Studentenverbindungen
gesellige Vereine von Studenten zur Pflege traditionellen Brauchtums und bestimmter Grundsätze sowie zur gegenseitigen Unterstützung. Die Wurzeln der Studentenverbindung reichen ins Mittelalter zurück (Gliederung der Universitätsmitglieder in „Nationen", das heißt nach Herkunftsländern; Wohn- und Lerngemeinschaften in den Bursen; gruppenweiser Zusammenschluß bei den wochenlangen Fußwanderungen zu beziehungsweise von einer Universität, wobei die Lieder und Sitten des Vagantentums [von lateinisch vagare = umherziehen] entstanden). Nach der Glaubensspaltung im 16. Jahrhundert war das Studentenleben in katholischen Ländern von den Konvikten (Internaten) der Jesuiten und von religiösen Kongregationen beeinflusst, in evangelischen Ländern dominierten die dem ungebundenen Leben zuneigenden, rauflustigen „Landsmannschaften".
Die „Aufklärung" des 18. Jahrhunderts ersetzte sowohl religiöse Doktrin als auch zügelloses Leben durch eine nach persönlicher Vervollkommnung strebende Ethik, die zunächst in geheimen studentischen „Orden" gepflegt wurden (die jedoch bald verboten wurden). Dauernden Bestand hatten die ab 1798 entstehenden elitären Studentenverbindungen, die 1810 die Bezeichnung „Corps" annahmen und den nun in ein strenges Ritual gebundenen Zweikampf als Mittel zur körperlichen und sittlichen Ertüchtigung pflegten. Vorwiegend politische Ziele hatten die ab 1815 formierten „Burschenschaften", die für die Beseitigung der im Deutschen Bund repräsentierten Staatenvielfalt („Kleinstaaterei") und für die Schaffung eines deutschen Einheitsstaats mit parlamentarischer Regierungform agitierten und am 18. Oktober 1817 auf der Wartburg bei Eisenach (Thüringen) eine eindrucksvolle Kundgebung veranstalteten.
1818 gab es bereits 14 Burschenschaften, darunter eine in Wien. Trotz der vom Deutschen Bund auf Betreiben Metternichs ergriffenen Repressalien (Karlsbader Beschlüsse 1819, sogenannte Demagogenverfolgungen bis 1827) ließ sich die Burschenschaftsbewegung auf Dauer nicht unterdrücken. In Wien gab es 1848 neun derartige Korporationen, die sich nach Ausbruch der Revolution (13. März 1848) zur Akademischen Legion zusammenschlossen. Schon am 9. März 1848 hatte der Deutsche Bund die Burschenschaftsfarben Schwarz-Rot-Gold zum Symbol des Einheitsstaats, den die Deutsche Nationalversammlung schaffen sollte, erklärt. Das Scheitern der Revolution lähmte die Studentenverbindung nur vorübergehend: in Österreich entstanden ab 1850 wieder Corps und ab 1859 Burschenschaften. Dazu kamen ab 1856 (in Österreich ab 1864) die im „Cartellverband" (CV) vereinten katholischen Studentenverbindungen. Das von Preußen 1866 erzwungene Ausscheiden der habsburgischen Monarchie aus dem Deutschen Bund und die 1871 erfolgte Gründung des Deutschen Reichs (unter Ausschluss Österreichs) wirkte sich vor allem auf die Burschenschaften aus; jene in Deutschland, die ihr Ziel erreicht hatten, verloren an politischer Bedeutung, die in Österreich hingegen agitierten mit zunehmender Radikalität für den Anschluss der deutschsprachigen Teile Österreich-Ungarns an das Deutsche Reich.
Nach dem Zerfall der Monarchie (1918) traten in der Republik Österreich neben den Corps, Burschenschaften und CV- Verbindungen ab 1922 die katholisch-österreichischen Landsmannschaften in Erscheinung, die ihre Verbundenheit mit der einstigen Herrscherdynastie bekundeten. Im Ständestaat (1933-1938) dominierte der CV, der sich schon 1933 (Machtübernahme Hitlers in Deutschland) von den deutschen Verbänden losgesagt und als Österreichischer Cartellverband (ÖCV) konstituiert hatte; die Burschenschaften in Österreich wandten sich hingegen dem Nationalsozialismus zu (dieser löste die Studentenverbindung in Deutschland 1935, in Österreich nach dem „Anschluss" 1938 auf). Nach 1945 zog sich die Wiederherstellung des Verbindungslebens in Deutschland bis in die späten 50er Jahre hin. In Österreich nahmen der CV 1945, Corps und Landsmannschaften 1946 ihre Tätigkeit wieder auf; die Burschenschaften ließ man 1957 zu, nachdem sie sich ausdrücklich zur Eigenstaatlichkeit Österreichs bekannt hatten. Die Landsmannschaften widmen sich seit dem Bekenntnis Ottos von Habsburg zur Republik (1961) der Pan-Europa-Bewegung.
Brauchtum und Wortschatz der Studentenverbindung (in Auswahl)
- Mitglieder: Fuchs = Probemitglied; Bursch = vollberechtigtes Mitglied; Alter Herr oder Philister = Mitglied, das seine Studien abgeschlossen und einen Beruf ergriffen hat.
- Chargen (Ämter): Senior = Vorsteher; Consenior = Stellvertreter; Schriftführer; Kassier; Fuchsmajor = Ausbilder der Füchse,
- Zusammenkünfte: Convent = beschlussfassendes Organ; Kneipe = gemütliches Beisammensein mit Gesang und Ansprachen; Commers = erweiterte und festliche Form der Kneipe; Bummel = gemeinsamer öffentlicher Spaziergang in Couleur.
- Tracht: Couleur = Farbe einer Studentenverbindung (meist Kombination aus mehreren Farben); Deckel = Schirmkappe im Couleur; Band = von der Schulter schräg über den Oberkörper gezogenes Stoffband im Couleur; Cerevis = runde Kopfbedeckung im Couleur, ohne Schirm; Wichs = Festkleidung der Chargen, bestehend aus dem Flaus (Samtrock mit Verschnürungen), der Buchs (weiße Hose), den Kanonen (Schaftstiefeln), der Schärpe, Stulpenhandschuhen, dem Barett (Kopfbedeckung, kann auch durch Cerevis ersetzt werden) und dem an einem Gehänge getragenen Schläger,
- Schläger: Fechtwaffe mit gerader, 1 m langer und 1-2 cm breiter Klinge und korbartiger Handschutz. Corps und Burschenschaften verwenden sie zur Mensur (Zweikampf); die Paukanten (Kämpfer) tragen einen Augen- und Oberkörperschutz und fechten in kurzen Hiebfolgen im Beisein eines Unparteiischen (Schiedsrichters), zweier Sekundanten (Beistände) und eines Arztes, bis eine Hiebwunde (meist im Gesicht) erzielt ist (Schmiß = Narbe einer Hiebwunde als Zeichen einer abgelegten Mensur). CV-Verbindungen und Landsmannschaften lehnen die Mensur ab. Von allen Studentenverbindungen wird der Schläger als Teil der Wichs und bei Zeremonien auf Kneipen und Commersen verwendet.
- Trinksitten: Das rituelle Getränk ist der Stoff (Bier); Streifen = langer Schluck, Salamander = Trommeln oder Reiben mit den Biergläsern auf dem Tisch zur Ehrung einer Persönlichkeit,
- Namen und Abzeichen: Jede Studentenverbindung. trägt einen lateinischen beziehungsweise latinisierten Namen, abgeleitet von Volksstämmen, Ländern oder Persönlichkeiten (beispielsweise Arminia, Teutonia, Norica, Saxonia, Austria, Maximiliana). In der Regel nimmt ein Verbindungsmitglied einen mehr oder minder phantasievollen Couleurnamen an. Symbol einer Studentenverbindung ist neben dem Couleur der Zirkel (ein verschlungenes, aus den Anfangsbuchstaben der Verbindung gebildetes Monogramm, das unter anderem Mitglieder bei Unterschriften ihrem Namen beisetzen).
- Lieder: Sie spielen im Verbindungsleben eine große Rolle. Am bekanntesten ist das „Gaudeamus igitur" (lateinisch Freuen wir uns also), dessen Melodie schon 1267 (als Kirchenlied) nachweisbar ist und dessen Text seine Urfassung 1582, seine endgültige Fassung 1781 erhielt. An der Universität Wien wird die Melodie bei Promotionen und Sponsionen (Verleihung des Doktor- beziehungsweise Magistertitels) gespielt. Das „Fuchsenlied" („Was kommt dort von der Höh'"), eine beim Einzug der Füchse verwendete Marschmelodie, erregte Ärgernis, als es in Wien am 19. August 1848 vor Ferdinand I. gespielt wurde. Das Lied „O alte Burschenherrlichkeit" (Text von Eugen Höfling, 1826) erhielt seine Melodie vor 1843.
- Comment: Bezeichnung für die Gesamtheit des Brauchtums und Wortschatzes einer Studentenverbindung
Berühmte Mitglieder von Studentenverbindungen (in Auswahl)
Corpsstudenten:
Burschenschafter:
- Viktor Adler
- Hermann Bahr
- Robert Blum
- Theodor Herzl
- Egon Erwin Kisch
- Nikolaus Lenau
- Engelbert Pernerstorfer
- Richard Wagner
CV-Mitglied:
Landsmannschafter:
- Egon Wellesz
- Georg Ritter von Schönerer war kein Burschenschafter.
Literatur
- Franz Gall: Alma Mater Rudolphina 1365-1965. Die Wiener Universität und ihre Studenten. 1965, S. 172 ff.
- Peter Krause: O alte Burschenherrlichkeit - die Studenten und ihr Brauchtum. Graz / Wien / Köln 1979
- Gaudeamus igitur - Studentisches Leben einst und jetzt. Katalog Schallaburg 1992