Kriminalität

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Das alte Hochgericht vor dem Schottentor um 1780.
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Letzte Änderung am 26.07.2023 durch WIEN1.lanm08uns
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BildunterschriftInformation, die unterhalb des Bildes angezeigt werden soll Das alte Hochgericht vor dem Schottentor um 1780.

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Quellenlage

Die Erforschung der Kriminalitätsgeschichte leidet an zwei bedeutenden massiven Quellenverlusten. Im Jahr 1849 wurde im Zuge der Übersiedlung des Wiener Kriminalgerichts vom Hohen Markt in das Landesgericht der gesamte historische Aktenbestand skartiert. Im Jahr 1927 wurde schließlich im Zuge des Justizpalastbrandes das Archiv des Ministerium für Inneres großteils ein Opfer der Flammen.[1]

Mittelalter, Frühe Neuzeit und frühes 19. Jahrhundert

Wie bei anderen mittelalterlichen Stadtgründungen machte unzweifelhaft auch im Fall von Wien das rasche Stadtwachstum den Stadtraum zum beliebten Tatort für größere und kleinere kriminelle Akte. Aufgrund der ungünstigen Quellenlage lassen sich diese jedoch systematisch vor dem 17. Jahrhundert kaum erschließen, lediglich aus den strafrechtlichen Bestimmungen der älteren Wiener Stadtrechte werden sie aus normativen Quellen fassbar. Für die Verfolgung von Verbrechen zuständig war der Stadtrichter, der sich zur Ergreifung von Kriminellen seiner Büttel bediente. Seit 1646 stand ihm die Rumorwache als Vorform der Polizei zur Verfügung. Das Hauptgefängnis befand sich im Amtshaus in der Rauhensteingasse 10.

Für das 17. Jahrhundert ist nachweisbar, dass es nahezu täglich zu Formen des Totschlages kam. Vor allem Raufhändel und Schlägereien mit tödlichem Ausgang, aber auch Mordversuche waren sehr häufig, Mord vergleichsweise seltener. Der Mord am Dienstherren galt als erschwerend. Die Täter wurden üblicherweise mit dem Schwert geköpft, begnadigte als Galeerensträflinge verkauft oder zur Zwangsarbeit im Stadtgraben oder zur Schanzarbeit in den Festungen an der Militärgrenze verdonnert. Körperverletzungen dürften häufig vorgekommen sein und wurden nach dem Prinzip „Aug um Aug“, „Zahn um Zahn“ gerichtet. Religionsprozesse konzentrierten sich im 16. Jahrhundert auf Ketzerei, im 17. und frühen 18. Jahrhundert spielte Gotteslästerung eine größere Rolle. „Ketzer“ wurden zumeist verbrannt, Gotteslästerer auch enthauptet. Für Diebstähle gab es eine Wertgrenze von rund 25 Gulden. Besaß das gestohlene Gut einen höheren Wert, stand darauf der Tod durch den Strang, darunter Leibesstrafen wie „Handabhaken“ oder aber auch nur „am Pranger stehen“ oder Landesverweisungen. Eine im kollektiven Gedächtnis bekannte Strafe für Betrug stellte das Bäckerschupfen dar.

Sittlichkeitsdelikte wie Vergewaltigungen wurden offensichtlich selten angezeigt. Uneheliche Geschlechtsverkehr galt als „Hurerey“ und wurde mit Geld- und Körperstrafen für die betroffenen Frauen (kaum die Männer) geahndet. Auf Sodomie stand das Verbrennen von Mensch und Tier. Vergleichsweise milde waren die Strafen auf Ehebruch und Kuppelei durch Rutenstreiche oder Landesverweisung.

Geht man nach der öffentlichen Wahrnehmung dann nahm im Lauf der frühen Neuzeit der Kindsmord zu. DelinquentInnen versuchte man mit der drakonischen Strafe des Enthauptens abzuschrecken.

Auf Basis der Gerichtsurteile lässt sich für das 17. Jahrhundert begründet vermuten, dass schwere Diebstähle bei Männern und Körperstrafen für kleinere Diebstähle und Sittlichkeitsdelikte bei beiden Geschlechtern am häufigsten vorkamen.[2] Mit der Mitte des 17. Jahrhunderts erfolgten Gründung der Totenbruderschaft, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, hingerichtete Verbrecher zu bestatten, lassen sich die abgeurteilten Übeltäter quantitativ besser fassen. Auch im Wiener Diarium wurde immer wieder über Straftaten berichtet und die dort abgedruckte Statistik der Sterbefälle weist auch Morde und Verbrechen mit tödlichem Ausgang aus.

Unter Kaiser Joseph II. wurde die Todesstrafe im Wesentlichen abgeschafft, unter seinen Nachfolgern jedoch wieder eingeführt. Hingegen mussten männliche und weibliche Sträflinge sich die Haare scheren lassen und in diesem Zustand in der Öffentlichkeit die Straße reinigen. In der Zeit der napoleonischen Kriege und unmittelbar danach nahm die Unsicherheit vor allem im Wiener Umland durch Überfälle auf Postkutschen durch Räuberbanden zu. So fand beispielsweise die Hinrichtung des berühmt-berüchtigten Räuberhauptmanns Johann Georg Grasel mit zwei seiner Kumpanen am 31. Jänner 1818 am Glacis, und nicht auf der üblichen Hinrichtungsstätte am Galgen bei der Spinnerin am Kreuz statt. Die letzte öffentliche Hinrichtung erfolgte 1868, der Raubmörder Georg Ratkay wurde zum Tod durch den Strang verurteilt.[3]

Vom späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart

Tatortskizze aus 1895

Ende des 19. Jahrhunderts verbesserten sich die Möglichkeiten der Kriminaltechnik durch Fotografie und chemische Methoden erheblich, was zu deutlich höheren Aufklärungsquoten führte. Im Jahr 1898 wurde das „Büro für Erkennung, Kriminaltechnik und Fahndung“ gegründet, in dem diese Methoden erprobt und verfeinert wurden. 1902/03 wurde in Wien das Identifizierungsverfahren der „Daktyloskopie“ (Fingerabdruckverfahren) nach dem System Galton-Henry eingeführt. Im neuen Polizeigebäude in der Berggasse wurde ein Fotolabor eingerichtet. 1909 kamen erstmals Polizeihunde zum Einsatz. Die 1923 gegründete INTERPOL hatte bis 1938 ihren Sitz in Wien.[4]

Beispielsweise in den Jahren 1909-1913 wurden pro Jahr im Durchschnitt etwa 80.000-90.000 Männer und 20.000 Frauen „arretiert“. In diesen Jahren gab es rund 100 Mordfälle oder Fälle von Totschlag jährlich.[5]

Einzelne Kriminalfälle erlangten große öffentliche Aufmerksamkeit, wie der des Kassenschränkers Johann Breitwieser. Breitwieser wandte für seine zahlreichen Einbrüche geradezu wissenschaftliche Methoden an. Da sich seine Einbrüche auf Banken, Fabriken und ähnliche Unternehmungen konzentrierten, genoss er den Ruf eines „Robin Hood“. Breitwieser gelang auch mehrmals die Flucht, er galt als „Einbrecherkönig“. Am 1. Juni 1919 wurde er allerdings in seinem Versteck umstellt und starb nach einem Feuergefecht mit der Polizei.[6]

Wiener Zeitung vom 25. Juli 1934.

Die Zwischenkriegszeit war auch durch zahlreiche politisch motivierte Morde gekennzeichnet, zunächst besonders in der Nachkriegszeit des Ersten Weltkrieges.[7] In der Folge waren es vor allem die Morde an Engelbert Dollfuß und Moritz Schlick und der versuchte Mordanschlag auf Ignaz Seipel, welche große Bedeutung erlangten.[8]

Während zuvor das Alter von Personen die kriminelle Handlungen begangen hatten, formal keine Rolle spielte, nahm um 1900 das österreichische Jugendstrafrecht seinen Anfang. Am 25. Oktober 1920 wurde der Jugendgerichtshof Wien in der Hainburger Straße 34-36 eingerichtet, er übersiedelte 1922 in die Rüdengasse 7-9 und wurde im Jahr 2003 aufgelassen. Novellierungen des Jugendgerichtsgesetzes erlaubten ab 1961 die Bestellung von Bewährungshelfern.[9] Abseits der Verbrechen des NS-Regimes im Rahmen seiner Rassenpolitik und der Verfolgung der politischen Opposition, war die Zeit nach dem „Anschluss“ zunächst durch eine gewisse Milde in der Verfolgung von Berufskriminalität geprägt. Im Lauf des Zweiten Weltkrieges wurden jedoch mehr und mehr hohe Strafen und Todesurteile auch wegen kleinerer Delikte (z.B.: Diebstahl von Lebensmitteln, „Wehrkraftzersetzung“) verhängt.

In der Nachkriegszeit nach dem Zweiten Weltkrieg erregten Großprozesse gegen sogenannte „Plattenbrüder“ die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Dabei handelte es sich um Gangs, die Einbrüche, Raubüberfälle, Morde und Betrügereien im großen Stil betrieben und ihre Basis in bestimmten Stadtvierteln hatten. So fand beispielsweise 1947 der Prozess gegen die „Simon-Platte“ (1944-1947) statt.[10]

Die bewaffnete Flucht und Geiselnahme dreier Ausbrecher (Walter Schubirsch, Alfred Nejedly, Adolf Schandl) aus dem Gefängnis in Stein an der Donau, die unblutig zu Ende ging, erlangte durch den Ausspruch des Polizeipräsidenten Josef Holaubek, in dem er die Täter zur Aufgabe aufforderte: „I bin’s, dein Präsident …) Berühmtheit.[11]

Ausschnitt aus einer Broschüre des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (1961).

Nach der Jahrtausendwende fanden vor allem Kriminalfälle rund um Finanzkriminalität breites Interesse der Öffentlichkeit. Zu diesen zählte etwa die BAWAG-Affäre rund um Spekulationsgeschäfte im Auftrag der BAWAG-Geschäftsleitung in der Karibik im Ausmaß von bis zu drei Milliarden Euro.[12]

Um die Jahrtausendwende wurden in Wien jährlich rund 150.000-160.000 strafbare Handlungen registriert, von denen etwa 60.000-70.000 aufgeklärt werden konnten. Von den mehr als 50.000 ermittelten Tatverdächtigen waren etwa 45.000 Erwachsene und 5.000 Jugendliche, etwa 12.000-13.000 nichtösterreichische Staatsbürger. Die häufigsten Delikte waren strafbare Handlungen gegen fremdes Vermögen. Die Zahl der Morde lag bei etwa 50, der angezeigten Sittlichkeitsdelikte bei etwa 800.[13]

Literatur

  • Gerhard Botz: Gewalt in der Politik. Wien 1976
  • Peter Csendes: Wiener Strafgerichtsbarkeit im 17. Jahrhundert. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 28 (1970), S. 103-119.
  • Max Edelbacher: Wiens dunkle Seite. Spektakuläre Kriminalfälle in der Donaumetropole 1972-2012, Erfurt: Sutton Verlag 2012
  • Max Edelbacher, Harald Seyrl: Wiener Kriminalchronik. Zweihundert Jahre Kriminalistik und Kriminalität in Wien, Wien: Österreichische Staatsdruckerei 1993
  • Maximilian Edelbacher, Harald Seyrl: Tatort Wien. Der neue Wiener Pitaval. Dokumentation der bedeutendsten Kriminalfälle Wiens des 20. Jahrhunderts. Bd. 1-2, Wien-Scharnstein: Edition Seyrl 2004, 2007
  • Karoline Gattringer: Jugend hinter Gittern. Aus den Akten des Wiener Jugendgerichtshofes 1945-1960 (Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs B 95), Wien: Wiener Stadt- und Landesarchiv 2016, S. 3 f.
  • Johann Ev. Schlager: Wiener Skizzen aus dem Mittelalter. Bd. 4, Wien 1842
  • Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 31 (1913). Wien: Gerlach & Wiedling 1916
  • Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 2001, Wien: Magistrat der Stadt Wien 2001
  • Ubald Tartaruga: Der Wiener Pitval. Eine Sammlung der interessantesten Kriminalprozesse aus Alt- und Neu-Wien. Bd. 1-3, Wien-Leipzig: C. Barth 1924

Einzelnachweise:

  1. Max Edelbacher, Harald Seyrl: Wiener Kriminalchronik. Zweihundert Jahre Kriminalistik und Kriminalität in Wien, Wien: Österreichische Staatsdruckerei 1993, S. 7
  2. Peter Csendes: Wiener Strafgerichtsbarkeit im 17. Jahrhundert. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 28 (1970), S. 119.
  3. Ubald Tartaruga: Der Wiener Pitval. Eine Sammlung der interessantesten Kriminalprozesse aus Alt- und Neu-Wien. Bd. 2, Wien-Leipzig: C. Barth 1924, S. 174-183.
  4. Max Edelbacher, Harald Seyrl: Wiener Kriminalchronik. Zweihundert Jahre Kriminalistik und Kriminalität in Wien, Wien: Österreichische Staatsdruckerei 1993, S. 14, 94
  5. Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 31 (1913). Wien: Gerlach & Wiedling 1916, S. 87, 104, 336.
  6. Max Edelbacher, Harald Seyrl: Wiener Kriminalchronik. Zweihundert Jahre Kriminalistik und Kriminalität in Wien, Wien: Österreichische Staatsdruckerei 1993, S. 140.
  7. Gerhard Botz: Gewalt in der Politik. Wien 1976
  8. Max Edelbacher, Harald Seyrl: Wiener Kriminalchronik. Zweihundert Jahre Kriminalistik und Kriminalität in Wien, Wien: Österreichische Staatsdruckerei 1993, S. 181.
  9. Karoline Gattringer: Jugend hinter Gittern. Aus den Akten des Wiener Jugendgerichtshofes 1945-1960 (Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs B 95), Wien: Wiener Stadt- und Landesarchiv 2016, S. 3 f.
  10. Max Edelbacher, Harald Seyrl: Wiener Kriminalchronik. Zweihundert Jahre Kriminalistik und Kriminalität in Wien, Wien: Österreichische Staatsdruckerei 1993, S. 203.
  11. Max Edelbacher, Harald Seyrl: Wiener Kriminalchronik. Zweihundert Jahre Kriminalistik und Kriminalität in Wien, Wien: Österreichische Staatsdruckerei 1993, S. 203.
  12. Max Edelbacher: Wiens dunkle Seite. Spektakuläre Kriminalfälle in der Donaumetropole 1972-2012, Erfurt: Sutton Verlag 2012, S. 91.
  13. Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 2001, Wien 2001, S. 311-313.