48° 12' 30.29" N, 16° 21' 58.38" E zur Karte im Wien Kulturgut
Café Griensteidl (1., Herrengasse 1-3, Schauflergasse 2)
Der Apotheker Heinrich Griensteidl, der auch über eine Kaffeesiederkonzession verfügte, begründete 1844 eine kleine Kaffeeschenke im ersten Stock eines Hauses auf der Biberbastei. Eine eigene Apotheke besaß Griensteidl in Wien aber niemals. Im September 1847 verlegte Griensteidl das Kaffeehaus in die Parterrelokalitäten des Dietrichsteinpalais, Herrengasse Ecke Schauflergasse, und verwendete seine Ersparnisse für eine luxuriöse Ausgestaltung des Lokals. An dieser Stelle sollte das Lokal für 50 Jahre Bestand haben. War der Zeitschriftenbestand im frühen 19. Jahrhundert beträchtlich zurückgegangen, galt es ab den späten 1840er Jahren durchaus als positiv erachtetes Kriterium, wenn ein Kaffeehaus so viele Zeitungen als möglich anbieten konnte. Das Griensteidl wartete mit einem freundlichen Lesezimmer und zahlreichen Zeitungen auf.
Künstlertreffpunkt
Während der Revolution 1848, die in der Herrengasse vor dem Landhaus ihren Ausgang nahm, erhielt das Lokal vorübergehend den Titel "National-Café". Während der Zeit des Bürgerministeriums trafen sich im Café Griensteidl die Arbeiterführer Andreas Scheu und Heinrich Oberwinder. Das Kaffeehaus war zugleich schon bald nach der Gründung zum Stammcafé junger Literaten, Schauspieler (es lag unweit des alten Burgtheaters) und Künstler avanciert. Aber auch andere Persönlichkeiten wie Beust, Costa, Grasberger, Laube, Lustkandl, Masaidek, Reschauer, Schönerer, Camillo Sitte, Steinwender und Waldstein zählten zu den Stammgästen. Auch große Vertreter der Wiener Moderne unter Hermann Bahr fanden sich später im Griensteidl ein, wodurch das Kaffeehaus den Spitznamen "Café Größenwahn" erhielt.
Aufstieg zum bedeutendsten Literaturkaffeehaus Wiens
Mit Hilfe eines tüchtigen Geschäftsführers war es Griensteidl gelungen, dem nach dem Tod Neuners (1846) im Niedergang befindlichen Silbernen Kaffeehauses in der Plankengasse den Rang abzulaufen, wenngleich ein Teil des dortigen Publikums in das Café Bogner im Fähnrichhof abwanderte. Griensteidls Lokal wurde nicht nur eines der bekanntesten, sondern auch eines der meistbesuchten und elegantesten seiner Art in Wien. Um 1856 wird die Anzahl von Zeitungen in allen Sprachen gerühmt, wodurch Politiker und Belletristen angezogen wurden und das Café als "Literaturkaffeehaus" bezeichnet wurde. 1858 ließ Griensteidl sein Kaffeehaus ganz neu herrichten. Der Eingangssaal wurde besonders aufwändig renoviert. Die Wände simulierten weißen Marmor und goldene Verzierungen und glänzende Beleuchtung wurden angebracht. Das restliche Kaffeehaus aber war sehr düster, da es aus fast einem Dutzend kleinen und verwinkelten Zimmern bestand.
Schließung wegen Abbruch des Herbersteinpalais
Im letzten Jahrzehnt seines Bestehens erlangte das Café Griensteidl literarische Bedeutung durch den älteren Schriftstellerkreis der "Iduna" und als Treffpunkt der Angehörigen des Kreises "Jung-Wien" (Peter Altenberg, Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal, Karl Kraus, Felix Salten, Arthur Schnitzler). In der Nacht vom 20. auf den 21. Jänner 1897 wurde das Kaffeehaus geschlossen und bald darauf das Herbersteinpalais demoliert. Der Kammerhandel war aber schon 1881 unter der letzten Besitzerin Susanne Griensteidl gelöscht worden. Die Schließung inspirierte den Schriftsteller Karl Kraus zu seiner ersten großen Satire: "Die demolirte Litteratur" von 1897. Die Literaten wanderten größtenteils ins Café Central ab, andere fanden im Café Herrenhof und im Café Museum eine neue Heimstätte.
Im Februar 1990 wurde im Nachfolgegebäude ein neues "Café Griensteidl" eröffnet. Es wurde 2017 geschlossen. 2020 eröffnete in den Räumen des ehemaligen Kaffeehauses eine große Supermarktkette eine Filiale.
Literatur
- Alt-Wien. Monatsschrift für Wiener Art und Sprache 5 (1896), S. 203 ff.
- Hermann Bahr: Selbstbildnis. 1922
- Bartel F. Sinhuber: Zu Gast im alten Wien. 1989, S. 91 ff.
- Gustav Gugitz: Das Wiener Kaffeehaus. Ein Stück Kultur- und Lokalgeschichte. Wien: Dt. Verlag für Jugend und Volk 1940, S. 189
- Gustav Gugitz: Bibliographie zur Geschichte und Stadtkunde von Wien. Hg. vom Verein für Landeskunde von Niederösterreich und Wien. Band 3: Allgemeine und besondere Topographie von Wien. Wien: Jugend & Volk 1956, S. 346 (Griensteidl), S. 357 (Herbersteinpalais)
- „Jung-Wien": das Cafe Griensteidl und „Die demolirte Litteratur". In: Katalog zur Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien 66, S. 90 ff.; 93, S. 303 f.
- Karl Kraus: Die demolirte Litteratur. 1897
- Thomas Martinek: Kaffeehäuser in Wien. 1990, S. 42 ff.
- Neues Wiener Tagblatt, 19./21.01.1897 (Demolierung)
- Adolf Scherpe: Die Entwicklung des Wiener Kaffeehauses. Eine lokalhistorische Studie. Wien: Verlag des illustrierten unabhängigen Tagblattes "Die Neue Zeitung" 1919, S. 23
- Weigel-Brandstätter-Schweiger: Das Wiener Kaffeehaus. 1978, S. 56 ff.
- Das Wiener Kaffeehaus. Von den Anfängen bis zur Zwischenkriegszeit (Katalog zur 66. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien), Wien: Eigenverlag der Museen der Stadt Wien 1980, S. 16, 36 und 90-94
- Café Griensteidl ist jetzt ein Kaufhaus. orf.at, 21.08.2020