Alfred Julius Becher
Alfred Julius Becher, * 27. April 1803 Manchester, Großbritannien, † 23. November 1848 Wien (standrechtlich erschossen; Währinger Allgemeiner Friedhof), Politiker, Komponist, Musikkritiker, Sohn deutscher Eltern aus Hanau (Vater: Carl Christian Becher, Begründer der Reinisch-Westfälischen Handelskompagnie; Mutter: Sophie Margarete von Binzer, aus dänisch-holsteinischer Offiziersfamilie).
Biografie
Ausbildung und Berufsleben in Deutschland, den Niederlanden und London
Alfred erhielt bei Verwandten in Deutschland eine humanistische, speziell musikalische Ausbildung. Er studierte Jus (Dr. jur.) in Heidelberg, Leiden und Berlin, wo er wegen seiner Mitgliedschaft in einer Burschenschaft in Untersuchungshaft geriet, aber freigesprochen wurde. Nach dem Studium betätigte er sich als Advokat in Elberfeld und Düsseldorf, in letzterer Stadt pflegte er Bekanntschaften mit Felix Mendelssohn Bartholdy, Karl Immermann, Friedrich von Uechtritz und Christian Dietrich Grabbe. Die Aufgabe seiner Anwaltskanzlei infolge seines wenig ausgeprägten Interesses an seinem Beruf führte ihn nach Köln, wo er die Leitung der von seinem Vater gegründete Zeitung Allgemeines Organ für Handel und Gewerbe übernahm, die infolge des Niedergangs von seinem Onkel August Daniel von Binzer geleitet wurde. Alfred tauchte ein in das Musikleben Kölns und schrieb Musikkritiken in der Kölnischen Zeitung sowie auch Berichte in Robert Schumanns Blatt Neue Zeitschrift für Musik.
1837 nahm er eine Professur für Musikwissenschaften (Theorie, Ästhetik und Deutsch) an der Königlichen Musikschule in Den Haag beziehungsweise 1840 in London (Königliche Musikakademie) an. Anlässlich eines Verlagsprozesses gegen einen englischen Lord kam der frühere Advokat nach Wien, wo er dauerhaft seinen Wohnsitz einrichtete und den Prozess sowie die Anstellung in London aufgab.
Bechers Wirken in Wien
Alfred betätigte sich wieder als Musikkritiker in der Wiener Allgemeinen Musik-Zeitung sowie den Sonntagsblättern (geleitet von Ludwig August Frankl), ferner wirkte er dank seiner musikpädagogischen und sprachlichen Kenntnisse als Klavier-, Musik- und Sprachlehrer in der hohen Wiener Gesellschaft. Er pflegte Umgang mit Berthold Auerbach, Moritz Hartmann, August Schmidt, Friedrich Uhl, Nikolaus Lenau, Ernst von Feuchtersleben, Adolf Fischhof, Karl Tausenau, Josef Franz Danhauser, Eduard von Bauernfeld, Franz Grillparzer, Ignaz Franz Castelli, Johann Vesque von Püttlingen, Karl Ritter von Kleyle, Gustav Nottebohm, Karl von Reichenbach, Ludwig August Frankl sowie mit Karoline Perin-Gradenstein, mit der er eine Liebesbeziehung pflegte.
Becher und die Revolution 1848
Er begann sich in der Revolution von 1848 politisch als einer der führenden Köpfe zu engagieren und musste seine Mitarbeit an der Wiener Allgemeinen Musik-Zeitung und den Sonntagsblättern aufgeben, weil er durch seine Kritiken in Konflikt mit der Zensur und der Polizei unter Polizeiminister Josef Sedlnitzky von Choltic geriet. Mit Unterstützung seiner Geliebten Karoline Perin-Gradenstein gründete er als Chefredakteur das täglich erscheinende Blatt "Der Radikale", zu den Mitarbeitern zählten Andreas von Stifft (III.), Karl Tausenau und Hermann Jellinek. Ferner war er Obmann des Demokraten-Klubs und des Zentralkomitees der demokratischen Vereine. Becher geriet durch seine politischen Ansichten und die Parteinahme für Lajos Kossuth ins Visier des Fürsten Alfred I. zu Windisch-Graetz. Nach der Einnahme Wiens durch die Truppen des Fürsten Windisch-Graetz (31. Oktober 1848) wurde er am 13. November verhaftet, am 20. November gemeinsam mit Jellinek verurteilt und am 23. November im Stadtgraben beim Neutor kriegsrechtlich hingerichtet.
Er wurde gemeinsam mit Hermann Jellinek, Robert Blum, Cäsar Wenzel Messenhauser am Währinger Allgemeinen Friedhof begraben, wo nach dessen Auflassung von der Gemeinde Wien ein Gedenkstein errichtet wurde.
Quellen
Literatur
- Allgemeine Deutsche Biographie. Hg. von der Historischen Commission bei der königlichen Akademie der Wissenschaften. 56 Bände. Leipzig: Duncker & Humblot 1875-1912
- Salomon Wininger: Große jüdische National-Biographie mit mehr als 8000 Lebensbeschreibungen namhafter jüdischer Männer und Frauen aller Zeiten und Länder. Ein Nachschlagewerk für das jüdische Volk und dessen Freunde. Czernowitz: 1925, S. 266.
- Österreichisches biographisches Lexikon 1815–1950. Hg. von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften / Wien/Graz: Böhlau 1954-lfd.
- Hugo Riemann: Riemann Musiklexikon. In drei Bänden. Personenteil A-K. Mainz: Schott 1959 und Ergänzungsband
- Constantin von Wurzbach: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich. Enthaltend die Lebensskizzen der denkwürdigen Personen, welche 1750 bis 1850 im Kaiserstaate und in seinen Kronländern gelebt haben. Band 1: A - Blumenthal. Wien: Verlag der typografisch-literarisch-artistischen Anstalt 1856
- Ludwig Brügel: Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie. Band 1. Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlung 1922, Anhang (Prozeßakten)
- Aus Bechers letzten Tagen. In: Die Zeit 16 (1898)
- Egon Komorczynski: Ein Wiener Musikkritiker des Vormärz. In: Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft 2 (1956), S. 123 ff.
- Ulrich Konrad, Walther von Goethes Nachruf auf Alfred Julius Becher. Ein unbeachtetes Zeugnis zur Wiener Musikgeschichte, in: Festschrift für Gernot Gruber zum 65. Geburtstag, hrsg. von Joachim Brügge, Tutzing: Schneider 2004
- Hermann Ullrich: Alfred Julius Becher und sein Wiener Kreis: In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 23/25. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1967/1969, S. 293 ff.
- Hermann Ullrich: Alfred Julius Becher als Wiener Musikkritiker. In: Österreichische Musikzeitschrift (ÖMZ) 27 (1972), S. 596 ff.
- Rathaus-Korrespondenz. Wien: Presse- und Informationsdienst, 17.11.1973
- Gabriella Hauch, "Wir hätten ja gern die ganze Welt beglückt". Politik und Geschlecht im demokratischen Milieu 1848/49. In: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 9, H. 4. Wien: Döcker 1998, 471–495.
Alfred Julius Becher im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.