Hertha Pauli
Hertha Pauli, * 4. September 1906 Wien, † 9. Februar 1973 New York City, Schriftstellerin, Schauspielerin, Journalistin.
Biografie
Herkunft und Jugend
Hertha Pauli wurde in eine angesehene und wohlhabende Familie des intellektuellen Bürgertums hineingeboren. Bei ihren Großeltern mütterlicherseits handelte es sich um die Hofopernsängerin Bertha Schütz und den Schriftsteller und Redakteur Friedrich Schütz. Ihre Mutter Bertha Pauli, geborene Schütz (1878–1927), war Journalistin bei der Neuen Freien Presse und in der Frauenbewegung aktiv. Sie nahm sich 1927 mit einer Überdosis Veronal das Leben. Der Vater, Wolfgang Josef Pauli (eigentlich: Pascheles, 1869–1955), war Arzt und Biochemiker an der Universität Wien. 1919 wurde er ordentlicher Professor und Vorstand des Instituts für physikalisch-chemische Biologie. Ab 1922 bis zu seiner erzwungenen Emigration 1938 stand er dem Institut für medizinische Kolloidchemie vor. Hertha Paulis älterer Bruder Wolfgang war Kernphysiker. Gemeinsam mit Werner Heisenberg entwickelte er 1929 die Quantenfeldtheorie und erhielt dafür 1945 den Nobelpreis. Die Familie Pauli war mit dem Physiker Ernst Mach freundschaftlich verbunden. Ihm zu Ehren hießen die beiden Kinder mit zweitem Vornamen Ernst respektive Ernestine.
Die Familie Pauli lebte im Cottageviertel und Hertha Pauli besuchte ab 1916 das humanistische Gymnasium in Döbling. Früh entdeckte sie ihre Leidenschaft für das Theater. Als sie nach dem Ersten Weltkrieg mit einem Kindertransport nach Dänemark gelangte, begann sie die Märchen von Hans Christian Andersen zu dramatisieren. Zurück in Wien nahm sie Schauspielunterricht bei Hedwig Bleibtreu. Das Gymnasium brach Hertha Pauli 1923 ab, stattdessen studierte sie Drama an der Wiener Kunstakademie.
Beruflicher Werdegang und Flucht
Ihr erstes Engagement erhielt Pauli 1925 am Lobe Theater in Breslau. Zwei Jahre später holte sie Max Reinhardt nach Berlin und sie feierte dort Erfolge. Ab 1928 schrieb sie zudem Hörbücher, Gedichte und Feuilletons, die unter anderem im "Simplicissimus", dem "Berliner Tageblatt" und der Prager "Bohemia" veröffentlicht wurden. Im Jahr 1929 heiratete sie den Schauspieler Carl Behr (1902–1934), von dem sie sich allerdings 1932 wieder scheiden ließ, nachdem sie sich in Ödön von Horváth verliebt hatte. Horváths Ankündigung seiner bevorstehenden Hochzeit mit Maria Elsner veranlasste Pauli zu einem Suizidversuch. Trotz dieses Vorfalls sollten die beiden bis zu Horváths Tod enge Freunde bleiben.
Nach der Machtübername Hitlers in Deutschland kehrte Hertha Pauli 1933 nach Wien zurück. Hier lernte sie den Juristen Karl Frucht kennen, mit dem sie die "Österreichische Korrespondenz" gründete, eine literarische Agentur für geflüchtete Schriftsteller, die Autoren wie Lion Feuchtwanger, Egon Friedell und Franz Werfel vertrat. Parallel zu der Arbeit in der "Österreichischen Korrespondenz" arbeitete Pauli an ihrem ersten Roman. 1936 erschien ihr von der Kritik wohlwollend aufgenommener Debütroman "Toni. Ein Frauenleben für Ferdinand Raimund", in dem sie sich mit der Liebesgeschichte zwischen Ferdinand Raimund und Toni Wagner auseinandersetzte. Bereits im darauffolgenden Jahr erschien mit "Nur eine Frau" ihre ebenfalls erfolgreiche Biografie über die Pazifistin Bertha von Suttner. Da das Werk den Intentionen des Nationalsozialismus widersprach, wurde es in Deutschland Anfang März 1938 auf die "Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums" gesetzt. Bei einer Lesung aus dem Buch im Wiener Rundfunk kam es zu einer Störaktion durch Nationalsozialisten.
Am 13. März 1938 floh Hertha Pauli über die Schweiz, wo sie ihren Bruder vermutete, aber nicht antraf, nach Paris und kam dort mit Freunden wie Karl Frucht und Walter Mehring wieder zusammen. So gut es ging arbeitete sie weiterhin für ihre Agentur und verfasste antifaschistische Texte, die nach Deutschland geschmuggelt wurden. Kulturpolitische Beiträge erschienen auch in der "Pariser Tageszeitung" und sie trat in den europäischen PEN-Club ein. Bei Kriegsausbruch wurde sie als "feindliche Ausländerin" in Frankreich interniert, nach dem Einmarsch der deutschen Truppen 1940 floh Pauli gemeinsam mit ihren Freunden Walter Mehring und Karl Frucht nach Marseille. Von dort aus bemühten sie sich – wie viele andere Schriftstellerinnen und Schriftsteller auch – um Visa in die USA. Dank des "Emergency Rescue Committees" (ERC), das vom amerikanischen Journalisten Varian Frey koordiniert wurde, erhielt Hertha Pauli ein solches Notvisum für verfolgte Künstler*innen und Wissenschaftler*nnen. Über die Pyrenäen gelangte sie nach Spanien, von dort aus weiter nach Portugal, wo sie Lissabon per Schiff verließ und am 12. September 1940 New Jersey erreichte.
Im Exil
Im Exil publizierte Hertha Pauli ihr "Tagebuch einer Flucht" in der Emigrantenzeitung "Aufbau". Es gelang ihr, Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen aufzubauen respektive zu erneuern. Dieses Netzwerk half ihr bei der Arbeitssuche. Sie arbeitete unter anderem für die Wissenschaftsredaktion der Zeitung "PM" und engagierte sich im Emergency Rescue Committee. Walther Mehring, der einen Vertrag für vertriebene Autoren in der Filmbranche erhalten hatte und für die Filmgesellschaft Metro-Goldwyn-Mayer tätig war, holte Pauli 1941 nach Hollywood, wo sie als Sekretärin – anderen Angaben zufolge als Filmtexterin – arbeitete. Ab 1942 lebte Pauli wieder in New York und schrieb an einem Roman über Alfred Nobel, den der Bermann-Fischer Verlag auf Englisch herausbrachte. Mit dem aus München stammenden Übersetzer E. B. Ashton (eigentlich: Ernst Basch), der diese Biografie ins Deutsche übersetzte, ging sie 1951 ihre zweite Ehe ein.
Pauli, die sich das Amerikanische rasch aneignete, schrieb bald auf Englisch. In vielen ihrer Werke beschäftigte sie sich mit katholischem Brauchtum und christlichen Heiligengestalten. In "Silent Night. The Story of a Song" (1943) erzählte sie die Geschichte des auch in den USA sehr bekannten Liedes "Stille Nacht", 1944 folgte "The Story of the Christmas Tree". Mit diesen Werken gelang es Hertha Pauli, sich im Exil vor allem als Jugendbuchautorin zu etablieren. Gleichzeitig trug sie damit auch zum kulturellen Transfer zwischen Österreich und den USA bei, wie die Literaturwissenschaftlerin Evelyne Polt-Heinzl in ihrem Nachwort zur Neuauflage von Paulis Roman "Jugend nachher" anmerkt. In diesem Roman, der erstmals 1959 erschien, setzte sich Pauli mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit auseinander – er wurde nie ins Amerikanische übersetzt. Ihr biografisches Werk "Her Name was Sojourner Truth" (1962) über eine frühe afroamerikanische Freiheitskämpferin wurde hingegen nicht ins Deutsche übersetzt, was auf eine fortwährende Bruchlinie in der Karriere der Schriftstellerin hinweist.
1952 war Pauli erstmals nach Kriegsende wieder nach Wien gekommen. Fortan besuchte sie Europa und ihre Heimatstadt regelmäßig und publizierte auch wieder auf Deutsch. 1970 stellte sie den autobiografischen Roman "Der Riß der Zeit geht durch mein Herz" fertig. Sie starb 1973 auf Long Island in New York, ihre Urne wurde in einem ehrenhalber gewidmeten Grab auf dem Döblinger Friedhof beigesetzt.
Der literarische Nachlass der Schriftstellerin befindet sich seit 1987 in der Österreichischen Nationalbibliothek. Einige Briefe von Hertha Pauli werden auch in der Wienbibliothek im Rathaus verwahrt.
Werke (Auswahl)
- Hertha Pauli: Toni. Ein Frauenleben für Ferdinand Raimund. Roman. Wien: Zsolnay 1936
- Hertha Pauli: Nur eine Frau. Bertha von Suttner. Biographischer Roman. Wien / Leipzig: Zeitbild-Verlag (1937)
- Hertha Pauli: Alfred Nobel. Dynamite King-Architect of Peace. New York: Gottfried Bermann Fischer 1942
- Hertha Pauli: Silent Night. The Story of a Song. New York: Knopf 1943
- Hertha Pauli: The Story of the Christmas Tree. Boston: Houghton Mifflin 1944
- Hertha Pauli: Jugend nachher. Wien: Zsolnay 1959 [Neuauflage im Milena Verlag 2019]
- Hertha Pauli: Her Name was Sojourner Truth. New York: Appleton-Century Crofts 1962
- Hertha Pauli: Der Riß der Zeit geht durch mein Herz. Ein Erlebnisbuch. Wien: Zsolnay 1970
Quellen
Literatur
- Evelyne Polt-Heinzl: Hertha Paulis früher Roman über den verpatzten Neustart von 1945. In: Hertha Pauli: Jugend nachher. Roman. Wien: Milena 2019, S. 234–243
- Ilse Korotin [Hg.]: biografiA. Lexikon österreichischer Frauen. Band 3. Wien / Köln / Weimar: Böhlau 2016, S. 2479–2481
- Susanne Blumesberger / Ernst Seibert (Hg.): "Eine Brücke über den Riss der Zeit …" Das Leben und Wirken der Journalistin und Schriftstellerin Hertha Pauli (1906–1973). Wien: Praesens Verlag 2012 (biografiA. Neue Ergebnisse der Frauenbiografieforschung, 10) [Stand: 08.07.2022]
- Susanne Blumesberger: Angepasst, verdrängt, verfolgt. Österreichische Kinder- und Jugendliteratur in den Jahren 1938 bis 1945. Karriereverläufe im Vergleich. Gefördert vom Zukunftsfonds der Republik Österreich (P10-0623). Endbericht. Wien: Dezember 2011 [Stand: 06.07.2022]
- Evelyne Polt-Heinzl. Neun Porträts. Von der ersten Krimiautorin Österreichs bis zur ersten Satirikerin Deutschlands. Wien: Milena Verlag 2005
- Ingrid Walter: Dem Verlorenen nachspüren. Autobiographische Verarbeitung des Exils deutschsprachiger Schriftstellerinnen. Taunusstein: Driesen 2000
- Renate Wagner: Hertha Pauli. In: Volksblatt-Magazin, 03.02.1995
- Murray G. Hall / Gerhard Renner: Handbuch der Nachlässe und Sammlungen österreichischer Autoren. Wien [u. a.]: Böhlau 1992 (Literatur in der Geschichte, Geschichte in der Literatur, 23)
- Silvia Matras: Dünn, aufmüpfig und begabt. Erinnerungen an die Schriftstellerin Hertha Pauli. In: Wiener Zeitung, 21.09.1990
- Carl Frucht: Nachlaß Hertha Pauli. In: Mitteilungen Vereinigung Österreichischer Bibliothekare 43 (1990), Heft 1, S. 61 ff.
- Harry Zohn: "... ich bin ein Sohn der deutschen Sprache nur ...". Jüdisches Erbe in der österreichischen Literatur. Wien [u. a.]: Amalthea-Verlag 1986
- Die Vertreibung des Geistigen aus Österreich. Zur Kulturpolitik des Nationalsozialismus. [Zusammenstellung der Ausstellung: Hochschule für Angewandte Kunst in Wien. Katalog: Gabriele Koller ... Für den Inhalt verantwortlich: Oswald Oberhuber]. Wien: Zentralsparkasse 1982, S. 49 f.
- Werner Röder / Herbert A. Strauss: Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933 / International biographical dictionary of Central European émigrés 1933–1945. Hg. vom Institut für Zeitgeschichte München und von der Research Foundation for Jewish Immigration. München [u. a.]: Saur 1980–1999
- Harry Zohn: Österreichische Juden in der Literatur. Ein bio-bibliographisches Lexikon. Tel Aviv: Olamenu 1969
- Hans Giebisch / Gustav Gugitz: Bio-Bibliographisches Literaturlexikon Österreichs von den Anfängen bis zur Gegenwart. Wien: Hollinek 1963
- Lebendige Stadt. Almanach. Band 10. Wien: Amt für Kultur, Volksbildung und Schulverwaltung der Stadt Wien 1963
- Österreichische Akademie der Wissenschaften, Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte: Shoah in Währing: Hertha Pauli (1906–1973) [Stand: 06.07.2022]
Hertha Pauli im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.
Weblinks
- Hertha Pauli im Katalog der Österreichischen Mediathek [Stand: 05.07.2022]