Adolf Loos und Wien, 3: In die Vorstadt!
Anlässlich der 150. Wiederkehr des Geburtstages von Adolf Loos wurden die vom Architekten abgehaltenen Stadtführungen von der Wienbibliothek im Rathaus in Zusammenarbeit mit Ralf Bock und dem Verein Architekturerbe im Sommer und Herbst 2022 auf Grundlage einer überlieferten Mitschrift rekonstruiert und wiederholt. Der dritte Teil basierte auf folgender Stadtführung von Loos:
Siehe auch: Adolf Loos und Wien, 1: Spuren einer barocken Avenue und Adolf Loos und Wien, 2: Wiener Barockpalais und Imperiales
Die Route führt von der Sirkecke über den Kärntner Ring durch die Canovagasse zum Karlsplatz, von dort in die Kreuzherrengasse, durch die Argentinierstraße bis zur Höhe Wohllebengasse, durch die Wohllebengasse zum Schwarzenbergplatz. Dem "Quellentext der historischen Stadtführungen von Adolf Loos" schließen sich jeweils inhaltliche Erläuterungen an.
1. Station: Sirkecke
Adolf Loos kritisiert in erster Linie die Ringstraße in städtebaulicher Hinsicht, erst in zweiter unterzieht er einzelne Gebäude einer Architekturkritik, wobei Architekten wie Gottfried Semper, Theophil Hansen oder Friedrich Schmidt sogar sehr gut abschneiden. Ein entscheidender Kritikpunkt ist Loos‘ Auffassung, dass erstens die Ringstraße mehr ein Hindernis denn eine Verbindung zwischen Stadt und Vorstadt sei und dass zweitens die städtebauliche Qualität unter den sehr radikal gezogenen Straßenachsen, die keine größeren Plätze zulassen und wenig überraschende Perspektiven zu bieten haben. Eine Ausnahme bietet in dieser Hinsicht das Akademiegebäude am Schillerplatz und seine Positionierung- worüber in der ersten Tour schon gesprochen wurde. Loos schließt hier eng an Grundsätze an, die der Architekt und Stadtplaner Camillo Sitte schon 1889 in seiner Schrift Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen vorgebracht hatte. Loos griff zu einem utopischen Vorhaben: Er wiederholte unter Mithilfe seines Schülers Paul Engelmann 1912 den Ringstraßenwettbewerb von 1859 und löste die Ringstraße in eine Reihe von architektonisch gefassten Plätzen auf.
"Von der Oper nach dem Kärntner Ring, das ist der schönste Teil der Ringstraße, hat den richtigen Ringstraßencharakter; keine Aufbauten, keine Risalite, gleichmäßige Fenster- und Achsenteilung, glattes Gesims, ordentliche Attika, weiterhin sieht man nichts von Rauchfängen etc., wenn man die nicht direkt sucht." (Adolf Loos, Stadtführung am 21. März 1914)
Einzelnen Abschnitten der Ringstraße konnte Loos demnach durchaus auch etwas Positives abgewinnen. Was Loos am Kärntner Ring gefiel, ist die Zurückhaltung der Architektur in diesem Bereich und der weitgehende Verzicht auf die Betonung einzelner Bauten durch vor- oder rückspringende Gebäudeteile (Risalite). Glatte Gesimse, hinter Attiken versteckte Dächer, flacher Gebäudeeindruck ergeben den Weltstadtcharakter. Die Gebäudereihe, die Loos hier lobend erwähnt, stammte aus der Frühzeit der Ringstraßenverbauung zwischen 1861 und 1870, die damals geltende zweite und dritte Wiener Bauordnung begünstigte den seriellen und streng wirkenden Gebäudecharakter, da Risalite und Aufbauten bis auf wenige Ausnahmen untersagt waren.
2. Station: Grand Hotel, Kärntner Ring, 9-13
"Der Zubau des Grandhotels zeigt Unterschiede, die im modernen Hotelleben ihren Grund haben. Früher hatten die Hotelzimmer zwei Fenster und die Fensterachsen standen dichter zusammen. Die modernen Zimmer haben nur ein Fenster, so sind die Achsen weiter auseinander. Die Fenster sind übrigens schlecht, die Beleuchtung muss darin eine Miserable sein; es hätten Fenster mit drei Scheiben sein müssen. Der Bau ist voller Fehler im Detail, die Triglyphen etc." (Adolf Loos, Stadtführung am 21. März 1914)
Loos beklagte den zwischen 1911–1913 von den Architekten Max Paschkis und Albert Paar geplanten Zubau zum Grand Hotel. Feinsinnig beobachtete er, wie eine Änderung des Hotellebens sich auch an der Fassadengestaltung bemerkbar machen muss, wenn man nicht von dem Vorhaben abgeht, ein Gebäude von außen nach innen, und nicht wie von Loos gefordert von innen nach außen zu entwickeln. Die damals modernen Zimmer hatten nicht zwei Fenster in nahe zusammenstehenden Achsen, wie Loos am bestehenden Hotelbau demonstrierte, der 1861 nach Plänen des Architekten Carl Tietz (1831–1874) errichtet worden war, sondern nur eines. Loos konstatierte, dass die Beleuchtung in den Zimmern schlecht sein müsse und die Lösung ein Dreifachfenster gewesen wäre, wie Loos sie selbst auch einsetzte (z.B. bei Goldman & Salatsch). Auch die Verwendung klassischer Profilelemente als bloß dekorative Versatzstücke wirkt an der Fassade unmotiviert. Loos nennt als Beispiel die Triglyphe, die wie an die Fassade geklebt scheinen. Auffällig sind auch die zahlreichen Balkone: Während das alte Grand Hotel nur in drei Zimmern, die im Mittelrisaliten übereinander situiert sind, über Balkone verfügt, weist der Zubau 17 Balkone auf, verteilt auf alle Geschoße ab dem Mezzanin. Dies, sowie ein zusätzlich eingezogenes Hochparterre ermöglichten eine größere preisliche Ausdifferenzierung der Zimmer und mehr Gewinnmöglichkeiten.
3. Station: Hotel Imperial, Kärntner Ring 16
"Das Hotel Imperial früher Palais des Herzogs von Württemberg hat darum noch die Württembergischen Wappentiere. Der Vorbau ist schäbig. Bei dieser Spannung hätten nicht Stein, sondern Eisensäulen hingehört.- Das oberste Stockwerk, das neu aufgesetzt wurde, ist gut gemacht." (Adolf Loos, Stadtführung am 21. März 1914)
Der strenghistoristische Bau des Hotel Imperial, errichtet zwischen 1862 und 1865 nach Plänen des Münchner Architekten Arnold Zenetti in Formen der Neorenaissance wurde als Palais des Herzogs Philipp von Württemberg errichtet, nachdem dieser die Tochter Erzherzog Albrechts geheiratet hatte. Loos' Deutung der Skulpturengruppe vor der Attika als Württembergisches Wappen ist jedoch falsch. Es handelt sich um ein selbständiges Kunstwerk, wahrscheinlich geschaffen von Franz Melnitzky, eine von Hirschen und Löwen, die ihrerseits württembergische Wappentiere waren, gezogene Kybele. Ein Hinweis von Adolf Loos ist besonders bemerkenswert: Loos wusste, dass im Zuge der Umwandlung in ein Hotel das Dachgeschoß unter der Ägide der Architekten Karl Kayser und Ludwig Tischler ausgebaut wurde, und zwar so gut, dass auch der Vergleich von Fotografien dies nur auf den zweiten Blick zeigt. Zudem kam im zweiten Obergeschoß ein Balkon hinzu, die Reliefs, die den Eingang des Palais flankierten, wurden nach oben versetzt. Die Löwen an den Gebäudekanten wurden durch Schalenaufsätze ergänzt. Die heutige Situation geht auf eine 1912 beantragte Aufstockung zurück, die jedoch erst 1928 tatsächlich ausgeführt wurde. Auch diese Aufstockung ist bemerkenswert: Das ehemalige auf Konsolen ruhende Hauptgesims wurde belassen, die Aufstockung ist an den Schmalseiten achsengetreu, an der Hauptfassade stehen jedoch die Fensterachsen des Zubaus enger als jene der vorhandenen Bausubstanz. Die Fassade wird durch Riesenpilaster und am Risalit durch Dreiviertelriesensäulen zusätzlich gegliedert. Die ehemals der Kuppel vorgelagerte Attikaplastik wurde in den neu errichteten Dreiecksgiebel eingefügt. Adolf Loos merkte noch die fehlerhafte Gestaltung eines heute nicht mehr erhaltenen Zubaus, wahrscheinlich des Café Imperials mit angebauter Terrasse entlang der Canovagasse, an. Die Bewertung der Materialauswahl nach dem Kriterium ihrer Verwendung war für Loos essentiell.
4. Station: Karlsplatz
Mit dem Karlsplatz betrat Loos ein in städtebaulicher Hinsicht bereits im frühen 20. Jahrhundert ungemein bewegtes und umstrittenes Gebiet. Als 1910 der Wiener Bürgermeister Dr. Karl Lueger verstarb, der ein Befürworter der Realisierung des Stadtmuseums auf dem Karlsplatz war, verfasste Loos einen sarkastischen Essay "Aufruf an die Wiener", in welchem er das Schicksal, welches der Karlskirche durch die mögliche Übersiedlung des Museumsprojektes auf die Schmelz drohte, vorwegnahm. Zwei Jahre später verfasste Loos mit seinem Schüler Paul Engelmann einen Generalregulierungsplan für die Innenstadt, in welchem als utopische Ausgangssituation der Stadtzustand von 1859 angenommen und gleichsam ein verspäteter Beitrag zum Wettbewerb der Wiener Ringstraße vorgelegt wurde. Darin nahm der Karlsplatz eine zentrale Rolle ein, da jedes Hindernis, das die aus der Zeit Karls VI. stammende quer durch die Innenstadt verlaufende Avenue mit Fluchtpunkt in der Karlskirche verstellte, schlicht aus dem Weg geräumt und der Glacisraum völlig neu organisiert wurde. In seinem Stadtregulierungsplan versetzte Loos die Oper, um die Sichtverbindung wieder freizulegen. Loos schwebte an der Stelle der Oper ein freier arrondierter Platz (der Kärntnertorplatz) vor, der vom Burgtheater und der Oper flankiert sein sollte. Die Mitte blieb als Sichtachse auf die Karlskirche frei.
"Die Uhrflügel an der Karlskirche sind neu. Die Umrahmung der Uhr besteht auf der einen Seite aus einem groben Eierstab und Flügeln. Loos schrieb damals einen sehr geharnischten Aufsatz dagegen. Da haben sie, statt des Eierstabes an der zweiten Uhr Blüten verwendet.- König ist ihnen dabei zu Hilfe gekommen.- Man muss nur die Feinheit der Kapitäle, des Blattwerkes einmal mit den Blüten und Flügeln, die gar nicht hingehören (Eisenbahnuhrtürme!) vergleichen.- Die Profilierungen, beim Durchgang rechts, waren von Fischer gewiss ganz richtig gezeichnet. Aber die Steinmetze halten sich nicht immer an die Zeichnungen des Architekten. Diese hier waren sicherlich die aus der Stephanskirche, also Gotiker und haben dadurch gotische Details hineingebracht. Sie konnten das klassische Profil nicht arbeiten." (Adolf Loos, Stadtführung am 21. März 1914)
Was Loos zur Karlskirche selbst sagt, ist bemerkenswert. Er verweist auf Details späterer Abänderungen, die selbst dem genauesten Beobachter ohne Anleitung wahrscheinlich entgangen wären. So klärte Loos über eine unterschiedliche Gestaltung der beiden Uhren über den Durchgängen auf. Er fühlte sich an das damalige Logo der Österreichischen Staatsbahnen (Geflügeltes Rad) erinnert und sprach in dem für ihn typischen Sarkasmus von Eisenbahnuhrtürmen. Korrekt sei ausschließlich die Eierstabumrandung des Ziffernblattes, ein antikes Motiv, wie im rechten Uhrturm, jedoch ohne Flügel. Der Blütenkranz im linken Uhrturm sei Loos zu Folge ebenso wie die Flügel eine Zutat von Carl König.
Loos' Architektursinn und Stilkenntnis täuschten ihn jedoch hier ein wenig, zumal er auch nicht in allen Details die tatsächlichen historischen Sachverhalte gekannt haben dürfte. Geht man die bildlichen Quellen zur Fassadengestaltung seit Fischer von Erlach durch, sieht man die Flügel mit den Blütenkränzen kommen und verschwinden. In den Stichen Salomon Kleiners aus dem Jahr 1724 weist die Uhr nur einen einfachen glatten Stuckrahmen auf, wie auch in der durch Fischer von Erlach selbst in Buchform publizierten Fassadenzeichnung erkennbar. In der Variante von 1737 jedoch setzte Kleiner bereits an beiden Uhrtürmen Flügel ein. Welche Detailgestaltung die Einfassung der Uhr hatte, ist nicht erkennbar. Eine kolorierte Lithographie von Karl Postl im Verlag von Artaria zeigt bereits Flügel und Blütenkränze, desgleichen die Wiener Ansichten von Carl Schütz, Johann Ziegler und Laurenz Janscha um dieselbe Zeit. Diesen Befund bestätigen auch frühe Fotografien von Anton Georg Martin (1848) , Ippolito Lafranchini (1850) sowie Andreas Groll (1860). In den Aufnahmen von Victor Angerer (1890) und August Stauda fehlen sowohl Flügel als auch Blütenkränze. Sie dürften bei früheren Renovierungsarbeiten entfernt worden sein.
1909 wurde die Fassade der Karlskirche einer Renovierung unterzogen, der von Loos kommentierte Zustand stammt somit aus dieser Renovierungsperiode. Der Architekt Friedrich Ohmann nahm während der Eingerüstung der Kirche die vorhandene Fassadengestaltung auf. In den entsprechenden Blättern Ohmanns ist auch auf dem rechten Uhrturm der Flügeldekor sowie ein Blütenkranz erkennbar. Da Loos 1914 an dieser Stelle einen Eierstab bemerkt, muss dieser im Rahmen der kurz zuvor abgeschlossenen Sanierung abweichend vom linken Uhrturm angebracht worden sein.
5. Station: Kreuzherrenhof, Kreuzherrengasse 1
"Das Haus in der Kreuzherrengasse hat Loos gebaut, als er bei Mayreder arbeitete. Damals wurde das Palais Lazansky, das an der Stelle stand, wo heute Cook ist, demoliert und dieses hier dem ganz genau nachgebaut d.h. die Breitendimensionen sind die gleichen, die Höhendimensionen waren anders, was hier Parterre ist, war dort Mezzanin. Die einzelnen Höhen sind verschieden gemacht.- Die Fugenteile sind zu tief; sie dürften höchstens 1 1/2 cm tief sein. Alle Naturteile sind schlecht und nicht von Loos, sondern vom jungen Mayreder." (Adolf Loos, Stadtführung am 21. März 1914)
Im Anschluss an die Karlskirche war nach Plänen von Karl Mayreder der Kreuzherrenhof, der als Pfarrhof zur Karlskirche und Ordenshaus der Kreuzherren mit dem roten Stern errichtet worden war. Loos teilte seine eigene biographische Beziehung zu diesem Bauwerk mit, welche in seine Zeit als Mitarbeiter in der Baukanzlei von Karl und Julius Mayreder fällt. Die aus dieser Zeit resultierende Bekanntschaft mit Familie Mayreder brachte Adolf Loos 1903 über Rosa Mayreder auch die Einrichtung der Clubräume des Wiener Frauenclubs im alten Trattnerhof ein.
Loos zufolge wurde das Bauwerk in seiner Gestaltung dem Palais Lazansky nachempfunden. Dieses spätbarocke Palais befand sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Stephansdom und wurde nach dem Tod des letzten Eigentümers Leopold Graf Lazansky durch Bürgermeister Johann Prix für den Bürgerspitalfonds erworben und 1895 durch die Gemeinde Wien abgetragen. Karl Mayreder kannte das Bauwerk gut, er selbst hatte die Abtragung in die Wege geleitet und als Leiter des Stadtregulierungsbüros im Stadtbauamt den Baulinienplan ausgearbeitet. Ziel der Abtragung war die Erlangung einer freien Sichtachse auf den Stephansturm.
Als strenge Kopie, wie die Schilderung von Adolf Loos nahelegt, kann der Kreuzherrenhof freilich nicht gelten. Lediglich der Mittelrisalit an der Kreuzherrengasse weist gestalterische Motive des Lazanskyhauses auf. Portal und Fenstergestaltung halten sich genau an das Vorbild, die Seitenrisalite und die Dachgestaltung sind jedoch eigenständige Lösungen. Die Attikafiguren des Palais Lazansky wurden nach der Demolierung des Gebäudes im Esterházypark aufgestellt.
6. Station: Wittgensteinpalais, Argentinierstraße 16
"Alleegasse 16, Palais Wittgenstein eines der sympathischesten Wiener Palais." (Adolf Loos, Stadtführung am 21. März 1914)
Das nach Plänen des Architekten Friedrich Schachner (1841–1907) in Neorenaissanceformen errichtete Palais stufte Loos als "das sympathischeste Wiener Palais" ein. Die Gründe dafür dürften am ehesten in der großen Strenge und Klarheit des Baues gelegen sein, den keine Aufbauten oder vorspringenden Risalite entlang der Straßenflucht akzentuieren, sondern diesen dezent in die Reihe der anderen Gebäude stellt, was Loos bereits bei den frühhistoristischen Bauten am Kärntner Ring gelobt hatte. Denkbar ist auch, dass Loos das Palais auch deshalb lobend erwähnt, da er sich zu dieser Zeit um Kontakt zur wohlhabenden Industriellenfamilie Wittgenstein bemühte. Tatsächlich wurde Loos wenige Wochen nach der Führung, am 27. Juli 1914 über Vermittlung durch Ludwig von Ficker Ludwig Wittgenstein persönlich vorgestellt. Ficker war Ludwig Wittgenstein bei der Suche nach unterstützungswürdigen Künstlern behilflich und mit dem Kreis um Adolf Loos vertraut. Das Bauwerk wurde 1938 durch das NS-Regime der Familie Wittgenstein entzogen. Nach Kriegsende ging das Palais an Hermine Wittgenstein, von welcher es die Länderbank erwarb, um auf der Parzelle ein Miethaus zu errichten.
7. Station: Falkensteinpalais, Argentinierstraße 14
"14 ist schrecklich." (Adolf Loos, Stadtführung am 21. März 1914)
Die völlige Ablehnung des Bauwerks mit der lakonischen Bemerkung "ist schrecklich" ist heute schwer zu deuten. Der klare Aufbau, die Natursteinfassade sowie die Säulenordnung sind Elemente, die Loos an anderen Gebäuden dieser Epoche durchaus schätzt. In Zusammenhang mit seinem eigenen Haus auf dem Michaelerplatz fällt die Bemerkung, dass die Gestaltung eines Bauwerkes vom Platz abhänge, an welchem es errichtet werde. Bauplätze können von den Projekten eine Einordnung bzw. sogar eine Unterordnung verlangen.
In dieser Hinsicht fällt das Falkensteinpalais Palais Falkenstein-Vrints mit seinem wuchtigen Dachaufbau und den Kolonnaden aus der Reihe. Obwohl Loos sicher erkannte, dass dieses Bauwerk für eine Perspektive aus der gegenüberliegenden Schwindgasse geplant war und damit ähnliche architektonische Kriterien aufwies, wie ein heute nur mehr teilweise erhaltenes Gebäudeensemble (Argentinierstraße 20a) vis-á-vis der einmündenden Wohllebengasse, mochte Loos dieses Herausfallen aus der Gebäudefront arg missfallen haben.
8. Station: Argentinierstraße 18
"18. Altes Haus, von Fabiani ziemlich gut restauriert, schon damals aber mit einem Ansatz von Heimatkunst." (Adolf Loos, Stadtführung am 21. März 1914)
Es handelt sich bei diesem Bauwerk um ein spätklassizistisches Wohnhaus, das 1831 für den Bauherrn Christoph Senger errichtet wurde. Auf den ersten Blick scheint es sich, abgesehen vom 1890 errichteten Geschäftsportal, das für die im Haus situierte Bäckerei bzw. Konditorei eingebaut wurde, um ein im ursprünglichen Zustand überliefertes Bauwerk zu handeln.
Adolf Loos referierte jedoch eine maßgebliche Veränderung, die der entsprechende Bauakt auch bestätigt: Er bringt seinen Berufskollegen Max Fabiani (1865–1962) ins Spiel, der das Gebäude "mit einem Ansatz von Heimatkunst" renovierte. In der Hauseinlage befindet sich tatsächlich ein "Plan für die Aufmauerung eines Giebels an der Gassenfaçade ", gestempelt mit "Architekt Prof. Dr. M. Fabiani" aus dem Jahr 1904, der Loos vollinhaltlich bestätigt. Der Fassadenaufriss zeigt, dass der gesamten Dachzone über dem Hauptgesims ein geschwungener Giebel vorgesetzt wurde, den ein dreieckiger Giebelaufsatz mit Vase abschließt. Den gesamten Aufbau flankieren zwei ebenfalls neue Dachvasen. Dieser Plan liefert jedoch noch etwas in einer anderen Hinsicht Bemerkenswertes: Die Stampiglie des Architekten Max Fabiani lautet weiter "Wien IV. Alleegasse 18". Laut historischem Meldearchiv wohnte Fabiani zwischen 1899 und 1906 in diesem Haus (Die Umbenennung der Alleegasse in Argentinierstraße erfolgte erst 1921) und wurde offenkundig von den Eigentümern zu Umbauarbeiten Ihres Objektes herangezogen.
Welche Quelle Adolf Loos für diesen Hinweis zum Objekt Argentinierstraße 18 zur Verfügung hatte, muss auch hier einmal mehr offenbleiben. Denkbar ist jedoch, dass das Wissen über persönlichen Kontakt zu Fabiani weitergegeben wurde. Max Fabiani ist für den Werdegang von Adolf Loos von besonderer Bedeutung: 1898 beteiligte sich Adolf Loos an einem Aufsatzwettbewerb, den die Architekturzeitschrift "Der Architekt" ausgeschrieben hatte mit dem Thema: "Die alte und die neue Richtung in der Baukunst unter besonderer Berücksichtigung der Wiener Kunstverhältnisse". Fabiani fungierte als Juror und erkannte Loos den zweiten Preis zu. Viel wichtiger als das war jedoch der Umstand, dass Fabiani daraufhin Loos einen bedeutenden Auftrag aus seiner frühen Schaffensperiode vermittelte: die Gestaltung des Café Museum. Das Verhältnis zwischen den beiden Männern war amikal und Loos respektierte Fabiani, sodass er schließlich seine eigenen Schüler zu Fabianis Werken führte, "um zu zeigen, wie mit dem Alten umgegangen werden müsse." Für Loos ist signifikant, dass er dieses Haus nicht übergeht, da es für eine Bautradition vor dem Historismus steht, an die er selbst anknüpfen möchte. Zudem sind diese Gebäude bereits zu Loos Zeit rar geworden und durch gründerzeitliche Neubauten ersetzt worden. Diffus ist der Hinweis auf einen "Ansatz von Heimatkunst", welchen Fabiani durch seinen Eingriff eingebracht hätte. Loos befasste sich zwei Jahre vor dieser Stadtführung intensiv mit dem Thema der "Heimatkunst". Ein Vortrag unter diesem Titel ist für den 20. November 1912 im Saal des Österreichischen Ingenieur- und Architektenverein belegt. Darin ging es um die Auseinandersetzung mit der Frage des Heimatstils bzw. der Heimatschutzarchitektur und darum, ob es berechtigt sei, architektonische Elemente, die zu Loos‘ Zeit von traditionellen Bauten auf dem flachen Land bekannt waren, wie beispielsweise der Einsatz von viel sichtbar verbautem Holz, unverputztem Bruchsteinmauerwerk oder Anklänge an Fachwerkarchitektur, in eine Großstadt wie Wien zu verpflanzen. Besonders kritisierte Loos in diesem Vortrag die künstliche Rückwärtsgewandtheit der Architekten, die sich den Möglichkeiten, die technischer Fortschritt erlaubte, verschließen und an "der reproduktion der alten stile" laborieren. Das Resultat, welches Loos an den jüngeren Bauten am Stubenring besonders intensiv auszumachen glaubte, wurde von ihm mit dem berühmt gewordenen Wort "fünfstöckiges Mährisch-Ostrau" bedacht. Adolf Loos warnte mit Nachdruck davor, sich aus falsch verstandenem Traditionalismus den Neuerungen, konkret neuen, auch fremdartigen Baumaterialien (Beton, Kunststein, Eisen, Glas) oder neuen Konstruktionsmöglichkeiten (flaches Dach) zu verschließen. Stattdessen forderte er im Sinne der alten Traditionen zu bauen, die den Fortschritt nicht ablehnten sondern sich mit ihm fortentwickelten.
Denkbar, dass sich seine Kritik auf die Einfügung eines 1907 anachronistischen Giebelwerks durch Fabiani bezieht. Dass Loos letztlich jedoch durchaus die Berechtigung dieses Eingriffes im Stile der Bauzeit dieses Hauses erkennt, lässt sein Gesamturteil erkennen: "Von Fabiani ziemlich gut restauriert." Der Wert von Loos' Äußerung hat jedoch noch eine ganz andere Dimension. Diese Nachricht fügt dem bisherigen Werkverzeichnis Fabianis ein gänzlich unbekanntes Opus hinzu.
9. Station: Wohllebengasse 17
"Wohllebengasse 17. Das hübscheste 'Königs'haus." (Adolf Loos, Stadtführung am 21. März 1914) Die Bewertung des 1896 nach Plänen von Carl König errichteten Wohnhauses ist durchaus doppelsinnig aufzufassen. Wenn Loos so zu interpretieren ist, dass dieses an sich unbedeutende Gebäude das hübscheste sei, was König zu Wege gebracht habe, so steht das Urteil angesichts des gesamten Schaffens von Karl König ganz klar in der Reihe der Schelten, mit welchen Loos seinen Berufskollegen bedachte. Was Loos an diesem Bauwerk als "hübsch" bezeichnet, ist am ehesten dessen für die sonstigen Verhältnisse des neobarocken Architekten König geradezu auffallende Schlichtheit: Die insgesamt fünfachsig gegliederte Fassade wird von zwei schmalen und leicht vorspringenden Risaliten begrenzt. Als hauptsächliches Dekor des Mittelteils dienen neben einem genuteten Sockel in Superposition eingefügte Halbsäulen und mit Balustern versehene Parapete im ersten Stockwerk.
Im Nachbarhaus, Wohllebengasse 19 / Argentinierstraße 17, das 1895 nach Plänen von Ferdinand Seif errichtet wurde, befand sich eine von Adolf Loos für Gustav und Marie Turnowsky eingerichtete Wohnung. Loos dürfte laut Mitschrift nicht darauf eingegangen sein, er hatte das Interieur bereits 1907 während seiner "Wohnungswanderungen" vorgestellt.
10. Station: Wohllebengasse 3-5
"5. Der genialste Architekt, den Wien hatte, baute dieses Zinshaus dem Grafen Palffy; mit 26 Jahren baute er das Landhaus in Brünn. Nach dem Bau dieses Hauses Nr. 5 ist er vollständig verschollen; er war Alkoholiker, ist im Irrenhaus oder Armenhaus verstorben. Der Bau hat einen kolossalen Zug. Wunderschön das Stiegenhaus-Stufenhöhe! Loos wohnte im Jahre 1898 dort." (Adolf Loos, Stadtführung am 21. März 1914)
Das Gebäude wurde 1880 als Zinshaus für Johann Graf Palffy-Erdöd erbaut, 1923 ging es in den Besitz von Graf Géza Andrássy über. Architekt war der in 1847 in Bukarest geborene Robert Raschka, ein Schüler von Gottfried Semper und Friedrich Schmidt. Sein Hauptwerk ist das Gebäude des Mährischen Landtages in Brünn, das er gemeinsam mit Anton Hefft 1870 errichtet hatte und an dessen künstlerischer Ausstattung Adolf Loos Senior als Bildhauer beteiligt gewesen war. Loos schildert das Bauwerk als "kolossal": Der imposante Charakter wird durch die blockweise Verbauung zweier Parzellen mit einem langgestreckten und sehr klar strukturierten Gebäude bewirkt. Den Mittelteil flankieren zwei nur sehr mäßig vorspringende Seitenrisalite, deren asymmetrische Gestaltung sich erst mit dem zweiten Blick erschließt: Der linke Risalit umfasst drei Achsen, der rechte dagegen nur eine, wobei die Fenster der Risalite gestalterisch an den Mittelteil angeglichen sind. Über zweigeschoßigem rustiziertem Sockel erheben sich drei glatt verputzte Obergeschoße mit segmentgiebeliger, dreiecksgiebeliger bzw. gerader Verdachung.
Die Mitschrift gibt an, dass Loos 1898 in diesem Haus gewohnt hatte, weshalb er auch ein Detail aus dem Inneren kannte und darüber berichtete. Die Stiegen sind mit einer ungewöhnlich flachen Steigung angelegt. Dies bewirkt einen besonders hohen Raumeindruck des Bereiches zwischen den Treppenläufen. Zusammen mit der verhältnismäßig großen Auftrittsbreite vermittelt die Stiegenanlage eher das Gefühl einer Rampe denn einer Treppe. Auf die Besonderheit der Stiege wurde sogar noch vor Ausführung des Baus in einer vom Bauherrn geschalteten Projektanzeige in der Neuen Freien Presse hingewiesen. Loos erzählt über den Architekten, dass er entweder als Alkoholiker oder Geisteskranker irgendwo verschollen sei. Heute wissen wir etwas mehr über ihn. Robert Raschka hatte sich an mehreren Wettbewerben beteiligt, unter anderem an jenem zur Erlangung eines Planes für die Anlage des Wiener Zentralfriedhofes oder am Projekt Börse für landwirtschaftliche Produkte in der Taborstraße. Auch beteiligte er sich 1901 mit einem Beitrag am Wettbewerb zur Erlangung von Plänen für das Kaiser Franz Josef-Museum der Stadt Wien.
Robert Raschka war neben seiner architektonischen Arbeit auch als Architekturmaler tätig. Sein bekanntestes Werk ist eine Darstellung der Eröffnung des Kunsthistorischen Museums, die vielfach nachgedruckt wurde. Ob Raschka getrunken hat und er, wie Loos behauptet, im Irren- oder im Armenhaus gelandet sei, ist nicht bekannt. Finanzielle Probleme dürfte er gehabt haben, da er kurz vor seinem Tode noch vom Künstlerhausverein finanziell unterstützt wurde. Sein letzter Wohnsitz in Wien war Leegasse 7, die damals zu Hietzing gehörte. Das Gebäude Wohllebengasse 5 war der Wohnsitz der Architekten August Kirstein und Alfred Keller. Kirstein war wie Raschka ein Schüler von Friedrich Schmidt.
11. Station: Französische Botschaft, Schwarzenbergplatz 12
"Die französische Botschaft eine schauderhafte Verquickung von Gotik und Rokoko. Dabei sieht man schon von Weitem, dass das Haus verputzt ist, statt in Stein, wie es sicherlich in Frankreich geplant war. Das Gitterwerk! Dafür aber ist es horrend teuer. Die französische Botschaft eine schauderhafte Verquickung von Gotik und Rokoko. Dabei sieht man schon von Weitem, dass das Haus verputzt ist, statt in Stein, wie es sicherlich in Frankreich geplant war. Das Gitterwerk! Dafür aber ist es horrend teuer." (Adolf Loos, Stadtführung am 21. März 1914)
Den letzten Haltepunkt auf der von Adolf Loos geleiteten Stadtexkursion bildete das Gebäude der Französischen Botschaft am Schwarzenbergplatz. Die harsche Kritik am Palais des französischen Konsulates belegt, dass sich Loos nicht von persönlichen Sympathien für ein Land zu Lob hinreißen ließ, wo es aus seiner Sicht nicht angemessen war. Etwas umständlich notierte der unbekannte Teilnehmer, was heute unter der Bezeichnung "Art Nouveau" auf einen Begriff gebracht werden könnte: Während Loos die aus seiner Sicht eigenwilligen Formen auf einen Hybridstil aus Gotik und Rokoko festlegt, war es die Intention des Architekten Georges Chedanne (1861–1914), mit dem Jugendstil ein architektonisch verbindendes Element zwischen Frankreich und Wien zu finden, da dieser Stil zur Bauzeit der Botschaft sowohl in Paris als auch in Wien bereits bedeutende Bauwerke hervorgebracht hatte.
Loos war mit seinem Missfallen gegenüber dem neuen Palais keinesfalls die Ausnahme, es gab seit der Fertigstellung des Baues eine nicht enden wollende Häme, die auch in Frankreich selbst wurzelte, wie eine Nachricht des Figaro zeigt: "Statt, wo Bedarf war- ein schönes Palais käuflich zu erwerben und darin unsere Botschaft unterzubringen, hat man es vorgezogen, ein ganz Neues zu errichten, das den doppelten Vorzug aufzuweisen hat, sündhaft teuer und schrecklich hässlich zu sein. […] Über das grauenhafte Gebäude der französischen Botschaft in Wien sind sich alle, die es jemals gesehen haben, einig. Häßlichkeit und schlechter Geschmack haben gesiegt."
Loos weist auf das "horrend" teure Gitterwerk hin, das vor dem Balkon auf Höhe der Beletage angebracht ist. Bemerkenswerterweise gibt es unterschiedliche Angaben über die Herkunft dieser Schmiedeeisenarbeit: Manche Quellen gehen von einer Herstellung in der École de Nancy nach Entwürfen von Louis Majorelle aus, wobei sich der Preis ohne Transport und Montage auf den stattlichen Betrag von 5000,-- Francs belaufen habe, andere Quellen sehen Alexander Nehr als Urheber, der nach den Majorelles Plänen in Wien gearbeitet haben soll. Die Verwendung typischer ornamentaler Elemente der École de Nancy sprechen eher für eine Herstellung in Frankreich.
Karte
Quelle
- Mitschrift zu Stadtführungen im Rahmen der Bauschule Adolf Loos. Wien, 1913-1914 / WBR, HS, ZPH 1442, schriftlicher Teilnachlass Adolf Loos, 1.4.20, Blatt 20-23
Literatur
- Paula Cenková, Adolf Loos Senior, Brno Sculptor and Stonemason. In: Jindřich Chatrný, Dagmar Černouskova, Jana Kořinkova (Eds.), Adolf Loos, European. His Legacy in Brno and Beyond. Brno: City Museum 2020, p. 329 f.
- Harald Stühlinger: Adolf Loos als Führer zu Architektur und Städtebau. In: Adolf Loos. Schriften, Briefe, Dokumente aus der Wienbibliothek im Rathaus. Hg. von Markus Kristan, Sylvia Mattl-Wurm und Gerhard Murauer. Wien: Metroverlag 2018, S. 223 f.
- Bundesdenkmalamt [Hg.]: Dehio-Handbuch. Die Kunstdenkmäler Österreichs. Wien I. Bezirk - Innere Stadt. Horn/Wien: Berger 2007, (nach Reihung der Bauten), S. 360, 380
- Bundesdenkmalamt [Hg.]: Dehio-Handbuch. Die Kunstdenkmäler Österreichs. Wien II.-IX. und XX. Bezirk. Horn/Wien: Anton Schrol& Co. 1993, (nach Reihung der Bauten), S. 143, 147, 155 f., 167, 154 f.
- Edgard Haider, Verlorenes Wien. Adelspaläste vergangener Tage. Wien: Böhlau 1984, 158
- Burkhardt Rukschcio / Roland Schachel: Adolf Loos. Leben und Werk. Salzburg: Residenz Verlag 1982, S. 187 ff.