Öffentliche Bedürfnisanstalten
Bereits 1863 wurde in einer Fachzeitschrift erstmals die Notwendigkeit öffentlicher Pissoirs erörtert. Der Berliner Kaufmann Wilhelm Beetz legte dann 1881 dem Wiener Gemeinderat ein Ansuchen um Bewilligung zur Aufstellung öffentlicher Bedürfnisanstalten vor (behandelt in der Sitzung von 29. Juli 1881). Erst am 24. Juli 1883 entschied der Gemeinderat jedoch, Beetz solle ein Probeobjekt errichten. Dieses (aus Holz) wurde am 23. September 1883 auf dem Kinderspielplatz an der Invalidenstraße eröffnet. Als sich die Einrichtung bewährte, schloss die Gemeinde Wien mit der Firma Beetz am 27. November 1883 einen Vertrag mit zehnjähriger Laufzeit, der dieser das Recht einräumte, an bestimmten Plätzen auf eigene Kosten Bedürfnisanstalten zu errichten. Auch im Falle der Vertragsverlängerung sollten die Objekte nach 25 Jahren in das Eigentum der Gemeinde Wien übergehen.
Als erste öffentliche Bedürfnisanstalten entstand 1884 jene auf dem Börseplatz. Es folgten (um bedeutendere Beispiele herauszugreifen) Bedürfnisanstalten am Parkring (bei der Weiskirchnerstraße, 1901; größte der von Beetz angebotenen drei Typen; erhalten), im Rathauspark bei der Ringstraße (1903), am Graben (1905, einzige erhaltene Jugendstilanlage; am 7. Februar 1984 nach Restaurierung wieder in Betrieb genommen), auf dem Schwarzenbergplatz (1909), Am Hof (1910) und am Stephansplatz, wobei die vier letzteren unterirdisch konzipiert wurden. 1905 standen auf Straßen, Plätzen und in öffentlichen Gartenanlagen 59, 1910 73 öffentliche Bedürfnisanstalten, die einheitlich gestaltet waren.
Diese Fertigteilbauten aus Eisen mit Ziegelunterbau und Steinsockel wurden nach einem von der Firma Beetz ausgearbeiteten Grundkonzept errichtet. Die Baukosten betrugen je 12.000 Kronen. Da die unterirdischen Anlagen zwischen 60.000 und 80.000 Kronen kosteten, leistete die Gemeinde Wien einen Kostenzuschuss. Eine Besonderheit der Beetz'schen Etablissements war das Urinol, eine spezielle Mineralölmischung, die den Wasserverbrauch senkte und unangenehme Gerüche verhinderte. Für die Benützung wurden anfangs in der 1. Klasse 10 Heller, in der 2. Klasse 6 Heller eingehoben.
Literatur
- Renate Wagner-Rieger [Hg.]: Die Ringstraße. Bild einer Epoche. Die Erweiterung der Inneren Stadt Wien unter Kaiser Franz Joseph. Band 11: Die Bautechnik der Wiener Ringstraße. Wiesbaden: Steiner 1979, S. 384 ff.
- Wien Schwaab: Ueber die Construction von öffentlichen Pissoirs. In: Zeitschrift des Österreichischen Ingenieur- und Architektenvereins 15 (1863), S. 55
- Die Beetz'schen Bedürfnisanstalten in Wien. In: Bautechniker 26 (1906), S. 1132 ff.
- Robert Weissenberger: Wiener Nutzbauten des 19. Jahrhunderts als Beispiele zukunftsweisenden Bauens. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1977 (Wiener Schriften, 38), S. 183 ff.
- Paul Kortz: Wien am Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein Führer in technischer und künstlerischer Richtung. Hg. vom Oesterreichischen Ingenieur und Architekten-Verein. Band 1. Wien: Gerlach & Wiedling, 1905, S. 183 ff.
- Technischer Führer durch Wien. Hg. vom Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Verein. Red. von Martin Paul. Wien: Gerlach & Wiedling 1910, S. 132 f.
- Friedrich Achleitner: Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert. Ein Führer. Band 3/1: Wien. 1. - 12. Bezirk. Salzburg: Residenz-Verlag 1990, S. 37
- Antonia Jelinek-Fink: Jugendstil-WC. Wo das Bedürfnis zur Freude wird = Vienna's art nouveau loo. Public convenience - and more = Les cabinets du style Art Nouveau. Où les besoins deviennent un plaisir. In: Rendezvous Wien. Vierteljahreszeitschrift für Freunde Wiens in aller Welt 4 (1987/1988), S. 19
- Stadtarchiv München [Hg.]: Anrüchig. Bedürfnisanstalten in der Grossstadt. München: Raben-Verl. 1990