Wiener Stadtsiegel

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Das Stadtsiegel in seiner ältesten Überlieferung im Wiener Stadt- und Landesarchiv an einer Urkunde aus dem Jahr 1239
Daten zum Eintrag

Die ältesten Stadtsiegel sind bereits im 12. Jahrhundert in den rheinischen Städten Köln, Mainz und Trier fassbar. Gerade in den Städten gibt es einen prinzipiellen Unterschied zwischen Siegelbild und Wappen. Das Wappen war von seinem Herkommen ein militärisches Symbol, das als Hoheitszeichen diente, wohingegen das Siegel als Beglaubigungszeichen eine andere Funktion besaß. Während Siegel farblich nicht festgelegt waren, hatten Wappen zur individuellen Kennzeichnung nicht auswechselbare Farben. Da Entwicklung und Gebrauch bei Wappen und Siegel unterschiedlich sind, wird das Wiener Wappen auch separiert vom Stadtsiegel behandelt.

Erstes Stadtsiegel

Das älteste überlieferte Wiener Stadtsiegel hängt an einer Urkunde, die heute im Stiftsarchiv von Heiligenkreuz verwahrt wird. Darin bestätigt die Wiener Bürgerschaft dem Kloster das vom Landesfürst verliehene Recht, 72 Fuder Wein abgabenfrei in die Stadt führen zu dürfen. Das in der Mitte der Plica (umgeschlagener Rand der Urkunde) eingehängte Siegel ist aus braunem Wachs. Es zeigt den (heraldisch) rechts blickenden einköpfigen babenbergischen Adler. Die Umschrift des Siegels von knappen acht Zentimetern Durchmesser lautet SIGILLVM CIVIUM VVINNENSIVM. Die Urkunde ist nicht datiert, lässt sich aber aufgrund der Lebens- und Wirkensdaten der angeführten Zeugen auf ca. 1231 datieren.[1] Sehr wahrscheinlich ist der Zusammenhang der Siegelführung durch die Stadt mit der Verleihung des Stadtrechts vom 18. Oktober 1221 durch den Babenberger Leopold VI., auch wenn von einem Siegel nichts explizit zu lesen ist. Den Adler als Wappentier übernahm die Bürgerschaft vom verleihenden Landesfürsten, der in Wien als Stadtherr fungierte. In der Forschung zum Wiener Siegel wurde seit Pettenegg immer wieder auf die Ähnlichkeit des Wiener Stadtsiegels mit dem ebenfalls gegen 1230 nachgewiesenen Siegel des Babenbergerherzogs Heinrich von Mödling hingewiesen.[2]

Das Große Stadtsiegel in seiner ab ca. 1231 belegten Form, Abdruck 1365
Typar des Grundsiegels, mit dem die Stadt ab 1360 Grundstückstransaktionen besiegelte. Originaltypar, 1360

Auch die zeitlich nächste Ausführung des Siegels an einer im Wiener Stadt- und Landesarchiv verwahrten Urkunde aus dem Jahr 1239 ist in braunem Wachs ausgeführt.[3] Erst einer mit 1255 datierten Urkunde hängt das Siegel in roter Farbe an. So wurde es fortan auch ausgeführt.[4] Es ist dann das Stadtrechtsprivileg Rudolfs I., das erstmals eine Siegelführung durch die Stadt erwähnt (§ 13): Eine mit dem Stadtsiegel versehene Urkunde hat volle Beweiskraft. Das Rudolfinum bestimmt, dass jedes vor dem Stadtrat geschlossene und mit dem Siegel der Stadt bekräftigte Rechtsgeschäft auch ohne die Zuziehung von Zeugen unbeschränkte Beweiskraft habe.

Versionen des Großen Stadtsiegels im Mittelalter

Differenzierung in großes und kleines Stadtsiegel

Durch das Eindringen der Privaturkunde in das Geschäftsleben der Stadt wurde die Anbringung des Stadtsiegels in fremder Sache allmählich, ab 1350 gänzlich überflüssig. Diese Funktion übernahmen von da an die Stadtbücher. Ab 1327 ist ein Ratssiegel, das sich im Urkundentext selbst als „kleines Siegel“ bezeichnet, überliefert, während für das alte ab 1352 die Bezeichnung „großes Siegel“ üblich wird. Die Erstüberlieferung des kleinen Siegels stellte Ende des 19. Jahrhunderts eine 1327 datierte Urkunde im Stift Lilienfeld dar. Dieser Urkunde war das kleine Siegel auf der Reversseite aufgedrückt.[5] Heute ist die älteste Überlieferung an einer Urkunde des Wiener Bürgerspitals aus dem Jahr 1337 zu finden.[6] Das kleine Siegel zeigt zum ersten Mal das Wiener Stadtwappen, also das später als silbernes Kreuz im roten Feld farblich wiedergegebene Wappen. Es ist als Brustschild dem Adler aufgelegt. Die Umschrift des Siegels lautet: CONSVLVM CIVITATIS WIENEN[sis]. Das Einfügen des Wappens in das städtische Siegel entspricht den allgemeinen Entwicklungen der Zeit.

Das große Siegel verwendete man nur mehr für wichtigere Rechtsgeschäfte der Stadt selbst, das kleine Siegel für Rechtsgeschäfte Privater, die dem Rat zur Beurkundung oder Entscheidung vorgelegt wurden sowie eigene städtische Rechtsgeschäfte von geringerer Bedeutung. Man findet es aber auch bei stadteigenen Geschäften wichtigerer Art wie etwa Bürgschaften über 1.000 Gulden. Das erste Typar von 1327 blieb bis 1397 in Verwendung. Von 1398 bis 1424 kennen wir ein zweites, von 1426 bis 1473 ein drittes. Die Umschrift blieb gleich. Ein zweites Typar für das große Siegel dürfte um 1447 angefertigt worden sein.[7] Es behielt den Adler und auch die Umschrift bei. Der Adler lehnt sich vom Typus her an das Königssiegel Friedrichs III. an, wie das im Übrigen bereits das ab 1426 in Gebrauch befindliche kleine Stadtsiegel auch macht.

Versionen des Kleinen Stadtsiegels im Mittelalter

Neues Siegel nach der Wappenbesserung

Als Belohnung für die Hilfe Wiens gegen seinen Bruder Albrecht nahm Friedrich III. am 26. September 1461 eine Wappenbesserung für die Stadt vor. Wien wurde erlaubt, fortan den kaiserlichen Doppeladler in umgekehrten Farben – also goldener Adler im schwarzen Feld – zu führen. Die Adler Diademen geziert, zwischen ihnen befindet sich eine kaiserliche Krone. Allerdings überwarf sich Wien wenig später mit dem Kaiser, weswegen die Wappenbesserung wieder aberkannt wurde. Nach Albrechts Tod erfolgte aber eine Aussöhnung, welche der Stadt 1464 die vormals gewährten Privilegien, inklusive des Rechts der Wappenführung, wiedererlangen ließ. Die Jahreszahl 1464 führt auch das Typar des neuen Stadtsiegels, obwohl es erst 1466 von Goldschmiedemeister Peter Döring geschnitten wurde.[8] Es trägt die Umschrift CONSVLVM CIVITATIS WIENNENSIS und ist somit ein Ratssiegel. Im Unterschied zum verliehenen Wappen aus der Urkunde von 1461 hat es das Stadtwappen, also das Balkenkreuz, in den Brustschild des Doppeladlers aufgenommen, der von einer Kaiserkrone überhöht ist.

Das Große Stadtsiegel in seiner Ausprägung nach der Wappenbesserung, 1464/66, Abdruck 1512

Das neue Siegel kam aus bisher ungeklärten Gründen allerdings erst ab 1475 zum Einsatz. Bis 1474 kennen wir ausnahmslos die Verwendung des Typars des kleinen Siegels von 1426. Das neue Stadtsigel, das eigentlich als Ratssiegel anzusprechen ist, blieb bis 1783 in Verwendung – immer vom gleichen Stempel und offenbar vom Originaltypar. Es wurde bis auf ganz seltene Fälle als Hängesiegel an Pergamenturkunden angebracht. Seit dem 17. Jahrhundert findet man es häufig in einer Holzkapsel mit Deckel und nicht mehr in der weniger geschützten Wachsschale vor. Bis zur Ersten Türkenbelagerung wird es im Urkundentext als „gemainer Statt Insigill“ angekündigt, seit 1532 als „größeres Insigl“, seit etwa 1650 auch als „größeres Secretinsigl“, da es auch ein „kleines Insigl und ein „kleines Secretinsigl“ gab. Siehe dazu Wiener Sekretsiegel.

Typar des Sekretsiegel der Stadt Wien, 1503

Das große Siegel der Stadt von 1464 wurde zur Besiegelung von Verleihungsurkunden von Messstipendien, Handwerksordnungen, Gerichtsurteilen, Entscheidungen in Vormunschaftssachen (Stadtrat als Vormund), Geburtsbriefe, Sippschaftsweisungen, Steuerbefreiungs- und Steuerevaluierungsbewilligungen verwendet.

Magistratsreform und Siegeländerung

Die sogenannte Magistratsreform von 1783 bedeutete eine Neuorganisation der Stadtverwaltung, die auch Auswirkungen auf das Siegelwesen mit sich brachte. Das Stadtsiegel von 1464 und das Sekretsiegel von 1747 wurden aufgelassen. An ihre Stelle trat nunmehr ein einziges, dessen Umschrift lautet: SIGILLUM MAGISTRATUS CIVITATIS VIENNENSIS. Die beiden Köpfe des Doppeladlers tragen jeweils eine Königskrone (Böhmen und Ungarn). Diese Übernahme aus dem kaiserlichen Wappen stellte einen Eingriff in das traditionelle Stadtwappen dar. Das Siegel kam zwischen 1784 und 1850 in zwei Größen, nämlich 30 und 42 mm zur Anwendung. Aus den Jahren 1843 und 1846 sind zudem Abdrücke eines Stempels von 72 mm Durchmesser überliefert. Es handelt sich bei diesem Siegel um jenes der Gesamtbehörde Magistrat. Die drei bekannten Größen dürften mit der Wichtigkeit der zu besiegelnden Materie zu tun haben. Der zivilgerichtliche und der Kriminalsenat des Magistrats sowie sämtliche Magistratsämter führten ihre eigenen Siegel – und das zum Teil schon vor 1783. Von all diesen Amtssiegeln hebt sich das ins 14. Jahrhundert zurückreichende Grundsiegel ab, das zur Zeit seiner Entstehung auch ein Siegel des Bürgermeisters und Rats war wie das Stadtsiegel und das kleine Siegel. Es war allerdings auf die Besiegelung von zu veräußerndem liegenden Gut beschränkt.

Siegel des Magistrats 1783-1850, Abdruck 1846

Versionen des Stadtsiegels im 18. und 19. Jahrhundert

Siegel des Wiener Gemeinderats und Magistrats, Abdruck um 1848

Weitere Siegel(stempel) des 18. bis 20. Jahrhunderts

Ab den 1830er- und 1840er-Jahren kamen neue Formen von Besiegelung, nämlich Gummi- und Hochdruckstempel auf. Die deutsche Sprache löste das Latein in allen Bereichen ab. Lediglich das große Stadtsiegel hat aufgrund der Feierlichkeit seiner Verwendung noch bis 1850 eine lateinische Umschrift. Ab 1850 lautet die Umschrift im neuen Hochdrucksiegel, das an das josefinische angelehnt ist: MAGISTRAT DER K. K. HAUPT- UND RESIDENZSTADT WIEN.

Siegelstempel des Wiener Gemeinderats und Gemeinderatspräsidiums, um 1885

Das Siegel seit 1918

Siegelentwurf zum Wappengesetz von 1925, 1924/25

Das Siegel aus der Monarchie blieb noch einige Jahre in Gebrauch. Erst 1925 gestaltete man Wappen und Siegel auf Vorschlag von Archivdirektor Otto Hellmuth Stowasser um. Als Vorlage wurde das kleine Ratssiegel von 1327 mit dem einköpfigen ungekrönten Adler gewählt.[9] Der Landtag beschloss am 13. Februar 1925 ein Gesetz, in dem nicht nur die Form des Wappens, sondern auch des Siegels geregelt war,[10] das den einköpfigen, mit dem Kreuzschild belegten Adler zeigt, umgeben von der Umschrift BUNDESHAUPTSTADT WIEN.

Beurkundeter Beschluss des Wappengesetzes, 13. Februar 1925, mit den Unterschriften von Bürgermeister Karl Seitz und Magistratsdirektor Karl Hartl. Hier wurde wohl erstmals das in diesem Wappengesetz beschlossene Siegel in Form eines aufgedrückten Papiersiegels verwendet.

Das Dollfuß-Schuschnigg-Regime griff für die Gestaltung des Siegels 1934 wieder auf das Stadtwappen vor 1925 zurück. Das Siegelbild weist den Doppeladler mit aufgelegtem Kreuzschild auf. Die Umschrift lautet BUNDESHAUPTSTADT WIEN.[11] In der Zeit des Nationalsozialismus blieb das Siegelbild gleich. Lediglich die Krone wurde ausgewechselt. Nunmehr trug der Doppeladler eine stilisierte Form der Reichskrone, wodurch man die Zugehörigkeit zum Großdeutschen Reich zum Ausdruck bringen wollte.[12]

1946 kehrte man zur Version von 1925 zurück.[13] Der (heraldisch) rechts blickende, ungekrönte, mit dem Kreuzschild belegte Adler wurde in der Neuregelung der Symbole der Stadt und des Landes Wien 1998 lediglich grafisch aufgefrischt[14]

Elektronische Amtssignatur

Als mit 1. März 2004 das E-Government-Gesetz in Kraft trat, hatte auch Wien laut § 19 eine elektronische Amtssignatur einzuführen.[15] Dieses elektronische Siegel stellt eine für die digitale Verwaltung unerlässliche Form der Authentifizierung dar, denn damit können Erledigungen und Bescheide elektronisch signiert werden. Durch ein Zertifizierungssystem ist jede einzelne Amtssignatur immer überprüfbar. Als Bildmarke wählte die Stadt Wien ihr Wappen, den traditionellen Kreuzschild.[16]

Amtssiegel der Stadt Wien seit 1918

Siehe auch:

Quellen

Literatur

  • Peter Csendes/ Wolfgang Mayer: Wappen und Siegel der Stadt Wien. In: Wiener Geschichtsblätter. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 41 (1986), Beiheft 1
  • Rudolf Geyer: Siegel und Wappen der Stadt Wien. In: Wiener Geschichtsblätter. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1 (1946), Nummer 2, S. 1-14
  • Hanns Jäger-Sunstenau: 500 Jahre Wappenbrief für die Stadt Wien. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 17/18 (1961/62), S. 53-85
  • Katalog zur Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien. Wien. Band 15, S. 19 ff.
  • Eduard Gaston Graf Pettenegg: Geschichte des Wappens der Stadt Wien. In: Geschichte der Stadt Wien. Hg. vom Altertumsverein zu Wien. Wien: Holzhausen 2/1 (1900), S. 1 ff.
  • P. Hermann Watzl, Eine unedierte Wiener Urkunde aus dem Stiftsarchiv von Heiligenkreuz. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 19/20 (1963/64), S. 69-86

Einzelnachweise

  1. monasterium.net: Stiftsarchiv Heiligenkreuz, Urkunden, o.D.; P. Hermann Watzl, Eine unedierte Wiener Urkunde aus dem Stiftsarchiv von Heiligenkreuz. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 19/20 (1963/64), S. 69-86
  2. Es besteht wohl eine gewisse Ähnlichkeit. Der Adler blickt allerdings in die andere Richtung: monasterium.net: Stiftsarchiv Heiligenkreuz, Urkunden, 1232 VIII 20
  3. WStLA, Hauptarchiv Urkunden Nr. 3
  4. WStLA, Hauptarchiv Urkunden Nr. 4
  5. Stiftsarchiv Lilienfeld 1327 III 22, lediglich eine zweite Urkunde (aus 1396) hat das Siegel – allerdings auf der Vorderseite aufgedrückt: WStLA, Hauptarchiv Urkunden Nr. 1347
  6. WStLA, Bürgerspital Urkunden Nr. 74
  7. WStLA, Hauptarchiv Urkunden Nr. 3232
  8. Vgl. die Abrechnung in: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Oberkammeramt, B1: 1466, fol. 34.
  9. WStLA, Hauptarchiv Akten, A1: Nr. ?. Dem Akt liegt als Vorbild für das künftige Stadtsiegel das Foto des kleinen Stadtsiegels bei. Es handelt sich um WStLA, Hauptarchiv Urkunden, Nr. 575 vom 19. Dezember 1360.
  10. Landesgesetz vom 13. Februar 1925, Landesgesetzblatt für Wien Nr. 9/1925
  11. Verordnung des Bundeskommissärs für Wien vom 15. Februar 1934, Landesgesetzblatt für Wien Nr. 10/1934.
  12. Es wurde 1938 keine gesetzliche Neuregelung getroffen.
  13. Landesgesetz vom 14. Februar 1946, Landesgesetzblatt für Wien Nr. 4/1946
  14. Landesgesetz vom 12. Februar 1998, Landesgesetzblatt für Wien Nr. 10/1998
  15. RIS, E-Government-Gesetz, aktuelle Fassung
  16. Wiener Amtssignatur auf wien.gv.at