Hernalser Kalvarienberg. Nachdem das Domkapitel von St. Stephan 1625 (nach der Enteignung der Jörger) in den Besitz der Herrschaft Hernals gekommen war, fasste es den Beschluss, am Ende eines von St. Stephan ausgehenden Kreuzwegs ein Heiliges Grab zu bauen, das dem Urbild von Jerusalem nachgebildet sein sollte (1639). Als Vorbilder dienten eine hölzerne Nachbildung der Grabstätte in Jerusalem, die der Franziskanerpater Ägidius nach Wien gebracht hatte, sowie drei weitere, in der Schatzkammer befindliche, aus Holz hergestellte Modelle und eine kunstvolle Holzschnitzerei aus dem Professhaus der Jesuiten. Die beabsichtigten Bußgänge sollten von der Stephanskirche ihren Ausgang nehmen. Der Kreuzweg, der so lang war wie die Via Dolorosa in Jerusalem, hatte vom Schottentor über das Glacis durch die heutige Alser Straße sieben Leidensstationen. Die erste Station ("Christus auf dem Ölberg") wurde auf Kosten der Stadt Wien in der Nähe des Schottentors erbaut, die übrigen finanzierte man mittels freiwilliger Beiträge.
Die zweite Station an der Alser Kirche (8., Alser Straße bei 17, Ecke Schlösselgasse, Trinitarierkirche, Gedenktafel) existiert noch ("Christus vor Annas"), die fünfte Station (ehemals in der Hernalser Hauptstraße; "Christus wird mit Dornen gekrönt") befindet sich im Bezirksmuseum Hernals; die letzte Station befand sich in der Hernalser Kirche selbst.
Am 23. August 1639 fand die Einweihung sämtlicher Stationen unter Beteiligung des Hofes statt; Ferdinand III. legte, mit der Prozession in Hernals angelangt, den Grundstein zur Heiliggrabkapelle. Nun zog alljährlich am Freitag vor dem Palmsonntag eine Bußprozession diesen Weg, bis sie 1674 wegen allerlei Unzukömmlichkeiten eingestellt wurde. 1679-1759 wurde die Prozession wieder abgehalten. 1683 zerstörten die Türken während der Zweiten Türkenbelagerung die Kirche und das Heilige Grab. Da letzteres nicht wieder aufgebaut wurde, errichteten Georg Neuhauser und Johann Friedrich Eisenhut, reiche Wiener Bürger, in Gemeinschaft mit der in der Maria-Magdalena-Kapelle am Stephansdom beheimateten "Bruderschaft der 72 Jünger" einen Kalvarienberg (1709-1714), dessen Betreuung 1720 samt der Kirche Paulinermönchen übertragen wurde, die 1720 auch im Eisenhutschen Haus eine Wohnung erhielten. Dieses Haus ging 1726 vollständig in deren Besitz über; hier lebte auch der Chronist Pater Matthias Fuhrmann.
Der Hernalser Kalvarienberg war ein künstlicher Treppenberg, der hufeisenförmig eine kleine Kirche umschloss (an deren Vorderseite zwei große Statuen standen), aus der die heutige Pfarrkirche hervorging (Hernalser Kirche). Er stand an der Stelle, an der sich das Schloss des Freiherren von Jörger befunden hatte. Aufwärtssteigend gelangte man zu sieben Stationen, die in kleinen Kapellen untergebracht waren ("Jesus büßt durch seine Leiden die sieben Hauptsünden der Menschheit": Neid, Hoffart, Trägheit, Völlerei, Unkeuschheit, Geiz, Zorn). Am höchsten Punkt stand im Freien die Golgathastation. Abwärts führte der Weg an weiteren sieben Kapellen mit den Reliefs "Maria lehrt die Tugenden" (Sanftmut, Freigiebigkeit, Keuschheit, Demut, Mäßigkeit, Eifer, Liebe) vorbei zum Kirchenplatz zurück; auf dem vorletzten Relief ist der sogenannte Körberljud zu sehen, der in früheren Zeiten Anlass zu abstoßenden Szenen "christlichen Eifers" abgab. Die Pauliner ließen, als sich die Wallfahrten mehrten, die ganze Anlage 1766-1769 durch Baumeister Ritter entsprechend erweitern, doch wurde der Orden 1785 durch Joseph II. aufgehoben. Die verbotenen Bußprozessionen lebten zwar bald wieder auf, entarteten jedoch zu einer Art Volksfest, das in den umliegenden Buschenschenken unter Mitwirkung von Volkssängern seinen Abschluss fand.
Die heutige Gestaltung der Kirche und des Hernalser Kalvarienbergs geht auf Richard Jordan zurück (1889-1894). 1945 wurde die Kirche durch Bombentreffer beschädigt. Die 14 alten, fast lebensgroßen Stationsbilder, die verlagert gewesen waren, fanden 1950 in der wiederhergestellten Hernalser Kirche Aufstellung.
Im Relief zur Station der Kreuzabnahme Christi wird eine in der lokalen Wiener Tradition als "Körberljud" bezeichnete Figur dargestellt. In gebückter Haltung sammelt ein Mann die Leidenswerkzeuge Christi, den Hammer und die Nägel, die nach der Kreuzesabnahme auf Golgotha verblieben waren, in einen Korb, in dem sich auch die "30 Silberlinge" befinden, für die Judas Iskarioth Jesus verraten hatte. Die Figur wurde in der Lokaltradition zu einer Manifestation eines unverhohlenen und aggressiven Antisemitismus. Die Pilger und Kirchenbesucher traten beim Kreuzweggebet die Figur mit Füßen, schlugen oder spien ihr ins Gesicht. Die Figur nahm infolge massive Schäden an, sodass der ganze Kopf aus Eisen gefertigt wurde, um das antisemitische Ritual weiter aufrecht erhalten zu können. Der Theaterdichter und Autor Johann David Hanner (1754-1795) verfasste eine Broschüre mit dem Titel "Gespräch des linken Schächers mit dem Körberljuden in Hernals", in welchem die beiden Protagonisten über die Wallfahrer schimpfen, worauf Sie von diesen "gezüchtigt" werden. Die Vorkommnisse rund um das Relief des Juden an der 14. Station wurden bereits im 19. Jahrhundert heftig kritisiert. Einige eingehende Kritiken verfasste Anton Langer in seinem satirischen Blatt Hans-Jörgel.
Quelle
Literatur
- Wolfgang J. Bandion: Steinerne Zeugen des Glaubens. Die Heiligen Stätten der Stadt Wien. Wien: Herold 1989, S. 344 f.
- Maria Capra: Der Kalvarienberg in Hernals. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1969 (Wiener Schriften, 27), S. 87 ff.
- Hermine Cloeter: Häuser und Menschen von Wien. Wien 1920, S. 146
- Gustav Gugitz: Bibliographie zur Geschichte und Stadtkunde von Wien. Hg. vom Verein für Landeskunde von Niederösterreich und Wien. Band 3: Allgemeine und besondere Topographie von Wien. Wien: Jugend & Volk 1956, S. 268 ff.
- Der Hernalser Kalvarienberg zur Fastenzeit. In: Emil Carl Blümml / Gustav Gugitz: Von Leuten und Zeiten im alten Wien. Wien [u.a.]: Gerlach & Wiedling 1922, S. 7-21
- Katholische Pfarrgemeinde Hernals-Kalvarienbergkirche [Hg.]: Der Hernalser Kalvarienberg. Wien [1972]
- Der Kreuzweg und Kalvarienberg von Hernals. Bearbeitet nach dem im Jahre 1714 erschienenen Andachtsbüchlein zum Kalvarienberg, und neu herausgegeben zum Besten der Kleinkinderbewahranstalt daselbst. Wien: Mechitaristen 1834
- Michael Maria Rabenlechner: Der Hernalser Kalvarienberg. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1927
- Maximilian Schatzl: Die Kirche und der Kalvarienberg in Hernals. Wien: Matzner 1914
- Hans Tietze: Die Denkmale der Stadt Wien (XI.-XXI. Bezirk). Wien: Schroll 1908 (Österreichische Kunsttopographie, 2), S. 232 ff.