Rudolf Kraus (Industrieller)
Rudolf Kraus, * 3. Oktober 1872 Gitschin, Böhmen (Jičín, Tschechische Republik), † 31. Oktober 1943 Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, Industrieller, Gesellschafter der Firma "Jacob Kraus", Direktor und Hauptaktionär der "Austria Papierindustrie".
Biografie
Rudolf Kraus, war das achte Kind von Jacob und Ernestine Kraus und wurde 1872 in der böhmischen Kleinstadt Jičín geboren, wo seine Vorfahren mütterlicherseits, die Kantors, schon über Generationen etabliert waren und sein Vater ein erfolgreiches Geschäftsimperium aufbaute. Er war etwa fünf Jahre alt, als die Familie 1877 nach Wien übersiedelte, um das Familienunternehmen in der Haupt- und Residenzstadt weiter auszubauen. Rudolf Kraus besuchte wie sein nur neunzehn Monate jüngerer Bruder Karl Kraus das Franz-Josephs-Gymnasium (1., Stubenbastei 6–8); zeitweise befanden sie sich in derselben Klasse, da Rudolf die zweite Klasse wiederholte. Auch wenn Rudolf nicht zu Karls "Lieblingsgeschwistern" Richard und Marie zählte, verband sie eine gute Beziehung. Auf Postkarten der Familie Kraus finden sich etwa des Öfteren schwer dechiffrierbare Witze, die sich die beiden Brüder gegenseitig schickten.
Am 8. Mai 1902 heiratete Rudolf Kraus in der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien Anna Maria "Marianne" Fröhlich (1880–1943). Beide traten später aus dem Judentum aus. Rudolf ließ sich am 1. Juni 1907 und Anna Maria am 13. Oktober 1914 in der Evangelischen Stadtpfarre Wien taufen. Das Paar hatte zwei Kinder: Franz "Francis" Herbert Stefan (1903–1992) und Helene Gertrud Natalie, verheiratete Schanz (1907–unbekannt). Auch die beiden Kinder wurden evangelisch getauft. Die Wohnung der Familie (1., Nibelungengasse 13) wurde nach Plänen des Architekten Adolf Loos adaptiert.
Rudolf Kraus arbeitete im Familienunternehmen "Jacob Kraus" mit. Er war Direktor der zugehörigen "Austria Papierindustrie" und ab 1910 Geschäftsführer der "Paragon Kassenblock Co. Gesellschaft". 1933/1934 kam es zu einem gröberen Konflikt zwischen Rudolf und seinem älteren Bruder Josef, bei dem es wahrscheinlich um Geld – eventuell Spekulationen von Josef – ging. Als Vermittler traten die beiden anderen Brüder – Alfred und Karl – auf. Nach dem Tod des jüngsten Bruders 1936 übernahm Rudolf Kraus gemeinsam mit seinen anderen Brüdern die Weiterführung einiger Prozesse von Karl. Aufgrund der nationalsozialistischen Machtübernahme in Österreich 1938 und der folgenden Enteignung jüdischer Unternehmer*innen musste Rudolf Kraus seine Anteile an der von ihm geleiteten "Austria Papierindustrie" – er hielt 51 Prozent der Aktien – abgeben. 1939 versuchte zunächst die Creditanstalt einen Käufer zu finden. 1940 erfolgte schließlich auf Vermittlung der Österreichischen Kontrollbank die Übernahme durch die Hamburger-Gruppe und die Meinl-AG.
1938 suchte Rudolf Kraus – wie auch sein Bruder Josef Kraus – um Heimatrecht in seinem Geburtsort Jičín an. Dem Antrag wurde zwar im August des gleichen Jahres stattgegeben, jedoch machte das ein Monat später unterzeichnete "Münchner Abkommen" die Fluchtgedanken in diese Richtung zunichte. Rudolf und Anna Maria Kraus flüchteten nach Paris. Am 28. Oktober 1943 wurden sie aus Drancy deportiert und direkt nach ihrer Ankunft im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau am 31. Oktober ermordet. Ihren beiden Kindern gelang die Flucht.
Quellen
- Karl Kraus Online: Rudolf Kraus [Stand: 13.02.2024]
- ANNO: Firmaprotokollierungen Paragon Kassenblock Co. Gesellschaft m. b. H.. In: Wiener Zeitung, 12.02.1910
- ALO: Jahresberichte Franz-Joseph-Gymnasium Wien (1882–1895) [Stand: 05.02.2024]
- Wienbibliothek Digital: Rudolf Kraus
- Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Teilnachlass Edward Timms, ZPH-1805, 4.1.1.20.
Literatur
- Katharina Prager / Simon Ganahl [Hg.]: Karl Kraus-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Berlin: J.B. Metzler 2022
- Jens Malte Fischer: Karl Kraus. Der Widersprecher. Wien: Zsolnay 2020
- Georg Gaugusch: Wer einmal war A–K. Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800–1938. 2 Bände. Wien: Amalthea 2011, S. 1545–1549
- Peter Melichar: Arisierungen und Liquidierungen im Papier- und Holzsektor. In: Clemens Jabloner et al (Hg.): Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Band 10: Zwangsverkauf, Liquidierung und Restitution von Unternehmen in Österreich 1938 bis 1960, Teil 2: Wirtschaftssektoren, Branchen, Falldarstellungen. Wien: Oldenbourg 2004, S. 279–741
Rudolf Kraus im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.