Lehrerinnenbildungsanstalt
Lehrerinnenbildungsanstalt (1., Hegelgasse 14, Schwarzenbergstraße 5-7, Schellinggasse 13, Fichtegasse 4).
Gebäude
Kaiser Franz Joseph I. verfügte 1857 per Dekret die Befestigungsanlage der Stadt zu schleifen. An ihrer Stelle sollte die Ringstraße mit ihren Prachtbauten entstehen, die eine Verbindung zwischen zwei bisher städtebaulich (Innenstadt versus Vorstädte), soziologisch (Hochadel, Großbürgertum versus Bürger, Handwerker) und wirtschaftlich (Kapital versus Gewerbe) getrennten Bereichen schaffen sollte. Unter den geplanten Bauten stellten die Gebäude für Kultur und Bildung einen wesentlichen Anteil. Stellvertretend seien hier die Staatsoper, die Technische Hochschule, die Universität, aber auch Schulen wie die Evangelische Volksschule, das Akademische Gymnasium und die Handelsakademie genannt. Die Ringstraße wurde 1865 feierlich eröffnet.
Der "Schulpalast am Hegelplatz", wie das Gebäude der Lehrerinnenbildungsanstalt in zeitgenössischen Berichten genannt wurde, gehörte dazu, steht aber nur in der zweiten Reihe des Prachtboulevards und wurde erst 20 Jahre später eröffnet. Die Errichtung des großen Schulkomplexes am Hegelplatz war die wichtigste realisierte Bauaufgabe des Architektenteams von Dominik Avanzo und Paul Lange. Sie lernten sich im Atelier von Alexander Wielemans kennen und gründeten 1880 gemeinsam ein eigenes Architekturbüro. Bei den Bauvorhaben des gemeinsamen Büros erwies sich Avanzo als typischer Historist. Er verwendete je nach Widmung des neuen Gebäudes Stilelemente von Zeitepochen, deren herausragende Eigenschaften mit dem Zweck des neuen Gebäudes assoziiert werden konnten: Im Fall der Lehrerinnenbildungsanstalt die italienische Renaissance, die man schon ab etwa 1850 mit einem hohen Bildungsstand assoziierte.
Das Gebäude wurde in den Jahren 1883 bis 1885 errichtet. Dass trotz mancher Bauschwierigkeiten (Wassereinbrüche, nicht abtragbare Fundamente der Stadtmauer) ein derart großes Projekt in der Rekordbauzeit von nur zwei Jahren fertigstellen konnte und dabei die projektierten Kosten um etwa 10% unterschritt, ringt auch heute noch so manchem Bewunderung ab. Die feierliche Eröffnung fand am 3. Oktober 1885 statt. Das fünfgeschossige Schul- und Bürogebäude, wird an der Ecke Schwarzenbergstraße / Hegelgasse durch einen Rundturm betont, der den übrigen Bau durch ein Geschoß und eine stark überhöhte schiefergedeckte Kuppel überragt. Dieser Turm hat einen fixen Platz in der Stadtsilhouette Wiens, wie auch früher der Turm des Kolowratpalais an der Wasserkunstbastei.
Nach der Auflassung der Lehrerinnenbildungsanstalt 1962 (als Nachfolgeinstitution entstand das "Musisch-pädagogische Realgymnasium für Mädchen") zogen in das Gebäude neben diesem die "Höhere Technische Bundeslehr- und Versuchsanstalt" (ursprünglich Staats- beziehungsweise Bundesgewerbeschule), der "Österreichische Bundesverlag" und die "Statistische Zentralkommission" ein.
In der Vorhalle ("Aula") des Eingangs Schellingasse 13 findet sich Reliefdenkmal für Camillo Sitte von Oskar Thiede.
Institution
Kaiser Joseph II. kann als der Begründer der ersten Vorgängerschule der Lehrerinnenbildungsanstalt in der Hegelgasse angesehen werden, denn auf ihn geht die Gründung einer Mädchenschule im sogenannten Pazmanitenhaus am Fleischmarkt zurück. Der Standort dieser Schule wurde zweimal verlegt, zuerst 1803 in das Haus Auwinkel zwischen Postgasse und Dominikanerbastei, dann 1810 in das Windhaag’sche Stiftungshaus in der Bäckerstraße 9. 1870 übersiedelte diese Anstalt in das St. Anna-Gebäude in der Johannesgasse 4 (seit 2015 MUK Privatuniversität der Stadt Wien).
Die Lehrerinnenbildung erfolgte nach dem Reichsvolksschulgesetz vom 14. Mai 1869 in Lehrerinnenbildungsanstalten. Geringfügige Unterschiede zur Lehrerbildung in Lehrerbildungsanstalten ergaben sich in der Stundentafel (Arithmetik und geometrische Formenlehre anstelle von Mathematik und geometrisches Zeichnen, zusätzlich „Weibliche Handarbeit". Die ersten Anstellungen von Lehrerinnen in öffentlichen Pflichtschulen erfolgten in Wien 1871, in einigen damals nicht zu Wien gehörigen Vororten in Mädchenschulen schon etwas früher. In Wien wurden Lehrerinnen auch für die ersten vier Knabenklassen in Volksschulen zugelassen. Nach Absolvierung der Lehrerinnenbildungsanstalt war für eine Anstellung zwei Jahre praktische Tätigkeit und die Absolvierung der Lehrbefähigungsprüfung erforderlich. Daher begannen Lehrerinnen als Unterlehrerinnen ihre Berufstätigkeit mit schlechter Bezahlung und in subalterner Stellung. Das bis dahin geltende Eheverbot für Lehrerinnen wurde in Wien formal 1911 in einer Sitzung des Niederösterreichischen Landtags aufgehoben. In der Praxis gab es schon in den Jahren zuvor vereinzelt verheiratete Lehrerinnen.
Mit der Gründung der Republik und den von Otto Glöckel noch als Unterstaatssekretär für Unterricht 1919/20 eingeleiteten Reformen wurde die Arbeit der Lehrerinnen formal jener der Lehrer gleichgestellt. Das Lehrerinnenzölibat fiel nun vollständig. In der NS-Zeit trafen die Entscheidung über die Zulassung der Lehrerinnen die Obergauführerin des Bundes deutscher Mädel (BDM). Zur Beurteilung kamen nach einem Erlass des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten vom 15. April 1939 neben ideologischer Haltung die körperliche, sportliche und musikalische Eignung und erst an letzter Stelle die "geistige Eignung".
Im Zug des Schulgesetzwerkes 1962 kam es zur Einführung von Pädagogischen Akademien als zweijährige postsekundäre schulische Einrichtung zur Ausbildung von Pflichtschullehrerinnen, zunächst für Volksschulen, dann ab 1971 für alle Pflichtschulen. Der Studienbetrieb in Form von Schulversuchen wurde in Wien 1966 aufgenommen, regulär 1968. 1976 wurden auch die Ausbildungsgänge für Haupt-, Sonderschulen und polytechnische Lehrgänge institutionalisiert.
Die ungleiche Lehrerbildung für Pflicht- und Höhere Schulen wurde 2007 durch die Gründung Pädagogischer Hochschulen beendet. Sie sind für die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrpersonen sowie weiteren pädagogischen Berufsgruppen zuständig.
Siehe auch: Lehrerinnenbildung
Literatur
- Maria Kronreif, Frauenemanzipation und Lehrerin. ungedr.phil.Diss. Univ. Salzburg
- Marie-Theres Schmetterer, Kurt Chytil: Ach ja, die Hegelgasse. Erinnerungen an eine ganz besondere Schule. Wien: My Morawa, 2020.
- Renate Seebauer: Lehrerbildung in Porträts. Von der Normalschule bis zur Gegenwart. Wien [u.a.]: LIT 2011, S. 73-78
- Renate Seebauer: Lehrerinnen - Gleichbehandlung, Aktivitäten, Ideen. Zur Sozialgeschichte einer Berufsgruppe mit besonderer Berücksichtigung der Wiener Verhältnisse. Wien [u.a.] LIT 2014
- Renate Wagner-Rieger [Hg.]: Die Ringstraße. Bild einer Epoche. Die Erweiterung der Inneren Stadt Wien unter Kaiser Franz Joseph. Band 4. Wiesbaden: Steiner 1969-1981, S. 490 f.