Sitz der Bundesregierung ist das Bundeskanzleramt in Wien.
In der konstitutionellen Monarchie stand der kaiserlich-königlichen Regierung, damals oft als Ministerium bezeichnet, ein vom Kaiser nach freiem Ermessen ernannter Ministerpräsident vor. Letzter k.k. Ministerpräsident war Anfang November 1918 Heinrich Lammasch.
Zu Beginn der Republik gab es keinen Regierungschef, sondern einen Staatsrat als Vollzugsausschuss der Nationalversammlung. Die Leitung der Ressorts lag in den Händen von Staatssekretären, die der Staatsrat bestellte und die unter der Koordination des Staatskanzlers zusammentraten. Die drei gleichberechtigten Vorsitzenden der Provisorischen Nationalversammlung und des Staatsrates wechselten einander in den Funktionen wöchentlich ab: einer präsidierte die Provisorische Nationalversammlung, ein anderer den Staatsrat, der dritte führte im Kabinett den Vorsitz.
Die am 15. März 1919 wirksam gewordenen vorläufigen Verfassungsbeschlüsse beseitigten den Staatsrat und den häufigen Funktionswechsel. Der Präsident der Provisorischen Nationalversammlung, Karl Seitz, hatte nun auch die Funktionen des Staatsoberhauptes wahrzunehmen, ohne dazu einen speziellen Titel zu führen. Die Staatsregierung trat unter dem Vorsitz des Staatskanzlers zusammen, der gemeinsam mit Staatssekretären das Kabinett bildete. Die Staatsregierung wurde auf Vorschlag des Hauptausschusses der Konstituierenden Nationalversammlung von dieser gewählt.
Die am 1. Oktober 1920 beschlossene und am 10. November 1920 in Kraft getretene Bundesverfassung definierte die meisten Leitungsfunktionen so wie wir sie heute kennen. Der Bundeskanzler und die anderen Bundesminister bilden die Bundesregierung. Bis 1929 wurde diese vom Nationalrat gewählt. Der Bundespräsident wurde von der aus Nationalrat und Bundesrat bestehenden Bundesversammlung gewählt. Die Verfassungsnovelle 1929 stärkte den Bundespräsidenten, der nunmehr den Bundeskanzler und auf dessen Vorschlag die anderen Bundesminister zu ernennen hatte. Er musste eine Regierung aber abberufen, wenn ihr der Nationalrat das Misstrauen aussprach. Der Bundespräsident selbst sollte nunmehr sechs Jahre amtieren und vom Volk gewählt werden; dies war aber erst 1951 erstmals der Fall.
Die ständestaatliche (Diktatur-)Verfassung 1934 räumte dem Bundeskanzler "die Führung" in der Regierung ein und ermächtigte ihn, die Richtlinien der Politik zu bestimmen. Er war durch das Einparteisystem mit diktatorischen Vollmachten das kompetenzreichste Staatsorgan.
Vom 19. Dezember 1945 an galt wieder die bis heute gültige Bundesverfassung (B-VG) in der Fassung von 1929, nachdem von Mai bis Dezember 1945 diverse Provisorien in Kraft gewesen waren. Der Bundeskanzler wird vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen und führt den Vorsitz in der Bundesregierung. Auf Vorschlag des Bundeskanzlers werden die Bundesminister ernannt und entlassen. Der Nationalrat hat das Recht, der Bundesregierung oder einzelnen Ministern das Misstrauen auszusprechen; dies verpflichtet den Bundespräsidenten, die oder den Betreffenden sofort aus der Regierung zu entlassen.
Die tatsächliche politische Stärke des Bundeskanzlers hängt davon ab, wie stark seine Partei im Nationalrat vertreten ist. Bei so genannten Alleinregierungen einer Partei hat der Bundeskanzler eine starke Stellung, bei Koalitionsregierungen muss er auf das Einvernehmen mit dem Koalitionspartner Bedacht nehmen. Welche Koalition in Frage kommt, kann gegebenenfalls vom Bundespräsidenten mitbestimmt werden: Anfang der 1950er Jahre lehnte zum Beispiel Bundespräsident Theodor Körner die Beteiligung einer dritten Kraft an der schwarz-roten Bundesregierung ab, obwohl sie vom damaligen Bundeskanzler verlangt worden war.
Es war bis dato Usus, dass nach einer Nationalratswahl der Vorsitzende der mandatsstärksten Nationalratsfraktion vom Bundespräsidenten mit der Regierungsbildung beauftragt wird und dann "seine" Regierungsmitglieder vorschlägt. 1999/2000 war dieser Vorgang nicht erfolgreich, weil es dem beauftragten SPÖ-Politiker nicht gelang, eine Nationalratsmehrheit zu sichern. Daher kam damals statt einer SPÖ-ÖVP-Koalition zum Missfallen des Bundespräsidenten Thomas Klestil eine ÖVP-FPÖ-Koalition zum Zug.
Ein Wechsel in der Funktion des Bundeskanzlers kann jederzeit eintreten, nicht nur nach Nationalratswahlen. Der im Frühjahr 2016 erfolgte Wechsel von Werner Faymann zu Christian Kern war so ein Fall. Faymanns Rücktritt war weder vom Bundespräsidenten noch vom Parlament verlangt worden.
Liste der Bundeskanzler (chronologische Übersicht, ohne Titel)
- Karl Renner (Staatskanzler 1918-1920)
- Michael Mayr (1920/1921)
- Johannes Schober (1921/1922, 1922, 1929/1930)
- Walter Breisky (1922)
- Ignaz Seipel (1922-1924, 1926-1929)
- Rudolf Ramek (1924-1926)
- Ernst von Streeruwitz (1929)
- Carl Vaugoin (1930)
- Otto Ender (1930/1931)
- Karl Buresch (1931/1932)
- Engelbert Dollfuß (1932-1934)
- Kurt von Schuschnigg (1934-1938)
- Karl Renner (1945 Staatskanzler; Provisorische Staatsregierung)
- Leopold Figl (1945-1953)
- Julius Raab (1953-1961)
- Alfons Gorbach (1961-1964)
- Josef Klaus (1964-1970)
- Bruno Kreisky (1970-1983)
- Fred Sinowatz (1983-1986)
- Franz Vranitzky (1986-1997)
- Viktor Klima (1997-2000)
- Wolfgang Schüssel (2000-2007)
- Alfred Gusenbauer (2007-2008)
- Werner Faymann (2008-2016)
- Christian Kern (2016/2017)
- Sebastian Kurz (2017-2019)
- Brigitte Bierlein (2019-2020)
- Sebastian Kurz (2020-2021)
- Alexander Schallenberg (2021)
- Karl Nehammer (2021-)
Literatur
- Friedrich Weissensteiner / Erika Weinzierl [Hg.]: Die österreichischen Bundeskanzler. Leben und Werk. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1983, darin insbesondere Manfried Welan: Der Bundeskanzler in Verfassung und Politik, S. 11 ff., Liste der Kabinette der österreichischen Bundeskanzler, S. 472