Lotte Pirker, * 11. August 1877 Marienbad (Böhmen), † 16. Dezember 1963 Wien, Schriftstellerin, Kommunalpolitikerin, Volksbildnerin, Schauspielerin.
Biografie
Lotte Pirker wurde als Karoline Schneider in eine wohlhabende Juristenfamilie geboren. Nach der Heirat mit dem Offizier Friedrich Pirker unternahm sie mit ihrem Mann ausgedehnte Reisen. 1904 wurde ihr Sohn R. Rudolf Pirker geboren. Nachdem sich die junge Familie in Wien niedergelassen hatte, trat Lotte Pirker als Schauspielerin auf. Nach dem Ersten Weltkrieg schloss sie sich der Arbeiterbewegung an und war von 1921 bis 1934 als Bezirksrätin für die Sozialdemokratische Arbeiterpartei tätig und widmete sich der Volksbildung. 1934 zog sie sich aus dem politischen Leben zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg engagierte sie sich für die Kommunistische Partei.
Das künstlerische Schaffen von Lotte Pirker war sehr umfangreich, es erstreckt sich von lyrischen und epischen Texten (Einzeltexte, Gedichte, Kurzgeschichten) über das Verfassen von dramatischen Bühnentexten bis hin zur Arbeit als Schauspielerin im Bereich darstellende Kunst selbst.
Dramatik
Lotte Pirker verfasste unzählige dramatische Bühnenstücke, welche in ihrem in der Wienbibliothek im Rathaus verwahrten Teilnachlass eingesehen werden können. Thematisch und genretechnisch interessant ist etwa "Der Stille Winkel. Eine lustig harmlose Begebenheit aus vergangenen Tagen" nach einem Roman von A. v. Winterfeld, den Pirker unter dem Pseudonym P. Ettol (ihr Name rückwärts gelesen) für die Bühne bearbeitet hat. Mit "Der Zauberer Hatschiloga Schnurrifagius und seine drei Buben. Kinderposse mit Gesang und Tanz in vier Akten" schuf Lotte Pirker auch ein Werk für die Jüngsten der Gesellschaft.
Ob die erwähnten und verfassten dramatischen Werke auch alle aufgeführt wurden, ist zum aktuellen Stand der Forschung nicht bekannt. Jedoch befindet sich in ihrem Teilnachlass eine Ankündigung zur Uraufführung eines Stückes mit dem Titel "Aufstieg. Ein Spiel aus dem Leben". Dieses wurde im Rahmen der Feierlichkeiten der Republik-Feier am 12. November 1931 in der Sozialdemokratischen Bezirksorganisation – Unterrichtsorganisation Hietzing am "Ludwigshof" uraufgeführt. Dazu findet sich auch eine Kritik in der Arbeiterzeitung vom November 1931. "Viel Beifall fand [sic!] auch bei einer Hietzinger Feier ein Spiel von Lotte Pirker, […]." Zu einer ihrer erfolgreichsten und meist aufgeführten dramatischen Werke zählt das Stück "Struwwelpeter. Ein Märchenspiel in drei Akten", welches am 14. Mai 1934 im Varieté Leicht seine Uraufführung feierte und das anschließend nicht nur in Wien, sondern auch im Stadttheater Graz und zahlreichen anderen "Städten der Bundesländer" aufgeführt wurde.
Darstellende Kunst / Schauspielerin
Pirker besuchte laut Angaben ihres Sohnes R. Rudolf Pirker in Wien auch eine Schauspielschule. In ihrem Teilnachlass ließen sich folgende Nachweise für die Tätigkeit als darstellende Künstlerin/Schauspielerin feststellen:
- Beschäftigung als Darstellerin an "verschiedenen kleinen Bühnen in Wien, u.a. an dem Arbeiterheim-Theater Favoriten unter dem Direktor Karl Augustin."
- im Flugblatt der Sozialdemokratischen-Bezirksorganisation – Unterrichtsorganisation Hietzing, "Empörer", wurde ein Programm zur Vorfeier des Republiktages am 11. Oktober 1933 veröffentlicht, bei dem Lotte Pirker als Mitwirkende / Darstellerin des Programmes erwähnt wird. Es handelte sich dabei um die Darstellung von "sechs Bilder aus dem Befreiungskampf der Menschheit von Heinrich Steinitz. In Szene gesetzt von Oswald Fischer."
- einer weiteren kleinen Bühne, der "Struwwelpeter-Bühne", unter der Leitung von Konzertdirektor Benno Lie, gehörte Pirker als Darstellerin an.
Literarische Werke
Auch ihre lyrischen und epischen Werke sind sehr umfangreich und im Teilnachlass einsehbar. Die inhaltliche literarische Auseinandersetzung reicht von persönlichen Erinnerungen und (Reise)Berichten, interessanten Begegnungen mit Menschen bis hin zu Gedichten und Geschichten. Das wohl bekannteste literarische Werk von Pirker ist "Das geraubte Ich und andere Grotesken" und erschien erstmals 1925 im Bugra-Verlag. Die Umschlagzeichnung zu ihrem Buch erstellte der bekannte österreichische Künstler Carry Hauser. 1957 erschien im Europäischen Verlag unter dem Titel "Blüten vom Lebensbaum." eine Neuauflage des Buches.
In einem der unzähligen lyrischen Sammelbände Pirkers, mit dem Titel "Erinnern an Menschen, die meinen Weg kreuzten", sticht ein Beitrag besonders ins Auge. Er trägt den Titel "An meinen Bruder" und thematisiert die scheinbar nicht besonders gute Beziehung zwischen den beiden. Nähere Informationen zu Geschwistern sind zum aktuellen Stand der Forschung noch nicht bekannt. Dieser Text endet mit den Worten "So werden wir auch in Zukunft stets getrennt durchs Leben gehen. Vielleicht in einer fernen Welt gibt es ein Wiedersehen."
Reiseberichte
Lotte Pirker hatte großes Interesse an Reisen und besuchte verschiedenste Länder und Kontinente, was darauf hindeutet, dass sie eine sehr aufgeschlossene, moderne Frau war. Nicht nur ihre Reiseberichte, die wie Tagebücher die jeweilige Reise dokumentieren, sondern auch Manuskripte für Lichtbildvorträge, welche persönliche Erfahrungen mit geografischen und geschichtlichen Fakten kombinieren, sind in ihrem Teilnachlass erhalten geblieben. Aus Listen mit nummerierten Bildbeschreibungen lässt sich schließen, dass sie ihre Reisen auch auf fotografische Weise festgehalten hat. Lotte Pirker hielt ihre Reisevorträge bei den sozialdemokratischen Bezirksorganisationen in Hietzing und Alsergrund, aber auch beim Touristenverein "Die Naturfreunde".
Pirker besuchte den afrikanischen Kontinent, Nordamerika, sowie mehrmals Italien und verfasste darüber unter anderem die Reiseberichte "Eine Fahrt in das Land des ewigen Frühlings", "Aufzeichnungen von meiner Sizilienreise 1929" und "Eine Amerikareise". Außerdem sind auch Reiseroutenpläne von 1927 und 1930 innerhalb Österreichs dokumentiert, in denen Pirker ihre Vortrags-Auftrittsstätten notierte.
Besonders sticht Pirkers Text "Afrikanische Frauen", ein 24-seitiges Typoskript, hervor, in dem sie von ihrer Afrika-Rundreise berichtet und eine Beschreibung von über 25 verschiedenen Völkern und Stämmen aus jeder Himmelsrichtung des Kontinents vornimmt. Detailliert hebt sie die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der in Afrika lebenden Frauen hervor. Einen besonderen Fokus legt sie dabei auf das Aussehens der ihr unbekannten Menschen, aber auch deren Kultur und die Familienverhältnisse. So beschäftigt sie sich unter anderem mit den Ritualen der Geburt und der Hochzeit bei diversen Stämmen. Einerseits werden in diesem Text fortschrittliche Beobachtungen und Ansichten sichtbar, beispielsweise äußert sie Kritik an der Heiratspolitik mancher Völker, der weiblichen Beschneidung, sowie der fehlenden Bildung von Frauen und den prekären beruflichen Möglichkeiten. Andererseits reproduziert Pirker in ihrem Reisebericht rassistische Stereotype, schreibt wertend und herablassend über die unterschiedlichen Kulturen und lässt exotistische Züge erkennen. Beispielsweise schreibt sie über ein Volk, dass man selten ein hübsches Gesicht, geschweige denn eine schöne Figur zu sehen bekäme und bezeichnet traditionellen Schmuck als 'Verunstaltung'.
Feministischer Schwerpunkt
"Afrikanische Frauen" ist nicht der einzige Text dieser Art, denn viele ihrer Berichte und Vorträge beziehen sich auf Frauen in anderen Kulturen. So schrieb Lotte Pirker unter anderem die Texte "Unsere dunkelhäutigen Schwestern in Australien und Afrika" oder auch "Die Frau bei den Naturvölkern". Einige Texte sind speziell für weibliches Publikum geschrieben, so zum Beispiel "Wir Mütter", "Frauen" und "Frauen, Mütter und Kinder". Erwähnenswert ist hierbei der Text "Der Leidensweg der Frau oder Schwester wach auf!", ein 23-seitiges handgeschriebenes Manuskript für einen Lichtbildvortrag, in dem Lotte Pirker die Menschheitsgeschichte von der Steinzeit über das Mittelalter bis in die Neuzeit aus der Perspektive von Frauen nacherzählt. Sie setzt sich dabei nicht nur mit der Stellung und den Aufgaben von Frauen in der Gesellschaft auseinander, sondern beleuchtet auch den Einfluss der Kirche, Klassenkämpfe und Kriege. Vorgetragen wurden diese Texte mit feministischem Schwerpunkt regelmäßig bei der sozialdemokratischen Frauenversammlung, sowie der Frauenorganisation "Krochwitz".
Quellen
- Wienbibliothek im Rathaus: Teilnachlass Lotte Pirker
- Wienbibliothek im Rathaus: Biographie der Schriftstellerin und Rezitatorin Lotte Pirker, verfasst von R. Rudolf Pirker
- Theodor Kramer Gesellschaft
Literatur
- Hannes Stekl [Hg.]: "Höhere Töchter" und "Söhne aus gutem Haus". Bürgerliche Jugend in Monarchie und Republik. Wien [u. a.]: Böhlau 1999
Lotte Pirker im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.