Flüchtlingslager
Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs
Nach Ende der Kampfhandlungen im Rahmen des Zweiten Weltkrieges gelangte eine größere Zahl von Flüchtlingen nach Wien. Dabei handelte es sich um ausländische Staatsbürger, aber nach und nach auch um viele rückwandernde Österreicher. Von ihnen fand nur ein kleiner Teil Unterkunft in Privatquartieren in der von Kriegshandlungen schwer beschädigten Stadt. Die Unterbringung und Verköstigung der Flüchtlinge, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Wien zusammenströmten (September 1945: 24.000), bildeten ein schwieriges Problem für die Stadtverwaltung. Mit der Flüchtlingsfürsorge wurde die Magistratsabteilung 12 - Erwachsenen- und Familienfürsorge betraut, die die Flüchtlinge in Wien unterzubringen und zu versorgen hatte (zum Teil in städtischen Lagern). Eine Unterbringung in ehemaligen Kriegsgefangenenlagern war nicht möglich, da diese Lager von der sowjetischen Armee als Unterkunft genutzt wurden.
Im November 1945 hielten sich über 7000 registrierte Personen in 18 Lagern auf, die sich über ganz Wien verteilten. Besonders der 15. und der 21. Bezirk stachen hier hervor, mit drei bzw. vier Lagern. Außerdem gab es vier Bahnhofsfürsorgestellen und eine Ausspeisungsstelle (9., Porzellangasse 1), an denen fast 1800 "Externe" versorgt wurden. Damit befanden sich 8800 Flüchtlinge in Wien. Zu diesem Zeitpunkt war die schlimmste Phase bereits vorbei, und schon seit einiger Zeit wurden mehr Ab- als Zugänge in den Lagern verzeichnet – noch Mitte Oktober waren 24.000 Flüchtlinge unter der Obhut der Stadt Wien gewesen, dabei handelte es sich überwiegend um in Barackenlagern untergekommene Sudetendeutsche.
Anfang 1946 gab es 17 Flüchtlingslager und fünf Bahnhofsfürsorgestellen, einschließlich eines Notspitals (12., Wienerbergstraße 14), daneben etwa 100 private Lager mit circa 5.000 Flüchtlingen. Größere Abtransporte ermöglichten 1946 eine Reduzierung auf sechs Lager für Flüchtlinge, zwei Lager für rückgewanderte Österreicher (16, Odoakergasse 48; 19, Sieveringer Straße 245) und ein Lager für heimgekehrte Kriegsgefangene. Die Bahnhofsfürsorge wurde 1946 von der Caritas übernommen; die Verwaltung der beiden Lager für rückgewanderte Österreicher übernahm 1947 das Anstaltenamt. Nach Einstellung der Flüchtlingstransporte nach Deutschland im Jahr 1947 wurde im Jänner 1947 ein Flüchtlingslager in der Siebeneichengasse im 15. Bezirk , ab Oktober 1947 5, Am Hundsturm) eingerichtet. Letzteres diente für vor den Bahnhöfen lagernde Flüchtlinge aus Rumänien. Ende 1947 zählte die Behörden 15.332 Lagerinsassen in Wiener Flüchtlingslagern.
Die US-Besatzungsmacht behielt sich über das in ihrer Zone liegende Lager (19, Am Cobenzl) das Verfügungsrecht vor, dort kamen noch jahrelang Flüchtlinge unter. Die britische Militärregierung hatte bis November 1945 bereits vier Lager in ihrer Zone geräumt, die dort befindlichen Flüchtlinge waren nach Eisenerz transportiert worden. Zwei Lager existierten Ende 1945 noch unter britischer Verwaltung, das Lager Kolonitzgasse und das Lager "Auhof" selbst (Kosten wurden dem Magistrat verrechnet). Die Lager in der französischen Zone wurden vom Magistrat verwaltet (Einweisung jedoch nur mit Zustimmung der französischen Militärregierung), und der russische Stadtkommandant ordnete Ende 1945 die Auflassung der Lager an.
Die Flüchtlinge erhielten Unterkunft und Lebensmittelkarten, letztere nur, wenn sie in keinem Arbeitsverhältnis standen. Für privat untergebrachte Flüchtlinge wurde eine Ausspeisungsstelle in der (9, Porzellangasse 1) eingerichtet, die Ende 1945 fast 1800 Externe versorgte. Bekleidungsstücke spendeten amerikanische Quäker, das Britische Rote Kreuz und die Schweizer Caritas. Während Strom und Gas zunächst unentgeltlich an die Flüchtlingslager geliefert wurden, mussten die arbeitenden Insassen und Insassinnen spätestens 1949 mit Pauschalbeträgen einen Teil der Kosten übernehmen.
Die unhygienischen Zustände in den Lagern sowie der ständige Influx von Personen aus dem Ausland führte auch dazu, dass in den Lagern wiederholt Krankheiten ausbrauchen. Besonders das britische Lager Auhof galt hier lange als besonders gefährdet, im November 1945 kam es dort zu einem Flecktyphus-Ausbruch, der aber durch konsequente Absonderung der Infizierten, Entlausung und Impfung von Kontaktpersonen und Quarantäne schnell unter Kontrolle gebracht werden konnte. Flüchtlinge waren außerdem überdurchschnittlich oft von Typhus betroffen, was auch die Auflösung der Lager erschwerte.
Auflösung der Flüchtlings-Infrastruktur
Das Notspital für Flüchtlinge schloss mit 1. Juli 1949, Flüchtlinge wurden von da an den Wiener Spitälern zugewiesen; das Gebäude wurde in ein Rekonvaleszentenheim für Flüchtlinge umgewandelt. Am 1. Februar 1950 wurde das Referat der Flüchtlingsfürsorge reorganisiert und auf andere Dienststellen aufgeteilt (Sozialamt, 1, Schottenring 22; Zentralverwaltung der Flüchtlingslager, 16, Wurlitzergasse 59).
In den Folgejahren war die Entwicklung sehr dynamisch, manchmal stieg die Zahl der Lager sowie der darin befindlichen Personen auch wieder an, generell ist aber ein Abwärtstrend erkennbar. Die Zahl der Lager schwankte 1946-1949 zwischen sechs und dreizehn (1. Jänner 1948: acht, 1. Jänner 1949: dreizehn). Ende 1950 lebten in zehn Lagern 3255 Flüchtlinge. Im Juli 1952 hielten sich etwa 3700 Menschen in Flüchtlingslagern auf. Die Gemeinde wollte die Lager ehestmöglich auflösen, und unterstützte daher den zu dieser Zeit einsetzenden Bau der ersten Siedlung der Siedlungsgenossenschaft der Interessensgemeinschaft deutscher Heimatvertriebener. Auf dem Laaer Berg entstanden in mehreren Schritten insgesamt 201 Wohnungen, die im Juni 1954 übergeben werden konnten (10., Favoritenstraße 237). In der Zwischenzeit war die Zahl der Flüchtlinge weiter gesunken, im Oktober 1952 lebten noch 2600 Personen in neun Lagern. 1955 gab es noch fünf Lager.
Lager
Amerikanische Zone
- 9. Seegasse 7
- 9, Alserbachstraße 23: Lager für jüdische Insassen von NS-Konzentrationslagern
- 9. Frankgasse
- 17, Rötzergasse
- 17, Neuwaldegger Straße 38 (1948; für alte und gebrechliche Flüchtlinge)
- 17, Atzbergergasse 2
- 18,Rupertusplatz
- 18, Michaelerstraße 30 (1949)
- 19, Am Cobenzl (bis 1950)
- 19, Sieveringer Straße 245
Britische Zone
- 5, Am Hundsturm 18 (ab 1947)
- 12, Wienerbergstraße 14 (Flüchtlingsnotspital)
- 13, Auhof (bis 1948)
Französische Zone
- 6, Stumpergasse 56 (bis 1948)
- 15, Siebeneichengasse 17 (ab 1947)
- 16, Kernstockplatz 1 (ab 1950)
- 16, Speckbachergasse 48
Österreicherlager
- 8, Pfeilgasse 42a
- 11, Haidestraße (ab 1948)
- 12, Kastanienallee 2
- 13, Hietzinger Hauptstraße (bis 1948)
- 13, Schloßberggasse (1948/1949)
- 16, Odoakergasse 48
- 19, Sieveringer Straße 245
Heimkehrerlager
- 14, Bergmillergasse 12
Internierungslager
- 11, Sechste Landengasse
sonstige Lager
- 3, Arsenal, Objekt 12 (1948/1949)
- 3, Hegergasse 20 (1949/1950)
- 17, Sautergasse-Wurlitzergasse (bis 1948)
- 18., Währinger Gürtel 97 – ehemaliges Rothschildspital, 1945-1952 kamen hier insgesamt 250.000 jüdische Flüchtlinge unter
- 102 Firmenlager
Ungarn
Nach der Niederschlagung des ungarischen Aufstands stieg bis Ende 1956 die Zahl der Lager durch den Flüchtlingsstrom aus Ungarn (rund 180.000 Flüchtlinge, davon 6.667 in 18 Lagern). Vorwiegend wurden Schulen, Kasernen (Kaiserebersdorf, ab 1957 Albrechts- und Carlskaserne), Wijug-Heime (Emmersdorf, Gaaden, Eichbühel, Bad Hall) umfunktioniert. Weitere Lager führten religiöse Verbände, die Volkshilfe und der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB). Mit 31. Dezember 1957 schied der Magistrat aus der Verwaltung der ungarischen Flüchtlingslager aus; sie wurden dem Bundesministerium für Inneres unterstellt. 1960 verwaltete das Sozialamt noch drei Lager (bis Ende 1962 geschlossen). Gleichzeitig wurde ein Integrationsprogramm für die nach der Genfer Konvention anerkannten sogenannte Mandatsflüchtlinge eingerichtet.
Lager (Ungarnkrise)
- Rothschildspital
- Brigittaspital
- Singrienergasse
- Speckbachergasse
- Stiftskaserne
- Rossauer Lände
- Albrechtskaserne
- Kaiserebersdorf, Artilleriekasserne
- Karlskaserne
- Simmeringer Haide
- Am Hundsturm
- Bergmillergasse
Tschechoslowakei
Im Sommer 1968 war Österreich mit einem neuen Flüchtlingsstrom aus der Tschechoslowakei von rund 162.000 Menschen konfrontiert. Die Stadt Wien errichtete ein Notlager in einem Gebäude in der Arsenalstraße, das später vom Bund übernommen wurde.
Jüdische Flüchtlinge
In den 1970er Jahren emigrierten russische Juden über Österreich nach Israel oder in andere Länder (vorwiegend in die USA). In Wien wurden sowohl die Auswanderer als auch die Remigranten (die in die UdSSR rückwandern wollten) von der Israelitischen Kultusgemeinde und vom Sozialamt betreut.
Seit den 1970er Jahren
Die Verwaltung der Flüchtlingslager befand sich in der Folge mehr in der Hand des Bundes (Traiskirchen). In den 1970er und 1980er Jahren kamen weitere Flüchtlinge aus Lateinamerika (besonders aus Chile), aus der ČSSR (insbesondere Unterzeichner der "Charta 77" oder in diesem Zusammenhang Verfolgte), aus dem Irak (Kurden) und ab 1982 (nach Verhängung des Kriegsrechts) aus Polen. Nach der Ablösung der kommunistischen Machthaber in den ehemaligen Ostblockstaaten und der damit verbundenen Öffnung der Grenzen kam es zu einem Zustrom von Flüchtlingen, die ihre Lebensbedingungen verbessern wollten (beispielsweise aus Rumänien). 1992 begann ein neuer Flüchtlingsstrom aus dem Raum des zerfallenden Jugoslawien wegen der dort herrschenden Kampfhandlungen (insbesondere aus Bosnien, anfangs auch aus Kroatien).
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Nachlass Körner, A1.4.1.63 – Stände der Wiener Flüchtlingslager
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Nachlass Körner, A1.4.1.66 – Flüchtlingsfürsorge
- Rathauskorrespondenz vom September 1945, Dezember 1948, Juli 1949, Juli 1952, Oktober 1952, Juni 1954
Literatur:
- Magistrat der Bundeshauptstadt Wien (Hg.): Die Verwaltung der Bundeshauptstadt Wien vom 1. April 1945 bis 31. Dezember 1947, Wien 1949
- Eduard Stanek: Verfolgt, verjagt, vertrieben. Flüchtlinge in Österreich, Wien/München/Zürich: Europaverlag 1985
- Andreas Weigl: Migration und Integration. Eine widersprüchliche Geschichte. Österreich - Zweite Republik. Befund, Kritik, Perspektive Bd. 20, Innsbruck/Wien/Bozen 2009