Malvine Weingarten
Malvine Weingarten, * 14. August 1865 (abweichendes Geburtsdatum: 20. August 1865) Gitschin, Böhmen (Jičín, Tschechische Republik), † 1955 Newark.
Biografie
Malvine Kraus war die dritte Tochter von Jacob und Ernestine Kraus und wurde 1865 in der böhmischen Kleinstadt Jičín geboren, wo ihre Vorfahren mütterlicherseits, die Kantors, schon über Generationen etabliert waren und ihr Vater ein erfolgreiches Geschäftsimperium aufbaute. Sie war etwa 12 Jahre alt, als die Familie 1877 nach Wien übersiedelte, um das Familienunternehmen in der Haupt- und Residenzstadt weiter auszubauen.
Malvine heiratete am 12. Oktober 1890 im Tempel der Israelitischen Kultusgemeinde den Juristen Albert Weingarten, der zuvor als Student Hauslehrer bei der Familie Kraus gewesen war und besonders ihren jüngsten Bruder Karl Kraus unterrichtet hatte. Die auffallend lange Verlobungszeit von sieben Jahren wird damit erklärt, dass die Eltern der Braut anfänglich gegen die Verbindung mit dem armen Studenten waren. Es gibt aber auch Quellen, die darauf hindeuten, dass nach alttestamentarischem Brauch zunächst die älteren Schwestern verheiratet werden mussten.
Das Paar hatte eine Tochter, Ernestine, die nach ihrer Großmutter benannt worden war und "Erna" oder "Erny" gerufen wurde. Sie beschrieb die Ehe ihrer Eltern als glücklich. Jedenfalls waren Albert und Malvine Weingarten ein modernes Paar. Wie auch Karl Kraus interessierten sie sich früh für Automobile und gehörten 1898 und 1901 der Curien-Vertretung des erst 1896 gegründeten Österreichischen Touring-Clubs an.
Zudem engagierte sich Malvine in der Frauenbewegung. Sie trat immer wieder als Patronin der Frauenrechtsorganisation des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins auf und organisierte Benefizveranstaltungen für ihr Anliegen. Ihr Mann unterstützte sie in ihren Ambitionen. Oftmals ging es bei den Soiréen, Bällen und Akademien um die Finanzierung von unentgeltlichem Rechtsschutz für Frauen, wobei sich Albert Weingarten dann auch praktisch als Verteidiger jener Frauen auftrat, die sich keinen Rechtsbeistand leisten konnten. Karl Kraus, der besonders in frühen Jahren mit misogynen Aphorismen aufhorchen ließ, die sich oft dezidert gegen den Frauenbewegung wandten, hatte also eine klar positionierte Feministin in seiner Familie.
Albert Weingarten, den die gesamte Familie Kraus und besonders auch sein Schwager Karl hoch schätzte, starb bereits 1924.
Von den sechs 1938 noch lebenden Geschwistern des Karl Kraus gelang nur Malvine die Flucht ins Exil - ihrer Tochter Ernestine Pollinger zufolge soll sie in New York als Vorleserin der Werke ihres Bruders aufgetreten sein.
Quellen
- Wienbibliothek im Rathaus: Teilnachlass Karl Kraus
- Wienbiblitohek digital: Lehmanns Wohnungsanzeiger 1938: Malvine Weingarten
- ANNO. Nachruf. In: Neue Welt, Juli 1955
Literatur
- Katharina Prager / Simon Ganahl [Hg.]: Karl Kraus-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Berlin: J.B. Metzler 2022
- Jens Malte Fischer: Karl Kraus. Der Widersprecher. Wien: Zsolnay 2020
- Georg Gaugusch: Wer einmal war A–K. Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800–1938. 2 Bände. Wien: Amalthea 2011, S. 1545–1549
- Friedrich Pfäfflin [Hg.]: Aus großer Nähe. Karl Kraus in Berichten aus Weggefährten und Widersachern. Göttingen: Wallstein 2008, 33–34
- Eva Bílkova u.a.: Karl Kraus in Jičín und Jičín in Karl Kraus. Katalog zur Ausstellung. Jičín 2004
- Leo A. Lensing: Chuzpe am Schreibtisch. Zur Biographie von Karl Kraus. In: Karl Kraus – jicinskyk rodak a svetoobcan / Karl Kraus – in Jičín geboren, in der Welt zu Hause, hg. v. Museum of Czech Literature. Semely 2004, 42–55.
Malvine Weingarten im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.