Ungarn-Flüchtlinge 1956

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Hilfsaktion für Ungarn (Volkshilfe) 1. November 1956; Aufstellung der Hilfsfahrzeuge im Haupthof des heutigen MuseumsQuartiers
Daten zum Ereignis
Art des Ereignisses Sonstiges Ereignis
Datum vonDatum (oder Jahr) von 23. Oktober 1956
Datum bisDatum (oder Jahr) bis 15. Jänner 1957
Thema
VeranstalterVeranstalter
Teilnehmerzahl
Gewalt
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Letzte Änderung am 19.07.2023 durch WIEN1.lanm08uns
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BildunterschriftInformation, die unterhalb des Bildes angezeigt werden soll Hilfsaktion für Ungarn (Volkshilfe) 1. November 1956; Aufstellung der Hilfsfahrzeuge im Haupthof des heutigen MuseumsQuartiers

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Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Etablierung kommunistischer Regimes in Osteuropa war die Errichtung des "Eisernen Vorhangs" an der ungarischen Grenze zu Österreich Ende 1947 abgeschlossen. Grenzüberschreitende Kontakte zwischen Österreich und Ungarn wurden dadurch auf ein Minimum eingeschränkt.

Nach dem Abschluss des Österreichischen Staatsvertrags und der damit wiederlangten Unabhängigkeit des Landes wurde auf österreichischen Druck der Minengürtel an der ungarischen Grenze zu Österreich bis zum Mai 1956 abgebaut.[1] In diesem Jahr verschärfte sich aber die innenpolitische Lage in Ungarn. Politische Kräfte, die für die Liberalisierung eintraten, rangen mit Stalinisten.

Dies führte am 23. Oktober 1956 zum Ausbruch offener Kämpfe ("ungarische Revolution"), in die auch sowjetische Truppen eingriffen. An der Grenze zu Österreich entstand dadurch eine neue Lage.[2] Die Vorgänge in Ungarn blieben in Österreich nicht unbemerkt. Ende Oktober konstituierte sich unter dem Vorsitz von Erzbischof Franz König das österreichische Nationalkomitee für Ungarn. Vom 24. Oktober bis 3. November 1956 kamen jedoch vorerst nur wenige Tausend Flüchtlinge nach Österreich.

Mit der Niederschlagung des Aufstands durch sowjetische Truppen und Truppen des Warschauer Paktes setzte am 4. November 1956 dann eine große Fluchtbewegung ein.[3] Insgesamt wurden von Oktober 1956 bis Juni 1957 178.875 Grenzübertritte registriert. Mitte Jänner 1957 wurde die ungarisch-österreichische Grenze von ungarischer Seite offiziell abgesperrt.

Nach offiziellen Flüchtlingszahlen aus Österreich und Ungarn kamen in den Jahren 1956 und 1957 rund 180.000 bis 194.000 Ungarn nach Österreich, das sie in erster Linie als Transitland sahen. Bereits im Jänner 1957 hatten 70 % der Flüchtlinge Österreich wieder verlassen. Ende 1958 lebten nur noch etwa 25.000 bis 30.000 Ungarn in Österreich, einschließlich vor dem Herbst 1956 Geflüchteter.[4] Die überwiegende Mehrzahl der dann letztlich in Österreich verbliebenen Ungarn ließ sich in Wien nieder; es dürften etwa 14.000 gewesen sein.[5]

Im Zuge der Ungarnkrise ging der österreichische Innenminister Helmer Ende Oktober 1956 im Einklang mit der UN-Generalversammlung über die eingegangenen Verpflichtungen deutlich hinaus, in dem er die Flüchtlinge kollektiv unter das Mandat der UNHCR stellte und den ungarischen Flüchtlingen pauschal Asyl gewährte. Von Ende Oktober 1956 bis Frühsommer 1957 erhielten alle nach Österreich geflüchteten Ungarinnen und Ungarn Asyl.

Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und der überwundenen Besatzungszeit zeigte die Bevölkerung zunächst überwältigende Solidarität. "Über Radio, Lautsprecher und öffentliche Anschläge wurde die Bevölkerung fortwährend zu Geld- und Sachspenden aufgefordert und auch der Andrang zu den Sammelstellen war beständig groß." In Wien konnten sich die Hilfsorganisationen der Berge von Spenden nicht erwehren.[6] Viele verwandtschaftliche Beziehungen waren noch intakt, der gemeinsam verlorene Erste Weltkrieg, die im intellektuellen Milieu noch wachgehaltene Vorstellung von Wien als multiethnischer Metropole, die Erfahrungen mit der sowjetischen Besatzung – all dies begünstigte die großartige Hilfsbereitschaft.[7]

Hilfsaktion für Ungarn (Volkshilfe) 1. November 1956

Die Unterbringung der Flüchtlinge erwies sich als große Herausforderung. Am 4. Dezember 1956 waren 6.516 Flüchtlinge in Wien behördlich untergebracht, 4.205 durch private Organisationen. Nach Einrichtung von Flüchtlingslagern betrug am 10. April 1957 die Zahl der in Wiener Lagern untergebrachten 3.822, die von privaten Organisationen betreuten 1.804. Die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge (8.830) war in privaten Quartieren aufgenommen worden.[8] Flüchtlingslager bzw. Unterkünfte befanden sich in Wien im Rothschildspital, im Brigittaspital, in der Stiftskaserne, an der Rossauer Lände, in der Albrechts- und der Karlskaserne, in der Artilleriekaserne in Kaiserebersdorf, in der Singrienergasse, der Speckbachergasse, in der Simmeringer Haide, Am Hundsturm und in der Bergmillergasse.[9] Trotz Sprachproblemen fanden viele Flüchtlinge, die in Österreich blieben, rasch Arbeit, weil sie gut qualifiziert waren und im "Wirtschaftswunder" Arbeitskräftemangel herrschte.[10]

Die Massenpsychologie hinter der Welle von Hilfsbereitschaft wurde von den Wiener Psychiatern Hans Hoff und Hans Strotzka in einer einschlägigen Studie nachträglich untersucht und mit einer Eltern–Kind-Beziehung verglichen.[11]. Wenn Flüchtlinge eigenständiges Verhalten an den Tag legten, führte das zu Irritationen und im Frühjahr 1957 zu kritischen Kommentaren über die Gratis-Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel oder aber auch über die "Faulheit" mancher Flüchtlinge.[12] Nach einer Gewöhnungsphase stellte sich jedoch wieder ein entspanntes Verhältnis zwischen Flüchtlingen und Einheimischen ein.[13]

Im kollektiven Gedächtnis der Österreicherinnen und Österreicher spielte das Verhalten in der "Ungarn-Krise" lange Zeit eine wichtige Rolle, weil es zur positiven Stilisierung eines humanitären Aufnahmelandes für Flüchtlinge am Rande des Westens beitrug.[14]

Literatur

  • Peter Eppel / Béla Rásky / Werner Michael Schwarz, Menekülés Bécsbe. Flucht nach Wien. Magyarország 1956 Ungarn 1956, Wien: Czernin Verlag 2006.
  • Ibolya Murber / Zoltán Fónagy [Hg.]: Die ungarische Revolution und Österreich 1956, Wien: Czernin Verlag 2006.
  • Peter Eppel, Wo viele helfen, ist viel geholfen – Ungarn-Hilfe 1956/57 in Österreich. In: Murber / Fónagy [Hg.], Revolution, 431-462.
  • Brigitte Zierer, Willkommene Ungarnflüchtlinge? In: Gernot Heiss / Oliver Rathkolb [Hg.]: Asylland wider Willen. Flüchtlinge in Österreich im europäischen Kontext seit 1914 (Veröffentlichungen des Ludwig-Boltzmann-Institutes für Geschichte und Gesellschaft 25), Wien: J&V Edition Wien 1995, S. 157-171.
  • Manfried Rauchensteiner, Spätherbst 1956. Die Neutralität auf dem Prüfstand, Wien: Österreichischer Bundesverlag 1981.
  • Andreas Weigl, Migration und Integration. Eine widersprüchliche Geschichte, Innsbruck-Wien-Bozen: StudienVerlag 2007.
  • Eduard Stanek, Verfolgt, verjagt, vertrieben. Flüchtlinge in Österreich, Wien / München / Zürich: Europaverlag 1985.
  • Hans Hoff / Hans Strotzka, Die psychohygienische Betreuung ungarischer Neuflüchtlinge in Österreich 1956-1958 in Verbindung mit einer Anleitung zum Verständnis und der Betreuung von Menschen in Extremsituationen, Wien 1959.

Einzelnachweise

  1. Manfried Rauchensteiner, Spätherbst 1956. Die Neutralität auf dem Prüfstand, Wien: Österreichischer Bundesverlag 1981, S. 22
  2. Ibolya Murber, Ungarnflüchtlinge in Österreich 1956. Grenzübertritt der Flüchtlinge. In: Ibolya Murber / Zoltán Fónagy [Hg.], Die ungarische Revolution und Österreich 1956, Wien: Czernin Verlag 1981, S. 335-385, 335
  3. Eduard Stanek, Verfolgt, verjagt, vertrieben. Flüchtlinge in Österreich, Wien / München / Zürich: Europaverlag 1985, S. 62
  4. Murber, Ungarnflüchtlinge, S. 337, 343, 351, 357
  5. Peter Eppel / Béla Rásky / Werner Michael Schwarz, Menekülés Bécsbe. Flucht nach Wien. Magyarország 1956 Ungarn 1956, Wien: Czernin Verlag 2006, S. 72
  6. Peter Eppel, Wo viele helfen, ist viel geholfen – Ungarn-Hilfe 1956/57 in Österreich. In: Murber / Fónagy [Hg.], Revolution, S. 431-462, 434, 449f.
  7. Eppel / Rásky / Schwarz, Flucht, S. 13
  8. Murber, Ungarnflüchtlinge, S. 348
  9. Stanek, Verfolgt, S. 219
  10. Murber, Ungarnflüchtlinge, S. 350
  11. Hans Hoff / Hans Strotzka, Die psychohygienische Betreuung ungarischer Neuflüchtlinge in Österreich 1956 bis 1958 in Verbindung mit einer Anleitung zum Verständnis und der Betreuung von Menschen in Extremsituationen, Wien 1959, S. 9
  12. Eppel, Ungarn-Hilfe, S. 440
  13. Eppel / Rásky / Schwarz, Flucht, S. 10
  14. Susanne Breuss / Karin Liebhart / Andreas Pribersky, Inszenierungen. Stichwörter zu Österreich, Wien: Sonderzahl 1995, S. 152-153