Reformation
Die Reformation im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation
Nachdem sich im Lauf des 16. Jahrhunderts die protestantische Lehre auch in Wien wahrscheinlich bei der Mehrheit der Bevölkerung durchgesetzt hatte, blieben im Heiligen Römischen Reich schließlich die habsburgischen Erbländer und Bayern katholisch, von den übrigen weltlichen Reichsfürstentümern wandten sich unter anderem Sachsen, Hessen, Brandenburg, Württemberg und Braunschweig-Lüneburg sowie die meisten Reichsstädte der Augsburger Konfession zu. Nach Verhandlungen auf Reichstagen (1526-1530) wurden die als "Bauernkrieg" bezeichnete soziale Revolution von 1525 und die Diktatur der Wiedertäufer in Münster/Westfalen (1534) niedergeworfen. Es folgten kriegerische Auseinandersetzungen, die schließlich im Augsburger Religionsfrieden (1555) endeten. Gemäß dem Grundsatz "cuius regio, eius religio" (der Herrschaftsinhaber bestimmte die Religion der Untertanen) wurde eine religiöse Koexistenz auf territorialer Grundlage geschaffen. Nach dem neuerlichen Aufbrechen der konfessionellen Gegensätze im Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) wurde diese im Westfälischen Frieden (1648) unter internationaler Garantie legalisiert.
Kirchenkritik und Anfänge
Zur Zeit des Bekanntwerdens der Thesen Martin Luthers waren die Voraussetzungen für die Verbreitung der neuen Lehre in Wien günstig. Schon in den Jahren zuvor wurde immer wieder Kritik an den Missständen der Kirche geäußert. 1492 musste Dr. Johannes Kaltenmarkter, bischöflich-passauischer Offizial in Österreich unter der Enns, seine Kritik an Mönchstum und Ablass öffentlich widerrufen, doch 1508 predigten Pfarrer und Kooperator an der Michaelerkirche im Sinn Kaltenmarkters. 1510 verwarf Philipp vom Turm, der Vorsteher des Heiligengeistspitals, den Ablass, ein Franziskaner predigte bei St. Peter gegen Reliquienverehrung. 1520 verweigerten die Wiener Universität und der Wiener Bischof die Veröffentlichung der päpstlichen Bannbulle gegen Luther und gaben erst aufgrund eines scharfen kaiserlichen Schreibens nach.
Die Verbreitung der Lehre Luthers schien aber zunächst auch durch landesfürstlichen Druck nicht aufzuhalten. Am 17. April 1521 richtete Luther aus Worms einen Brief an Johannes Cuspinian. Am 12. Jänner 1522 predigte Paulus Speratus im Stephansdom gegen Klosterwesen und Zölibat. Speratus wurde von der Wiener theologischen Fakultät exkommuniziert und aus Wien ausgewiesen.[1] 1519 bis 1522 wurden in der Buchdruckerei Singriener 15 Schriften Luthers gedruckt. Als sich am 12. März 1523 Erzherzog Ferdinand erstmals in einem Mandat gegen die schriftliche Verbreitung von Luthers Lehren wandte, leistete am 19. Mai 1524 die Niederösterreichische Regierung gegen den Befehl Widerstand, Vorschläge zur Eindämmung des Luthertums zu erstatten. Da die Stände zum Luthertum neigten, richtete sich die landesfürstliche Gewalt vorerst gegen einzelne bürgerliche Lutheraner. Caspar Tauber, der am 17. September 1524 hingerichtet wurde, war das erste Opfer der Protestantenverfolgung. Er hatte eine eigene Flugschrift drucken lassen, in der die Transsubstantion, das Fegefeuer, die Heiligenverehrung und die Ohrenbeichte abgelehnt wurden. Dr. Balthasar Hubmaier wurde am 10. März 1528 hingerichtet, weil er sich zum Wiedertäufertum bekannte.
Ausbreitung des Protestantismus
Die Türkengefahr und die Belagerung Wiens 1529 nötigten den Landesfürsten zur Zurückhaltung gegenüber dem Protestantismus, der sich rasch ausbreitete. Verordnungen gegen die neue Lehre blieben wirkungslos, weil der Adel sich in den Freihäusern nicht daran hielt. Die Klöster leerten sich. Vor Abschluss des tridentinischen Konzils bezogen auch manche katholische Bischöfe wie Friedrich Nausea einen uneindeutigen Standpunkt. Nausea trat für den Laienkelch und eine Lockerung des Zölibats ein. Maximilian II., der zum Protestantismus hinneigte, aber aus machtpolitischen Überlegungen und Familienräson offiziell an der alten Lehre festhielt, gewährte dem Adel Österreichs unter der Enns 1568 und 1571 die Ausübung der evangelischen Konfession auf seinen Gütern. Die Bürger landesfürstlicher Städte, an ihrer Spitze Wien, für die dies nicht galt, besuchten massenweise die lutherischen Gottesdienste im Landhaus und in Adelsschlössern der Umgebung wie Hernals, Inzersdorf und Rodaun. Dieses Phänomen wurde als "Auslaufen" bezeichnet. Noch in den 1560er und 1570er Jahren schien der Vormarsch des Protestantismus nicht aufzuhalten. Katholische Gottesdienste wurden nur noch spärlich besucht, ein Teil der Kirchen und Klöster war von protestantischen Prädikanten besetzt. 1557 hatte Wien in der Person des Sebastian Hutstocker sogar kurzfristig einen protestantischen Bürgermeister. Auch am Kaiserhof Maximilian II. lebten mit dem Leibarzt Johann Crato von Crafftheim und dem Botaniker Carolus Clusius prominente Protestanten.
Gegenreformation
Nach dem Tod Kaiser Maximilians II. wurde die Situation für die Protestanten jedoch schwieriger. Unter Rudolf II., der sich in Österreich 1583 bis 1593 durch seinen Bruder Ernst vertreten ließ, setzten Maßnahmen zur Rekatholisierung ein (siehe: Gegenreformation, Jesuiten, Melchior Khlesl). Diese wurden vom 1578 begründeten Klosterrat getragen. Bereits 1577 hatte Rudolf II. den öffentlichen protestantischen Gottesdienst in Wien verboten, und im darauffolgenden Jahr wurde der Prediger Josua Opitz aus Wien ausgewiesen, die protestantischen Kirchen und Schulen in der Stadt wurden geschlossen.[2] Am 19. Juli 1579 fand eine Großdemonstration evangelischer Bürger vor der Hofburg statt ("Sturmpetition"). Für die Durchsetzung gegenreformatorischer Maßnahmen erwies es sich von zentraler Bedeutung, dass der Rat der Stadt Wien mehrheitlich katholisch geblieben war. Dadurch kam es schon Mitte des 16. Jahrhunderts vereinzelt zu drastischen Maßnahmen, die sich gegen einzelne Protestanten richteten. Dem protestantischen Bäckerjungen Johann Hayn, der während einer Fronleichnamsprozession den Priester attackierte und die Monstranz und das "Allerheiligste" schändete, wurde die Zunge abgeschnitten, die Hände abgehauen und am Scheiterhaufen verbrannt.[3] Erzherzog Ernst verweigerte den landesfürstlichen Städten und Märkten in den Verhandlungen mit den Ständen 1578-1580 jeden politischen Handlungsspielraum. Damit gingen sie ihrer Unterstützung durch den Adel verlustig. Zudem tauschte er rigoros Protestanten in den Ämtern und Verwaltungsorganen der Stadt durch Katholiken aus.[4]
Unter Ferdinand II. wurde die Rekatholisierung radikal vollzogen. 1623 wurde die Universität den Jesuiten übergeben, am 20. März 1625 erfolgte die Ausweisung aller Nichtkatholiken aus Wien; ab 28. Juli 1623 durften nur noch Katholiken Bürger werden und städtische Funktionen bekleiden, ab 1629 die Landstände Österreichs unter der Enns nur noch Katholiken als neue Mitglieder aufnehmen.
Der Westfälische Friede (1648) garantierte den evangelisch gebliebenen Adelsfamilien die private Ausübung ihrer Konfession (politisch waren sie zur Bedeutungslosigkeit verurteilt) und dem evangelischen Personal ausländischer Gesandtschaften die Ausübung des Gottesdiensts innerhalb der Gebäude (Gesandtschaftskapellen); auch gegenüber Niederlegern gab es eine gewisse Toleranz. Das Toleranzpatent Josephs II. (13. Oktober 1781) bedeutete für den Protestantismus in Österreich eine neue Epoche.
Literatur
- Evangelisch! Gestern und heute einer Kirche (Katalog des NÖ Landesmuseums NF 437). St. Pölten: Niederösterreichische Landesregierung 2002
- Gustav Reingrabner: Protestanten in Österreich. Geschichte und Dokumentation. Wien / Graz [u.a.]: Böhlau 1981
- Gustav Reingrabner: Der österreichische Protestantismus im Zeitalter der Renaissance. In: Niederösterreichische Landesausstellung Renaissance in Österreich. Schloß Schallaburg, 22. Mai bis 14. November 1974. Wien: Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, Abt. III/2 - Kulturabteilung 1974 (Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums / Neue Folge, 57), S. 404 ff.
- Stephan Skalweit: Reich und Reformation. Berlin: Propyläen Verlag 1967
- Moritz Smets: Wien im Zeitalter der Reformation. Preßburg: Heckenast 1875
- Arthur Stögmann: Die Gegenreformation in Wien. Formen und Folgen für die städtische Gesellschaft (1580-1660). In: Rudolf Leeb - Susanne Claudine Pils - Thomas Winkelbauer [Hg.]: Staatsmacht und Seelenheil. Gegenreformation und Geheimprotestantismus in der Habsburgermonarchie. Wien / München: R. Oldenbourg 2007 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, 47), S. 273-288
- Karl Vocelka: Kirchengeschichte. In: Karl Vocelka - Anita Traninger [Hg.]: Die frühneuzeitliche Residenz (16. bis 18. Jahrhundert). Wien / Köln / Weimar: Böhlau 2003 (Peter Csendes - Ferdinand Opll [Hg.]: Wien. Geschichte einer Stadt, 2), S. 311-363
- Theodor Wiedemann: Geschichte der Reformation und Gegenreformation im Lande unter der Enns. 5 Bände. Prag: Tempsky 1879-1886
Referenzen
- ↑ Karl Vocelka: Kirchengeschichte. In: Karl Vocelka - Anita Traninger [Hg.]: Die frühneuzeitliche Residenz (16. bis 18. Jahrhundert). Wien / Köln / Weimar: Böhlau 2003 (Peter Csendes - Ferdinand Opll [Hg.]: Wien. Geschichte einer Stadt, 2), S. 314.
- ↑ Karl Vocelka: Kirchengeschichte. In: Karl Vocelka - Anita Traninger [Hg.]: Die frühneuzeitliche Residenz (16. bis 18. Jahrhundert). Wien / Köln / Weimar: Böhlau 2003 (Peter Csendes - Ferdinand Opll [Hg.]: Wien. Geschichte einer Stadt, 2), S. 325.
- ↑ Moritz Smets: Wien im Zeitalter der Reformation. Preßburg: Heckenast 1875, S. 49.
- ↑ Arthur Stögmann: Die Gegenreformation in Wien. Formen und Folgen für die städtische Gesellschaft (1580-1660). In: Rudolf Leeb - Susanne Claudine Pils - Thomas Winkelbauer [Hg.]: Staatsmacht und Seelenheil. Gegenreformation und Geheimprotestantismus in der Habsburgermonarchie. Wien / München: R. Oldenbourg 2007 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, 47), S. 275.