Niederösterreichischer Landtag
48° 12' 36.51" N, 16° 21' 54.83" E zur Karte im Wien Kulturgut
Gebäude
siehe Niederösterreichisches Landhaus
Institution
Bis 1860
siehe Niederösterreichische Landstände
1861-1918
Aufgrund des kaiserlichen Patents vom 26. Februar 1861 (Februarpatent) wurde im März 1861 ein Niederösterreichischer Landtag gewählt, der anstelle der Niederösterreichischen Landstände das Land gegenüber der Niederösterreichischen Landesregierung repräsentierte und am 6. April 1861 erstmals zusammentrat. Er bestand aus 63 gewählten Mandataren (15 landgräfliche Großgrundbesitzer, 20 Vertreter von Landgemeinden, 24 Vertreter von Städten und Märkten, vier Vertreter von Handels- und Gewerbekammern) und drei „Virilstimmen" (Erzbischof von Wien, Bischof von St. Polten, Rektor der Wiener Universität), die keiner Wahl bedurften. Jedes Wahlmandat war an den Nachweis eines Mindestvermögens („Zensus") gebunden. Den Vorsitz bei jeder Tagung führten ein Landmarschall und sein Stellvertreter; beide wurden vom Kaiser ernannt 1896 wurde die Zahl der Mandate auf 75 erhöht (16 landtäfliche Großgrundbesitzer, 21 Vertreter von Landgemeinden, 34 Vertreter von Städten und Märkten, vier Vertreter von Handels- und Gewerbekammern), zuzüglich der drei Virilstimmen. Ab 1908 (Inkrafttreten des allgemeinen Wahlrechts ohne Zensus) gab es 124 gewählte Mandatare (16 landgräfliche Großgrundbesitzer, 31 Vertreter von Landgemeinden, 15 Vertreter von Städten ohne Wien, 58 Abgeordnete der allgemeinen Wählerklasse, davon 48 aus Wien und zehn vom flachen Land, vier Vertreter von Handels- und Gewerbekammern) und drei Virilstimmen. Als ausführendes Organ des Niederösterreichischen Landtags fungierte ab 22. April 1861 ein vom Plenum gewählter sechsköpfiger Landesausschuss (je ein Vertreter der landtäflichen Großgrundbesitzer, der Landgemeinden und Städte sowie drei Freigewählte). Niederösterreichischer Landtag und Landesausschuss waren für die Sachgebiete Kultur, Bauwesen, Wohltätigkeitsanstalten, Gesundheit, Kirchen- und Schulangelegenheiten sowie Heeresverpflegung auf Landesebene zuständig (selbständiger Wirkungsbereich gegenüber der Niederösterreichischen Landesregierung.
Landmarschälle
- Joseph Fürst Colloredo-Mannsfeld (1861-1867)
- Adolf Freiherr von Pratobevera-Wiesborn (1867-1870)
- Othmar von Helferstorfer, Abt des Schottenstifts (1870-1880)
- Cajetan Freiherr von Felder (1880-1884; Bürgermeister 1868-1878)
- Christian Graf Kinsky zu Wichnitz und Tettau (1884-1893)
- Leopold Freiherr von Gudenus (1893-1894)
- Otto Ehrenreich Graf Abensperg-Traun (1894-1896)
- Joseph Freiherr von Gudenus (1896-1902)
- Frigdian Schmolk, Propst des Stifts Herzogenburg (1902-1906)
- Aloys Prinz von und zu Liechtenstein (1906-1918)
Landmarschall-Stellvertreter
- Joseph Freiherr von Kalchberg (1861-1863)
- Andreas Zelinka (1863-1868; Bürgermeister 1861-1868)
- Cajetan (ab 1878 Freiherr von) Felder (1869-1880)
- Alexander Karl, Abt des Stifts Melk (1880-1884)
- Eduard Uhl (1884-1890; Bürgermeister 1882-1889)
- Johann Prix (1890-1894; Bürgermeister 1889-1894)
- Karl Haberl (1894-1896; Bürgermeister von Wr. Neustadt 1886-1897)
- Josef Strobach (1896-1905; Bürgermeister 1896-1897)
- Karl Lueger (1905-1910; Bürgermeister 1897-1910)
- Josef Neumayer (1910-1913; Bürgermeister 1910-1912)
- Josef Porzer (1913-1918; Vizebürgermeister 1905-1914)
1918-1934
Am 5. November 1918 fanden sich 88 Abgeordnete des 1908 gewählten Niederösterreichischen Landtags und 32 Reichsratsabgeordnete zur Provisorischen niederösterreichischen Landesversammlung zusammen. Zum ausführenden Organ wählte die Landesversammlung am 5. November 1918 eine "Landeskommission" (Landeshauptmann, drei Stellvertreter, siebenköpfiger Landesausschuss), die am 14. November 1918 in "Landesregierung" umbenannt Diese übernahm alle Agenden, die vorher von der Niederösterreichischen Statthalterei (einer vom Kaiser ernannten Behörde) und vom Niederösterreichischen Landesausschuss (einem vom Plenum des Niederösterreichischen Landtags gewählten Gremium) besorgt worden waren.
Aus der erstmals nach dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht für Männer und Frauen abgehaltenen Landtagswahl vom 4. Mai 1919 (68 Mandatare aus Wien, 52 aus dem übrigen Niederösterreich) gingen die Sozialdemokraten als klare Gewinner hervor. Nachdem in der Bundesverfassung 1920 zwei eigenständige Landesteile, Wien und Niederösterreich-Land, festgeschrieben wurden, die in allen nicht-gemeinsamen Belangen völlige Selbständigkeit genossen, gab sich Niederösterreich-Land am 30. November 1920 eine eigene Landesverfassung. Zur Regelung der wenigen verbliebenen gemeinsamen Angelegenheiten beider Landesteile (vor allem Landesanstalten, die Landeseisenbahnen und das Vermögen des Landes) wurde am 28. Dezember 1920 eine "Gemeinsame Landesverfassung von Niederösterreich" verabschiedet, die am 1. Jänner 1921 in Kraft trat und auch einen gemeinsamen Landtag vorsah. Ihre Geltung sollte lediglich ein Jahr betragen, bis sich nach zähen Verhandlungen über die Aufteilung des Vermögens des Landes Niederösterreich (gesamt), die in den Trennungsgesetzen vom 29. Dezember 1921 mündeten, am 1. Jänner 1922 die beiden Landesteile Wiens und Niederösterreich-Land endgültig voneinander trennten.
Bereits am 24. April 1921 wurde ein Niederösterreichischer Landtag (ohne Wien), bestehend aus 60 Abgeordneten, gewählt (ab 24. April 1932: 56 Mandate). Die Landesregierung bestand nun aus dem Landeshauptmann, zwei Stellvertretern und vier Landesräten.
1934-1938
Die ständestaatliche Verfassung vom 1. Mai 1934 sah die Ernennung des Landeshauptmanns durch den Bundespräsidenten und die Ernennung des nun aus 36 Mitgliedern bestehenden Landtags durch den Landeshauptmann vor. Die Regierung führten der Landeshauptmann, zwei Stellvertreter (davon einer mit dem Titel Landesstatthalter) und vier Landesräte.
1939-1945
An der Spitze der Verwaltung des "Reichsgaus Niederdonau" stand ein von Adolf Hitler ernannter Gauleiter; einen gewählten Niederösterreichischen Landtag gab es nicht.
Seit 1945
Am 1. Mai 1945 wurde die bis 1934 gültige Verfassung des Bundeslandes Niederösterreich wieder in Kraft gesetzt. Am 19. Oktober 1945 wurde ein Niederösterreichischer Landtag gewählt, dem am 12. Dezember 1945 die gesetzgebende Gewalt von der Provisorischen Landesregierung übertragen wurde. Die Zahl von 56 Mandaten blieb unverändert, auch nach der ab 1. Jänner 1978 wirksamen Änderung der Landesverfassung. 1997 wurde der Sitz des Niederösterreichischen Landtages in die neue Landeshauptstadt St. Pölten verlegt.
Literatur
- Bernard Hachleitner/Christian Mertens [Hg.]: Wien wird Bundesland. Die Wiener Stadtverfassung und die Trennung von Niederösterreich. Salzburg/Wien: Residenz 2020
- Hermann Riepl: Der Landtag in Niederösterreich, in: Wissenschaftliche Schriftenreihe Niederösterreich. Band 60, St. Pölten-Wien 1981
- Ernst Brosig, Viktor Seidl: Die niederösterreichische Landesverfassung, in: Wissenschaftliche Schriftenreihe Niederösterreich. Band 23, St. Pölten-Wien 1977
- Silvia Petrin: Die Stände des Landes Niederösterreich, in: Wissenschaftliche Schriftenreihe Niederösterreich. Band 64, St. Polten 1982
- Karl Gutkas: Geschichte des Landes Niederösterreich. St. Polten 61983, S. 426 ff., S. 488 ff, S. 509 f., S. 524 ff.
- Karl Gutkas: Landesfürst, Landtag und Städte Niederösterreichs im 16. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Landeskunde Niederösterreich. Neue Folge 36/1. 1964, S. 311 ff.
- Herbert Knittler/Gottfried Stangler/Renate Zedinger [Hg.]: Adel im Wandel. Niederösterreichische Landesausstellung. Politik, Kultur, Konfession 1500-1700, Rosenburg 12. Mai-28. Oktober 1990. Wien: Amt der NÖ Landesregierung 1990