48° 12' 42.73" N, 16° 22' 17.70" E zur Karte im Wien Kulturgut
Salvatorkirche (1., auch Salvatorkapelle, Salvatorgasse 5, Zugang vom Hof gegen die Wipplingerstraße zu, ehemalige Kapelle des Rathauses), altkatholische Kirche.
Den Kern bildet eine jener Kapellen, die reiche Wiener Bürger im Mittelalter in ihren Stadtpalästen stifteten, nämlich stets im Obergeschoß, um den privaten Charakter zu betonen. Die von Otto II. und seinem Bruder Haimo III. aus der Familie der Haimonen gegründete Hauskapelle zu Ehren der heiligen Maria wird 1298 erstmals erwähnt und 1301 eximiert.[1] Damit verlor der Wiener Pfarrer den Einfluss auf die Vermögensverwaltung und die Bestellung der Kapläne. Die Kapelle nahm den oberen Teil des heute südlichen Kirchenschiffs ein und ragte von der Ostseite des Haimopalasts, dem Teil des zur Salvatorgasse orientierten Trakts des heutigen Alten Rathauses, über eine von der Salvatorgasse zur Wipplingerstraße führende öffentliche Passage. Wegen der Teilnahme Ottos an der antihabsburgischen Verschwörung (1308) wurden Palast und Kapelle 1309 vom Landesherrn (Friedrich I. der Schöne) beschlagnahmt und 1316 der Stadt Wien übergeben,[2] die das Gebäude spätestens ab 1341 als Rathaus verwendete.[3] Die Kapelle wurde zur Rathauskapelle. Der Rat hatte das Patronat über die Kapelle inne. Ihr kam große religiöse und repräsentative Bedeutung für die Bürgergemeinde zu.
Den ab 1325 namentlich bekannten Kaplänen diente ein wohl noch vom Haimonen Otto gewidmetes Haus in der Wipplingerstraße (Widemhaus) als Wohn- und Amtssitz. Der Leiter der Kapelle wurde in den mittelalterlichen Quellen meist als Rektor bezeichnet, um ihn von den einzelnen Kaplänen an der Kapelle abzuheben.[4] Kaplan Jakob Poll erweiterte das Haus 1360 durch den Ankauf eines Nachbarhauses. 1360/1361 erwarb er die unter die Kapelle führende Passage und ließ den Kapellenraum bis zum Erdgeschoß erweitern. 1373 kaufte er ein Nachbargebäude und baute es in einen Sakralraum um, der nun als zweites nördliches Schiff an die Kapelle anschloss. In der Kapelle gab es mehrere Altäre, auf denen von Wiener Bürgern zahlreiche Messen gestiftet wurden.
“Ottenhaimkirche“
Im Volk war die Erinnerung an die ursprünglichen Kapellenstifter lebendig geblieben. In zahlreichen Urkunden wird die Kapelle als Stiftung der Brüder Otto und Haimo bezeichnet. Man hielt Otto und Haimo schließlich für einen Heiligen ("Sankt Ottenhaim"). Anfang des 16. Jahrhunderts beseitigte man kirchlicherseits nach längeren Bemühungen[5] dieses Ärgernis. Die Bulle Papst Leos X. vom 28. Mai 1515 verbot den Kult des "Heiligen Ottenhaim" als Ketzerei und veranlasste unter Bezugnahme auf das hölzerne Salvatorstandbild auf dem Hochaltar die Weihe der Kapelle auf den Erlöser ("Sankt Salvator") und Maria.[6]
Albertinischen Plan, 1421/1422
Die Salvatorkirche erscheint noch 1530 auf der Rundansicht von Wien von Niklas Meldeman als "St. Othheim"
Repräsentatives Renaissanceportal
Sichtbare Konsequenz dieser päpstlichen Richtigstellung war das prachtvolle Renaissanceportal an der Front zur Salvatorgasse, das zwischen 1515 und 1519 zu datieren ist. Die beiden Kirchenpatrone Christus Salvator und Maria sind nicht nur demonstrativ als Halbfiguren im Bogenfeld zu sehen, sondern auch in der Inschrift betont. Auf der antiken Tafel (tabula ansata) ober dem Türsturz steht: CONSECRATU(m) . SALVATORI . NOSTRO . IESU . CHRISTO (Geweiht unserem Retter Jesus Christus); entlang dem Tympanonbogen: OTTO . ET HAYMO . FRATRES . AEQUITES . AURATI . CIVES . VIEN(nenses) . H(ujus) . AEI(di)S . P(ri)MI . FU(n)DATORES (Brüder Otto und Haimo, Ritter und ausgezeichnete Wiener Bürger, erste Gründer dieses Gebäudes). Otto und Haimo wurden also deutlich auf ihre Plätze als Kirchenstifter verwiesen. Das Portal wird von ornamentierten Säulen und zwei Ritterstatuen gerahmt, die Wappenschilde tragen. Der Schild der linken Figur war bereits im 19. Jahrhundert blank,[7] jener der rechten Figur trägt heute das Stadtwappen (Doppeladler mit Kreuzschild, aber ohne die sonst übliche Kaiserkrone). Bei den beiden Wappenträgern handelt es sich allerdings um Kopien, die 1929 von Ludwig Schadler anlässlich einer Renovierung des Portals angefertigt wurden.[8] Wie Bildquellen aus dem 19. Jahrhundert zu entnehmen ist, trug der rechte Geharnischte das Wappen Maximilians I., also einen Doppeladler mit dem geteilten Wappen von Österreich und Burgund auf der Brust. Ergänzt wird das heraldische Programm von drei Wappenschilden in der Frieszone des Portals: zentral der österreichische Bindenschild, links und rechts die beiden Stadtwappen (links Doppeladler mit Kreuzschild und rechts Kreuzschild). Es finden sich also Wappen der Stadt Wien und ihres Stadtherrn.
Wiener Kreuzschild, 2020
Das "Widemhaus" in der Wipplingerstraße wurde 1616 teilweise, 1780 zur Gänze an die Stadtgemeinde abgetreten und ins Rathaus einbezogen. Von 1647 bis zum Toleranzpatent 1781 bestand die Vorschrift, dass alle Personen, die das Wiener Bürgerrecht erwarben, das katholische Glaubensbekenntnis in der Salvatorkirche beten mussten. 1699 übergab die Stadtgemeinde das Vermögen der Salvatorkirche der "Cur zu Sankt Stephan" (Gremium der dortigen Seelsorgegeistlichkeit) gegen die Verpflichtung, für den Gottesdienst in der Salvatorkirche zu sorgen. Dies wurde 1780 rückgängig gemacht. Fortan erhielt ein "Sakristeidirektor" ein Gehalt aus der Stadthauptkasse. 1783 wurden die damals bestehenden 74 Messstiftungen zugunsten des Religionsfonds eingezogen. 15 Stiftungen wurden 1804 reaktiviert. 1860-1862 wurde die Salvatorkirche restauriert. Am 6. Oktober 1871 beschloss der Gemeinderat, die Salvatorkirche der neu entstandenen Religionsgemeinschaft der Altkatholiken zu überlassen, die allerdings erst am 18. Oktober 1877 staatlicherseits anerkannt wurden. Trotz Androhung des Interdikts durch das erzbischöfliche Ordinariat erneuerte der Gemeinderat am 10. Oktober seinen Beschluss, und am 15. Oktober wurde der erste Gottesdienst nach diesem Ritus abgehalten, worauf die Salvatorkirche am 16. Oktober unter das Interdikt des Kardinal-Erzbischofs Joseph Othmar Rauscher gestellt wurde (Verbot des Besuchs für Angehörige des römisch-katholischen Glaubens). Kardinal Franz König hob dieses im Geist der Ökumene am 14. November 1969 auf. Er nahm am 15. Oktober 1971 anlässlich der 100-Jahr-Feier an einem Gottesdienst teil.
Inneres
Trotz mehrfacher Umbauten ist der Innenraum dem Charakter nach gotisch geblieben. Der ungewöhnliche Grundriss (bedingt durch die Erweiterung des 16. Jahrhunderts) erweckt den Eindruck, dass zwei sich zueinander öffnende Kapellen nebeneinander liegen. Die ältere Südkapelle besitzt ein zweijochiges Kreuzrippengewölbe mit 5/8-Chorabschluss sowie einen klassizistischen Salvatoraltar mit einem Altarblatt von Johann Meidinger (1795), die jüngere Nordkapelle ein dreijochiges Netzrippengewölbe mit geradem Chorabschluss sowie einen ebenfalls klassizistischen Kreuzaltar. An der Orgelempore Christophorusrelief (1799, vom Haus 1., Salvatorgasse 10), an den Wänden 17 Grabsteine aus dem 14. bis 18. Jahrhundert, auf der Empore Wandmalerei "Christus am Ölberg" (um 1370). Bis 1974 erfolgte eine grundlegende Restaurierung der Salvatorkirche.
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Hauptarchiv, U1: 5832: Notariatsinstrument vom 25. Mai 1506
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Hauptarchiv, U1: 5844a: Notariatsinstrument vom 8. Februar 1507
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Hauptarchiv, U1: 6076: Bulle Papst Leos X. vom 28. Mai 1515
- WStLA, Pläne und Karten: Sammelbestand, P1 - Pläne und Karten, 238G.12
Literatur
- Das Alte Rathaus. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1972 (Wiener Geschichtsblätter, Sonderheft 1) (ANNO)
- Wolfgang J. Bandion: Steinerne Zeugen des Glaubens. Die Heiligen Stätten der Stadt Wien. Wien: Herold 1989, S. 525 f.
- Walther Brauneis: Die baugeschichtliche Entwicklung des Alten Rathauses im Spätmittelalter. In: Wiener Geschichtsblätter 26 (1972), Sonderheft, S. 460 f. (ANNO)
- Felix Czeike: Wien. Kunst und Kultur-Lexikon. Stadtführer und Handbuch. München: Süddeutscher Verlag 1976, S. 137 f.
- Felix Czeike: I. Innere Stadt. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1983 (Wiener Bezirkskulturführer, 1), S. 147 f.
- Gustav Gugitz: Die Sagen und Legenden der Stadt Wien. Wien: Hollinek 1952 (Österreichische Heimat, 17), S. 47, 217
- Gustav Gugitz: Österreichs Gnadenstätten in Kult und Brauch. Band 1: Wien. Wien: Hollinek 1955, S. 35
- Gustav Gugitz: Bibliographie zur Geschichte und Stadtkunde von Wien. Hg. vom Verein für Landeskunde von Niederösterreich und Wien. Band 3: Allgemeine und besondere Topographie von Wien. Wien: Jugend & Volk 1956, S. 181 f.
- Karl Lind: Die St. Salvator-Capelle im Rathhause zu Wien. In: Berichte und Mittheilungen des Alterthums-Vereins zu Wien 2 (1857), 187-227
- Karl Lind: Die St. Salvator-Capelle im Rathhause zu Wien. Wien: A. Pichler 1860 (ÖNB)
- Richard Perger / Walther Brauneis: Die mittelalterlichen Kirchen und Klöster Wiens. Wien [u.a.]: Zsolnay 1977 (Wiener Geschichtsbücher, 19/20), S. 275
- Die Salvatorkirche. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1974 (= Wiener Geschichtsblätter 28, Sonderheft 1
- Lothar Schultes: Passauer oder Wiener Meister (Kriechbaum-Werkstatt?). Christus und Maria. In: Artur Rosenauer [Hg.]: Spätmittelalter und Renaissance. Wien 2003 (Geschichte der bildenden Kunst in Österreich, 3), S. 349, Kat.-Nr. 134
- Hans von Voltelini: Die Anfänge von Wien. Wien [u.a.]: Fromme 1913, S. 53 f.
- Karl Weiß: Geschichte der Rathhaus-Kapelle zu St. Salvator in Wien. Herausgegeben aus Anlaß der am 14. November 1861 stattfindenden Feier ihrer fünfhundertjährigen Einweihung. Wien: J.B. Wallishausser 1861 (ÖNB)
- Karl Weiß: Festschrift aus Anlaß der Vollendung des neuen Rathhauses. Im Auftrage des Gemeinderathes der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien. Wien: Selbstverl. d. Gemeinderathes 1883, S. 23 ff. (Wienbibliothek digital)
Einzelnachweise
- ↑ Vergleiche Wiener Stadt- und Landesarchiv, Hauptarchiv, U1: 27.
- ↑ Vergleiche Regesta Habsburgica 3, n. 450, in: Regesta Imperii Online.
- ↑ Die erste urkundliche Erwähnung des Rathauses in der Salvatorgasse: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Hauptarchiv, U1: 228
- ↑ Die Bezeichnung „Pfarrer“ ist in diesem Zusammenhang irrig, da die Kapelle nicht den Rang einer Pfarrkirche hatte.
- ↑ Vergleiche die Notariatsinstrumente vom 25. Mai 1506 (Wiener Stadt- und Landesarchiv, Hauptarchiv, U1: 5832) und vom 8. Februar 1507 (Wiener Stadt- und Landesarchiv, Hauptarchiv, U1: 5844a). Die Marienkapelle sei in Unterscheidung zur nahe gelegenen Marienkirche "bei der Stiege" (Maria am Gestade) "nach den Stiftern Ottenhaym zubenannt worden" ("ex fundatorum eius propriis nominibus composito cognominatum", Wiener Stadt- und Landesarchiv, Hauptarchiv, U1: 5832).
- ↑ Die Papstbulle gelangte ins Stadtarchiv, vgl. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Hauptarchiv, U1: 6076.
- ↑ Karl Lind: Die St. Salvator-Capelle im Rathhause zu Wien. In: Berichte und Mittheilungen des Alterthums-Vereins zu Wien 2 (1857), 187-227, hier 209.
- ↑ Die Originale befinden sich seit damals im Historischen Museum der Stadt Wien. Die beiden Säulen des Portals wurden 1972 vor Ort durch Kopien ersetzt und die Originale ebenfalls dem Historischen Museum übergeben.