Entnazifizierung in der Gemeindeverwaltung
Die Entnazifizierung bezeichnete die gesetzlichen Grundlegungen und Maßnahmen, um gegen nationalsozialistisches Gedankengut und AnhängerInnen des Nationalsozialismus beziehungsweise ehemalige Mitglieder der NSDAP vorzugehen.
Gesetzliche Grundlagen und Ziele
Ziel der Entnazifizierung in der Verwaltung war nicht die Prüfung oder Beurteilung der beruflichen Tätigkeit während der Zeit des Nationalsozialismus, sondern die Bindung an die Partei, die als politisches Bekenntnis eingestuft wurde. Die systematische Prüfung jeder Person sollte im Zuge der Neubildung der Personalstände [1] zuerst nach dem Verbotsgesetz 1945 ab Februar 1947 nach dem Nationalsozialistengesetz 1947 durch eigene Institutionen erfolgen: die Sonderkommissionen.
Neubildung des Personalstandes
Auf Verwaltungsebene wurde das Beamten-Überleitungsgesetz vom 22. August 1945[2] dazu genutzt, die Personalstände neu aufzustellen und dabei die politische Vergangenheit und die demokratische Gesinnung zu überprüfen. In Wien regelte die neue Dienstordnung der Stadt von Dezember 1946 die Neubildung der Personalstände. Alle bisherigen Bediensteten galten als „Personalreserve“, niemand hatte theoretisch einen Anspruch auf eine Weiterbeschäftigung. Jene, die 1945 als aktive Kämpfer und Kämpferinnen gegen den Widerstand galten sowie Juden und Jüdinnen, die als Entlassene „aus Gründen der Abstammung“ benannt werden, konnten gemäß Dienstordnung sicher mit einer Einstellung rechnen. Voraussetzung war allerdings die österreichische Staatsbürgerschaft, die viele der geflohenen und emigrierten Personen nicht mehr besaßen.
Rehabilitierung
Öffentlich-rechtliche Bedienstete österreichischer Staatsbürgerschaft, die aus politischen Gründen oder aus Gründen der Abstammung aus dem Dienstverhältnis entlassen worden sind, konnten auf Ansuchen von der obersten Personaldienststelle wieder in den Dienst aufgenommen werden.[3] Stark hinderlich war diesbezüglich die aberkannte oder aufgegebene österreichische Staatsbürgerschaft, die nicht automatisch wieder zuerkannt wurde und Rückkehrwillige abgesehen von sonstigen Hindernissen zu Bittstellerinnen und Bittsteller machte. Wiedergutmachung mit Bezug auf diesen Paragraphen betraf beispielsweise die Angehörigen der ehemaligen Wiener Gemeindewache.
Priorisiert wurden jene Mitarbeitenden bei der Neuübernahme, die bereits in der 1. Republik bei der Gemeinde gearbeitet hatten. Jene mit Eintrittsdatum nach März 1938 galten als Ausnahmefälle, alle sollten jedoch nach Verbotsgesetz auf ihre Verbindungen zur NSDAP überprüft werden. Die dienstrechtlichen Konsequenzen reichten von pensionsloser Entlassung von Illegalen, zu der sogenannten „außer Dienst Stellung“ oder Enthebung vom Dienst über Kündigung bis zur Versetzung in den Ruhestand, mit oder ohne Pension. Bei den sogenannten Minderbelasteten spannte sich der Rahmen von hartem Vorgehen bis zum Taktieren in Erwartung milderer rechtlicher Konsequenzen. Der rechtlich vorhandene Spielraum wurde ausgereizt und war beeinflusst von der Personalknappheit in einzelnen Bereichen sowie dem Einfluss und dem Wirken von Politik, Justiz und Verwaltung. Durch den gleichzeitig eingeleiteten Beamtenabbau ist es kaum möglich konkrete Zahlen der Personalfluktuation für das erste Nachkriegsjahr zu erstellen.
Gemäß öffentlichem Anschlag des Bürgermeisters Theodor Körner vom 4. Mai 1945 waren Beamte, Angestellte und Arbeiter, die sich - ohne beurlaubt zu sein – bis 30. April nicht zum Dienstantritt gemeldet hatten, zu entlassen. Das betraf 130 Personen und nicht erschienenen Illegale im Magistrat, 162 Personen und nicht erschienene Illegale in den Unternehmungen. Die Junibezüge wurden nur mehr an jene Bediensteten ausgezahlt, die eidesstattlich erklärten, dass sie nicht zu den Illegalen laut Verbotsgesetz zählten. Alle Illegalen wurden sofort und ohne Bezüge vom Dienst enthoben. Aus dienstrechtlichen Gründen nicht gekündigt werden konnten Illegale mit mindestens 25 Dienstjahren, diese wurden wie die illegalen Beamten zwar ohne Bezüge außer Dienst gestellt, blieben aber im Personalstand der Stadt. Eine endgültige Entscheidung sollte nach Abschluss der Registrierungen erfolgen, diese zog sich dann allerdings bis ins Jahr 1947. Das galt auch für so genannte „nicht tragbare“ (aber nicht illegale) Beamte, die mit Bezügen von 150 Schilling außer Dienst gestellt wurden. Ausnahmeansuchen wegen Fachkräftemangels mussten mit Antrag auf kurzfristige Weiterbeschäftigung von der Magistratsdirektion genehmigt oder abgelehnt werden. 135 Illegale, davon 71 im Magistrat, der Rest in den städtischen Unternehmungen, deren Dienstverhältnis als beendet galt, erhielten statt der Bezüge ein Verpflegungsgeld von 4 Schilling pro Arbeitstag. Von den als Illegal angenommen Bediensteten wurde jene, deren Dienstverhältnis kündbar war, d.h. nicht definitiv gestellte Beamte, Angestellte und Arbeiter, vorsorglich gekündigt auch für den Fall, dass die Illegalität nicht durch die NS-Registrierung bestätigt wird. Nationalsozialisten wurden von allen Leiterposten entfernt. Einzelne Ausnahmen unter Berufung auf die unentbehrliche Fachkraft gab es auch hier.
Anfang Oktober 1945 waren weitere 2000 Personen gekündigt, darunter 500 Kriegsaushelfer und 400 Arbeiter. Aufgrund der Empfehlung eines vom Ministerrats eingesetzten Komitees zur Säuberung der höchsten Staats- und Wirtschaftsstellen wurden im Juli 1946 37 Personen der Dienstklasse I-III außer Dienst gestellt.
Personalstände:
Beamte: 31. Dezember 1938: 7006 > September 1946: 13.700
Angestellte: 5303 > 12.616
Arbeiter: 7537> 13.216
Hoheitsverwaltung: 19.846> 39.532
Unternehmungen: 22.660
1946: 24.986 Pensionisten
Personalstand August 1946:
Von den Bedienstete der Stadt (Magistrat und Unternehmungen) waren 7216 Personen als Illegale außer Dienst gestellt. Sie galten gemäß §14 Verbotsgesetz in der damals geltenden Fassung als entlassen. 231 Personen, nicht illegal, aber nicht tragbar, waren mit 150 Schilling Gehaltsfortbezug außer Dienst gestellt, weitere 2607 Personen ausgeschieden durch Pensionierung, Kündigung oder Entlassung.[4]
Personalstand: 1948 31.5.
Magistrat: unbelastet 31.746, minderbelastet 1.737, registrierungspflichtig 5,2%, ausgeschieden 6.289 Städtische Unternehmungen: unbelasteter 20.687, minderbelastet 1.139, registrierungspflichtig 5,2%, ausgeschieden. 5.378
Sonderkommission beim Magistrat der Stadt Wien
Gesetzliche Grundlage für die Sonderkommissionen bildete die Verbotsgesetznovelle vom 15. August 1945[5]. Die Sonderkommissionen hatten zu prüfen, ob die öffentlich Bediensteten „nach ihrer bisherigen Tätigkeit Gewähr bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für eine unabhängige Republik Österreich eintreten werden“. Die Überprüfung jener Nationalsozialisten für die § 21 des Verbotsgesetzes Anwendung findet war im Staatsgesetzblatt 13/1945 geregelt worden.[6]. Ein positives Gutachten (Kommissionsbescheid) machte die Weiterverwendung möglich. Die Gutachten konnten auch auf Versetzung in den Ruhestand mit all seinen finanziellen Abstufungen oder für Entlassung plädieren.
Vom Gesetz war eine Prüffrist vom 15. August 1945 bis 30. Juni 1946 vorgesehen. Der Alliierte Rat verkürzte die Frist auf den 17. April 1946, allerdings war bereits bald klar, dass weder der eine noch der andere Termin halten konnte. Vor allem auch, weil die relevanten Entscheidungen über die Illegalität bei den Registrierungsbehörden lagen und sich aufgrund zahlreicher Einsprüche verzögerten. Der Einsatz der Kommission befand sich im laufenden Wechselspiel mit den sich ändernden gesetzlichen Bestimmungen. Durch Hinauszögerung der Kommissionsbildung sollte die Anzahl der zu entscheidenden Fälle möglichst geringgehalten werden. Auch Bedenken hinsichtlich mühsamer Verfahren in Folge ausstehender NS-Registrierungsentscheide hemmten die Bildung der Kommission. Im Magistrat Wien erfolgte deren Einsetzung schließlich im April 1946, im Bereich der Hoheitsverwaltung fielen die ersten Entscheidungen erst ab Februar 1947, nachdem die Abteilungsleiter die Begutachtungen der noch registrierungspflichtigen Mitarbeitenden übermittelt hatten.
Da die Frist zur Durchführung des §21 des Verbotsgesetzes im Juni abgelaufen war und damit die Rechtsgrundlage für die Sonderkommission wegfiel, empfahl das Bundesministerium des Inneren im Juli 1946 den Abschluss der Verhandlungen für das neue Nationalsozialistengesetz abzuwarten und erst dann mit den Verfahren fortzufahren. Vorarbeiten wie die Prüfung des Verhaltens minderbelasteter Nationalsozialisten vor dem 27. April 1945 könnten allerdings durchgeführt werden. Die sachliche Zuständigkeit ergab sich aus der zuständigen Dienststelle am 13. März 1938.
Im Dezember 1946 sollten alle Dienststellenleiter eine Beschreibung ihrer registrierungspflichtigen Mitarbeitenden an die Personalstelle (Magistratsabteilung 2) schicken um der Sonderkommission zur Verfügung zu stehen. Die konkreten Überprüfungen aller im Dienst befindlichen Nationalsozialisten auf ihre Tragbarkeit erfolgte dann im Februar und März 1947 bereits nach den neuen Kategorien des Nationalsozialistengesetzes von Februar 1947[7] als „Belastete“ oder „Minderbelastete“. Die Begutachtungen und Vorentscheidungen lagen dezentral bei den Abteilungsleitungen, Unterstützung erhielten diese durch einen zentralen Referenten in der MA 2 (Personalstelle). Nur unklare Fälle wurden an die Sonderkommission unter Leitung von Dr. Hans Goldhann weitergereicht.
Ihre Zahl sollte vor Einreichung an die Kommission durch Kündigung (wo möglich) reduziert werden und durch Kriegsheimkehrer, durch Rückkehrer aus den westlichen Bundesländern, durch nichtbelastete und Neuaufnahmen aufgefüllt werden.
Die Bestellung der Mitglieder der Sonderkommission beim Wiener Magistrat kam dem Bürgermeister in seiner Funktion als Landeshauptmann zu. Die Sonderkommission entschied in Senaten, die sich aus einem rechtskundigen Vorsitzenden und zwei Beisitzern zusammensetzten. Ein Beisitzer war auf Vorschlag des Dienstgebers, einer von der Gewerkschaft zu nennen. In Wien musste einer der beiden Beisitzer der Berufsgruppe oder einer verwandten Berufsgruppe des oder der zu Beurteilenden angehören. Die Kommission war selbstständig und unabhängig. Sie konnte ohne oder mit mündlicher Verhandlung entscheiden. Gegen ihre Erkenntnisse konnte von den Betroffenen oder von der Dienststelle Berufung bei der Sonderoberkommission[8] eingereicht werden, welche beim Bundeskanzleramt eingerichtet war. Diese wiederum bestand aus einem Richter und je einem von den drei demokratischen Parteien SPÖ, ÖVP und KPÖ vorgeschlagenem Mitglied. Eine Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs war ursprünglich nicht vorgesehen. Die spätere Aufhebung dieser Bestimmung änderte wenig, da der Verwaltungsgerichtshof die Erkenntnisse der Sonderoberkommission regelmäßig bestätigte.
Die Sonderkommission des Wiener Magistrats war für die Bediensteten der Stadt Wien wie auch für alle anderen Bediensteten öffentlich-rechtlicher Körperschaften zuständig, bei denen keine eigene Kommission errichtet wurden. Es waren 8 Senate zu bilden, die Senate I-VII waren für die Hauptgruppe der städtischen Bediensteten, der Senat VIII für Bedienstete staatlicher Dienststellen bestimmt. Über Auftrag der Magistratsdirektion wurde Dr. Hans Goldhann als Vorsitzender vom Bürgermeister bestellt. Alleine für den Senat I waren aufgrund der verschiedenen Berufsgruppen (Marktamt bis Ärzte und Ärztinnen) mehr als 18 Personen als erste Beisitzer im Einsatz.
Zuständigkeiten:
Senat I: Hoheitsverwaltung, Senat II: Humanitätsanstalten, Senat III: städtische Betriebe; Senat IV: Wiener Verkehrsbetriebe, Senat V: Elektrizitätswerke, Senat VI: Gaswerke, Senat VII: Fuhrwerksbetrieb, Straßenreinigung, Müllabfuhr und Leichenbestattung; Senat VIII: unter anderem die Landwirtschaftliche chemische Bundesversuchsanstalt (2., Trunnerstraße 1-3), Bundeskellereiinspektion (1., Hofburg), Bundesgartenverwaltung 13., Schloss Schönbrunn), Forsttechnische Abteilung für Wildbachverbauung (1., Dr. Karl Luegerring 14), Spanische Reitschule (1., Reitschulgasse 2), Fischereibiologische Bundesversuchsanstalt (2., Kaisermühlen), Staatsgebäudeverwaltung - Burghauptmannschaft, Präsidium des Verwaltungsgerichtshofes
Im Mai 1947 wurden bei 54.649 Bediensteten der Gemeinde Wien 4.322 registrierungspflichtige Personen genannt, die einer Prüfung durch die Sonderkommission unterlagen. Bis Ende 1947 konnten noch über 1000 aus politischen Gründen entlassen werden, 105 KZ-Häftlinge und „rassisch Geschädigte“ sowie 266 Invalide und 257 Heimkehrer füllten die Posten wieder auf.
Die Unterlagen der Sonderkommission des Magistrats gelten bis auf wenige organisatorische Reste als vernichtet.
Literatur
- Rudolf Jeŕábek, Entnazifizierungsakten im österreichischen Staatsarchiv, in: Walter Schuster, Wolfgang Weber, Entnazifizierung im regionalen Vergleich, Linz 2004, S. 529-550.
- Brigitte Rigele, Entnazifizierung in Wien, Quellen aus dem Wiener Stadt- und Landesarchiv in: Walter Schuster, Wolfgang Weber, Entnazifizierung im regionalen Vergleich, Linz 2004, 321-336
- Dieter Stiefel, Entnazifizierung in Österreich, Wien/München/Zürich 1981
- StGBl 134/1945
- Wiener Zeitung vom 21.12.1946
Quelle
Referenzen
- ↑ StGBl 134/1945 StGBl 134/1945 Beamten-Überleitungsgesetz
- ↑ StGBl 134/1945.
- ↑ §4 Beamtenüberleitungsgesetze
- ↑ Wiener Zeitung vom 21.12.1946
- ↑ STGBL 131/1945
- ↑ Staatsgesetzblatt 13/1945
- ↑ BGBl 25/1947; umgangssprachlich gerne als Entnazifizierungsgesetz bezeichnet.
- ↑ Rudolf Jeŕábek, Entnazifizierungsakten im österreichischen Staatsarchiv, in: Walter Schuster, Wolfgang Weber, Entnazifizierung im regionalen Vergleich, Linz 2004, S. 535.