Grundherrschaft (um 1779)
Rechtliche Zersplitterung
Am Vorabend der josephinischen Epoche war ein einheitlicher Gerichts-, Verwaltung und Steuerrayon im Wiener Stadtgebiet bei weitem noch nicht hergestellt. Es existierte also kein integriertes Herrschaftsgebiet, das dem Zugriff des Staates – etwa in steuerlicher Hinsicht – direkt offenstand. Die städtischen Behörden nahmen nur wenige Verwaltungsagenden wahr, so das Wiener Stadt- und Landesgericht die Kriminalgerichtsbarkeit sowie einige markt- und gewerberechtliche Agenden wie die Einhebung von Schutz- und Nahrungssteuern innerhalb des Linienwalls und in drei Vororten. Die magistratischen Kompetenzen innerhalb der Linien waren damit bereits an ihr Ende gelangt. Regierungs- und Hofstellen waren hingegen für grenzübergreifende Aufgaben verantwortlich. So lag die Verantwortung für die Verwaltung und Instandhaltung der Durchzugstraßen bei der k.k. Wegekommission. Das Übrige hatten die Grund- bzw. Ortsherrschaften in den Vorstädten zu besorgen, von denen es 1779 neunundvierzig gab (gegenüber zehn Hof- und Regierungsstellen).
Grundherrschaftliche Territorialstruktur
Insgesamt verfügten um 1780 elf Herrschaften im Wiener Raum über die Ortsobrigkeit gegenüber Untertanen in den Vorstädten, waren jedoch ebenso in großem Ausmaß an Angelegenheiten innerhalb des Linienrayons beteiligt. Trotz der starken Zersplitterung konzentrierten sich die entscheidenden Reichte auf wenige Herrschaften.
Dazu zählte zunächst der Magistrat, dem es im Laufe des 18. Jahrhunderts gelungen war, gestützt auf das Leopoldinum und unter Aufbietung großer Geldsummen, die Burgfriedgrenze zu sichern und seinen Einfluss zu erweitern. Zum Ende der 1770er Jahre umfasste diese neben der Innenstadt auch sieben sogenannte bürgerliche sowie einige zuvor herrschaftliche Vorstädte. Für letztere hatte der Magistrat an die Stände eine "doppelte Gült" abzuführen. Zu solchen zählten die Windmühle, die schon 1693 dem Vizedomamt abgekauft worden war, ferner die Josefstadt (seit 1700), Hungelbrunn (seit 1704), das ursprünglich den Freiherren von Tinti gehört hatte, sowie Althan (seit 1713). Dazu kamen die Dörfer Nikolsdorf, Margareten und Matzleinsdorf, die 1727 vom Grafen Sonnau angekauft worden waren sowie der Strozziggrund, den der Stadtrat im Jahr 1743 aus dem Nachlass des Erzbischofs von Valencia erhalten hatte. Den Magdalenengrund konnte der Magistrat 1777 lediglich pachten, da das erzbischöfliche Konsistorium einem Verkauf nicht zugestimmt hatte.
Einflussbereiche in den Vorstädten
Trotz der Machtausdehnung des Magistrats unterstanden 1779 noch immer vierzehn von zu dieser Zeit dreißig Vorstädten sogenannten fremden Grundherren, waren also der hoheitlichen Verwaltung der Stadt entzogen. Dazu zählten die Jägerzeile (im Besitz des Edlen von Zorn) und dazugehörige Besitzungen in Hungelbrunn sowie Grund Am Schüttel und am Erdberger Mais, Erdberg, Altlerchenfeld, die Güter Reinprechtsdorf und Spittelberg, Hundsthurm, Gumpendorf, Mariahilf sowie die Vorstädte St. Ulrich, Neubau und Schottenfeld; darüber hinaus der Himmelpfortgrund, das Freigut Thury und Lichtental. Ausgehend von der Volkszählung 1777 unterstand demnach nur ein Drittel der Gesamtbevölkerung Wiens der magistratischen Ortsobrigkeit. Das politische Gewicht der zehn nicht-magistratischen "Ortsherren" in Bezug auf die Agenden der Stadt ist wohl aufgrund ihrer Verankerung in den höheren Ständen (Adel, Klerus) als hoch anzusetzen. Da sie vielfach über stadtnahes Siedlungsland verfügten, ließ dies ihre Bedeutung während des kontinuierlichen Stadtwachstums weiter steigen.
Das Wiener Umland wurde um 1779 weitestgehend von geistlichen Grundherren dominiert, die die Ortsobrigkeit und oft auch die alleinige Grundobrigkeit innehatten. Dazu zählten das Stift Klosterneuburg, das Domkapitel, der Deutsche Ritterorden, das Landstraßer Augustinerkloster, das Salzburger Stift Michaelbeuern, das Himmelpfortkloster sowie die Pfarre Hütteldorf. Wenige Güter unterstanden einer adeligen Herrschaft, etwa Inzersdorf, Breitensee oder Jedlesee. Die Besitzrechte am Prater etwa hielt zum Großteil das kaiserliche Jägermeisteramt, teils das Bürgerspital.
Situation innerhalb des Linienwalls
Besonders unübersichtlich gestaltete sich die Lage in Bezug auf die Grundobrigkeit innerhalb der Linien, wo 1779 sechsundvierzig verschiedene Herrschaften rustikale Grundbücher über Gebiete unterschiedlicher Größe führten. Zudem verfügten einzelne Herrschaften noch über mehr als hundert dominikale Freihöfe. Eine Reihe weiterer Parzellen war von grundherrlichen Steuern und Abgaben befreit. Nichtmagistratische Grundobrigkeiten hatten zudem circa die Hälfte aller Hausgründe in Wien inne. Die wichtigsten Grundherren im Linienbereich waren neben dem Magistrat das Schottenstift, das niederösterreichische Vizedomamt, das Bürgerspital, das Domkapitel und der Fürst Lichtenstein. Sie vereinigten gemeinsam mit dem Magistrat vier Fünftel aller grundobrigkeitlichen Rechte in der Stadt auf sich.
Der Magistrat hatte im Laufe des 18. Jahrhunderts somit zwar die Position des bedeutendsten Einzelinhabers grundobrigkeitlicher Rechte erreicht, sein Einfluss in Bezug auf den Bereich des Burgfrieds und die Innere Stadt war aber weder ein überwiegender noch gar ein dominierender. Innerhalb des Burgfrieds konzentrierte sich die Zahl "bürgerlichen" Grundbesitzes vor allem in der Inneren Stadt und der Leopoldstadt. Mit Joseph II. sollte sich ein tiefgreifender Wandel in den Strukturen der Wiener Grundherrschaft abzeichnen.
Quellen
Literatur
- Walter Sauer: Grund-Herrschaft in Wien 1700-1848. Wien: Jugend und Volk 1993 (Kommentare zum Historischen Atlas von Wien, 5)