Psychiatrie

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Psychiatrische Klinik Kinderabteilung Lazarettgasse
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Die Zeit des "Narrenturms"

Obwohl schon zur Zeit Maria Theresias in Wien Geisteskranke im St. Marxer Spital gepflegt wurden und Leopold Auenbrugger, der Begründer der ersten physikalischen Untersuchungsmethode (Perkussion), 1761 von Krankheiten sprach, die von "affectionibus animi" abhängen sollten, wurde doch erst unter Joseph II. das ebenso berühmte wie berüchtigte "Tollhaus" (1784) im Bereich des neu adaptierten Allgemeinen Krankenhauses erbaut (Narrenturm). Der Hauptzweck dieser Anstalt war, die Patientinnen und Patienten vor sich selbst und die Mitmenschen vor ihnen zu schützen. Die dort beschäftigten Ärzte verfügten über keine spezifische Ausbildung. Erst 1817 wurde ein ständiger ärztlicher Leiter eingesetzt. Ab 1839 wurden Ketten und mechanische Apparate zur "Ruhigstellung" der Patientinnen und Patienten entfernt. Franz Anton Mesmer führte zu dieser Zeit in Wien seine "magnetischen Kuren" durch, in der Annahme, durch Strahlen aus der Atmosphäre eine dem Magnet ähnliche Wirkung auf den Organismus auszuüben. Heute wird er vielfach als Pionier der Hypnosetherapie angesehen. Bruno Görgen richtete für wohlhabende Patientinnen und Patienten in Oberdöbling eine private Irren-Pflegeanstalt ein. Die Therapie bestand darin, dass die Patientinnen und Patienten tun konnten, was sie wollten. Ernst von Feuchtersleben verfasste 1845 sein "Lehrbuch der ärztlichen Seelenkunde" sowie später seine "Diätetik der Seele". Er wurde zum Vorläufer der psychosomatischen Medizin.

Psychiatrische Kliniken

Jaromir von Mundy, der 1881 die Wiener Freiwillige Rettungsgesellschaft begründete, hielt ab 1866 Vorlesungen über Psychiatrie an der Medizinisch-chirurgischen Josephs-Akademie. 1853 wurde am Bründlfeld (9. Bezirk) die k. k. Heil- und Pflegeanstalt eröffnet, in der 1870 der dort seit 1866 wirkende Prosektor Theodor Meynert auf Betreiben des Pathologen Carl Rokitansky eine psychiatrische Klinik einrichtete. Ab dieser Zeit setzte sich die "no restraint"-Therapie dort durch. Später kam diese an Maximilian Leidesdorf, weil Meynert als Repräsentant der "anatomischen Klinik" 1870 die II. psychiatrische Klinik im Allgemeinen Krankenhaus übernahm. Leidesdorf begründete den klinisch-psychiatrischen Universitätsunterricht.

Krafft-Ebing, Freud und Wagner-Jauregg

Schon in den 1870er Jahren gab es in der Anstaltspsychiatrie im Gegensatz zur Universitätspsychiatrie eine philanthropische Richtung, die auf sanfte Heilungsmethoden setzte. Auch Moriz Benedikt, der sich zuvor mit Elektrotherapie befasst hatte, zählte mehr und mehr zu dieser Richtung in der Psychiatrie. Er hatte schon 1867 begonnen, mit Hypnose zu therapieren. In den 1890er Jahren wurde er zum Begründer der Kriminalanthropologie und Kriminalpsychologie.

Richard Krafft-Ebing gelang es, beide Richtungen wieder zu vereinen. Krafft-Ebing wurde zum Propagator der forensischen und Sexualpsychiatrie (von ihm stammen die Begriffe Sadismus, Masochismus, Fetischismus, Zwangsvorstellung und Dämmerzustand) und Nachfolger Leidesdorfs. Die gehirnanatomische Richtung war für Krafft-Ebing nur noch Hilfswissenschaft der Psychiatrie. Er begründete die moderne Sexualpathologie. Zu seinen zahlreichen Schülern zählten Paul Karplus und Alfred Fuchs.

Nosographische, mikroskopierende und elektrisierende Nervenärzte waren ursprünglich auch Sigmund Freud und Julius Wagner-Jauregg. Freuds frühe Arbeiten beschäftigten sich mit Neuropathologie inspiriert durch seine Arbeit am Kinderkrankeninstitut, die er neben seiner 1886 eröffneten Privatpraxis durchführte. 1897 veröffentlichte er seine Studie "Die infantile Cerebrallähmung". Doch schon zuvor wandte Freud sich der Psychologie und Psychopathologie zu. 1895 erschienen gemeinsam mit Josef Breuer seine "Studien zur Hysterie" und 1900 allein "Die Traumdeutung". Darin entwickelte er seine These von der sexuellen Bedingtheit aller Neurosen, die von Breuer nicht geteilt wurde. Ab der Jahrhundertwende schuf Freud in Wien die Psychoanalyse als später weltweit gültiges Forschungsfeld und therapeutisches Verfahren.

1907 erhielt Wien "Am Steinhof“ nach der Hauptdisposition Otto Wagners eine großangelegte neue psychiatrische Heil- und Pflegeanstalt. In dieser Zeit begann der Aufstieg von Julius Wagner-Jauregg. Wagner-Jauregg kam von der naturwissenschaftlichen Richtung der Psychiatrie. Wagner-Jauregg lehrte 1893-1928 in Wien. Er versuchte, die Psychiatrie mit der Physiologie und Pathologie des Körpers in Verbindung zu bringen. In diesem Zusammenhang entwickelte er eine Methode der Heilung von Psychosen durch künstlich erzeugte Fieberkrankheiten. Sein wissenschaftliches Hauptthema waren Forschungen zur Schilddrüsenfunktion. Wagner-Jaureggs Schüler und Freund Constantin Economo gründete das Hirnforschungsinstitut in Wien. 1927 erhielt Wagner-Jauregg den Nobelpreis für die von ihm entwickelte Malariaimpftherapie bei progressiver Paralyse, die er 1917 entwickelt hatte. Nachfolger von Wagner-Jauregg wurde Otto Pötzl. Pötzl Schwerpunkt lag in der Großhirnforschung.

Neuere Entwicklungen

Otto Kauders und Hans Hoff leiteten nach dem Zweiten Weltkrieg die Psychiatrische Universitätklinik. Kauders, 1938 an der Universität Graz tätig, wurde vom nationalsozialistischen Regime zwangspensioniert. Nach Kriegsende übernahm er die Leitung der Universitätsklinik für Psychiatrie und beschäftigte sich besonders mit Psychotherapie und Psychohygiene. Nach seinem frühen Tod folgte ihm der aus der Emigration zurückgekehrte Hans Hoff. Hoff betonte in seinen Forschungen die multifaktorielle Genese psychischer Krankheiten und engagierte sich für eine Vermenschlichung der Psychiatrie. Nach dem Ende seiner Ära trennten sich Psychiatrie und Neurologie. Hoffs Nachfolger Peter Berner widmete sich besonders der Psychopathologie. Einige Bedeutung erlangte das 1971 gegründete Institut für Tiefenpsychologie und Psychotherapie unter der Leitung des Sozialpsychiaters Hans Strotzka. Strotzka, der in jungen Jahren dem Nationalsozialismus nahestand, gründete später in bewusster Aufarbeitung seiner Vergangenheit die "Gesellschaft für politische Aufklärung". Das Institut für Medizinische Psychologie leitete bis zu Beginn der 1990er Jahre Erwin Ringel. Ringel beschrieb als erster die Selbstmordgefährdeten gemeinsamen Symptome als "präsuizidales Syndrom". Ringel erlangte auch publizistisch ("Die österreichische Seele") große Bekanntheit.

Literatur

  • Max de Crinis: Meynert in seinem Einfluß auf die moderne psychiatrische Forschung. Festvortrag gehalten in der Meynen-Gedächtnissitzung der Wiener Medizinischen Gesellschaft am 29. Mai 1942. In: Wiener klinische Wochenschrift 55 (1942) S. 781-786
  • Frank Ehlert: Personalbibliographien von Professoren und Dozenten der Psychiatrie und Neurologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien im ungefähren Zeitraum von 1925-1945. Mit biographischen Angaben und Überblicken über die Hauptsachgebiete. Med. Diss., Univ. Erlangen-Nürnberg. Erlangen 1972
  • Isidor Fischer: Zur Geschichte der Wiener Psychiatrie im XIX. Jahrhundert. In: Wiener medizinische Wochenschrift 37 (1927), S. 1219-1223
  • Zur Geschichte der Psychiatrie in Wien. Eine Bilddokumentation = Psychiatry in Vienna. Wien: Brandstätter 1983
  • Helmut Gröger: Die Wiener Psychiatrie in ihrer Entwicklung. In: Kunst des Heilens. Aus der Geschichte der Medizin und Pharmazie. Niederösterreichische Landesausstellung Kartause Gaming 4. Mai - 27. Oktober 1991. Hg. vom Amt der NÖ Landesregierung. Wien: Amt der NÖ Landesregierung, Abt. III/2 1991 (Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums, Neue Folge 276), S. 788-799
  • Albrecht Hirschmüller: Freuds Begegnung mit der Psychiatrie. Von der Hirnmythologie zur Neurosenlehre. Tübingen: Ed. diskord 1991
  • Erna Lesky: Die Wiener medizinische Schule im 19. Jahrhundert. Wien [u.a.]: Böhlau 1965 (Studien zur Geschichte der Universität Wien, 6), S. 175-186, S. 373-405
  • Gerto Lorusso: Personalbibliographien von Professoren und Dozenten der Psychiatrie und Neurologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien im ungefähren Zeitraum von 1950-1969. Mit kurzen biographischen Angaben und Überblick über die Sachgebiete. Med. Diss., Univ. Erlangen-Nürnberg. Erlangen 1970
  • Erich Menninger-Lerchenthal: Auenbrugger als Psychiater. In: Wiener medizinische Wochenschrift 51/52 (1953), S. 970-1971
  • Max Neuburger: Feuchtersleben als Psychiater und Psychotherapeut. In: Wiener medizinische Wochenschrift 24 (1933), S. 662-664
  • Gisela Pointner: Personalbibliographien von Professoren und Dozenten der Psychiatrie und Neurologie an der Wiener Medizinischen Fakultät im ungefähren Zeitraum 1880-1920. Med. Diss., Univ. Erlangen-Nürnberg. Erlangen 1972
  • Karl Heinz Tragl: Chronik der Wiener Krankenanstalten. Wien / Köln / Weimar: Böhlau 2007, S. 135-142
  • Helmut Wyklicky: Gehirnanatomie, Psychologie, Psychophysik und Irrenpflege als Problem von 1868. In: Österreichische Ärztezeitung 2 (1968)