Städtische Gaswerke
Gründungsphase
Als sich die Kritik an der privaten Imperial-Continental-Gas-Association (Private Gaswerke) wegen der offenkundigen Unzukömmlichkeiten (Versorgung, Preisgestaltung und so weiter) verstärkte, wurden 1872 im Zuge der Diskussionen um eine Vertragsverlängerung mit der englischen Gesellschaft erstmalig Pläne für eine städtische Gasversorgung ausgearbeitet (nicht realisierter Gemeinderatsbeschluss vom 4. Juni 1872 zur Errichtung eines städtischen Gaswerks, für das dem Direktor der städtischen Gasanstalten in Triest, C. R. Kühneil, die Planung übertragen wurde), doch sprach sich die liberale Mehrheit im Gemeinderat letztlich aus grundsätzlichen Erwägungen gegen ein Engagement der Gemeinde aus. Der Vertrag wurde daraufhin am 22. Mai 1875 unter Bürgermeister Cajetan Felder gegen den Widerstand der Opposition verlängert (Gültigkeitsdauer 1. November 1877-31. Oktober 1899).
In den folgenden Jahren engagierten sich die Christlichsozialen unter Karl Lueger in steigendem Maße für eine Kommunalisierung der Energieerzeugung (vergleiche Städtische Elektrizitätswerke) und des innerstädtischen Verkehrs (vergleiche Straßenbahn). Unabhängig davon beauftragte der noch liberal dominierte Gemeinderat am 13. Jänner 1888 den Magistrat, Vorschläge betreffend die Übernahme der Gasbeleuchtung in eigener Regie zu erstatten; am 5. Juni 1892 genehmigte der Gemeinderat das Programm für den Bau städtischer Gasanstalten, am 4. Juli 1893 urteilte eine Jury der Gemeinde Wien über die beiden eingelangten Wettbewerbsprojekte zur Erbauung der städtischen Gaswerke (erster Preis G. Schimming), 1894 legte Theodor Herrmann ein neues Projekt für ein Zentralgaswerk in Simmering vor. 1893 wurde beim Stadtbauamt eine Abteilung für das Beleuchtungswesen geschaffen. Als die Christlichsozialen durch die Gemeinderatswahlen 1895 die Mehrheit im Gemeinderat erlangten, entschlossen sie sich, ihre in der Oppositionszeit artikulierten Forderungen möglichst rasch zu realisieren, wobei darauf Bedacht genommen wurde, die Versorgung nahtlos mit dem Auslaufen des städtischen Vertrags mit der Imperial-Continental-Gas-Association (31. Oktober 1899) sicherzustellen. Am 21. und 27. Oktober 1896 fasste der Gemeinderat die erforderlichen Beschlüsse zum Bau des städtischen Gaswerks Simmering (erstes städtisches Gaswerk; errichtet 1896-1899). Die Gemeinde Wien schloss mit der Imperial-Continental-Gas-Association 1899 einen außergerichtlichen Vergleich, der die bestehenden Beleuchtungsverträge von unterschiedlicher Dauer für die Vororte annullierte und durch einen einheitlichen Vertrag mit einer Laufzeit bis 31. Dezember 1910 ersetzte; die Imperial-Continental-Gas-Association stellte 1899 den Betrieb der Werke Erdberg, Belvedere und Zwischenbrücken-Tabor ein.
Ausbau
1909 folgte (nach der Eingemeindung der Vororte 1890/1892 und der linksseitigen Donaugemeinden 1904/1905) der Bau des Gaswerks Leopoldau (zweites städtische Gaswerk; errichtet 1909-1911), das die Vororte versorgen sollte. Das Rohrnetz erreichte 1912 eine Länge von 1.000 Kilometer (am 1. Jänner war das gesamte Stadtgebiet mit geringen Ausnahmen angeschlossen), 1913 von 1.500 Kilometer. 1914 wurden die Gaswerke Simmering und Leopoldau durch eine Hochdruckleitung verbunden. Am 1. Februar 1914 lieferten die beiden Gaswerke erstmalig über 1 Million Kubikmeter Gas. Der Gaszählerstand überschritt 1913 200.000, 1924 300.000, 1927 400.000 und 1932 500.000 Stück. 1933 wurde der Gasbehälter Baumgarten in Betrieb genommen. 1934 erfolgte die Gründung der "Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Gaswirtschaft" (Gasgemeinschaft Wien; Aufnahme der Tätigkeit am 22. Oktober 1934 im Direktionsgebäude der Gaswerke).
Am 1. Jänner 1940 kaufte die Gemeinde Wien das bis dahin noch im Besitz der "Österreichischen Gasbeleuchtungs-AG" verbliebene Gaswerk auf dem Wienerberg. Am 20. Jänner 1942 überstieg die Stadtgasabgabe erstmalig 1,5 Millionen Kubikmeter, am 1. August 1942 wurde das Gaswerk Mödling erworben, am 18. Jänner 1943 wurde im Werk Leopoldau (gemischt mit anderen Gasarten) erstmalig Erdgas verwendet. Die wegen Kohlenmangels nach dem Zweiten Weltkrieg verordneten "Gassperrzeiten" konnten im August 1948 aufgehoben werden; 1948 erfolgte auch die Neugründung der "Gasgemeinschaft Wien". Am 1. Jänner 1949 wurden die Gaswerke (nach Gemeinderatsbeschluss vom 23. Dezember 1948) mit den E-Werken und Verkehrsbetrieben zu den "Wiener Stadtwerken" vereinigt. 1956 überstieg die tägliche Stadtgasabgabe erstmalig 2 Millionen Kubikmeter, 1960 2,5 Millionen Kubikmeter und Ende 1961 3 Millionen Kubikmeter, 1979 (ausschließlich Erdgasabgabe) 4 Millionen Kubikmeter und 1983 5 Millionen Kubikmeter; 1987 war mit fast 7,6 Millionen Kubikmeter ein Rekordjahr, 1990 wurden 6,6 Millionen Kubikmeter erreicht.
Umstieg auf Erdgas
1966 (Simmering) beziehungsweise 1969 (Leopoldau) wurde die klassische Gaserzeugung aus Steinkohle eingestellt; seither obliegt den Gaswerken lediglich die Übernahme, Messung und Verteilung des Erdgases. Seit 1967 ist das Stadtgas entgiftet. Am 17. Dezember 1968 wurde in Simmering der neue Schraubenbehälter mit einem Fassungsraum von 300.000 Kubikmeter, der größte seiner Art in Europa, in Betrieb genommen. Die Umstellung auf Erdgas erfolgte in den Gaswerken nach Vorarbeiten im Jahr 1969 in den Jahren 1970-1978 (Abschluss 22. September 1978). 1969 wurden durchschnittlich pro Tag 5,5 Millionen Kubikmeter Stadtgas abgegeben, 1975 bereits 1 Million Kubikmeter Erdgas; 1987 wurde mit 7,595.000 Kubikmeter die höchste Tagesabgabe erreicht.
Von der WIENGAS zur WIEN ENERGIE Gasnetz GmbH
Im Jahr 1990 wurden die Arbeiten zur Aktivierung des Hochdruckringes abgeschlossen, im Folgejahr die Lager "Direktion" und Leopoldau mit dem Lager Simmering zusammengelegt. Zur weiteren Zusammenlegungen kam es 1995. 1997 kam es zum Neubau der Zentralwerkstätte, Erweiterung des Zentrallagers und dem Neubau der Gas-Kernzone Simmering mit Gasdispatcher. 1998 wurde die WIENGAS GmbH gegründet. Am 27. September 2001 wurde die Gas-Kernzone Simmering in Betrieb genommen. Mittlerweile war die Erdgasabgabe von unter 1 Milliarde Kubikmeter NZ auf fast 10 Milliarden angestiegen.[1]
Im Jahr 1998 wurde der Beschluss zum Neubau eines neuen Bürogebäudes am Standort Wien Simmering gefasst. Gemeinsam mit den historischen Verwaltungsgebäuden entstand damit eine Konzentrierung von Steuerungsfunktionen auf dem ehemaligen Industriegelände des Gaswerk Simmering.[2]
Mit 1. August 2013 wurde in der Gesellschaft "Wiener Netze", die Wien Energie Stromnetz, Wien Energie Gasnetz, die Netzleitungen der Fernwärme und die Telekommunikationsnetze der Wien Energie unter einem organisatorischen Dach zusammengefasst. Bis 2017 soll die Gesellschaft mit ihren 3.000 MitarbeiterInnen am neuen Standort "Smart Campus" in Simmering ihren organisatorischen Zielzustand erreicht haben.[3]
Direktoren
Dr. Franz Kapaun (30.10.1899 - 31.10.1909)
Heinrich Rossner (1899 - 31.1.1909)
Ing. Franz Menzel (1.8.1909 - 30.9.1936; Generaldirektor der Gas- und E-Werke 1935/1936)
Ing. Johann Güntner (18.6.1935 - 30.5.1940)
Dipl.-Ing. Ernst Schobert (1.3.1940 - 9.4.1944)
Dr. Karl Lesch (1.8.1944 - 25.4 1945)
Dr. Josef Dollinger (26.4.1945 - 15.1 1951)
Dr. Wilhelm Horak (13.2.1951 - 23.2.1958)
Dipl.-Ing. Leopold Stauffer (11.3.1958 - 31.8.1962)
Dr. Walter Jorde (1.9.1962 - 31.12.1971)
Dipl.-Ing. Dr. Josef Scholle (1.1.1972 - 30.6.1982)
Dipl.-Ing. Rudolf Schlauer (10.8.1982 - 31.12.1989)
Dipl.-Ing. Richard Pöltner (20.2.1990 - Februar 2002)
Ing. Mag. Helmut Miksits (1999; Geschäftsführer Wiengas GmbH, 2002; Vorsitzender der Geschäftsführung Wien Energie Gasnetz GmbH)
Mag. Roland Chavatal (2002; Geschäftsführer Wien Energie Gasnetz GmbH, 2007; Vorsitzender der Geschäftsführung Wien Energie Gasnetz GmbH)
Dipl.Ing. Franz Ohlenschläger (seit 2008; Geschäftsführer Wien Energie Gasnetz GmbH)
Siehe auch:
- Private Gaswerke
- Gaswerk Simmering
- Gasometer
- Gasbehälter
- Gasrohrnetz
- Gasbeleuchtung
- Gaslaternen
- Gaserzeugung
Literatur
- Der Aufbau. Fachschrift der Stadtbaudirektion Wien. Wien: Compress / Jugend & Volk 1985, 242 ff.
- Ferdinand Lettmayer [Hg.]: Wien um die Mitte des XX. Jahrhunderts - ein Querschnitt durch Landschaft, Geschichte, soziale und technische Einrichtungen, wirtschaftliche und politische Stellung und durch das kulturelle Leben. Wien: 1958, S. 613 ff., 633 ff.
- Robert Medek: 85 Jahre Städtisches Gaswerk Wien-Simmering. 1985
- Robert Medek: 75 Jahre Städtisches Gaswerk Wien-Leopoldau. 1987
- Rudolf Schlauer: Im milden Schein des Gaslichts. 1989
- Maren Seliger / Karl Ucakar: Wien. Politische Geschichte 1740 - 1895. Wien: Jugend & Volk 1985 (Geschichte der Stadt Wien, 1), S. 613 ff.
- Maren Seliger / Karl Ucakar: Wien. Politische Geschichte 1896 - 1934. Wien: Jugend & Volk 1985 (Geschichte der Stadt Wien, 2), S. 819 f., 888 ff. und Register
- Alexander Sladek / Thomas Guss: 1899-1999. 100 Jahre Wiengas. Wien: Wiengas 2000
- Heinrich Strasser [Hg.]: Die Tätigkeit des Wiener Stadtbauamtes und der Städtischen Unternehmungen technischer Richtung in der Zeit von 1935 bis 1965. Band 2. Wien: 1974, S. XXXI
- WIEN ENERGIE Gasnetz: Errichtung der Betriebs- und Verwaltungsgebäude. Wien: WIEN ENERGIE Gasnetz GmbH 2003
- WIENGAS - ein zukunftsorientiertes Unternehmen geht seinen Weg. Festschrift anläßlich der Eröffnung der Gaskernzone Simmering. Wien: Wiengas 2001
- Helmut Ruck und Christian Fell: Gas. Energie für Wien im Wandel der Zeit (hg. v. Wien Energie Gasnetz GmbH), Bd. 1-3 , Wien 2009
Einzelnachweise
- ↑ WIENGAS - ein zukunftsorientiertes Unternehmen geht seinen Weg. Festschrift anläßlich der Eröffnung der Gaskernzone Simmering. Wien: Wiengas 2001, S. 31 f.
- ↑ WIEN ENERGIE Gasnetz: Errichtung der Betriebs- und Verwaltungsgebäude. Wien: WIEN ENERGIE Gasnetz GmbH 2003.
- ↑ http://www.vipress.at/wiener-stadtwerke/news/meldung/2268/smarker/1/