Francis Herbert Kraus
Francis Herbert Kraus, * 10. Mai 1903 Wien, † 2. Februar 1992 New York.
Biografie
Geboren als Franz Herbert Stefan Kraus war er das erste Kind des Industriellen Rudolf und seiner Ehefrau Anna Maria "Marianne" Kraus, geborene Fröhlich (1880–1943). Seine Schwester Helene war um vier Jahre jünger. Wie seine Eltern, die vom Judentum zum Protestantismus übergetreten waren, wurde er am 20. März 1904 in der Evangelischen Stadtpfarre getauft. Über seine Kindheit und Bildung ist nicht viel bekannt. Karl Kraus hob eine Fotopostkarte, die der junge Franz seinem Onkel 1908 aus dem Sommerurlaub am Semmering schrieb, auf. Sie zeigt die beiden Geschwister in Tracht und ladet den Onkel auf einen Besuch ein.
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme in Österreich 1938 galt auch Kraus als Jude. Er konnte – wie seine Schwester – in die Vereinigten Staaten entkommen. Dort kam er zunächst bei seiner Cousine Ernestine Pollinger und ihrem Ehemann unter, nahm die amerikanische Staatsbürgerschaft an und benannte sich in Francis Herbert Kraus um. Laut einem Brief seiner Cousine an Albert Bloch vom 28. Jänner 1943 dürfte Kraus im Exil als Kaufmann rasch beruflich erfolgreich gewesen sein. Im Gegensatz zu seiner Schwester kehrte er nicht mehr in sein Heimatland zurück, sondern starb 1992 in New York. Seinen Eltern gelang die Flucht nicht. Sie wurden 1943 im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordet.
Gemeinsam mit seiner Schwester Helene Schanz bemühte er sich, während des Nationalsozialismus entwendetes Familienvermögen zurückzuerhalten. 1950 reichten die beiden einen Antrag nach dem Zweiten und Dritten Rückstellungsgesetz gegen die Republik Österreich um ein Gemälde von Ferdinand Georg Waldmüller ("Familie des Baron Geymüller in einem Park", später genannt "Die Familie Geymüller im Park") ein. Ihre Eltern hatten dieses 1932 von Hermann Reif erworben und während ihrer Flucht Hermann Fürschein übergeben. Von diesem kaufte es der Kunsthändler August Eymer (1894–1978) für seine Galerie L. T. Neumann und von diesem wiederum ging es an den Kunsthändler Karl Haberstock (1878–1956) für seine Galerie Haberstock in Berlin. Dort wurde es für dem "Sonderauftrag Linz" vorgesehen. Damit war das nach dem Wunsch Adolf Hitlers geplante, aber nie umgesetzte Kunstmuseum in Linz gemeint. Nach Kriegsende wurde das Gemälde durch die amerikanische Besatzungsbehörde in das ursprüngliche Herkunftsland – Österreich – zurückgesendet und in Salzburg verwahrt. Nach einem zehnjährigen Restitutionsprozess einigten sich die Geschwister mit der Republik Österreich 1960 auf einen Vergleich. Das Gemälde wurden gegen eine Zahlung von 60.000 Schilling zurückgegeben. Zusätzlich strengten die Geschwister noch ein weiteres Verfahren betreffend Aktien der "Deutschlandsberger Papierfabriken" an, die ihr Onkel Josef Kraus und seine Tochter Renate Austerlitz besessen hatten. Beide überlebten den Nationalsozialismus nicht.
Quellen
- Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, H.I.N.-169770, Fotopostkarte von Franz und Helene Kraus an Karl Kraus, 1908
- Wienbibliothek Digital: Adolph Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger
- Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Teilnachlass Edward Timms, ZPH-1805, 4.1.1.20.
- Deutsche Digitale Bibliothek: Verfahren Helene Schanz, Wien 1, Seilergasse 4, gegen das Deutsche Reich [Stand: 12.03.2024]
- Deutsche Digitale Bibliothek: Verfahren Francis Herbert Kraus, 67 Iselin Teracce Larchmont, NY, USA, gegen das Deutsche Reich [Stand: 12.03.2024]
Literatur
- Katharina Prager / Simon Ganahl [Hg.]: Karl Kraus-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Berlin: J.B. Metzler 2022
- Georg Gaugusch: Wer einmal war A–K. Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800–1938. 2 Bände. Wien: Amalthea 2011, S. 1545–1549
- Peter Melichar: Arisierungen und Liquidierungen im Papier- und Holzsektor. In: Clemens Jabloner et al (Hg.): Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Band 10: Zwangsverkauf, Liquidierung und Restitution von Unternehmen in Österreich 1938 bis 1960, Teil 2: Wirtschaftssektoren, Branchen, Falldarstellungen. Wien: Oldenbourg 2004, S. 279–741
- Erika Webhofer: Zur Rezeption von Karl Kraus. Der Briefwechsel aus dem Nachlaß Albert Bloch - Michael Lazarus - Sidonie Nádherný. In: Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv 3 (1984), S. 35–53
Francis Herbert Kraus im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.
Weblinks
- Lexikon der österreichischen Provenienzforschung: L. T. Neumann [Stand: 22.03.2024]
- Lexikon der österreichischen Provenienzforschung: August (Friedrich) Eymer [Stand: 22.03.2024]
- Lexikon der österreichischen Provenienzforschung: Kunstmuseum Linz [Stand: 22.03.2024]
- Germanisches Nationalmuseum: Karl Haberstock [Stand: 22.03.2024]
- Forschungsinstitut Brenner-Archiv der Universität Innsbruck: Nachlass Albert Bloch [Stand: 22.03.2024]
- "Das Familienleben ist ein Eingriff in das Privatleben". Die Familie des Satirikers Karl Kraus (Ausstellung der Wienbibliothek im Rathaus 2024) [Stand: 27.02.2024]