Heiligenstädter Kirche (St. Michael)
48° 15' 12.94" N, 16° 21' 19.10" E zur Karte im Wien Kulturgut
Heiligenstädter Kirche (19., Hohe Warte 72, Grinzinger Straße bei 78; Pfarrkirche [seit 1307] "St. Michael" [Erzengel]).
Angeblich 1095 von Markgraf Leopold II. erbaut, um 1243 urkundlich als Filiale der Klosterneuburger Pfarrkirche St. Martin erwähnt, seit 1307 als selbständige Pfarre dem Augustiner-Chorherrenstift Klosterneuburg inkorporiert), 1380 mit der Stiftung des Oswald Brill in Grinzing bedacht. Die angenommene Gründungszeit würde die Heiligenstädter Kirche in eine Reihe mit den ältesten Kirchen in Wien und Umgebung stellen (Ruprechtskirche und Peterskirche in der Stadt, St. Jakob in Heiligenstadt, St. Johannes in Unterlaa).
Die ursprünglich romanische zweitürmige Saalkirche (die gegenüber dem heutigen Grundriss quer gestanden sein dürfte [Grabungsergebnisse der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts]) erhielt in der Zeit der Gotik ihr heutiges Aussehen. 1529 und 1683 von den Türken weitgehend zerstört, wurde sie nach der Zweiten Türkenbelagerung bald wieder instand gesetzt und erhielt 1723 von Matthias Steinl, Johann Franz Caspar und Matthias Josef Kätzler einen neuen Hochaltar. Die domähnliche Größe der Kirche findet ihre Erklärung darin, dass Heiligenstadt bis zur Kirchenreform Josephs II. Mutterpfarre für Heiligenstadt, Grinzing, Nußdorf und Sievering war; erst nach 1782 fielen diese Gemeinden nach und nach ab.
1838 wurde die Kirche restauriert, 1894-1898 teilweise abgetragen und (bei gleichzeitig grundlegender Umgestaltung im Inneren) durch Richard Jordan, Martin und Josef Schömer neu erbaut (Weihe am 26. Mai 1898).
Inneres
Die dreischiffige Pfeilerbasilika besitzt ein Langhaus mit Netzgewölben und einen stark erhöhten, durch Triumphbogen abgetrennten Chor (mit drei Kreuzgewölbejochen und 5/8-Schluss), der von der Hauptachse nach links verschoben und nach rechts geneigt ist (diese Art des Chorbaus hinter dem Triumphbogen erinnert an das geneigte Haupt Christi nach seinem Kreuzestod und findet sich nur in frühgotischen Kirchen). Der barocke Hochaltar von 1723 wurde entfernt (Teile befinden sich heute in Leopoldau), das Hochaltarbild (von Johann Georg Schmidt [,,Wiener Schmidt"], 1723) kam nach Klosterneuburg; den neuen Hochaltar (1897) schuf Jordan (Gemälde „Heiliger Michael als Drachentöter"). Die neugotische Einrichtung (1897) wurde bei der letzten Kirchenrenovierung wieder entfernt und die Kirche mit nur wenigen Kunstwerken in einen der Gotik entsprechenden Zustand zurückversetzt. Erhalten blieben der Barockaltar im rechten Seitenschiff mit einem der Rubensschule zugeschriebenen Sebastianbild aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, das von Figuren der heiligen Katharina und Elisabeth flankiert wird (einer der schönsten Barockaltäre Wiens), und der an der Ostwand stehende neugotische Marienaltar von Jordan). Die lebensgroßen Holzskulpturen (Josef, Antonius) schuf Peppi Rifesser, den Kreuzweg (1930/1931) Franz Zelezny (die Jesus umgebenden Personen sind der Entstehungszeit entnommen [Bewohner von Heiligenstadt, aber auch christlichsoziale und sozialdemokratische Politiker, wie Seipel, Dollfuß und Buresch beziehungsweise Seitz, Breitner und Glöckel, befinden sich unter den agierenden Personen]), die Chorgemälde Leopold Schulz (um 1850) und die Glasfenster (1987; Ersatz für die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Originale) Karl Seelos (Thema „Die heiligen Engel"). Die 29-stimmige Orgel (1897) wurde in St. Florian erzeugt (Bruder Mauracher).
Friedhof und Karner
Rund um die Kirche lag der alte Heiligenstädter Friedhof, zudem wurde um 1500 am Rand des Friedhofs ein Karner errichtet, der der einzige erhaltene Karner Wiens ist. Da 1781 neben dem Friedhof eine Mineralquelle entdeckt und danach zu einem Heilbad ausgebaut wurde (Heiligenstädter Bad), konnte der Friedhof nicht erweitert werden; 1831 wurde er mit einer Mauer umgeben. Der Friedhof wurde am 2. September 1873 gesperrt und im Zuge des Kirchenneubaus am 19. Februar 1895 gänzlich aufgelassen und in eine Grünanlage umgewandelt, in der sich auch die Reste des Karners befinden; die einzige verbliebene Grabstätte ist jene des Begründers des Schulturnens in Wien und Leiters der Universitätsturnanstalt, Rudolf Stephani († 25. Juni 1855). 1873 wurde der neue Friedhof (19., Wildgrubgasse 20) eröffnet.
Links vom Kirchenhaupteingang steht eine barocke Johannes-Nepomuk-Statue (Anfang 18. Jahrhundert), die ursprünglich an der Brücke über den Grinzinger Bach unweit der Kirche stand. Ludwig van Beethoven soll der Tradition nach während seiner Heiligenstädter Aufenthalte an der Kirchenorgel gespielt haben. An der Heiligenstädter Kirche war Karl Roman Scholz (der am 10. Mai 1944 hingerichtete Führer einer österreichischen Widerstandsgruppe) Seelsorger.
Quellen
Literatur
- Wolfgang J. Bandion: Steinerne Zeugen des Glaubens. Die Heiligen Stätten der Stadt Wien. Wien: Herold 1989, S. 376 ff.
- Döbling. Eine Heimatkunde des 19. Wiener Bezirkes in drei Bänden. Hg. von Döblinger Lehrern. Wien: Selbstverlag der Arbeitsgemeinschaft "Heimatkunde Döbling" 1922, S. 350 f.
- Rudolf Geyer: Handbuch der Wiener Matriken. Ein Hilfswerk für Matriken-Führer und Familienforscher. Wien: Verlag d. Österr. Inst. für Genealogie, Familienrecht und Wappenkunde [1929], S. 92 f. (Sprengel), S. 278 f. (Matrikenbestand)
- Gustav Gugitz: Bibliographie zur Geschichte und Stadtkunde von Wien. Hg. vom Verein für Landeskunde von Niederösterreich und Wien. Band 3: Allgemeine und besondere Topographie von Wien. Wien: Jugend & Volk 1956, S. 273
- Helmut Kretschmer: XIX. Döbling. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1982 (Wiener Bezirkskulturführer, 19), S. 22 f.
- Alfred Missong: Heiliges Wien. Ein Führer durch Wiens Kirchen und Kapellen. Wien: Wiener Dom-Verlag ³1970, S. 253
- Justus Schmidt / Hans Tietze: Dehio Wien. Wien: A. Schroll 1954 (Bundesdenkmalamt: Die Kunstdenkmäler Österreichs), S. 184
- Hans Tietze: Die Denkmale der Stadt Wien (XI. - XXI. Bezirk). Wien: Schroll 1908 (Österreichische Kunsttopographie, 2), S. 409 ff.
- Alfred Schnerich: Wiens Kirchen und Kapellen in kunst- und kulturgeschichtlicher Darstellung. Zürich / Wien: Amalthea 1921 (Amalthea-Bücherei, 24), S. 219