Klavier
Kein Musikinstrument hat in oder von einer Stadt eine so wirkungsvolle künstlerische Ausstrahlung bewirkt wie das Klavier in Wien.
Schon Mozart sprach am 2. Juni 1781 in einem in Wien geschriebenen Brief an seinen Vater in Salzburg, in Wien sei "doch gewiß das Clavierland". Damals begann die hohe Zeit des sogenannten "Hammerklaviers", das sich wenige Jahrzehnte vorher gegen seine Vorgänger, das Cembalo, das Clavicord, das Spinett und andere, durchgesetzt hatte: aufbauend auf den Vervollkommnungen der Mechanik des Instruments durch Gottfried Silbermann (1683-1753) in Sachsen und Johann Andreas Stein (1728-1792) in Augsburg. Diese Instrumente beruhten auf der sogenannten "Wiener Mechanik" („Deutsche Mechanik"), durch die das Klavier in Österreich und Deutschland zum eigentlichen Soloinstrument gemacht wurde. Mozart lernte die Klaviere Steins auf seiner Pariser Reise im Oktober 1777 in Augsburg kennen und schätzen. Stein wurde dann zum "Stammvater" der Stein-Streicher-Dynastie der Klavierbauer, die in Wien größte Bedeutung erlangte. Steins Tochter Nanette (* 1769 Augsburg, † 16. Jänner 1833 Wien St. Marxer Friedhof) heiratete in Wien den Tonkünstler Johann Andreas Streicher (1761-1833) aus Stuttgart. 1794 übersiedelte das Ehepaar nach Wien und begründete eine Klavierfabrik auf der Landstraße (Conskriptions-Nr. 301, "Zur roten Rose", heute 3., Ungargasse 45).
Schon zuvor hatte es in Wien bedeutende Klavierbauer gegeben; sie erlangten meist auch als Orgelbauer Bedeutung. Zu ihnen gehören Ignaz Kober, Ferdinand Hofmann (* um 1756, † 1813 Wien), Johann Jakesch (* um 1763 Mähren, † 25. März 1840 Wien) und Anton Walter (* 1752 Neuhausen auf den Fildern, Schwaben, † 11. April 1826 Wien); Walter war der bedeutendste Klavierbauerbauer in der Zeit der Wiener Klassik, seine Instrumente wurden von Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert geschätzt.
Von ca. 1770 bis 1830 gab es in Wien über 200 Klavierbauer und rund 300 Klavierlehrer; Hammerflügel der genannten Klavierbauer befinden sich in der Musikinstrumentensammlung des Kunsthistorischen Museums und im Technischen Museum. Ab 1778 war Leopold Kozeluch in Wien ansässig, dem das Fortepiano seinen Durchbruch verdankt. Schon in seiner Salzburger Zeit hatte Wolfgang Amadeus Mozart Klavierwerke komponiert; ab 1782 entstanden in Wien (neben anderen Kompositionen) auch 18 Klavierkonzerte, die er bis 1788 mit großem Erfolg aufführte. Bei allen Konzerten zeigte sich Mozart als bisher unerreichter Improvisator am Klavier. Obwohl er das Unterrichten nicht schätzte, hatte er einige bedeutende Schülerinnen, darunter Josepha Auernhammer (1758-1820), Maria Karolina Thiennes de Rumbeke (1755-1812) und Barbara Ployer (1756-um 1810); größere Bedeutung erlangte Johann Nepomuk Hummel, der 1785 Mozarts Schüler wurde.
Als Ludwig van Beethoven 1792 seinen dauernden Wohnsitz nach Wien verlegte, setzte hier ein neuer Höhenflug der pianistischen Kunst ein; im Dezember 1795 spielte er im Redoutensaal sein Klavierkonzert op. 19 (er schätzte damals besonders die Instrumente Streichers). Bald war Beethoven auch als Lehrer hoch geschätzt; zu seinen Schülern gehörten Karl Czerny (der die größte Bedeutung erlangte und selbst Lehrer bedeutender Pianisten wurde [beispielsweise Franz Liszt]; er lernte in Beethovens Wohnung 1., Tiefer Graben 12 auf einem Walter-Klavier) und (ab 1805) Erzherzog Rudolf (1788-1832; Widmungsträger bedeutender Werke), zu seinen Schülerinnen Giulietta Guicciardi (1784-1856), Babette von Keglevic (?-1813) und Dorothea Erdmann (1781-1849).
Als bedeutende Klavierbauer dieser Zeit sind Johann Schantz (* um 1762 Kladrub, Böhmen, † 26. April 1828 Wien; seine Instrumente wurden unter anderem von Joseph Haydn geschätzt) und Joseph Brodmann (* 1771 Eichswald, Preußen, † 13. Mai 1848 Wien; Ablegung des Bürgereids 1796); 1813 erwarb Carl Maria von Weber, der sich in Wien aufhielt, neben einem Flügel von Streicher auch einen von Brodmann. Brodmanns Werkstätte ging 1828 an seinen Schüler Ignaz Bösendorfer über. Von den Schülern Czernys sind (neben Liszt) Theodor Kullak (* 1818 Posen, † 1882 Berlin; Pianist und Pädagoge), Alfred Jaell (* 1832 Triest, † 1882 Paris; gefeierter Virtuose, Komponist von Konzertparaphrasen) und Theodor Leszetytzky (* 1830 Lancut, Galizien, † 1915 Dresden; ab 1878 Privatlehrer von Weltruf in Wien) zu nennen; von letzterem stammt eine heute wieder bekannt gewordene Methode des Klavierspiels, zu seinen Schülern gehörten Artur Schnabel (* 1882 Lipnik, Polen, † 1951 Axenstein, Schweiz) und Ignacy Friedmann (* 1882 Krakau, Polen, † 1948 Sydney). Inzwischen war in der Technik des Instruments eine bedeutende Erfindung gelungen, die 1821 in Paris von Sebastian Erard (1752-1831) patentierte sogenannte Repetitionsmechanik ("englische Mechanik"), durch die es möglich wurde, Tonwiederholungen "schneller" (bei nur halbem Tastenfall) zu spielen. In Wien blieb man freilich bis zur Jahrhundertwende bei der "Wiener Mechanik".
Im August 1829 kam der 19jährige Chopin erstmals aus Warschau nach Wien und gab hier im Kärntnertortheater zwei Konzerte; er bevorzugte Instrumente von Conrad Graf (1782-1851), die auch von Beethoven, Liszt, dem Ehepaar Schumann und Brahms geschätzt wurden (Werkstätte im Mondscheinhaus hinter der Karlskirche 4., Technikerstraße 1]). In Wien, das sich im Vormärz zu einem Zentrum des Klaviers entwickelte, gab es 1823 92 und 1845 bereits 107 Klavierbauer. Um diese Zeit baute auch Martin Seuffert (* um 1772 Würzburg, † 3. Juli 1847 Wien) Klaviere; aus seiner Werkstätte im Haus "Zum goldenen Hirschen" in der Favoritengasse ist ein Giraffenklavier erhalten. Sein Sohn Eduard Seuffert (1817-1855) übernahm die Werkstätte; nach seinem Tod heiratete die Witwe den Geschäftsführer Friedrich Ehrbar (1827-1905), dessen Betrieb neben der Klavierfabrik Bösendorfer große Bedeutung erlangte (1911 Bau der Klavierfabrik Ehrbar 10., Laxenburger Straße 139). Der gleichnamige Sohn Ehrbars übergab den Betrieb an Erich Graf-Smetana, einen Enkel des Komponisten; 1959 wurde Klavierbaumeister Karl Rib (1912-1990), der bereits Inhaber der Klavierfabriken Rudolf Stelzhammer, Gustav Stingl (4., Wiedner Hauptstraße 18) und Josef Baumbach war, Geschäftsführer (Zentrale war der Klaviersalon 6., Barnabitengasse 8; 1985 ging der Betrieb an die "Gruppe Allgemeinen Leasing" über, 1994 befand sich diese in Liquidation).
Weitere Klavierfabrikanten waren Dörr, Schweighofer (5., Margaretenplatz 3 [[[Gedenktafel]] "Gedenkhaus der Klavierfabrik C. M. Schweighofers Söhne gegründet 1792"]; die Fabrik befand sich hier bis 1845; Karl-Schweighofer-Gasse) und Hamburger (Hamburgerstraße).
Bedeutende Komponisten des 19. Jahrhunderts bevorzugten Instrumente der "Wiener Mechanik" (beispielweise hatte Brahms in seiner Wohnung 4, Karlsgasse 4, einen Streicher-Flügel, Bruckner in seinen Wohnungen 9., Währinger Straße 41, 1., Heßgasse 7 und im Kustodenstöckel des Belvederes einen Bösendorfer-Flügel und Mahler in seiner Wohnung 3., Auenbruggergasse 2 einen Konzertflügel der Firma Julius Blüthner [Leipzig]). Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts erlangte der Klavierbau in Japan und Korea große Bedeutung (1887 Gründung der Firma Torkusu Yamaha in Japan); parallel zum Klavierbau begann 1954 das Musiklehrprojekt "Yamaha-Musik-Klasse" (Gründung der "Yamaha Music Austria GmbH." in Wien 1989 und Eröffnung des Yamaha-Musikzentrums 10., Schleiergasse 10). In den letzten zwei Jahrzehnten konnte sich die Klavierfabrik Bösendorfer in der internationalen Konkurrenz nicht durchsetzen, weil die bedeutendsten Pianisten bei Konzerten und Wettbewerben Klaviere der Firma Steinway & Sons und andere bevorzugten.
Siehe auch:
- Berufswappen der Klavier- und Orgelbauer
- Orgel
- Ignaz Bösendorfer
- Bösendorfer-Konzertsaal
- Bösendorfer-Stammhaus
- Friedrich Ehrbar
- Conrad Graf
- Andreas Johann Streicher
- Carl Andreas Stein
- Gustav Ignaz Stingl
- Hugo Gerhard Ströhl
- Alois Parttart’s Eidam Edmund Luner, Pianoforte-Fabrik
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Innungen und Handelsgremien: Klavier- und Orgelbauer
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Innungen und Handelsgremien, U: Urkunden: Gesamtserie aller Innungen (enthält Urkunden der Innung der Klavier- und Orgelbauer)
Literatur
- Eduard Hanslick: Geschichte des Concertwesens. Wien: Braumüller 1869
- Richard A. Prilisauer: Klavierland Wien. Im Bereich der alten Vorstädte Laimgrube, Windmühle, Mariahilf, Magdalenengrund und Gumpendorf ; eine Ausstellung des Bezirksmuseums Mariahilf in Zusammenarbeit mit der Kulturvereinigung "Gesellschaft der Freunde Wiens"; Ende Oktober 1980 bis Mitte Jänner 1981. Wien: Gesellschaft der Freunde Wiens 1980
- Victor Luithlen / Kurt Wegerer: Saitenklaviere. Wien: 1966 (Führer durch das Kunsthistorische Museum, 14)
- Richard A. Prilisauer: Versuch einer Musiktopographie der Stadt Wien. Vervielfältigung (WStLA). 1. Teil: Innere Stadt - Kärntner Viertel, Folge 3-12