Vorbedingungen und Vorbereitungen
Am 11. November verzichtete Kaiser Karl auf Initiative seiner letzten Regierung, des Ministeriums Lammasch, und auf Betreiben des deutschösterreichischen Staatsrates unter dem Vorsitz von Karl Renner auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften und enthob die letzte kaiserliche Regierung Cisleithaniens ihres Amtes. Er verließ mit seiner Familie noch am gleichen Abend das im Staatseigentum stehende Schloss Schönbrunn und übersiedelte ins Schloss Eckartsau im Marchfeld, damals Privateigentum der habsburgischen Familienstiftung.
Zuvor hatte die provisorische Nationalversammlung bereits geplant, am 12. November die Republik auszurufen, wollte aber einen Konflikt mit dem abtretenden Monarchen vermeiden. Der Staatsrat ordnete allgemeine Arbeitsruhe an und ließ eine Ankündigung der kommenden Ereignisse plakatieren. In allen Wiener Bezirken fanden am 11. November in vollen Sälen sozialdemokratische Parteiversammlungen statt. Für zwei Tage wurde Alkoholverbot ausgegeben. Volkswehrleute, Stadtsicherheitswache und Rote Garde übernahmen den Schutz der Hofburg, der Hofmuseen, des Kriegsministeriums und von Schloss Schönbrunn. 2000 Ordner aus Floridsdorf wurden dazu eingeteilt, die Parlamentsrampe und den Eingang zu sichern. Ein genauer Zeitplan für das Zeremoniell wurde entworfen.[1]
Der Zug zum Parlament
Am 12. November strömten hunderttausende Demonstranten am Nachmittag aus den Wiener Außenbezirken in die Innere Stadt, um den staatlichen Neubeginn zu feiern oder aber auch nur um Augenzeugen des staatlichen Neubeginns zu sein. Auf dem Schwarzenbergplatz, auf der Ringstraße, in den Straßen rund um das Stadtzentrum staute sich die Menschenmenge. Rund um das Parlament war die Menge besonders gedrängt. Manche stiegen auf den steinernen Rossebändiger, den Athenebrunnen, die Gitterumfriedungen und die Bäume an der Ringstraße sowie selbst auf die Bäume des Rathausparks hinauf, um besser sehen zu können. Laut Schätzungen fanden sich dreihundert- bis fünfhunderttausend Menschen ein.[2]
Der kommunistische Störversuch
Wie vorgesehen sprach Franz Dinghofer, deutschnationaler Präsident der Provisorischen Nationalversammlung, als Erster zur versammelten Menge, dann der Sozialdemokrat Karl Seitz, ebenfalls Präsident der Nationalversammlung und Präsident des Staatsrates (des Exekutivausschusses des Parlaments). Daraufhin versuchte ein kommunistischer Redner vom Parlamentsbrunnen aus sein Programm zu entwickeln. Er wurde von einem sozialdemokratischen Gesangsverein mit einem Lied übertönt. Gruppen der Roten Garde warteten den Augenblick des Fahnenaufzugs ab, um sich einzuschalten. Das Weiß aus der neuen Staatsflagge wurde herausgeschnitten, die beiden roten Teile zusammengebunden und, begleitet von Pfuirufen wie Applaus, hochgezogen.
Eine kleine kommunistische Gruppe begann ihren Versuch, in das Parlamentsgebäude einzudringen, um dort eine Resolution vorzutragen; als die Türen geschlossen wurden, hieben sie auf Türen und Fenster ein. Interventionen von Julius Deutsch, dem Unterstaatsekretär für Heerwesen, halfen nichts. Als ein Schuss fiel, wurden beim Parlament Rollbalken heruntergelassen. In der Hektik des Geschehens glaubten einige Soldaten der Roten Garde, dass aus dem Parlament geschossen wurde, und eröffneten das Feuer auf die Säulenhalle. Der Kameramann auf dem Dach wurde mit einer Maschinengewehrposition verwechselt. Drei Personen erlitten Schussverletzungen, so verlor der Historiker Ludwig Brügel, der Pressesekretär von Staatskanzler Karl Renner, ein Auge.
Fatale Folgen ergaben sich besonders aus der Panik, die der Schießerei folgte. Einige stürzten die hohe Parlamentsrampe hinunter, Massen versuchten Richtung Burgtheater und Bellaria zu flüchten und wurden zur Lebensbedrohung für alle, die nicht mitkonnten oder zu Boden fielen. Die Fliehenden trampelten die Gestürzten nieder. Selbst in der weit entfernt liegenden Neubaugasse glaubten noch immer verängstigte Menschen, um ihr Leben laufen zu müssen, weil sie sich von schießenden Soldaten verfolgt wähnten.[3] Die entstandene Panik führte zu 24 leichteren und schwereren Verletzungen. Zwei der Verletzten, ein 12-jähriger Bub und ein 40-jähriger Mann, erlagen ihren Wunden im Spital der Rudolfinerstiftung.[4]
Währenddessen gingen die Aktionen von Teilen der Roten Garde weiter. Das Parlamentsgebäude wurde zerniert. Eine Delegation drang ins Gebäude ein. Präsident Karl Seitz, Julius Deutsch und Otto Bauer traten ihr entgegen und garantierten dafür, dass im oder auf dem Parlament kein Maschinengewehr aufgestellt worden sei. Großes Aufsehen erregten auch die Besetzungen von Roten Garden bei Wiener Zeitungsredaktionen; zeitgleich mit den Krawallen vor dem Parlament nahm ein Bataillon der Roten Garde vor dem Haus der "Neuen Freien Presse" Aufstellung. Vier Maschinengewehre wurden postiert, die Redaktion für besetzt erklärt und die Herausgabe einer Extra-Ausgabe erzwungen. Am Abend wiederholte sich dies durch eine vierköpfige Formation bei der Redaktion der "Reichspost".[5]
Es war jedenfalls erstmals, dass die Kommunistische Partei in der Öffentlichkeit spektakulär hervortrat. Die Toten und Verletzten infolge der Schießerei und Massenpanik waren zweifellos eine schmerzvolle Niederlage für alle sozialdemokratischen Bemühungen, den Tag als große Feier zu inszenieren.[6]
Wappen der Republik Österreich
Unmittelbarer Vorläufer des Wappens des Republik Österreich war das 1915 eingeführte "Kleine Wappen Österreichs", neben dem ein eigenes "Kleines ungarisches Wappen" geschaffen wurde. Es galt für die österreichische Hälfte der Monarchie und zeigte in goldenem Feld einen gekrönten, schwarzen Doppeladler mit dem Bindenschild auf der Brust, in der rechten Kralle Schwert und Zepter, in der linken den Reichsapfel haltend, auf dem Wappen die Österreichische Kaiserkrone.
Das am 8. Mai 1919 eingeführte Wappen der Republik war ein einköpfiger schwarzer Adler mit Zinnenkrone und dem Bindenschild auf der Brust, in der rechten Kralle eine goldene Sichel als Symbol für den Bauernstand, in der linken einen goldenen Hammer als Symbol für den Arbeiterstand haltend. Die Bundesverfassung vom 1. Mai 1934 sah einen schwarzen Doppeladler mit je einem goldenen Nimbus, dem Bindenschild auf der Brust, die goldenen Klauen ohne Hammer und Sichel vor.
Nach der Nationalsozialistischen Herrschaft wurde am 1. Mai 1945 das Wappen von 1919 wieder eingeführt, zusätzlich hielt der Adler in den Fängen eine gesprengte Kette als Symbol der Befreiung.
Literatur
- Ernst Fischer: Expressionismus – Aktivismus – Revolution. Die österreichischen Schriftsteller zwischen Geistpolitik und Roter Garde. In: Klaus Amann [Hg.]: Expressionismus in Österreich. Die Literatur und die Künste. Wien: Böhlau 1994, S. 19-48
- Edgar Haider: Wien 1918. Agonie der Kaiserstadt. Wien / Köln / Weimar 2018
- Siegfried Nasko: Karl Renner in Dokumenten und Erinnerungen. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1982
- Rudolf Neck [Hg.]: Österreich im Jahre 1918. Berichte und Dokumente. Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1968
- Reinhard Owerdieck: Parteien und Verfassungsfrage in Österreich. Die Entstehung des Verfassungsprovisoriums der Ersten Republik 1918–1920. Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1987
- Alfred Pfoser / Andreas Weigl: Die erste Stunde Null. Gründungsjahre der österreichischen Republik (1918-1922). Salzburg / Wien: Residenz Verlag 2017
- Georg Schmitz: Demokratisierung und Landesverfassung in Niederösterreich 1918-1922. In: Österreichische Forschungsgemeinschaft [Hg.]: Demokratisierung und Verfassung in den Ländern 1918-1920. St. Pölten / Wien: Niederösterreichisches Pressehaus 1983 (Studien zur Zeitgeschichte der österreichischen Länder, 1), S. 162-177
- Karl Stadler: Die Gründung der Republik. In: Erika Weinzierl – Kurt Skalnik [Hg.]: Österreich 1918-1938. Geschichte der Ersten Republik. Graz / Wien / Köln: Styria 1983, S. 5-84
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ Alfred Pfoser / Andreas Weigl: Die erste Stunde Null. Gründungsjahre der österreichischen Republik (1918-1922). Salzburg / Wien: Residenz Verlag 2017, S. 121-123, 221.
- ↑ Rudolf Neck [Hg.]: Österreich im Jahre 1918. Berichte und Dokumente- Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1968, S. 142; Alfred Pfoser / Andreas Weigl: Die erste Stunde Null. Gründungsjahre der österreichischen Republik (1918-1922). Salzburg / Wien: Residenz Verlag 2017, S. 221 f.
- ↑ Neue Freie Presse, 13. November 1918, S. 3.
- ↑ Rudolf Neck [Hg.]: Österreich im Jahre 1918. Berichte und Dokumente. Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1968, S. 148-151.
- ↑ Ernst Fischer: Expressionismus – Aktivismus – Revolution. Die österreichischen Schriftsteller zwischen Geistpolitik und Roter Garde. In: Klaus Amann [Hg.]: Expressionismus in Österreich. Die Literatur und die Künste. Wien: Böhlau 1994, S. 22.
- ↑ Alfred Pfoser / Andreas Weigl: Die erste Stunde Null. Gründungsjahre der österreichischen Republik (1918-1922). Salzburg / Wien: Residenz Verlag 2017, S. 222-224.