäuden demonstriert hatte, macht auch hier staunen: Naturgemäß ohne nachgemessen zu haben, erkannte Adolf Loos mit bloßem Auge bei den im späten 19. Jahrhundert angefertigten Säulen das Fehlen der sogenannten Entasis, also der seit der griechischen Antike angewandten Anschwellung der Säule, deren Mantellinie nicht gerade, sondern gekrümmt ist und die sich daher zum Kapitell hin nicht-linear verjüngt. Wird der Beobachter darauf hingewiesen, so vermittelt sich dieses Phänomen aber auch einem ungeschulten Auge und einmal mehr zeigt sich, dass die zentrale didaktische Absicht von Adolf Loos die genaue Beobachtung und das Lenken des Blickes war.

Diese Führung schloss ein kurzer Hinweis auf sein eigenes Haus am Michaelerplatz Looshaus ab. Besonders bemerkenswert scheint dabei, dass Adolf Loos offenbar den damals noch nicht sehr langen zurückliegenden Architekturskandal um sein Bauwerk völlig aussparte. Stattdessen sprach er sehr sachlich über den Zweck des Gebäudes, der sich unmissverständlich in der Ausstattung sowie in der "Stimmung", welche dadurch vermittelt wird, ausdrücken muss. Demnach sind Ladeneinrichtungen bei Adolf Loos sehr individuell abgestimmte Ensembles, die keine Umwidmung des Zweckes erlauben, ohne diese Gestimmtheit zu zerstören. Die Erzeugung von Stimmungen und Gefühlen beim Menschen durch Materialien – wobei den Materialien gerade selbst keine Stimmungen innewohnen – kennzeichnete Adolf Loos als Hauptaufgabe eines Architekten.

Goldman & Salatsch, um 1930

Zur fünften Führung

Quelle

  • Mitschrift zu Stadtführungen im Rahmen der Bauschule Adolf Loos. Wien, 1913-1914 / Wienbibliothek im Rathaus, ZPH 1442, schriftlicher Teilnachlass Adolf Loos, 1.4.20, Blatt 9

Literatur

  • Harald Stühlinger: Adolf Loos als Führer zu Architektur und Städtebau. In: Adolf Loos. Schriften, Briefe, Dokumente aus der Wienbibliothek im Rathaus. Hg. von Markus Kristan, Sylvia Mattl-Wurm und Gerhard Murauer. Wien: Metroverlag 2018, S. 223 f.
  • Burkhardt Rukschcio / Roland Schachel: Adolf Loos. Leben und Werk. Salzburg: Residenz Verlag 1982, S. 187 ff.
  • Jindřich Chatrný, Dagmar Černoušková, Jana Kořinková, Evropan Adolf Loos. Nejen brněnské stopy / Adolf Loos, European. His Legacy in Brno and Beyond. Muzeum města Brna 2020, 329 ff.
  • Elsie Altmann-Loos. Mein Leben mit Adolf Loos. Wien: Amalthea 1984, S. 7 ff.