Engländer

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Engländer. Die erste nachweisbare Verbindung zwischen Wien und England war spektakulär: die Gefangennahme des mit Herzog Leopold V. von Österreich und anderen Fürsten verfeindeten englischen Königs Richard I. Löwenherz im Dezember 1192 in Erdberg bei Wien, wo er in Verkleidung auf seiner Rückreise aus dem Heiligen Land nächtigen wollte. Er war dadurch aufgefallen, dass er mit hier praktisch unbekannten Goldmünzen bezahlen wollte. Leopold V. verwahrte ihn zunächst in Dürnstein und lieferte ihn am 28. März 1193 Kaiser Heinrich VI. aus. Das am 14. Februar und 29. Juni 1193 vereinbarte Lösegeld von 100.000 Mark Silber teilten sich Heinrich und Leopold; den letzteren Anteil von 50.000 Mark langte Ende November 1193 in Österreich ein und wurde zur Erweiterung von Wien, zur Gründung von Wiener Neustadt (Niederösterreich) und Friedberg (Steiermark) sowie zur Ummauerung von Enns und Hainburg verwendet. Die ungeheure Summe konnte von den Engländern nur mittels einer hohen Sondersteuer und durch Ablieferung von Vermögenswerten aufgebracht werden. Die Stelle im "Fürstenbuch" des Jans Enenkel, wonach die Engländer den neu angelegten Wiener Stadtgraben "in Kraxen auf ihrem Rücken tragen mußten", ist symbolisch als Umschreibung der hohen Belastung der englischen Bevölkerung zu verstehen und nicht als Hinweis, dass englische Gefangene an der Neubefestigung Wiens mitgearbeitet hätten; nachweislich war Löwenherz bei seiner Gefangennahme nur von drei Männern begleitet.

Englische Komödianten sind ab 1618 in Wien belegt. Der "Englische Garten" wird auch in Wien und seiner Umgebung nachgeahmt; das Auerspergpalais entstand "nach englischem Vorbild". Joseph Emanuel Fischer von Erlach lernte 1713/1714 auf einer Westeuropareise die englische Dampfmaschine kennen und stellte eine derartige "Feuermaschine" 1722 im Schwarzenberggarten zum Betrieb eines Springbrunnens auf. Im Prater traten im 19. Jahrhundert immer wieder englische Kunstreiter (Johann Hyam [der 1777 nach Wien kam und 1780-1797 in 3, Rennweg 37, den ersten stationären Zirkus Wiens, den "Royal Circuit", eröffnete], Charles Hyam, der 1784 auch in der k. k. Reitschule auftrat, die Kunstreitergesellschaft Price [Alexander, Charles, Rosalie, Thomas] und andere) auf. Im Prater gab es ein Lokal "Zum englischen Reiter". 1783 wurden (wie der englische Schriftsteller Michael Kelly berichtet) im Prater Pferderennen nach englischer Manier abgehalten, an denen sich englische Lords beteiligten; Rennen fanden auch in der Hauptallee statt. 1787 mussten die Veranstaltungen allerdings auf die Simmeringer Haide verlegt werden. Im Volksprater traten immer wieder englische Artisten auf. Für Galopprennen wurden später Rennpferde aus England nach Wien gebracht.

Edward Browne (1686), Gilbert Burnet (1750), Mary Wortley Montagu (1717), Charles Sealsfield (1823) und Gershom Knight (1835) zählen neben anderen zu jenen englischen Besuchern Wiens, die über ihre Eindrücke auch berichten. Der englische Verleger Vincent Novelle besuchte in den 1780er Jahren Wolfgang Amadeus Mozart. Lady Montagu machte 1717 den Vorschlag, die Basteien niederzureißen und die Stadt mit den Vorstädten zu verbinden. Um 1715 ließ sich der außerordentliche Gesandte Englands, Daniel Erasmus von Huldenberg, in Weidlingau von Johann Bernhard Fischer von Erlach ein Landhaus erbauen (Huldenbergvilla). In der Zeit des Rokoko und Empire setzte sich der "landschaftliche Garten" durch, der sich schon vorher in England großer Beliebtheit erfreut hatte.

Technische Einrichtungen und Bauwerke sind im 19. Jahrhundert mehrfach mit den Namen von Engländern verbunden. Die englischen Schiffsbauer John Andrews und Joseph Prichard erhielten am 11. April 1828 ein österreichisches Privilegium für eine verbesserte Konstruktion von Dampfschiffen für den Donauverkehr; in die ersten Schiffe der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft wurden englische Antriebsanlagen der Firma Boulton & Watt eingebaut. Die Gasversorgung und -beleuchtung (Imperial-Continental-Gas-Association; Private Gaswerke), die Eisenbahn samt dem Lokomotivbau (der englische Ingenieur John Haswell begründete den österreichischen Lokomotivbau und entwickelte 1838 Pläne für die maschinelle Ausstattung der Wiener-Raaber Bahn, John Hardy von Stephensons Lokomotivfabrik war Leiter der Hauptwerkstätte der k. k. privaten Südbahngesellschaft), die Errichtung der Nevillebrücke über den Wienfluss, die 1852-1854 als erste Wiener Brücke nach dem System Nevilles und Plänen des Ingenieurs Adam Clark konstruiert wurde, der Bau der Rotunde (Entwurf von Scott Rüssel, 1873) und des Riesenrads (Konstrukteur Walter Basset, Besitzer einer Stahlbaufirma, 1897; Einführung der letzten Schraube in Anwesenheit des englischen Botschafters Rumbold unter den Klängen der englischen Nationalhymne [Extrablatt, 25. Juni 1897]) sowie die Donauregulierung (1870-1875; einer der Planer war James Abernethy) sind mit englischen Persönlichkeiten beziehungsweise Lieferfirmen verbunden. Das englische Reisebüro Cook & Son richtete im Haus "Zur Weltkugel" eine Filiale ein.

Begriff und Inhalt des "Manchesterliberalismus" fanden auch im österreichischen Liberalismus Eingang. Englische Industriebetriebe (beispielsweise Shuttleworth) siedelten sich in Wien an; auf dem Bankensektor gab es Kooperationen (beispielsweise Anglo-Austrian Bank Ltd.). 1873 erbaute Viktor Rumpelmeyer die heutige Botschafterresidenz Großbritanniens; gegenüber befindet sich die Botschaftskirche (Anglikanische Kirche). Um 1880 wurde Wien von der von England ausgehenden Hochradbegeisterung erfasst; Wiener Händler importierten ab dieser Zeit die von großen englischen Firmen erzeugten "Bicycles". 1892 brannten die englischen Hoffeuerwerker Pain and Sons im Prater ein Feuerwerk ab. Der Vergnügungspark "Venedig in Wien" im Kaisergarten des Praters wurde 1895 nach dem Vorbild von "Venice in London" (1894) gestaltet, die 1909 darin aufgebaute Hochschaubahn "Scenic Railway" wurde von der englischen Luna Park Ltd. Company errichtet; Fabianis Artaria-Haus (1, Kohlmarkt 9) zeigt architektonisch englische Einflüsse. Allerdings wurde auch eine Krankheit (die Rachitis) nach ihrer Herkunft "englische Krankheit" genannt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich ab 1. September 1945 in Wien eine englische Besatzungstruppe; den Engländern wurden bei der Teilung Wiens in Besatzungssektoren die Bezirke fünf, zwölf, 13, 14 und 15 zugewiesen, in denen auch von der Besatzungsmacht beschlagnahmte Kasernen lagen (Alliierte Besatzung). Bedeutende Staatsbesuche waren jene von König Eduard VII. (1903) und Königin Elisabeth II. (1969; Besuch im Rathaus) in Wien. Englische Sportarten sind in Wien heimisch geworden (Billard, Fußball, Golf), verschiedene Geschäfte und Hausschilder bezogen sich auf England (beispielsweise Seidenzeugwarengeschäft "Zum König von England" [1, Stock-im-Eisen-Platz, erwähnt 1836 im "Österreichischen Zuschauer", Seite 757], Hotels "Englischer Hof" [6, Mariahilfer Straße 81; später Münchner Hof] und "Zur Stadt London" [1, Fleischmarkt 24]). Kein Zusammenhang besteht mit dem Englischen Gruß (Ableitung von Engel). Siehe auch Englische Fräulein, Vienna's English Theatre.

Literatur

  • König Richard I. Löwenherz von England (1189 - 1199). Dürnstein. Dürnstein: [Winzergenossenschaft "Wachau"] 1966
  • John Gillingham: Richard Löwenherz. Eine Biographie. Düsseldorf: Claassen 1981
  • Gershom Knight: Ein englischer Reisebericht aus dem Jahre 1835. In: Wiener Geschichtsblätter. Band 30. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1975, S. 149 f.
  • Hans Pemmer / Ninni Lackner: Der Prater einst und jetzt. Leipzig / Wien: Deutscher Verlag für Jugend und Volk 1935, S. 152 f. (Zum englischen Reiter)
  • Hans Pemmer / Ninni Lackner: Der Prater. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Wien, München: Jugend & Volk 1974 (Wiener Heimatkunde), Register