Bürgerspitalzinshaus
48° 12' 17.19" N, 16° 22' 8.20" E zur Karte im Wien Kulturgut
Bürgerspitalzinshaus (Areal 1., Maysedergasse 2-8, Tegetthoffstraße 5-9, 6-10, Lobkowitzplatz 1, Gluckgasse 1-5, Augustinerstraße 8, Führichgasse 5, Albertinaplatz 1; Konskriptionsnummer 1100), erbaut 1783 bis 1790 durch Um- beziehungsweise Neubau des Bürgerspitals.
Ab 1782 übersiedelten die Insassinnen und Insassen des Bürgerspitals im Zuge der Reformen Josephs II. in verschiedene, spezialisierte Einrichtungen. Am 26. Oktober 1784 wurde die Bürgerspitalkirche entweiht, 1785 waren die Übersiedlungen abgeschlossen. Das Gebäude wurde von 1783 bis 1790 unter Verwendung älterer Bausubstanz errichtet. Als Baumeister fungierte Josef Meissl der Ältere, der nach seinem Tod 1790 von Josef Gerl abgelöst wurde [1].
Das Bürgerspitalzinshaus reichte von der Kärntner Straße bis zum Lobkowitzplatz und von der Augustinerstraße bis zur Gluckgasse, hatte zehn Höfe, 20 Stiegen, bis zu 220 Wohnungen und zahlreiche Geschäftslokale. Es besaß sechs Eingänge: Ein Fahrtor von der Kärntner Straße, zwei vom Spitalplatz, eines gegenüber dem Lobkowitzpalais, sowie eine einfache Tür und ein für den Wagenverkehr gesperrtes Fahrtor in der Klostergasse. Laut Moritz Bermann, der allerdings elf Höfe angibt, besaß das Haus 4.000 Fenster und 3.000 Türen. Die Mietzinseinnahmen kamen dem Bürgerspitalfonds zugute, dem, als Nachfolgeorganisation des Bürgerspitals, das Zinshaus gehörte. Der Fonds hatte unter anderem die Altenversorgung in Wien zu finanzieren.
Die Mieter kamen aus allen Bevölkerungsschichten, auch prominente Namen fehlen nicht (Ferdinand Raimunds Vater Jakob Raimann, Johann Emanuel Schikaneder mit seiner Gattin Eleonore, Friedrich Treitschke, Franz Schuberts Freund Franz Freiherr von Schlechta, 1830/1831 vorübergehend Franz Grillparzer, weiters der Historiker Johann Kaltenböck, der Hofbibliothekskustos Adam Ritter von Barsch, der Hofkammerarchivsdirektor Johann Georg Megerle von Mühlfeld; weiters viele Sänger, Musiker und Komponisten des nahegelegenen Kärntnertortheaters, wie Konradin Kreutzer und andere). In der Wohnung des Hofkonzipisten der königlich-ungarischen Hofkanzlei Nikolaus Zmeskall von Domanovecz wurden über lange Jahre hinweg "Privatmorgenkonzerte" veranstaltet. Zmeskall war laut Leopold von Sonnleithner ein begabter Cellist, außerdem komponierte er (seine Kompositionen, die er nie veröffentlichte, vermachte er dem Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde). Bei diesen Konzerten traten nur die besten (Kammer-)Musiker vor sehr wenigen Zuhörern auf. Auch Ludwig van Beethoven ließ hier nach seinem Bruch mit dem Fürsten Karl Lichnowsky seine neuesten Werke versuchsweise aufführen.
Ab 1794 bestand im Bürgerspitalzinshaus ein Kaffeehaus, das Café Corra. Simon Corra, der es 1821 übernahm, richtete erstmals in Wien einen Kaffeehausvorgarten ("Schanigarten") ein. 1846 wurde das Café einer umfassenden Umgestaltung durch den Architekten Martinetti unterzogen, der es mit viel Carrara-Marmor und Mahagoni ausstattete und mit rotem und grünem Samt tapezierte. Auch dieses Lokal stand mit Künstlern in enger Verbindung: Es entwickelte sich zum Treffpunkt von Schauspielern und Schriftstellern (unter anderen Adolf Bäuerle, Eduard von Bauernfeld, Ignaz Franz Castelli, Johann Josef La Roche und Johann Gabriel Seidl).
Der Komplex wurde 1873 an die Allgemeine Österreichische Baugesellschaft (gegründet 1869 von der Creditanstalt) verkauft[2]. Wegen der Straßenregulierung war die Abtragung des Komplexes nötig. Außerdem verspachen moderne Wohnungen einen höheren Zinsertrag. Der Abriss ging stückweise bis 1883 vonstatten. Die Parzellierung erfolgte durch die Allgemeine Österreichische Baugesellschaft. Bei dieser Gelegenheit entstanden die Tegetthoffstraße, die Mayseder- und die Führichgasse. Die Neubauten bewirkten eine enorme Veränderung des Stadtbilds (siehe Kärntner Hof und Philipphof).
Gewerbe und Firmen innerhalb des Hauses im Laufe der Jahre
- Café Corra
- Café Katzmayer (siehe Café Mozart)
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Bürgerspitalfonds, B12: Zinsbücher - Bewohnerinnen und Bewohner sowie Mietzinse 1786-1873
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Bürgerspitalfonds, A5: Zinsertragsbekenntnisse 1826-1853
- Wiener Stadt- und Landearchiv, Pläne aus dem Bürgerspital, P1: 725 - Pläne des Bürgerspitalzinshauses 1838-1846
- Wien Museum Online Sammlung: hochauflösende Abbildungen zum Bürgerspitalzinshaus
Literatur
- Felix Czeike: Die Kärntner Straße. Wien [u.a.]: Zsolnay 1975 (Wiener Geschichtsbücher, 16), S. 69 ff.
- Hans Pemmer: Das Bürgerspitalzinshaus und seine Bewohner im Vormärz. In: Wiener Geschichtsblätter 12 (1957), S. 73 ff.
- Robert Messner: Wien vor dem Fall der Basteien. 1958, S. 157
- Gustav Gugitz: Bibliographie zur Geschichte und Stadtkunde von Wien. Hg. vom Verein für Landeskunde von Niederösterreich und Wien. Band 3: Allgemeine und besondere Topographie von Wien. Wien: Jugend & Volk 1956, S. 323 f. (Bürgerspital)
- Paul Harrer-Lucienfeld: Wien, seine Häuser, Menschen und Kultur. Band 6, 1. Teil. Wien ²1956 (Manuskript im WStLA), S. 90 f.
- Anna Schirlbauer, Verloren im Bürgerspitalzinshaus? Versuch einer Rekonstruktion des legendären Wiener Gebäudekomplexes. In: Wiener Geschichtsblätter 59 (2004), S. 324–337
Einzelnachweise
- ↑ WStLA, Bürgerspital, A1: XXXIX 41
- ↑ Tauschvertrag vom 22. Februar 1873 (Wiener Stadt- und Landesarchiv, Hauptarchiv-Akten, A1: 45/1873). Im Zuge der Transaktion erwarb der Bürgerspitalfonds die Häuser 1., Schottenring 20, 22, 24, 26 sowie 28, 30, 32 und 1., Zelinkagasse 1, 3, 5, 7, 9, 11, 13.