Jacob Kraus
Jacob Kraus, * 4. September 1833 Unterkralowitz, Böhmen (Dolní Kralovice, Tschechische Republik), † 5. April 1900 Wien, Papier- und Ultramarinfabrikant.
Biografie
Zu Jakob Kraus' Vorfahren finden sich nur spärlichste Daten: Sein Vater hieß wahrscheinlich Isaac Kraus (1788–1839) und er hatte offenbar einen Halbbruder namens Friedrich Pollak, den vermutlich die Mutter – deren Name unbekannt ist – mit in die zweite Ehe brachte. Pollak wurde jedenfalls in den Anzeigen von Jacob Kraus’ Tod als „Bruder“ unter den trauernden Verwandten genannt.
Zwischen 1849 und 1859 dürfte er als kleiner, wahrscheinlich umherziehender Geschäftsmann in Böhmen ein Auskommen gefunden haben und agierte dabei – von seinen späteren Erfolgen rückschließend – wohl schon durchaus tüchtig und geschickt. Mit 26 Jahren begegnete er dann der weit verzweigten und gut vernetzten Jičíner Familie Kantor und heiratete im August 1859 die älteste Tochter Ernestine Kantor.
Noch im selben Jahr scheint er als Mieter an der Adresse Altstadt 43/44 in Jičín auf. In diesem zentral gelegenen Eckhaus, das er 1864 kaufte, eröffnete er vorerst eine Kolonialwarenhandlung und nutzte es zugleich als Wohnhaus und Großhandelslager, da er viele Waren aus Brünn und Prag bezog. In der Palacky-Straße 64 konnte er bald ein zweites Geschäft einrichten sowie weitere Lagerräume auf dem Velké Platz 75 und 1867 in der Sladkovsky-Straße 51. Im Jahr 1869 kaufte er eine Metzgerei im Haus Nr. 9 unter dem ehemaligen Rathaus und im Jahre 1870 war er Pächter eines Gaststättengewerbes mit Branntweinverkauf im Haus Nr. 57 auf dem Komenský-Platz. Wie sein Schwiegervater Ignaz Kantor unterstützte er die neu errichtete Jičíner Gemeindesparkasse und war 1874 bis 1877 Mitglied ihrer Leitungsgremien; seit den frühen 1870er Jahren war er zudem im Vorstand der hiesigen Zuckerfabrik.
Schon dieser kurze Abriss der unternehmerischen Aktivitäten von Jacob Kraus zeigt, dass es ihm binnen kürzester Zeit gelang, vom unbekannten Zugereisten zum Fixpunkt des Jičíner Wirtschaftslebens zu werden. Zugleich festigte er seine Stellung in der jüdischen Kultusgemeinde der Stadt, der er vom 13. Oktober 1870 bis zum 5. April 1874 (wenige Wochen vor der Geburt seines Sohnes Karl Kraus) vorstand. Diese Gemeinde umfasste im ausgehenden 19. Jahrhundert etwa 350 Menschen; das waren vier Prozent der 9.000 EinwohnerInnen zählenden Stadt. Im Rahmen seiner Stellung übersiedelte Jacob die jüdische Schule in das Haus Nr. 100, in dem seine Frau aufgewachsen war. Er gründete eine Talmud-Thora-Schule, deren erstes Mitglied er selbst war, und engagierte für seine Kinder jüdische Hauslehrer, die den Schulunterricht der Kinder traditionell ergänzten. All das verweist auf eine durchaus praktizierte Religiosität, die sich nicht ganz leicht mit dem späteren Bild der sehr akkulturiert lebenden Wiener Familie Kraus in Einklang bringen lässt.
Jacob Kraus hatte als Erster die Idee, die im Handel teuren Jutesäcke durch 'Papiersackerl' zu ersetzen und diese massenhaft herzustellen - diese Innovation machte ihn in ganz Mitteleuropa bekannt. 1870 meldete die Wiener Geschäftszeitung:
"Herr Jacob Kraus, Fabrikant von Maschinen-Papier-Sackl, Düten, Muster-Capseln und Couverts, ist durch die Erzeugung dieser Artikel in der Strafanstalt Karthaus in der Lage, selbe zu einem äußerst billigen Preise abzugeben, worauf wir unsere P.T. Abonnenten aufmerksam machen" (18.6.1870).
Der österreichische Ausdruck "Sacklpicker" für Gefängnisinsassen zeigt, wie sich die Reichweite dieser Idee auch sprachlich manifestierte. Zur Produktion der 'Papiersackerl' in Gefängnissen – die nach Wunsch mit Aufdrucken versehen wurden – kam bald ein zweiter sehr erfolgreicher Geschäftszweig: Jacob Kraus machte den bis dahin nicht sehr verbreiteten Artikel Waschblau in Österreich-Ungarn populär und erhielt im Jahr 1875 die Alleinvertretung des neuartigen Waschmittels, auch als Ultramarin bekannt, durch die Ultramarinfabrik Johann D. Starck. Die nach dem Börsenkrach 1873 andauernde Wirtschaftskrise belastete seine beiden Geschäfte kaum und Jacob Kraus expandierte weiter. Er richtete Niederlassungen in Prag und Wien ein.
Im September 1877 übersiedelte Jacob Kraus seine Familie komplett nach Wien, um sein Unternehmen in der Haupt- und Residenzstadt weiter auszubauen. Nach etlichen Umzügen von der 1., Seilerstätte 13 in die 1., Walfischgasse 4 und später in die 1., Wollzeile 19, ließ sich die Familie und das Unternehmen schließlich in der 1., Maximilianstraße 13 nieder. Über der Eingangstür des Hauses wurde in riesigen Lettern der Name "Jacob Kraus" angebracht – und überdauerte dort die Zeit des Nationalsozialismus bis 1967. Während seine älteren Söhne Richard, Alfred, Josef und Rudolf alle in das Geschäftsimperium des Vaters einstiegen, ging der jüngste Sohn Karl Kraus andere Wege und arbeitete sich an der bürgerliche-liberalen Welt, in der sein Vater reüssiert hatte, ab. Abseits von durchaus zeittypischen Konflikten in Kraus' Jugend blieb die Beziehung zwischen Vater und Sohn aber durchaus wertschätzend und unterstützend.
Jacob Kraus starb am 5. April 1900 - fast genau ein Jahr, nachdem sein Sohn "Die Fackel" gegründet hatte - an einer Nierenbeckenentzündung und wurde in einer Familiengruft auf dem Zentralfriedhof beigesetzt und ihm zum Gedenken wurde ein Shakespeare-Zitat, das wohl Karl Kraus aussuchte, in die Marmorplatte eingraviert: "Er war ein Mann, nehmt alles nur in allem,/ich werde nimmer seinesgleichen sehn."
Quellen
- AAC-FACKEL Online Version: Die Fackel. Herausgeber: Karl Kraus, Wien 1899-1936
- Wienbibliothek im Rathaus: Teilnachlass Karl Kraus
- WStLA, Handelsregister, 2.3.3.B74.15.399 - Handelsregister E 15/399: Jacob Kraus
- WStLA, Handesregister, 2.3.3.B75.35.74 - Handelsregister Ges 35/74: Jacob Kraus
- WStLA, Handelsregister, 2.3.3.B77.4.221 - Handelsregister B 4/221: Jacob Kraus
Literatur
- Katharina Prager / Simon Ganahl [Hg.]: Karl Kraus-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Berlin: J.B. Metzler 2022
- Jens Malte Fischer: Karl Kraus. Der Widersprecher. Wien: Zsolnay 2020
- Gilbert Carr: Demolierung - Gründung - Ursprung. Zu Karl Kraus' Frühen Schriften und zur frühen Fackel. Würzburg: Königshausen und Neumann 2019
- Georg Gaugusch: Wer einmal war A–K. Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800–1938. 2 Bände. Wien: Amalthea 2011, S. 1545–1549
- Leo A. Lensing: Brief über den Vater. Ein Brief des jungen Karl Kraus. Warmbronn: Keicher 2005
- Eva Bílkova u.a.: Karl Kraus in Jičín und Jičín in Karl Kraus. Katalog zur Ausstellung. Jičín 2004
- Leo A. Lensing: Chuzpe am Schreibtisch. Zur Biographie von Karl Kraus. In: Karl Kraus – jicinskyk rodak a svetoobcan / Karl Kraus – in Jičín geboren, in der Welt zu Hause, hg. v. Museum of Czech Literature. Semely 2004, 42–55.