Wiener Kochbücher
Bereits der erste Abschnitt des handschriftlichen Kochbuches des Dorotheerklosters (Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. 2897) aus dem 15. Jahrhundert ist mit "Wiener Kochbuch" überschrieben, doch dauerte es bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bis sich der Begriff in der Kochbuchliteratur etabliert hatte.
Dieses, wie viele spätere Kochbücher, berücksichtigte das medizinische Wissen seiner Zeit. Noch der "Freywillig aufgesprungener Granat-Apffel des Christlichen Samariters" der Eleonora Maria Rosalia, Herzogin von Troppau und Jägerndorf, erstmals 1695 bei Leopold Voigt erschienen, und damit eines der ältesten gedruckten Kochbücher, war in erster Linie ein Arzneibuch. Das Wort "Rezept" das sowohl für Kochanleitungen als auch für medizinische Verschreibungen verwendet wird, macht diesen Zusammenhang noch heute deutlich.
Ab der Frühen Neuzeit findet man Kochrezepte oder Methoden Fleisch, Obst und Gemüse zu konservieren auch in der sogenannten "Hausväterliteratur": Haushaltsratgeber, Haushaltungstaschenbücher und Wirtschaftskalender, die alle Bereiche der Haushaltsführung wie Garten- und Feldarbeit, Kosmetik und Körperpflege, Handarbeiten, Wäschepflege, Tierhaltung oder Schädlingsbekämpfung behandelten. Diese Literaturgattung wie auch ältere Kochbücher richteten sich vor allem an Hausfrauen, die ihre Aufgabe darin sahen, das Küchenpersonal zu beaufsichtigen, und für die daher wenigstens theoretische Grundkenntnisse der Haushaltsführung empfehlenswert waren.
Lange Zeit waren Kochbücher nur einer schmalen Bevölkerungsschicht vorbehalten. Ihre Herstellung war teuer, einfache Leuten waren nicht alphabetisiert, daher wurden viele Rezepte aus der bäuerlichen und kleinbürgerlichen Küche nur mündliche und vor allem durch praktische Anleitungen von einer Generation zur nächsten weitergegeben.
Ab der Aufklärung hatten viele Kochbücher den Anspruch, alle Bevölkerungsgruppen in die Lage zu versetzen, auch komplizierte Speisen selbst zuzubereiten. Einen Meilenstein setzte hier Ignaz Gartler mit seinem "Wienerisch bewährtem Kochbuch". Das Buch erschien erstmals 1740 und basiert auf einer Rezeptsammlung, die zunächst in Linz erschienen war. Es wurde während der nächsten 100 Jahre wiederholt überarbeitet und neu aufgelegt, zunächst von Ignaz Gartler selbst, später von Barbara Hikmann und schließlich von Franz G. Zenker.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das Kochbuch "bürgerlich" geworden. Die Erfindung der Schnellpresse und der Papiermaschine sowie die Ausbreitung des Verlags- und Buchhandelswesens machten Kochbücher für breitere Bevölkerungsschichten überhaupt erst erschwinglich. Sehr häufig adressiert der Kochbuchtitel die neue Publikumsschicht direkt: Jetzt erschienen Kochbücher für "Bürgerfamilien aus der gebildeteren Mittelclasse", Kochbücher für "alle Stände" oder für "Frauen mittlerer Stände". Gleichzeitig war das ein Hinweis, dass die darin vorgestellten Gerichte nicht unbedingt die Ausstattung einer herrschaftlichen Küche erforderten, sondern auch mit einfacheren Mitteln nachgekocht werden konnten.
Der Aufbau eines typischen Kochbuches dieser Zeit spiegelt die Speisefolge wider: Suppe, Fleisch, Gemüse, Mehlspeise und Varianten für Fastenspeisen. Die Autorinnen und Autoren der Biedermeierkochbücher kamen aus der Praxis: Sie standen den Küchen in adeligen oder großbürgerlichen Haushalten vor oder waren an Klosterküchen tätig gewesen. In herrschaftlichen Küchen kochten vor allem Männer, in bürgerlichen Frauen.
Daneben waren handgeschriebene Rezeptsammlungen, die Hausfrauen für ihren persönlichen Gebrauch anlegten, bis ins 20. Jahrhundert durchaus üblich. Die Wienbibliothek im Rathaus besitzt etwa eine komplette Abschrift von Ignaz Gartlers und Barbara Hikmanns "Wienerischem bewährtem Kochbuch".
Da die französiche Küche als besonders raffiniert galt, wurde es in den Wiener Kochbüchern Mode, die Wiener Speisen mit französischen Bezeichnungen zu versehen, wie etwa Franz G. Zenker in seiner "Theoretisch-praktischen Anleitung zur Kochkunst". Mit der Niederschlagung Napoleons gewannen jedoch "Nationalkochbücher" an Bedeutung. So versuchte sich Anna Dorn zumindest im Vorwort zu ihrem 1832 erschienenen "Neuestem Universal- oder Großem Kochbuch" von allem "Ausländischen" abzugrenzen und brachte im selben Buch dann doch Rezepte für "Italiänische Soße", "Englischen Lungenbraten", "Holländischen Reispudding" und "Ungarisches Kolaschfleisch. Aber nicht nur politische und gesellschaftliche Ideen waren für die Beliebtheit der "nationalen Kochbücher" verantwortlich, sondern auch praktische Überlegungen, da die ungeprüfte Übernahme in- und ausländischer Rezepte ein unüberschaubares Chaos an Maßen und Gewichten verursachen konnte, die das Nachkochen entscheidend erschwerten. Gelöst sollte dieses Problem erst 1871 mit der Einführung des metrischen Systems werden. In die Kochbuchliteratur wurde es zuerst von der wohl erfolgreichsten Kochbuchautorin des 19. Jahrhunderts, Katharina Prato, übernommen. Ihre "Süddeutsche Küche" erschien erstmals 1858 und wird bis in die Gegenwart immer wieder neu bearbeitet und aufgelegt. In diesem Kompendium finden sich mit Rezepten aus der gesamten Habsburgermonarchie Gerichte, die zur Wiener Küche verschmolzen.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Kochen als "Kunst" zelebriert. Autorinnen wie Marie von Rokitansky und Louise Seleskowitz bewarben ihre Kochbücher unter anderem mit den Auszeichnungen, die sie auf Kochkunstausstellungen erwerben konnten. Entsprechend aufwändig wurden verschiedene Speisen zubereitet und garniert, was jetzt in Kochbüchern auch bildlich dargestellt werden konnte, denn neue drucktechnische Entwicklungen boten neue Möglichkeiten zur grafischen Gestaltung. Jetzt erschienen auch die ersten illustrierten Zeitschriften mit Kochrezepten. Mit der aufkommenden ersten Frauenbewegung eröffneten sich allmählich neue Ausbildungs- und Erwerbsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen. Kochkurse und –schulen spielten in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Prominente Kochbuchautorinnen leiteten Kochschulen oder gaben Kochkurse und auch das Standardwerk "Wiener Küche" von Olga und Adolf Hess war zunächst ein Lehrbuch.
Aber auch die neu aufstrebende Lebensmittelindustrie und neue Küchentechnologien fanden ihren Niederschlag in Kochbüchern. Manche durchaus prominente Autorinnen und Autoren empfahlen in ihren Kochbüchern Fertigprodukte wie Suppenwürfel. Daneben erschienen auch Werbebroschüren mit Kochrezepten: Die Kunerol-Werke gaben eine "Sammlung erprobter Kochrezepte für jeden Haushalt" heraus, die Österreichische Fischhandelsgesellschaft ein "Seefisch-Kochbuch" und die Gaswerke Wien ein "Praktisches Kochbuch für die Gasküche".
Die Kochbuchproduktion während der beiden Weltkriege reagierte auf die Versorgungsengpässe: Nun erschienen Rezepte, die möglichst auf Fleisch, Fett und Eier verzichteten. Es wurde auf Erdäpfel und Gemüse, aber auch auf Wildpflanzen wie Brennesseln, Spitzwegerich oder Pilze zurückgegriffen oder man verwendete Ersatzstoffe. Auch die Kochbücher selbst waren sehr einfach ausgestattet und vielfach nur mehr als Broschüren zu bezeichnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es Köchen wie Franz Ruhm und Albert Kofranek, trotz internationaler Einflüsse, die klassische Wiener Küche wieder zu etablieren. "Was koche ich heute (Wiener Kochbuch)" der beiden Gastronomen Hans Ziegenbein und Julius Eckel, eines der erfolgreichsten Kochbücher der Zwischenkriegszeit, wurde auch nach 1945 mehrmals neu aufgelegt.
Neben Köchen konnten ab dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts auch Schriftstellerinnen und Journalisten wie Eva Bakos, Franz Maier-Bruck und Christoph Wagner durchaus als Autorinnen und Autoren von Kochbüchern reüssieren. In Zusammenarbeit mit Köchen entstanden Standardwerke: 1975 veröffentlichten Franz Maier-Bruck und Ernest Richter "Das Große Sacher Kochbuch", 1993 erschien "Die gute Küche" von Christph Wagner und Ewald Plachutta.
Siehe auch: Wiener Küche.
Gescannte Kochbücher der Wienbibliothek im Rathaus
Köche, Kochbuchautorinnen und -autoren
Person | Beruf | Geburtsdatum | Sterbedatum |
---|---|---|---|
Backhuhn | |||
Eva Bakos | Journalistin Schriftstellerin Kochbuchautorin | 26 August 1929 | 21 November 2003 |
Anna Dorn | Köchin Kochbuchautorin | ||
Karl Duch | Koch Kochbuchautor | 29 September 1898 | 16 April 1973 |
Julius Eckel | Koch Kochbuchautor | 1893 | 1980 |
Friedrich Hampel | Koch Kochbuchautor | 29 Juli 1868 | 23 Mai 1926 |
Adolf Hess | Schulinspektor Schuldirektor Kochbuchautor | 12 November 1862 | 5 Dezember 1928 |
Olga Hess | Hauswirtschaftslehrerin Kochbuchautorin | 4 Juli 1881 | 1 März 1965 |
Rudolf Kaske | Koch Gewerkschaftsfunktionär Politiker | 22 Mai 1955 | |
Albert Kofranek | Koch Konditor Kochbuchautor | 1890 | 1970 |
Franz Maier-Bruck | Kochbuchautor Verlagslektor | 26 August 1927 | 7 Mai 1982 |
Ewald Plachutta | Koch Gastronom | 16 Juni 1940 | |
Katharina Prato | Kochbuchautorin | 26 Februar 1818 | 23 September 1897 |
Hanno Pöschl | Schauspieler Gastronom | 2 Juli 1949 | |
Magdalena Dobromila Rettigová | Schriftstellerin Kochbuchautorin | 31 Januar 1785 | 5 August 1845 |
Ernest Richter | Koch Fotograf | 1938 | |
Marie von Rokitansky | Kochbuchautorin | 13 Januar 1848 | 6 November 1924 |
Eva Rossmann | Schriftstellerin Journalistin Köchin | 1 Januar 1962 | |
Franz Ruhm | Koch Verleger | 31 Juli 1896 | 20 März 1966 |
Anna Sacher | Hotelbesitzerin Köchin | 2 Januar 1859 | 25 Februar 1930 |
Eduard Sacher | Hotelier Gastwirt Koch | 8 Februar 1843 | 22 November 1892 |
Franz Sacher | Koch | 16 Dezember 1816 | 11 März 1907 |
Josef Schmall | Kochbuchautor Kaufmann | 2 Februar 1868 | 1946 |
Marie Schmall | Kochbuchautorin Kauffrau | 4 August 1868 | 1943 |
Louise Seleskowitz | Kochbuchautorin | 24 März 1830 | 4 Dezember 1899 |
Alice Urbach | Kochbuchautorin Besitzerin einer Kochschule | 5 Februar 1886 | 26 Juli 1982 |
Antoine Villars | Koch | 1736 | 26 Mai 1790 |
Christoph Wagner | Kochbuchautor Journalist | 23 März 1954 | 17 Juni 2010 |
Franz G. Zenker | Koch | 1782 | |
Hans Ziegenbein | Koch Kochbuchautor | 1893 | 1955 |
Franz Zodl | Koch Lehrer | 14 August 1944 | 18 September 2010 |
Literatur
- Ingrid Haslinger: Die Wiener Küche. Eine Kulturgeschichte. Wien: Mandelbaum Verlag 2018
- Henry Notaker: A History of Cookbooks. From Kitchen to Page over Seven Centuries. Oakland (CA): University of California Press 2017
- Julia Danielczyk / Isabella Wasner-Peter [Hg.]: "Heut' muß der Tisch sich völlig bieg'n". Wiener Küche und ihre Kochbücher. Wien: Mandelbaum 2007
- Franz Maier-Bruck: Das große Sacher Kochbuch. Die österreichische Küche. München: Schuler Verlagsgesellschaft 1975