Fleischmarkt
48° 12' 38.60" N, 16° 22' 35.13" E zur Karte im Wien Kulturgut
Fleischmarkt (1.).
Der Fleischmarkt im Mittelalter
Er gehört zu den ältesten Straßenzügen im babenbergerischen Stadterweiterungsgebiet und wird bereits 1220 als "carnifices Viennensis" erwähnt. Hier war nicht nur der älteste Marktplatz für Fleisch, sondern zugleich auch der älteste Sitz der Fleischhacker; nach der Metzgerordnung von 1333 hatten die Metzger hier ihr Innungshaus. Vor 1256 wird der Fleischverkauf auf den Lichtensteg verlegt; 1285 findet sich erstmals die Bezeichnung "Alter [ehemaliger] Fleischmarkt" ("domus in antiquo foro carnium"), doch erfolgte die Benennung nicht einheitlich (1314 "in foro carnium"). In der Metzgerordnung von 1333 wird am Fleischmarkt das Innungshaus erwähnt; unter den Hausbesitzern lassen sich noch bis ins 15. Jahrhundert unter den hier ansässigen reichen Patriziern viele Fleischhauer nachweisen (etwa die Familie Öczestorffer). Das Aussehen der Gegend veränderte sich durch die Errichtung der (Alten) Universität südlich des Ostendes des Straßenzugs (Studentenhäuser, Sesshaftigkeit gelehrter Gewerbe). Um diese Zeit beschränkte sich die Bezeichnung "Alter Fleischmarkt" auf den Teil zwischen Hafnersteig und Dominikanerkloster.
In unruhigen Zeiten (beispielsweise um 1450/1460) waren die "Koderien" (Speisehäuser) des Fleischmarkts, die sich mitten unter den Fleischerhäusern befanden, Sammel- und Tummelplätze vieler aufrührerischer Elemente. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit wurden auch die an den (alten) Fleischmarkt grenzenden Häuser in der Drachen-, Wolfen-, Griechen- und Postgasse sowie des Laurenzersteigs zum Fleischmarkt gerechnet; die Drachengasse hieß "Gässel beim Fleischmarkt", der Steyrerhof "Hinter dem alten Fleischmarkt auf der Höhe".
Neuzeit
1683 litt der Fleischmarkt stark unter dem türkischen Beschuss von der Leopoldstadt her. Eine Zeitlang wurde auf dem Fleischmarkt auch der Holzmarkt abgehalten, bis er 1742 in die Roßau verlegt wurde. 1759 stieß man bei Fundamentierungsarbeiten auf ergiebige Römerfunde (Steinsärge).
Von Bedeutung wurde im 18. Jahrhundert (insbesondere nach dem Frieden von Passarowitz 1718) der Zuzug von Griechen, in deren Händen der ganze Handelsverkehr nach dem Balkan und in die Levante lag und durch die ein neues Bevölkerungselement auftaucht; die Spuren sind noch heute deutlich erkennbar (Nummer 11: Griechenbeisl; Nummer 13: Griechisch-orientalische Kirche; Nummer 20-22: Wohnpalais des griechischen Bankiers, Handelsmannes und königlich-griechischen Gesandten Simon Georg Freiherr von Sina). Gleichzeitig wurde der Straßenzug, der bis heute einige im Baukern gotische Häuser aufweist (Nummer 3, Fundamentierung; Nummer 9, Zur Mariahilf; Nummer 11, Zum roten Dachel), zum Teil barockisiert (etwa Nummer 15, Schwindhof).
19. und 20. Jahrhundert
Anfang des 19. Jahrhundert entstanden neue Häuser am Ostende des Straßenzugs (etwa Nummer 16, 20-22). 1848 führte die Straße während der Revolution kurze Zeit die Bezeichnung "Barrikadenstraße" (am 6. Dezember 1848 erfolgte die Rückbenennung). Die heutige Bezeichnung Fleischmarkt führt der Straßenzug seit 1862.
Anfang 20. Jahrhundert drang der Jugendstil vor (Nummer 1 [ Residenzpalast ], 3, 5, 7 [ Meinl ], 14). Der Fleischmarkt wurde ab 21. April 1911 (Stadtrat) (über die Rotenturmstraße hinaus) über die Einmündung des in diesem Jahr über den Hohen Markt nach Norden verlängerten Bauernmarkts bis zur Fleischmarktstiege geführt, die eine Verbindung zur (höher gelegenen) Judengasse bildet; da die Nummerierung im alten Teil unverändert blieb, ergab sich im neuen Teil eine ungeklärte Häusernummerierung (die zum Teil gegenläufig mit 1a und so weiter gelöst wurde). Auf dem Fleischmarkt, der sich schon sehr frühzeitig zu einem vornehmen Straßenzug entwickelt hatte, befanden sich auch Einkehrwirtshäuser (Nummer 2 und 24).
Gebäude
- Nummer 1 (Rotenturmstraße 20, Steyrerhof 2): In dem 1909 demolierten Vorgängerbau wurde 1863 Staatsoperndirektor Franz Schalk geboren (Gedenktafel), um 1830 wohnte hier der Musikschriftsteller Theodor von Karajan; ab 1799 befand sich im Haus der Sitz der Musikalisch-Typographischen Verlagsgesellschaft Johann Mecke, um 1816/1817 die Werkstätte des Geigen- und Lautenmachers Andreas Kamlosi. 1909/1910 erbaute Arthur Baron den secessionistischen Residenzpalast (mit vorgehängter Metallrahmenkonstruktion; 1988/1989 restauriert). Kammerspiele (ursprünglich spielte hier das Residenztheater).
- Nummer 2 (Rotenturmstraße 18, Köllnerhofgasse 5; Durchhaus): ursprünglich Einkehrwirtshaus "Zum goldenen Wolf", später Hotel "Österreichischer Hof" (1945 zerstört), danach Generali-Gebäude mit Passage über einen Innenhof.
- Nummer 3: Wohn- und Geschäftshaus (erbaut 1910 von Arthur Baron); markante Metallerker und weitgehende Fassadenauflösung in Glas. Bis 1963 befand sich hier das Pressehaus mit Zeitungsdruckerei.
- Nummer 5 (Griechengasse 6): ehemaliges Bierhaus "Zum brauen (sic!) Hirschen", in dem unter anderem Beethoven verkehrte.
- Nummer 7: Geschäftshaus der Firma Meinl, erbaut 1899 von Max Kropf (Reliefs, die auf den Fernhandel der Firma hinweisen, darüber die Wappen der Städte Hamburg, Triest und London).
- Nummer 9 (Griechengasse 10): Wohnhaus "Zur Mariahilf", Gastwirtschaft Marhold (mit Nummer 11 durch einen die Griechengasse überspannenden Schwibbogen verbunden; historisches Verkehrsschild mit Warnung für die Kutscher [ein zweites am Ende der Straßenenge der Griechengasse]).
- Nummer 10: Hier wohnte im Frühjahr 1828 Niccolò Paganini, zur gleichen Zeit auch Joseph Fischhof (der hier am 31. Mai 1828 mit Paganini einen Sonatenabend gab). 1838 besuchten Robert und Clara Schumann Fischhof, im Juli 1844 ist der Aufenthalt von Dr. Carl Löwe überliefert.
- Nummer 11 (Griechengasse 9): "Zum roten Dachel"; seit 1679 als "Griechenbeisl", später auch als "Reichenbergerbeisel" bekannt, weil es von griechischen Handelsleuten beziehungsweise Reichenberger Tuchhändlern frequentiert wurde (zahlreiche prominente Besucher), Sage vom "Lieben Augustin".
- Nummer 12: Neubau 1894 (Zwölferhaus, Darvarhof)
- Nummer 13: Griechisch orientalische Kirche "Zur heiligen Dreifaltigkeit".
- Nummer 14: Miethaus, erbaut 1898/1899 vom Baubüro Ferdinand Dehm und Joseph Maria Olbrich (Ornamentformen in Anlehnung an Olbrichs Secessionsgebäude entwickelt); im Vorgängerbau starb am 14. Februar 1741 der Komponist und Hofkapellmeister Karls VI., Johann Joseph Fux, wogegen am 25. Dezember 1831 der Direktor der Hofoper, Konzertdirektor der Gesellschaft der Musikfreunde und Gründer des Wiener Männergesang-Vereins Johann Herbeck in diesem geboren wurde.
- Nummer 15: Geburtshaus des Malers Moritz von Schwind (* 21. Jänner 1804), der zum engeren Freundeskreis Franz Schuberts gehörte und hier bis 1828 wohnte (Schwindhof); zeitweise wohnte hier auch der Dichter Heinrich Joseph von Collin (Sterbehaus).
- Nummer 17 (abgebrochen 1909): Das Haus besaß einen bemerkenswerten Arkadenhof mit Laubengängen. *Nummer 18 (Wolfengasse 2): Toleranzhaus. 1808 befand sich hier der Sitz des bürgerlichen Klaviermachers Albert Caudella, 1825 wohnte hier Joseph Fischhofs Vater.
- Nummer 19 (Laurenzerberg 2, Postgasse 17): Laurenzerinnenkloster (Dominikanerinnenkloster "Zum heiligen Laurenz", erbaut 1630-1660, von Joseph II. 1783 aufgehoben); im 1819 errichteter Neubau (teilweise Verwendung des Altbaus, figurale Giebelplastik von Josef Kässmann, um 1820) ist die Hauptpost (Hauptpostgebäude) untergebracht (radikaler Umbau bei gleichzeitigem Abbruch des nördlichen Bauteils ab 1991); Sterbehaus des Schubert-Freundes Johann Mayrhofer, der hier (an seinem Dienstort, dem k.k. Bücher-Revisionsamt) am 5. Februar 1836 freiwillig aus dem Leben schied. Zwischen 1942 und 1945 befand sich hier ein Zwangsarbeiterlager.
- Nummer 20-22 (Wolfengasse 1, Drachengasse 2): erbaut 1823-1825 von Ernest Koch für den griechischen Bankier Simon Georg von Sina; Drachenhaus.
- Nummer 24: Hotel "Zur Stadt London" beziehungsweise "Zum weißen Ochsen", Ende des 19. Jahrhunderts "Hotel Rabl", seit 1901/1902 "Hotel Post"; im "Weißen Ochsen" stieg 1762 (6. Oktober bis Jahresende) Mozarts Vater Leopold mit seinen beiden Kindern ab [erste Wiener Reise], aber auch Chopin [zweite Wiener Reise November 1830], Lessing, Liszt und Richard Wagner [zwischen 1872 und 1876] logierten hier); Kammeroper. Gedenktafel (1992) zur Erinnerung an die Gründung des "Vereins der kaufmännischen Angestellten" (der ersten gewerkschaftlichen Angestelltenorganisation) am 14. Jänner 1892 im damaligen "Hotel Rabl". - Die Griechische (unierte) Kirche steht 1, Postgasse 8; das Pazmaneum lag am Ende des Fleischmarkts (1, Postgasse 11-13).
Pfarrzugehörigkeit bis 1938
Bis 1938 lag die Standesführung in Österreich in den Händen der konfessionellen Behörden. Die Geburts-, Ehe-, und Sterbematriken von katholischen Bewohnerinnen und Bewohnern wurden von der zuständigen Pfarre geführt.
- ab 1863: Orientierungsnummern (ONr.) 1 und 2: Pfarre St. Stefan; Rest: Pfarre Dominikaner
- ab 1900: ungerade ONr. ab Nr. 1 und gerade ONr. ab Nr. 4: Pfarre Dominikaner; ONr. 2: Pfarre St. Stefan (1911 verlängert von Rotenturmstraße bis Judengasse.)
- ab 1911: ungerade ONr. ab Nr. 1 und gerade ONr. ab Nr. 12: Pfarre Dominikaner; ONr. 1A und gerade ONr. 2-10: Pfarre St. Stefan
Quellen
Literatur
- Felix Czeike: I. Innere Stadt. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1983 (Wiener Bezirkskulturführer, 1), S. 40 ff.
- Felix Czeike: Wien. Kunst und Kultur-Lexikon. Stadtführer und Handbuch. München: Süddeutscher Verlag 1976, S. 67 f.
- Rudolf Geyer: Handbuch der Wiener Matriken. Ein Hilfswerk für Matrikenführer und Familienforscher. Wien: Verlag des Österreichischen Instituts für Genealogie, Familienrecht und Wappenkunde, 1929
- Richard Perger: Straßen, Türme und Basteien. Das Straßennetz der Wiener City in seiner Entwicklung und seinen Namen. Wien: Deuticke 1991 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 22)
- Leopold Mazakarini: Kleiner Führer durch Wien. Hg. v. d. Gesellschaft für Natur- und Heimatkunde. Band 12: Der Fleischmarkt. Wien: Ges. für Natur- u. Heimatkunde 1981
- Renate Wagner-Rieger: Das Wiener Bürgerhaus des Barock und Klassizismus. Wien: Hollinek 1957 (Österreichische Heimat, 20), S. 50 f.
- Helmut Kretschmer: Wiener Musikergedenkstätten. Wien: Jugend & Volk ²1990, Register
- Andreas Lehne: Jugendstil in Wien. Architekturführer. Wien: J & V Ed. ²1990, S. 14 f.
- Hans Markl: Kennst du alle berühmten Gedenkstätten Wiens? Wien [u.a.]: Pechan 1959, S. 26 f.
- Emmerich Siegris: Alte Wiener Hauszeichen und Ladenschilder. Wien: Burgverlag 1924, S. 76
- Hugo Hassinger: Kunsthistorischer Atlas der k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien und Verzeichnis der erhaltenswerten historischen, Kunst- und Naturdenkmale des Wiener Stadtbildes. Wien: Schroll 1916 (Österreichische Kunsttopographie, 15), S. 57 f.
- Wilhelm Kisch: Die alten Straßen und Plätze von Wiens Vorstädten und ihre historisch interessanten Häuser. (Photomechan. Wiedergabe [d. Ausg. v. 1883]). Cosenza: Brenner 1967, Band 1, S. 450 ff.
- Philipp Jakob Lambacher: Beschreibung und Erklärung der im Jahre 1759 auf dem alten Fleischmarkte zu Wien ausgegrabenen zwey alten römischen Särge, und anderer dabey gefundenen Alterthümer, in einem Sendschreiben abgefasset. Wien: Ghelen 1759
- Gustav Gugitz: Bibliographie zur Geschichte und Stadtkunde von Wien. Hg. vom Verein für Landeskunde von Niederösterreich und Wien. Band 3: Allgemeine und besondere Topographie von Wien. Wien: Jugend & Volk 1956, S. 452 f.
- Anna Ransmayr, Andrea Ruscher: „Ein Grieche konnte ein Türke sein“. Osmanische Händler in Wien (Wien Museum Magazin, 2024)