Marie Turnowsky
Marie Turnowsky, * 12. Dezember 1875 Gitschin, Böhmen (Jičín, Tschechische Republik), † 14. März 1933 Wien.
Biografie
Marie "Mizzi" Turnowsky, geborene Kraus, war das jüngste Kind von Jacob und Ernestine Kraus und wurde 1874 in der böhmischen Kleinstadt Jičín geboren, wo ihre Vorfahren mütterlicherseits, die Kantors, schon über Generationen etabliert waren und ihr Vater ein erfolgreiches Geschäftsimperium aufbaute. Sie war noch nicht ganz zwei Jahre alt, als die Familie 1877 nach Wien übersiedelte, um das Familienunternehmen in der Haupt- und Residenzstadt weiter auszubauen.
Die engste geschwisterliche Beziehung dürfte Marie Turnowsky wohl zu ihrem um zwei Jahre älteren Bruder Karl gehabt haben. Nach dem Umzug in die neue Stadt waren es die beiden jüngsten Geschwister der Familie, die noch nicht die Schule besuchend, die meiste Zeit mit der Mutter verbrachten und auf die sich die mütterliche Aufmerksamkeit konzentrierte. Das Naheverhältnis der beiden Geschwister blieb den Rest ihres Lebens aufrecht. Marie Turnowsky war etwa eine der ausgewählten Personen, denen Karl Kraus eines seiner Werke widmete (siebenter Band von "Worte in Versen", veröffentlicht 1923). Darüber hinaus sind fast sechzig Postkarten und Briefe von Marie Turnowsky an ihren Bruder erhalten, worin sie ihn immer wieder mit dem Spitznamen "Muckerl" adressiert. Mit ihrem Briefnetzwerk hielt sie die gesamte Kraus-Familie zusammen; meist unterschrieben auf den Karten aus näheren und ferneren Ländern auch andere Familienmitglieder und sendeten Grüße von gemeinsamen Urlauben an den Bruder, Schwager oder Onkel Karl.
Welche schulische Bildung Marie Turnowsky erhielt ist – wie bei ihren älteren Schwestern - nicht bekannt. Hausunterricht für Mädchen aus oberen Schichten war zu dieser Zeit nicht unüblich. Da es in der Familie Kraus sowohl Gouvernanten und Hauslehrer für Maries Brüder gab, erscheint es wahrscheinlich, dass sie an dieser Ausbildung teilhaben konnte. Auch der Besuch einer Grundschule ist vorstellbar.
Die 26-jährie Marie heiratete im Dezember 1901 den Kaufmann Gustav Turnowsky (1863–1923). Das Paar, das kinderlos blieb, sammelte Kunst und verkehrte ihn ähnlichen Kreisen wie der Bruder beziehungsweise Schwager Karl Kraus. Mit Adolf Loos verband alle drei eine Freundschaft und man unternahm gemeinsame Reisen. Für das Paar Turnowsky richtete Loos außerdem die erste gemeinsame Wohnung (4., Wohllebengasse 19) ein. Bei seinen im Dezember 1907 veranstalteten Wohnungswanderungen gewährten die Turnowskys dem Architekten und seiner Gruppe Zutritt für eine Besichtigung. Beim Umzug in die 4., Gußhausstraße 20 1915 wurde auch die Loos’sche Einrichtung mit übersiedelt.
Marie und Gustav Turnowsky waren wie andere Familienmitglieder nachweislich Lesende der von Maries Bruder herausgegebenen "Fackel". Neben Richard Kraus ist Marie Turnowsky das einzige weitere Familienmitglied, das dort auch vorkommt. 1925 veröffentlichte die von Imre Békessy herausgegebene "Stunde" ein antisemitisch retuschiertes Kinderbild von Marie und Karl. Die Klage der Geschwister ging durch mehrere Instanzen und wurde von Karl Kraus in der "Fackel" kommentiert.
Als 1923 ihr Ehemann starb, kam die Familie um die trauernde Marie Turnowsky zusammen und besonders Karl Kraus und ihre Nichte Ernestine Pollinger, die Tochter von Maries Schwester Malvine Weingarten, leisteten ihr in dieser ersten Zeit als Witwe viele Abende Gesellschaft. Marie Turnowsky starb am 14. März 1933 in Wien.
Quellen
- Wienbibliothek Digital: Marie Turnowsky
- Wienbibliothek Digital: Korrekturbögen zur 3. und 4. Redaktion von "Worte in Versen VII" von Karl Kraus mit Widmung "Meiner Schwester Marie"
- Wienbibliothek Digital: Adolph Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger
Literatur
- Katharina Prager / Simon Ganahl [Hg.]: Karl Kraus-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Berlin: J.B. Metzler 2022
- Georg Gaugusch: Wer einmal war A–K. Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800–1938. 2 Bände. Wien: Amalthea 2011, S. 1545–1549
- Leo A. Lensing: Chuzpe am Schreibtisch. Zur Biographie von Karl Kraus. In: Karl Kraus – jicinskyk rodak a svetoobcan / Karl Kraus – in Jičín geboren, in der Welt zu Hause, hg. v. Museum of Czech Literature. Semely 2004, 42–55
- Gertrud Simon: Hintertreppen zum Elfenbeinturm. Höhere Mädchenbildung in Österreich – Anfänge und Entwicklungen. Wien: Wiener Frauenverlag 1993
- Karl Kraus Online: Marie Turnowsky [Stand: 26.01.2024]
Marie Turnowsky im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.