Vorgeschichte
Seit dem Mittelalter sind Mühlen am Wienfluss urkundlich erwähnt, für die mit Hilfe von Wehren (zum Beispiel das Gumpendorfer Wehr) eine bestimmte Wassermenge in parallel zum Fluss verlaufende Mühlbäche abgeleitet wurde. Seit dem 16. Jahrhundert lassen sich auf dem Glacis, im Bereich der ehemaligen Vorstädte und später beim Schloss Schönbrunn Regulierungsmaßnahmen belegen. Der Flusslauf wurde nach und nach begradigt, vertieft, seine Breite wurde begrenzt und die Ufer stabilisiert. Im späten 18. Jahrhundert entstanden erstmals großangelegte Projekte zur Regulierung des Wienflusses innerhalb wie außerhalb der Linien (Wienflussregulierungsprojekte um 1780). Ausgelöst durch das Jahrhunderthochwasser 1851 und den Assanierungsdiskurs wurden um 1870 zahlreiche Projekte für eine systematische Regulierung des Wienflusses vorgelegt, die zwar nicht umgesetzt wurden, deren Ideen aber die drei Jahrzehnte später ausgeführte umfassende Regulierung beeinflussten (Wienflussregulierungsprojekte um 1870). Eisenbahnprojekte und der Ausbau der Stadt entlang der Wientalachse spielten dabei eine wichtige Rolle. Als Reaktion auf die Regulierungsvorschläge beauftragte der Gemeinderat 1881 ein Expertengutachten, das bereits im Folgejahr erschien. Daraufhin erstellte das Stadtbauamt 1882 ein Generalprojekt, das eine Einwölbung der Wien im Stadtgebiet, den Bau von drei Reservoirs bei Baumgarten sowie einen Ausleitungskanal vorsah. Die Ausleitung sollte in Tunnelbauweise vom untersten Reservoir über Breitensee am westlichen Rand der Vororte entlang bis nach Döbling verlaufen und schließlich in den Donaukanal münden. Bei Hochwasser sollte sie knapp 200 m³/s Abfluss um die Stadt herum ableiten, war aber ansonsten dazu gedacht, Nutzwasser und Kraftwasser für gewerbliche Zwecke sowie Spülwasser für das Kanalsystem bereitzustellen. Der Gemeinderat ließ allerdings 1885 eine weitere Expertise einholen, das Stadtbauamt änderte darauf hin seinen Entwurf ab und verzichtete aus Kostengründen auf den Ausleitungskanal. Die Eingemeindung der Vororte 1892 machte eine neuerliche Überarbeitung des Projekts erforderlich, das schließlich 1893 genehmigt wurde.
Die umfassende Regulierung 1894–1906
Bereits 1894 wurde mit der Umsetzung des zuvor jahrzehntelang diskutierten Regulierungsprojekts begonnen, wobei der Begriff „Regulierung“ eigentlich zu kurz greift. Vielmehr handelte es sich um ein multifunktionales Stadtentwicklungsprogramm, das neben dem Hochwasserschutz auch eine geregelte Abwasserentsorgung, den Bau einer neuen Stadtbahnlinie und die umfangreiche Gewinnung von Bauflächen vorsah. Im Jahr 1894 wurde zuerst der Ausbau der Sammelkanäle beiderseits der Wien in Angriff genommen, was bereits für sich ein großes Bauvorhaben war. Da die Wienflusskanäle nicht in den Donaukanal münden und diesen verschmutzen sollten, musste gleichzeitig auch der Rechte Hauptsammelkanal entlang des Donaukanals gebaut werden. Die alten Cholerakanäle aus den 1830er-Jahren wurden bis 1904 flussaufwärts bis zum Halterbach bzw. Lainzer Tiergarten verlängert und deren Profile erweitert. Während der Bauarbeiten wurde bereits eine Verlängerung des linken Sammelkanals bis nach Weidlingau geplant, aber erst ab 1957 umgesetzt. Zudem mussten auch alle Zubringerbäche kanalisiert und ebenfalls in den Sammelkanal eingeleitet werden. Der eingewölbte Ottakringer Bach, der seit den 1730er-Jahren im Bereich der heutigen Secession in den Wienfluss mündete, wurde ebenso eingebunden wie der zwischen 1898 und 1907 neu gebaute Ottakringerbach-Entlastungskanal. Der enorme Aufwand, der damals alleine für den Aus- und Umbau des Kanalsystems im Wiental nötig war, ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten.
Mit dem Bau der insgesamt 37 ha großen Hochwasserrückhaltebecken wurde erst 1895 begonnen. Bis 1899 wurden sechs Becken flussab von Weidlingau im Bereich von Auhof ausgehoben, zwei weitere folgten am Mauerbach kurz vor der Mündung in den Wienfluss. Zusammengenommen erreichten sie ein Fassungsvermögen von 1,6 Mio. m³. Damit sollte es möglich sein, selbst ein so katastrophales Hochwasser wie jenes des Jahres 1851 zu verhindern. Konkret ging man von einem maximal anzunehmenden Hochwasserabfluss von 610 m³/s aus, wobei mit 480 m³/s am Wienfluss und 130 m³/s am Mauerbach gerechnet wurde. Davon sollten 210 m³/s in den Retentionsbecken zurückgehalten werden, sodass maximal 400 m³/s im Wienfluss verbleiben und durch das neue „Abflussgerinne“ zum Donaukanal abfließen sollten. Trotz des riesigen Ausmaßes der Becken wurde damit gerechnet, dass sie im Extremfall innerhalb von nur zwei Stunden gefüllt sein würden. Erfahrungsgemäß war dann aber der Höhepunkt des Hochwasserabflusses bereits überschritten und man konnte langsam Wasser aus den Becken in den Wienfluss ablassen. Da die Becken nur bei Hochwässern benötigt wurden, baute man darin auch gleich eine Pferdeschwemme und ein Kinderfreibad, das offiziell aber erst 1917 seinen Betrieb aufnahm.
Gleichzeitig mit dem Bau der Rückhaltebecken (1895–1899) wurde das erste Baulos der eigentlichen Flussregulierung zwischen dem Badhaussteg in Hietzing und dem Getreidemarkt begonnen. Das zweite, direkt flussab anschließende Baulos bis zum Donaukanal folgte 1897–1899. Der noch fehlende Abschnitt von den Hochwasserbecken bis zum Badhaussteg wurde anschließend bis 1902 fertiggestellt. Durch die Integration der Stadtbahntrasse in das regulierte Flussbett, die aber zugleich vollkommen hochwassersicher sein musste, gestalteten sich die Regulierungsarbeiten noch schwieriger als sie ohnehin schon waren. Dazu kam noch, dass die Baustellen 1897 und 1899 durch Hochwässer verwüstet wurden. Um eine Vorstellung von den Dimensionen des Projektes zu bekommen, lohnt auch ein Blick auf die bewegten Erdmassen und Mengen an Baumaterialien. Für die Rückhaltebecken bei Auhof wurden mit zwei großen Baggern rund 1,3 Mio. m³ Bodenmaterial ausgehoben und rund 1 Mio. m³ wegtransportiert. Der nicht benötigte Aushub wurde im Lainzer Tiergarten deponiert. Für die Flussregulierung wurden ebenfalls 1,3 Mio. m³ Erde, Sand und Schotter ausgehoben. Dabei wurde die Sohle der Wien um 0,5 bis 3 m tiefer gelegt, wodurch auch der Hochwasserschutz verbessert werden sollte. Insgesamt wurden rund 800.000 m³ Material für Mauerwerk verbaut. Dafür wurden auf der Baustelle zwischen Weidlingau und Getreidemarkt an die 40 km Gleise verlegt, auf denen 14 Lokomotiven und 425 Loren zum Einsatz kamen.
Die Wienflussregulierung war auch ein städtebauliches Großprojekt. Die ausgeführte Lösung der „Wienflussfrage“ entfernte den Fluss zwar nicht wie von manchen projektiert vollständig aus dem Stadtgefüge, komprimierte ihn aber deutlich in seiner Breite und gliederte ihn auf einer Gesamtlänge von 17 km in vier unterschiedlich gestaltete Abschnitte. Den Hochwasserrückhaltebecken folgt ein 4,5 km langer Abschnitt im offenen Betonbett bis zur heutigen Kennedybrücke. Hier ändert sich die Bauweise des Profils: Die 6,8 km lange Strecke bis zum Stadtpark ist so gestaltet, dass eine Einwölbung jederzeit möglich und auch teilweise realisiert ist. Auf den untersten 1,1 km bis zur Mündung in den Donaukanal wurde auf diese Möglichkeit verzichtet und auf eine repräsentative Inszenierung des Wassers Wert gelegt. Die (potenzielle) Einwölbungsstrecke ist das urbanistische Kernstück des Projektes. Hatten die Studien der 1880er-Jahre im innerstädtischen Bereich noch zwei- und dreiteilige Abflussprofile (mit oder ohne Eisenbahn) vorgesehen, so wies der endgültige Entwurf des Stadtbauamts ein einheitliches Profil auf, das es ermöglichte, einen Teil der Ausführungen der Zukunft zu überlassen, indem man nur die Sohle in der richtigen Lage und die Ufermauer dergestalt ausführte, dass sie als Widerlager der künftigen Einwölbungsringe dienen konnten. Die Überdeckung konnte so ohne größere Neuplanungen mit den Anforderungen wachsen, was schon während der Bauzeit mehrfach geschah. Ursprünglich nur den 550 m zwischen Elisabethbrücke und Schwarzenbergbrücke zugedacht, wurde der überdeckte Teil des Wienflusses auf ca. 2,1 km ausgedehnt. Von der Schleifmühlgasse bis zum Stadtpark verschwand die Wien auf eine Länge von 1,35 km vollständig aus dem Stadtbild. Mit der Errichtung des Wienflussportals am Ende der Einwölbung im Stadtpark 1906 war die Wienflussregulierung großteils abgeschlossen. 1913 bis 1915 folgte nur noch eine Verlängerung der Einwölbung am heutigen Naschmarkt. Weiterführende Einwölbungspläne konnten wegen des Ersten Weltkriegs nicht mehr umgesetzt werden. Die Umgestaltung der Wienzeile zu einem nach Schloss Schönbrunn führenden Prachtboulevard blieb unvollendet.
Quellen
Literatur
- Bericht der vom Gemeinderathe der Stadt Wien berufenen Experten über die Wienfluss-Regulirung im August 1882. Archiv der MA 18, Sign. 895/1 B
- Bericht der vom Gemeinderathe der Stadt Wien berufenen Experten über das vom Stadtbauamte verfaßte technische Elaborat, betreffend die Bestimmung der Größe und Form der Profile für die Wienfluß-Regulierung. Verlag des Gemeinde-Ratspräsidiums 1886, ca. 80 S. mit 20 Tafeln, Archiv der MA 18, Sign. 895/2 B
- Friedrich Hauer: Gezählt, gewogen, geteilt. Stadtumbau am Wienfluss seit 1894. In: Wasser Stadt Wien. Eine Umweltgeschichte. Hg. vom Zentrum für Umweltgeschichte, Universität für Bodenkultur Wien. Wien: Holzhausen Druck 2019, S. 378-397
- Severin Hohensinner / Friedrich Hauer: Neue Maßstäbe. Industrialisierung der Gewässerlandschaft 1830–1918. In: Wasser Stadt Wien. Eine Umweltgeschichte. Hg. vom Zentrum für Umweltgeschichte, Universität für Bodenkultur Wien. Wien: Holzhausen Druck 2019, S. 90-121
- Josef Holzapfel: Die Wien: vom Kaiserbrünndl bis zur Donau. Erfurt: Sutton 2014
- Hans Stadler: Die Entwässerungsanlagen der Stadt Wien. Wien: Mag.-Abt. 30 1960
- Martin Paul: Die Regulierung und Einwölbung des Wienflusses. Sonderabdruck aus: Deutsche Bauzeitung 1903, 37/93.
- Martin Paul: Die Wienflußregulierung. In: Paul Kortz: Wien am Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein Führer in technischer und künstlerischer Richtung. Hg. vom Oesterreichischen Ingenieur und Architekten-Verein. Wien: Gerlach & Wiedling 1905. Band 1, S. 329-343
- Gudrun Pollack: Verschmutzt - Verbaut - Vergessen. Eine Umweltgeschichte des Wienflusses von 1780 bis 1910. Wien: 2013 (Social Ecology Working Paper 138)