Marianne Winterberg
Marianne Winterberg, * 26. August 1901 Wien, † September 1947 London.
Biografie
Marianne Winterberg, geborene Kraus, war die Tochter des Chemikers und Industriellen Alfred und seiner Ehefrau Rosa Kraus, geborene Hirsch (2. Ehe: Hoton; 1880–1951). Ihr Bruder Richard (1903–1942) wurde zwei Jahre nach ihr geboren. Marianne Winterberg besuchte das Privat-Mädchen-Lyzeum Luithlen (1., Tuchlauben 18), geleitet von Martha Luithlen. Anlässlich der Rückeroberung Przemyśls von russischen Truppen am 3. und 4. Juni 1915 durch das k. k. Heer und deutsche Kaisertruppen fand eine Schulfeier statt. Dabei wurde ein von Marianne Winterberg verfasstes, patriotisches Gedicht vorgetragen und anschließend im Jahresbericht der Schule abgedruckt.
Mit 20 Jahren heiratete Marianne 1921 Eugen Winterberg (1890–1967), Industrieller und Gesellschafter der Firma "Löwy & Winterberg", und zog zu ihm nach Prag. Wie eng Marianne Winterberg ab diesem Zeitpunkt in das Kraus’sche Familiennetzwerk eingebunden blieb, ist aufgrund fehlender Quellen nicht genau feststellbar. Ihre Cousine Nellie Lechner-Kraus lebte jedoch mit ihrem Ehemann ebenfalls in Prag und ihrem Onkel Karl Kraus schrieb sie anlässlich des Todes seiner Lieblingsschwester Mizzi, Mariannes Tante, 1933 einen herzlichen Kondolenzbrief.
In Prag kam sie 1926 ihre Freundin Margarethe "Gretl" Csonka besuchen und die beiden Frauen hatten eine kurze Affäre. Csonka – auch unter dem Pseudonym Sidonie Csillag bekannt – hatte auf Wunsch ihres Vaters wegen ihren gleichgeschlechtlichen Liebesbeziehungen 1919 bei Sigmund Freud eine viermonatige Psychoanalyse absolviert. Freud publizierte seine Ergebnisse 1920 unter dem Titel "Über die Psychogenese eines Falles von weiblicher Homosexualität". Von Marianne Winterberg selbst sind keine Aussagen über ihre sexuelle Orientierung oder intimen Beziehungen bekannt. Laut den Erzählungen Csonkas pflegte sie in Prag noch mindestens eine andere lesbische Beziehung.
Als Jüd*innen verfolgt schaffte es das Ehepaar Winterberg vor der nationalsozialistischen Verfolgung nach England zu entkommen. Ihr Umzugsgut wurde jedoch festgehalten und 1943 von der Verwertungsstelle für jüdisches Umzugsgut der Geheimen Staatspolizei (Vugesta) veräußert. Marianne Winterbers Mutter gelang die Flucht nach Belgien, wo sie überlebte. Ihr Bruder wurde Opfer der Shoah und ermordet; ihr Vater war bereits im August 1938 verstorben.
Im britischen Exil trennte sich Marianne Winterberg von ihrem ersten Mann und heiratete 1946 in Cambridge den aus Wien stammenden Gynäkologen Albert Wilhelm Bauer (1891–unbekannt). Im September 1947 verstarb sie in London und wurde unter dem Namen Hammersmith beigesetzt.
Quellen
- ANNO: Gedicht, gesprochen bei der patriotischen Feier anläßlich der Eroberung von Przemyśl, von Marianne Kraus. In: Jahresbericht des Privat-Mädchen-Lyzeums Luithlen Wien I 1915, S. 26 [Stand: 27.02.2024]
- Wienbibliothek im Rathaus: Briefkarte von Marianne Kraus-Winterberg an Karl Kraus, 03.04.1933
Literatur
- Lisa Frank: Rosa Kraus. In: Lexikon der österreichischen Provenienzforschung, 27.5.2024
- Katharina Prager / Simon Ganahl [Hg.]: Karl Kraus-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Berlin: J.B. Metzler 2022
- Ines Rieder / Diana Voigt [Hg.]: Die Geschichte der Sidonie C. Sigmund Freunds berühmte Patientin. Wien: Zaglossus 2012
- Georg Gaugusch: Wer einmal war A–K. Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800–1938. 2 Bände. Wien: Amalthea 2011, S. 1545–1549
- Ariadne – Frauen in Bewegung 1848–1938: Privat-Mädchenlyceum Luithlen [Stand: 27.02.2024]