Karl Kraus-Gesellschaft
Ziele und Pläne
Am 25. Juni 1947 wurde die Karl Kraus-Gesellschaft in den Räumlichkeiten der Österreichischen Nationalbibliothek gegründet. Der Vorsitz wurde zwischen dem Akademie-Angestellten Leopold Liegler, dem Publizisten Edwin Rollet und dem Kulturstadtrat Viktor Matejka (KPÖ) geteilt. Die Hauptziele der Gesellschaft waren:
- Das noch im Exil befindliche Kraus-Archiv nach Österreich zurückzuführen.
- Die Werke Kraus’ zu sichern.
- Die Vermittlung des Kraus-Werks, insbesondere an die Jugend.
Der Wunsch nach Sicherung und Vermittlung der Werke resultierte aus den Umständen der Zwischen- und Nachkriegszeit: Nach dem Verbot durch die Nationalsozialisten in den 1930er Jahren führten österreichische Bibliotheken keine oder nur noch wenige Kraus-Bücher, viele Bücher waren vernichtet worden und zahlreiche Kraus-Anhänger mit ihren (zum Teil unvollständigen) Kraus-Bibliotheken befanden sich im Exil. Zudem waren viele Kraus-Titel vergriffen und nicht mehr im Buchhandel erhältlich.
Um diese Ziele umzusetzen, plante die Gesellschaft konkret die Schaffung einer Sammelstelle. Mitglieder wurden aufgerufen, Briefe, Dokumente, Manuskripte und Andenken an Kraus der Stadt Wien bzw. der Kraus-Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Eine weitere wichtige Aufgabe war die Herausgabe einer umfassenden Werkausgabe, nicht nur zur Sicherung vergriffener Texte, sondern vor allem, um die Zugänglichkeit des Kraus’schen Werks für die Jugend zu gewährleisten.
Weitere Aktivitäten umfassten Vorträge, Vorlesungen und Ausstellungen zu Kraus sowie die Einrichtung einer Forschungsstelle zur Förderung studentischer und wissenschaftlicher Auseinandersetzungen mit Kraus’ Arbeit und Werk.
Mitglieder
Die Gesellschaft zählte zu Beginn rund 106 Mitglieder. Helene Kann (Schweiz) und Malvine Weingarten (New York), beide im Exil geblieben, wurden am Tag der Gründung als Ehrenmitglieder aufgenommen. Der Kern der Gesellschaft bestand aus Leopold Liegler, Edwin Rollett, Viktor Matejka, Viktor Suchy, Edwin Hartl sowie dem ehemaligen Fackel-Redakteur Robert Scheu. Weitere bekannte Mitglieder waren die französische Germanistin und Kraus-Forscherin Germaine Goblot, der Autor Werner Kraft und Kraus’ ehemaliger Pianist Georg Knepler.
Veranstaltungen
Vor allem zu den Jubiläen, wie dem Kraus-Geburts- oder -Todestag, wurden Veranstaltungen organisiert. Auch während des Altenberg-Jahres 1949, das gleichzeitig auch ein Kraus-Jahr war, veranstaltete die Gesellschaft eine größere Veranstaltung zu Ehren beider Persönlichkeiten. Zusätzlich versuchte man, Theaterstücke von Kraus’ Offenbach-Bearbeitungen wieder aufzuführen. Kraus’ 75. Geburtstag wurde am 28. April 1949 mit einer Ansprache des Wiener Bürgermeisters Theodor Körner und einer Kraus-Ausstellung groß gefeiert. Oskar Kokoschka und Berthold Viertel, die zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch im ehemaligen Exil (USA) lebten, waren ebenfalls als Gäste anwesend.
Rezeption
Die Kraus-Gesellschaft und ihre Vorhaben stießen nicht bei allen Mitgliedern des Kraus-Kreises auf positive Resonanz. Insbesondere Oskar Samek und Sidonie Nádherný äußerten sich kritisch und traten der Gruppe nicht als Mitglieder bei.
Auflösung
Im Jahr 1950 löste sich die Gesellschaft nach knapp drei Jahren wieder auf. Es fanden keine Veranstaltungen oder andere Aktivitäten mehr statt. Ob die schnelle Auflösung auf den Tod Leopold Lieglers im Jahr 1949 oder auf die nicht zustande gekommene Werkausgabe zurückzuführen ist, ist derzeit noch nicht geklärt.
Quellen
- Wienbibliothek im Rathaus: Nachlass Edwin Hartl, ZPH 1034
- ANNO: Karl-Kraus-Gesellschaft gegründet. In: Wiener Zeitung, 26.06.1947, S. 4
- Die Karl Kraus-Gedenkfeier, in: Österreichische Zeitung (29.4.1949), 3
- "Es geht um die Jugend", in: Welt am Abend (26.6.1946), 3
- Viktor Matejka / Leopold Liegler / Edwin Rollet: Aufruf zur Gründung einer Karl Kraus-Gesellschaft. [Broschüre]: Wien, o.J.