Säuglingssterblichkeit im Nachkriegs-Wien
In den schwierigen Wochen und Monaten unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs schnellte die Sterblichkeit in der Gesamtbevölkerung in die Höhe. Es fehlte an Nahrungsmitteln und Brennstoffen, Krankheiten brachen aus, die hygienischen Verhältnisse waren schlecht. Viele Krankenhäuser waren zumindest teilweise zerstört. Die Bedingungen für werdende Mütter und ihre Babys waren dementsprechend schlecht. Die Säuglingssterblichkeit, die noch Anfang 1944 recht konstant bei 7% gelegen war, explodierte gegen Kriegsende, lag im Mai 1945 schon fast bei 20% und erreichte im Juli mit bis zu 37% einen Rekordwert. Unter Babys und Kindern hatte sich die Tuberkulosesterblichkeit im Vergleich zu 1938 verfünffacht. Aber auch die mangelhafte Milchzufuhr trug entscheidend zu dieser Entwicklung bei, denn zwei Drittel der Babys starben nicht (wie sonst zu erwarten) im ersten Monat, sondern erst im Verlauf des ersten Lebensjahres.
Maßnahmen
Bis November sank die Säuglingssterblichkeit mithilfe der Unterstützung des US-amerikanischen Roten Kreuzes, das an 220.000 Personen zusätzliche Lebensmittel ausgab, auf 15%. Dann jedoch führte der Mangel an Heizmaterial über den Winter zu einem erneuten Anstieg der Zahlen. Anfang 1946 bewilligten die Vereinigten Staaten 100.000 Dosen Säuglingsnährmittel, da die Herstellung solcher Präparate in Wien erst anlief. Im Frühjahr 1946 lag die Säuglingssterblichkeit um die 10%, wobei 5% damals als Norm galt. Im Spätsommer wurde damit begonnen, in der amerikanischen Zone Säuglingswäschepakete an Schwangere und Mütter auszugeben. Gegen Jahresende wurde die Ausgabe auch auf andere Bezirke ausgeweitet. Die Ausgabe von Säuglingswäsche setzte später die Stadt Wien fort, bis 1950 wurden insgesamt 25.000 dieser Pakete abgegeben, das 50.000 überreichte Bürgermeister Jonas im Jänner 1953.
Entwicklung ab 1946
Im April 1947 stieg die Sterblichkeit bereits wieder an, auf 8,7%. Gleichzeitig sanken die Geburtenzahlen. In den Folgejahren blieb die Säuglingssterblichkeit vergleichsweise hoch: 1949 verstarben in ganz Österreich 5000 Kinder, die Sterblichkeit lag damit bei rund 8%, was doppelt so hoch war wie in den meisten europäischen Ländern (nur Italien war hier mit Österreich vergleichbar). Wien stand hier mit rund 7% nur geringfügig besser da, in manchen Bezirken lag die Rate aber sogar bei 9%. Prof. August Reuß suchte den Grund hierfür unter anderem in der unzureichenden Ausbildung der Allgemeinärzte. Außerdem gab es in Wien zwar Neugeborenenstationen, doch fehlte Reuß zufolge eine "nachgehende Neugeborenenfürsorge".[1] Außerhalb Wiens war die Lage jedoch noch schlimmer, nicht nur gab es dort kaum Neugeborenenstationen, auch der Mangel an Fachkinderärzten und das Fehlen von spezialisierten Kinderstationen in Krankenhäusern trugen zu Säuglingssterblichkeitsraten von bis zu 10% (Burgenland) bei. Im Sommer 1952 war die Sterberate auf unter 4% gefallen.
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Nachlass Körner, A1.2.2 – Die Fürsorge der Stadt Wien
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Nachlass Körner, A1.4.2
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Nachlass Körner, A1.4.22 – Die Sterblichkeit der Wiener Bevölkerung im Jahre 1945
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Nachlass Körner, A1.4.8 – Statistiken 1945/46
- Rathauskorrespondenz vom November 1945, Februar 1946, Juni 1946, August 1946, April 1947, Juni 1947, Juni 1952, Jänner 1953
Einzelnachweise
- ↑ August Reuß: Die Aufgaben der Gesundheitsvorsorge für das Kind in Österreich. In: Mitteilungen der Österreichischen Sanitätsverwaltung 1 (1950).