Epidemien im Nachkriegs-Wien
Risikofaktoren
Schon während des Kampfes um Wien vom 6. bis 13. April 1945 war die Wasserversorgung in Teilen der Stadt zusammengebrochen auch die Kanalisation nicht mehr funktionsfähig. Dadurch entstand die erhöhte Gefahr des Ausbruchs von Seuchen. Ein weiterer Faktor, der die Seuchengefahr erhöhte, war der Zustrom von Flüchtlingen und Heimkehrern, die unter verheerenden hygienischen Lebensbedingungen überlebt hatten, in die Stadt. Schließlich erhöhte die vorherrschende Unterernährung großer Teile der Bevölkerung die Letalität im Fall von Infektionen.
Typhus, Paratyphus und Ruhr
Noch im April 1945 nahm eine Typhusepidemie vom 10. Bezirk, der von den Zerstörungen des Ver- und Entsorgungssystems besonders betroffen war, ihren Ausgang. Insgesamt erkrankten 1945 3.788 Personen an Typhus und die Zahl der Todesfälle lag dank bei 700. Mit rund 20 Prozent überproportional unter den Erkrankungsfällen vertreten waren Flüchtlinge und Heimkehrer. Mit der Wiederherstellung der Trinkwasserversorgung mit Hochquellenwasser fiel die Zahl der Erkrankungen 1946 auf etwa 1.000, 1947 auf rund 770. Sterbefälle in diesen beiden Jahren, zusammen 158, waren bereits selten. Im Jänner und Februar 1947 kam es allerdings zu einem Wiederaufflackern der Epidemie in den damaligen Randbezirken mit 289 Erkrankungen. Die von den Gesundheitsbehörden gesetzten Maßnahmen bestanden in Massenimpfungen, bakteriologischen Untersuchungen, Desinfektionen und Vernichtung von infiziertem Fleisch. 1945 erhielten 142.000, 1946 35.000 und 1947 27.000 Personen Typhusimpfungen. Der mit dem Typhus auftretende Paratyphus spielte nur 1945 mit 518 Erkrankungen und 113 Todesfällen eine gewisse Rolle.
Wesentliche höhere Opferzahlen waren beim gleichzeitigen Ausbruch der Ruhr zu verzeichnen. Bei der Ruhr deren Verbreitung bereits gegen Kriegsende zugenommen hatte, kam es 1945 zu 5.607 registrierten Erkrankungsfällen die 2.926 Todesopfer forderten. Die hohe Letalität stand mit der katastrophalen Versorgungslage in enger Verbindung. Dazu traten die hohen Sommertemperaturen und eine zuvor unbekannte Fliegenplage die durch die unhygienischen Verhältnisse verstärkt wurde und die Übertragung der Ruhr verursachenden Bakterien zusätzlich beförderte. 1946 und 1947 konnten neuerliche Ruhrepidemien verhindert werden, doch gab es 1946 noch 176 Todesopfer.
Fleckfieber
Ganz besonders mit Kriegsereignissen in Verbindung steht die Verbreitung des Fleckfiebers, einer "Soldatenkrankheit". Eingeschleppt wurde die epidemisch auftretende Krankheit durch einen Transport gefangener serbischer Soldaten, die in Wien freigelassen wurden. Im Herbst 1945 schleppten deutsche Soldaten aus jugoslawischer Gefangenschaft die Seuche neuerlich ein. Durch massiven Einsatzes von Desinfektionen mit DDT und der EInrichtung von Entlausungsstationen an den Bahnhöfen gelang es allerdings noch im Lauf des Jahres 1945, eine weitere Ausbreitung dieser Epidemie, die 48 Todesopfer forderte, zu verhindern.[1]
Sonstige epidemisch auftretende Infektionskrankheiten
Nicht direkt mit Kriegswirkungen in Verbindung stand das gehäufte Auftreten von Dyphterie, Scharlach und Keuchhusten. Die hohe Morbidität der Dyphterie hielt die ersten Nachkriegsjahre unvermindert an. Etwa 3.000-4.000 Erkrankungen wurden jährlich registriert. Die Zahl der Todesfälle sank jedoch von über 500 auf über 200 und 130 im Jahr 1947. Etwa 2.000 Infektionen mit Scharlach traten in den Nachkriegsjahren auf. Todesfälle waren jedoch selten. Dies galt auch für Keuchhusten, eine Krankheit die 1946 gehäuft auftrat. Eine Häufung von 150-200 Malariafällen jährlich war 1946 und 1947 festzustellen. Eine Grippeepidemie erreichte Wien 1947, doch fiel die Zahl der Todesopfer bei 10.000 Erkrankungen mit 81 gering aus.
Eine Stabilisierung der epidemischen Lage gelang ab 1947, vollends in den Folgejahren. Sie stand in Verbindung mit der verbesserten Versorgung mit Trinkwasser im Lauf des Jahres 1945 und mit Nahrungsmitteln ab 1948. Schon 1946 war ein starker Rückgang der Letalität an epidemischen Infektionskrankheiten Erkrankter festzustellen. Auch der hohe Hospitalisierungsgrad der Erkrankten der mit Ausnahme von Keuchhusten zwischen 90 und 100 Prozent lag, trug zur Bekämpfung der Ausbreitung von Seuchen erheblich bei. Untersuchungen nach dem Bazillenausscheidungsgesetz unter etwa 28.000 Personen ergaben nur noch vereinzelte Nachweise von Typhus-, Paratyphus- und Ruhrbazillen.[2]
Literatur
- Magistrat der Bundeshauptstadt Wien (Hg.): Die Verwaltung der Bundeshauptstadt Wien vom 1. April 1945 bis 31. Dezember 1947, Wien 1949
- Magistrat der Bundeshauptstadt Wien (Hg.): Die Verwaltung der Bundeshauptstadt Wien vom 1. Jänner 1948 bis 31. Dezember 1949, Wien 1951
- Magistrat der Stadt Wien (Hg.), Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien NF 7-8 (1943-45, 1946-1947), Wien 1948, 1950