48° 15' 6.51" N, 16° 21' 52.85" E zur Karte im Wien Kulturgut
Lage und Namen
Karl-Marx-Hof (19., Heiligenstädter Straße 82-92, Boschstraße 1-19, Geistingergasse 1, Grinzinger Straße 110), städtische Wohnhausanlage (1.272 Wohnungen, ursprünglich 1.382 Wohnungen), erbaut 1927-1930 nach Plänen von Karl Ehn (Eröffnung am 12. Oktober 1930) auf der Hagenwiese, benannt (1930) nach dem Volkswirtschaftler, Sozialökonomen und Begründer der Lehre des Marxismus, Karl Marx (* 5. Mai 1818 Trier, † 14. März 1883 London).
Baugeschichte
Seit 1877 befand sich die Gemeinde Wien im Besitz von Bauland auf der Hagenwiese an der Heiligenstädter Straße.[1] Am 10. Juni 1927 wurde die großzügige Verbauung mit einem Superblock im Gemeinderat beschlossen. Die Absiedlung der Gärtner, die den Grund gepachtet hatten, sorgte für Konflikte mit der Opposition und dauerte 18 Monate.[2] Der Bau wurde in drei Abschnitten errichtet. Da es sich um einen zugeschütteten ehemaligen Donauarm handelt, wurde der Bau auf "schwebenden Pfählen" (im Boden geschüttete Betonpfähle) errichtet, was bei einem Seitenflügel zu einer geringfügigen Senkung führte. Dies nutzte die Opposition zu einer Presskampagne in der Reichspost über die angeblich schlecht gebauten und daher einsturzgefährdeten kommunalen Wohnbauten.[3]
Die Verbauung ist großzügig erfolgt. Von der Fläche im Ausmaß von 156.027 Quadratmetern wurden nur 28.751 verbaut. Die Anlage besitzt eine Frontlänge von nahezu 1.200 Metern und ist in gartenstadtähnlicher Anordnung errichtet (nur drei Stockwerke und geräumige Innenhöfe, jede Wohnung mit Loggia zum Hof). Die Torbögen orientieren sich an der Achse Bahnhof Heiligenstadt - Stadion Hohe Warte. Der zentrale Mitteltrakt wurde mit sechs Türmen bewusst als heroisches Zeichen des Roten Wien ausgestattet. Im Jahr 1933 war der Hof voll besiedelt. Er bietet 1.325 Wohnungen, davon 899 mit Balkon oder Loggia, für rund 5.500 Bewohner. Die Anlage verfügte über zwei Zentralwäschereien, zwei Badeanstalten, zwei Kindergärten, zwölf Mutterberatungsstelle, ein Jugendheim, eine Bibliothek, eine Zahnklinik, ein Ambulatorium, eine Apotheke, ein Postamt, mehrere Arztpraxen und Kaffeehäuser. Die Anlage wurde am 12. Oktober 1930 offiziell von Bürgermeister Karl Seitz eröffnet. Der Hof ist das Paradebeispiel für den Sozialen Wohnhausbau der Gemeinde Wien in der Ersten Republik und wurde zur Bauzeit in seiner Konzeption als revolutionär angesehen. Die Opposition beurteilte den Bau kritisch und prophezeite dessen baldigen Einsturz, weil die Fundierung mangelhaft sei. Die Baukosten betrugen 28,6 Millionen Schilling, wobei die veranschlagten 32,5 Millionen deutlich unterschritten wurden.[4]
Kunst
Vor der Wohnhausanlage wurde die Skulptur "Sämann" von Otto Hofner aufgestellt.[5] (Ein Sämann war 1947 bis 1961 auch auf der 1-Schilling-Münze abgebildet.) Zur weiteren künstlerischen Ausgestaltung gehören vier farbige Keramiken von Josef Franz Riedl an der Fassade (Kinderfürsorge, Befreiung, Körperkultur, Aufklärung) und zwei Blumenvasen (1930).
Der Hof während der Februarkämpfe 1934
Der Karl-Marx-Hof spielte während der Februarkämpfe 1934 eine zentrale Rolle. Schon am Nachmittag des 12. Februar 1934 fielen erste Schüsse. Der Hof war stark umkämpft, wobei das Bundesheer auch Artillerie einsetzte; nach dem Befehlshaber Karl Biedermann derselben kam es zunächst zur Benennung Biedermannhof, am 25. Juli 1935 jedoch zur Umbenennung in Heiligenstädter Hof. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte die Rückbenennung in Karl-Marx-Hof. 1989 - 1992 wurde unter enger Einbindung der Mieter eine Generalsanierung der Wohnhausanlage durchgeführt.
Historische Bedeutung
Der Karl-Marx-Hof war schon im Roten Wien als Vorzeigeprojekt des kommunalen Wohnbaus geplant. Nachträglich wurde der Karl-Marx-Hof zur Ikone des Roten Wien, zum berühmtesten Superblock der Stadt.[6] Er fand und findet großes Interesse bei architekturinteressierten Touristen aus aller Welt. Seine herausragende Stellung im kommunalen Wohnbau der Zwischenkriegszeit wurde in der Zweiten Republik auch in Form einer Briefmarke der "Bautenserie" der Österreichischen Post gewürdigt.
Siehe auch:
Quellen
- Wienbibliothek Digital: Der Karl Marx-Hof: Die Wohnhausanlage der Gemeinde Wien auf der Hagenwiese in Heiligenstadt
- Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie: Karl-Marx-Hof
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Fotosammlung, Fotoarchiv Gerlach, FC1 - Positive: 446M. Weitere Fotos zur Wohnhausanlage vereinzelt im selben Bestand.
- Wien Museum Online Sammlung: hochauflösende Abbildungen zum Karl-Marx-Hof
Literatur
- Friedrich Achleitner: Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert. Band III/3: Wien 19. – 23. Bezirk. Salzburg: Residenz 2010, S. 46
- Peter Autengruber, Ursula Schwarz: Lexikon der Wiener Gemeindebauten, Pichler, Wien 2013, S. 144 f.
- Bundesdenkmalamt [Hg.]: Dehio-Handbuch: Die Kunstdenkmäler Österreichs. Wien X. bis XIX. und XXI. bis XXIII. Bezirk, Wien: Anton Schroll 1996, S. 569
- Felix Czeike: XVI. Döbling. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1981 (Wiener Bezirkskulturführer, 16)
- Feuerstein / Hutter / Köller / Mrazek: Moderne Kunst in Österreich. 1965, S. 18 f.
- Hans Hautmann / Rudolf Hautmann: Die Gemeindebauten des Roten Wien 1919-1934. Wien: Schönbrunn-Verlag 1980
- Der Karl-Marx-Hof. Die Wohnhausanlage der Gemeinde Wien auf der Hagenwiese in Heiligenstadt. 1930
- Gerald und Genoveva Kriechbaum: Karl-Marx-Hof. Versailles der Arbeiter. Wien und seine Höfe, Wien: Holzhausen 2007
- Das Neue Wien. Hg. unter offizieller Mitwirkung der Gemeinde Wien. Band 3. Wien: Das neue Wien / Wien: Elbemühl 1927
- Andrea Nussbaum: "Kleine Roter Ziegelstein, baut die neue Welt." Zur Baugeschichte des Karl-Marx-Hofes. In: Gerald und Genoveva Kriechbaum: Karl-Marx-Hof. Versailles der Arbeiter. Wien und seine Höfe, Wien: Holzhausen 2007, S. 50-53
- Rathaus-Korrespondenz, 03.08.1935 (Umbenennung)
- Susanne Reppé: Der Karl-Marx-Hof. Geschichte eines Gemeindebaus und seiner Bewohner. Wien: Picus Verlag 1993
- Justus Schmidt / Hans Tietze: Dehio Wien. Wien: A. Schroll 1954 (Bundesdenkmalamt: Die Kunstdenkmäler Österreichs), S. 183
- Dietmar Steiner: Architektur in Wien. 300 sehenswerte Bauten. 2. Auflage, Wien: Magistrat der Stadt Wien, Geschäftsgruppe Stadtentwicklung und Stadterneuerung 1988
- Ottokar Uhl: Moderne Architektur in Wien von Otto Wagner bis heute. Wien [u.a.]: Schroll 1966, Register
- Helmut Weihsmann: Das Rote Wien. Sozialdemokratische Architektur und Kommunalpolitik 1919-1934. Wien: Promedia 1985, S. 278 ff.
Weblinks
- Beschreibung des Hofes bei Wiener Wohnen
- Wienbibliothek im Rathaus: Webausstellung Die Zerstörung der Demokratie. Österreich, März 1933 bis Februar 1934
Referenzen
- ↑ Andrea Nussbaum: "Kleine Roter Ziegelstein, baut die neue Welt." Zur Baugeschichte des Karl-Marx-Hofes. In: Gerald und Genoveva Kriechbaum: Karl-Marx-Hof. Versailles der Arbeiter. Wien und seine Höfe, Wien: Holzhausen 2007, S. 50.
- ↑ Susanne Reppé: Der Karl-Marx-Hof. Geschichte eines Gemeindebaus und seiner Bewohner. Wien: Picus Verlag 1993, S. 21.
- ↑ Susanne Reppé: Der Karl-Marx-Hof. Geschichte eines Gemeindebaus und seiner Bewohner. Wien: Picus Verlag 1993, S. 29.
- ↑ Susanne Reppé: Der Karl-Marx-Hof. Geschichte eines Gemeindebaus und seiner Bewohner. Wien: Picus Verlag 1993, S. 41.
- ↑ Walter Zednicek: Architektur des Roten Wien; Verlag Walter Zednicek, Wien 2009, S. 166, Abb. 275
- ↑ Dietmar Steiner: Architektur in Wien. 300 sehenswerte Bauten. 2. Auflage, Wien: Magistrat der Stadt Wien, Geschäftsgruppe Stadtentwicklung und Stadterneuerung 1988, S. 113.