48° 12' 53.52" N, 16° 21' 58.50" E zur Karte im Wien Kulturgut
1., Börseplatz 2, identisch mit Schottenring 16, Wipplingerstraße 34 und Börsegasse 11, erbaut 1874-1877 von Theophil Hansen und Carl Tietz in klassizistischen Renaissanceformen, eröffnet von Kaiser Franz Joseph I. am 14. März 1877. Erste Börsenversammlung am 19. März 1877. Die Kosten für das Gebäude betrugen umgerechnet acht Millionen Kronen (zur Bauzeit war die Guldenwährung in Gebrauch).
Das Gebäude
Der reich gegliederte Baukörper besitzt einen erhöhten Mittelbau mit zwei großen Säulenordnungen, niedrigere Seitenflügel, erhöhte Eckrisalite und eine reliefierte Attika.
Aus der Hauptfassade des mächtigen, bis auf die Steinverkleidung in rot gehaltenen Gebäudes, springt ein hoher Mittelbau vor, der als Hauptcharakteristik einen wuchtigen, das ganze Gebäude umziehenden und mit Reliefbildern und Figuren geschmückten Friesgiebel zeigt.
Dem Mittelbau sind niedrigere, aber an den Ecken um ein Geschoß erhöhte Flügel angebaut. Hier befand sich der prachtvolle Wertpapierbörsesaal (56,5 Meter lang, 25,5 Meter breit, 22 Meter hoch). Im Untergeschoß umgaben ihn dorische, im Obergeschoß korinthische Säulen, beide als Träger hoher Rundbögen und einer reich kassetierten Decke, welche der prunkvollen polychromen Marmorausstattung der Wände entsprach. Der plastische Schmuck des Gebäudes stammt von Vincenz Pilz ("Neptun im Triumphbogen") und Alois Düll ("Zeus und Neptun").
Die Nutzung
Der Saal und die meisten Nebenräume dienten der 1770 unter Maria Theresia gegründeten Effektenbörse, die früher zumeist in privaten Lokalen, von 1860 aber im Börsengebäude auf der Freyung 2 und seit 1869 in einem provisorischen Bau am Schottenring untergebracht war.
Im ersten Stock des Gebäudes, in dem auch ein Casino und die Handelskammer untergebracht waren, etablierte sich vor 1880 das Orientalische Museum. Am 31. Jänner 1897 wurde im Börsengebäude das Museum für österreichische Volkskunde eröffnet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der große Saal (durch Kojen unterteilt) als Ausstellungshalle genutzt.
Der Standort des Börsengebäudes
Das Börsengebäude steht zum Teil auf den ehemaligen Gründen der Elendbastei, zum Teil auf den dieser Bastei vorgelagerten Glacisgründen. 1561 war die Elendbastei vollendet. Sie war eines der letzten neuen Verteidigungswerke, die während der Regierung des römischen Kaisers Ferdinand I. entstanden sind. Sie bestand fast genau dreihundert Jahre. In der Zeit vom 7. Mai bis 9. Oktober 1860 wurden ihre Reste abgetragen.
Nach Abbruch des kaiserlichen Zeughauses im Jahr 1858 war der Durchbruch der Wipplingerstraße zum damals in Planung bestehenden Schottenring möglich geworden. Etwa zur gleichen Zeit wurde auch mit der Abtragung der alten Festungswerke begonnen. Im Zuge dessen und der Ausfüllung des mächtigen Festungsgrabens sowie einer umfassenden Planierung fiel auch die Schottenbastei. Die Arbeiten waren im Großen und Ganzen im Jahr 1864 vollendet. Der Bau des Börsengebäudes begann erst zehn Jahre später. Seine Hauptfront war ursprünglich nicht auf die Ringstraße, sondern auf den Börseplatz ausgerichtet.
Kriegsschäden
Ein Bombentreffer vom 12. März 1945 riss die ganze Nordostecke (Börseplatz/Börsegasse) des Börsengebäudes in einer Ausdehnung von etwa 60 bis 70 m² nieder, wobei Büroräume im ersten und zweiten Stockwerk zerstört wurden und der Sitzungssaal im Erdgeschoß verwüstet wurde.
Der Großbrand 1956
Das Gebäude wurde am 13. April 1956 durch einen Großbrand schwer beschädigt, wobei der zentrale Börsensaal und das Innere des Eingangstrakts völlig vernichtet wurden. 1956-1959 wurde das Innere nach Plänen von Erich Boltenstern und Erich Schlöss erneuert. Der Saal wurde nicht mehr wiederhergestellt, sondern in einen Innenhof umgestaltet. Der Börsenbetrieb wurde am 7. Dezember 1959 wiederaufgenommen.
Das Börsengebäude fand sich 1971 auf der 25-Schilling-Münze und auf einer Briefmarke.
Die Wiener Börse heute
Nach der Privatisierung der Börse zog die Institution 1998 aus dem Börsengebäude aus und befindet sich seit 2001/2002 im Palais Caprara-Geymüller in der Wallnerstraße 8. Das Börsengebäude am Schottenring wird daher heute auch als Alte Börse bezeichnet und seine Säle werden für Veranstaltungen vermietet. Eigentümer ist eine von Karl Wlaschek 2015 hinterlassene Stiftung.
Quellen
Literatur
- Karl Wlascheks Immobilien im ersten Wiener Gemeindebezirk. In: Falter (Wochenzeitung), Nr. 33/2015, 12. August 2015, S. 16.
- Renate Wagner-Rieger [Hg.]: Die Ringstraße. Bild einer Epoche. Die Erweiterung der Inneren Stadt Wien unter Kaiser Franz Joseph. 11 Bände. Wiesbaden: Steiner 1969-1981. Bd. 4, S. 180 ff. und Register
- Felix Czeike: I. Innere Stadt. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1983 (Wiener Bezirkskulturführer, 1), S. 139
- Felix Czeike: Wien. Kunst und Kultur-Lexikon. Stadtführer und Handbuch. München: Süddeutscher Verlag 1976, S. 176
- Hannes Stekl: Das Wiener Börsengebäude. Wirtschaftsgeschichtliche Betrachtungen über die Genesis eines Stadterweiterungsbaues. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 27 (1971), S. 149 ff.
- Hannes Stekl: Soziologie der Börsebauanleihe. In: Wiener Geschichtsblätter 26 (1971), S. 225 ff.
- Franz Baltzarek: Die Geschichte der Wiener Börse. 1973
- Franz Baltzarek: Die Geschichte der Börselokalitäten. In: Wiener Geschichtsblätter 26 (1971), S. 193 ff.
- Erwin Neumann: Gefährdete Denkmäler. Zum Brande der Wiener Börse. In: Österreichische Zeitschrift für Denkmalpflege 10 (1956), S. 68 ff.
- Friedrich Achleitner: Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert. Ein Führer. Band 3/1: Wien. 1.-12. Bezirk. Salzburg: Residenz-Verlag 1990, S. 22
- Briefmarkenabhandlung der Postdirektion anlässlich des Erscheinens von österreichischen Briefmarken. 1971
- Gustav Gugitz: Bibliographie zur Geschichte und Stadtkunde von Wien. Hg. vom Verein für Landeskunde von Niederösterreich und Wien. Band 2: Die Gemeinde, ihre Verwaltung und sozialen Belange, Wirtschaftsleben, Handel, Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft, Volkskunde, Naturwissenschaft, Klimatologie, Meteorologie, Naturereignisse, Varia und Kuriosa. Wien: Jugend & Volk 1955, S. 117 ff.
- Paul Harrer-Lucienfeld: Wien, seine Häuser, Geschichte und Kultur. Band 2, 3. Teil. Wien ²1953 (Manuskript im WStLA), S. 644-645