Stadtverwaltung nach dem "Anschluss"
Das nationalsozialistische Regime brachte innerhalb weniger Monate die Wiener Stadtverwaltung unter seine Kontrolle und konnte sie für seine Zwecke instrumentalisieren.
Bereits vor der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus war die Stimmung auch im Wiener Magistrat äußerst gespannt, wie ein Erlass vom 8. März 1938 erahnen lässt. Darin werden die Bediensteten ausdrücklich an das Verbot, Hakenkreuze und andere Abzeichen der NSDAP zu tragen oder den Gruß "Heil Hitler!" zu verwenden, erinnert.
Nach der Übernahme der Macht durch den bisherigen, der Heimwehr zugehörigen Vizebürgermeister Fritz Lahr in der Nacht von 11. auf 12. März wurde am 13. März Hermann Neubacher, ein enger Vertrauter von Bundeskanzler Arthur Seyß-Inquart und Vertreter der "gemäßigten", spezifisch österreichischen Richtung des Nationalsozialismus, zum neuen Bürgermeister bestellt. Zu Vizebürgermeistern avancierten der Wiener Gauleiter Franz Richter, SA-Führer Thomas Kozich und zwei Tage später der SS-Führer Hanns Blaschke, der am 24. März zum Ersten Vizebürgermeister aufrückte, was eine Art innernationalsozialistischen Macht- und Interessenausgleich darstellte. Gegen alle drei gab es nach Kriegsende Verfahren vor dem Volksgerichtshof, wobei ihre politische Verantwortlichkeit für die Wiener Kommunalpolitik nicht Gegenstand der Verfahren war.
Im nächsten Schritt wurden alle verbliebenen Organe des Vorgängerregimes wie Bürgerschaft, Bezirksvorsteher oder Bezirksräte aufgelöst. Umgehend wurden zentrale Positionen mit verlässlichen Parteigängern besetzt. Dazu zählte der Magistratsdirektor ebenso wie die Leiter der großen Verwaltungsgruppen. Wo dies nicht sofort möglich war, erhielten Spitzenbeamte "Aufpasser" aus dem Kreis nationalsozialistisch gesinnter Beamter niederer Besoldungsstufen. Dies war auch möglich, weil ein weit verzweigtes illegales nationalsozialistisches Netzwerk unter den Bediensteten existiert hatte.
Am 16. März wurden die leitenden Bediensteten auf den "Führer" vereidigt, am Folgetag alle anderen Bediensteten im Magistrat und in den städtischen Unternehmungen. Die Eidesformel lautete: "Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe." Juden (gemäß Definition der Nürnberger Rassegesetze) waren von vornherein von der Ablegung des Eides ausgeschlossen. Wer sich weigerte, diesen zu leisten, war sofort vom Dienst zu suspendieren. Wenige Tage später hob die Magistratsdirektion alle Disziplinarmaßnahmen des autoritären Regimes auf, die wegen nationalsozialistischer Betätigung, aber auch wegen Beteiligung an den Februarkämpfen 1934 verhängt worden waren. Dies betraf etwa 300 bis 400 Sozialdemokraten und 400 bis 500 Nationalsozialisten. Bürgermeister Neubacher spielte auch im Zuge der Werbung für die Volksabstimmung am 10. April eine zentrale Rolle als Redner vor Arbeiterinnen und Arbeitern ("Aktion Neubacher"). Er berief sich dabei auf die geteilte Opferrolle in den Jahren 1934 bis 1938 und appellierte an den latenten Antiklerikalismus der Arbeiterschaft.
Zu den Propagandaaktionen auf kommunaler Ebene zählten auch zahlreiche Sozialmaßnahmen wie etwa die Aufhebung der unbeliebten Fahrradabgabe durch die Verordnung des Bürgermeisters vom 4. Juni 1938. Im Lauf des Jahres 1938 wurden die Preise für Energie ebenso gesenkt wie die Tarife der Wiener Autobusse und Straßenbahnen. Auch die von Hitler gegen die Absichten der Reichsbank durchgesetzte Umtauschrelation von zwei Reichsmark zu drei Schilling schien günstig, muss aber auch in Relation zur Beschlagnahme des Gold- und Devisenschatzes der Österreichischen Nationalbank gestellt werden. Für die Münzautomaten der Straßenbahn ließ die Stadt Wien vier Millionen Stück einer eigenen Münze prägen, die das Zehn-Groschen-Stück (für das es in der Umrechnung in Pfennig keine Entsprechung gab) ersetzen sollte.
Ein großes Problem stellten insbesondere in den Tagen nach der Machtübernahme willkürliche Akte von Parteistellen dar, die auch in die Kompetenz der Stadtverwaltung eingriffen. Der Bürgermeister sah sich deshalb bereits am 18. März veranlasst, alle Dienststellen anzuweisen, dass „alle ab dem 12. März 1938 von unzuständiger Stelle oder ohne gesetzliche Grundlage getroffenen Verfügungen als gegenstandslos zu betrachten“ seien. Amtsräume, Schulen, aber auch Lokale der sogenannten Arbeiterbüchereien waren von Truppen, Parteistellen oder SA-Verbänden einfach requiriert worden.
Der weiteren Gleichschaltung der öffentlichen Bediensteten diente die Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums, die am 1. Juni in Kraft trat und explizit auch für Personen in einem öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Dienstverhältnis zur Stadt Wien galt (Details siehe unter Magistratsbeamte). Ein verschärftes Dienstrecht und rigorose Kontrollen des politischen Verhaltens erzeugten, wenn erforderlich, den notwendigen Anpassungsdruck. Auch die Versetzung österreichischer Bediensteter in das "Altreich" war ein mögliches Disziplinierungsmittel. Eine Reihe von Erlässen der Magistratsdirektion forderten strikte Verhaltensregeln ein – sei es die Verpflichtung öffentlicher Bediensteter und deren Familienangehörige, nur bei "arischen" Geschäftsleuten einzukaufen, die obligatorische Ausrichtung einer Feierstunde in jeder Dienststelle zu „Führers Geburtstag“ oder die Verwendung des "deutschen Grußes" sowohl Vorgesetzten und Kollegen als auch Kunden gegenüber.
In struktureller Hinsicht entsprach der Aufbau des Magistrats auch nach dem "Anschluss" der Geschäftseinteilung des Jahres 1934. Die Magistratsabteilungen waren in sechs Verwaltungsgruppen unterteilt, deren Leiter nicht – wie vor 1934 und nach 1945 – Amtsführende Stadträte, sondern dem Bürgermeister unterstellte Beamte waren. Die Landeshoheitsrechte Wiens waren auf das Reich übergegangen, der Magistrat durfte als Landesbehörde nur mehr im Namen und Auftrag des Reichs tätig werden. Die der "ständestaatlichen" Bürgerschaft ohnehin sehr beschränkt zugestandenen Gesetzgebungsrechte wurden durch ein Verordnungsrecht des Bürgermeisters ersetzt, dessen Inhalte wiederum vom Reichsstatthalter genehmigt werden mussten. Neben kleineren Änderungen im Bereich der Magistratsabteilungen – so wurde entsprechend dem nationalsozialistischen Ideal der Körperertüchtigung zur Hebung der Kriegstauglichkeit im August 1938 ein eigenes Amt für Leibesübungen geschaffen – vereinigte das mit Erlass vom 5. Juli geschaffene Personalamt als Gruppe VII alle Personalagenden.
Von bleibender Bedeutung war die Einrichtung der Gruppe VIII – Kulturamt der Stadt Wien am 22. September 1938, in die neben dem Archiv und den Städtischen Sammlungen (bis dahin selbständige Ämter) eine neugegründete Magistratsabteilung 50 (Rechts- und Verwaltungsangelegenheiten der Kultur- und Gemeinschaftspflege) eingereiht wurde. Letzterer waren auch die 53 städtischen Büchereien, die im Oktober 1938 gegründete Musikschule der Stadt Wien und die Theater der Stadt Wien angegliedert, weiters waren ihr auch Angelegenheiten des Fremdenverkehrs unterstellt. Die Leitung der neuen Verwaltungsgruppe übernahm Vizebürgermeister Hanns Blaschke, der damit zu einer Art inoffiziellem Kulturstadtrat wurde.
Nachhaltige Spuren hinterließ auch die Eingemeindung von 97 niederösterreichischen Ortschaften in das Gemeindegebiet von Wien und die damit verbundene Einteilung in 26 Bezirke. Wie schon frühere Stadterweiterungen firmierte diese unter dem Titel "Groß-Wien" (dort auch weitergehende Informationen). Die Stadterweiterung hing einerseits mit Kriegsvorbereitungen, andererseits mit geplanten Infrastrukturprojekten zusammen.
Bereits unmittelbar nach dem "Anschluss" war es zu pogromartigen Übergriffen auf die jüdische Bevölkerung und zu "wilden" Übernahmen jüdischer Geschäfte und Betriebe gekommen. Ihren ersten Höhepunkt fanden die Verfolgungen im Novemberpogrom am 9. und 10. November 1938. Um eine kontrollierte Ausgrenzung der Jüdinnen und Juden aus dem Wirtschaftsleben in die Wege zu leiten, wurde eine Reihe scheinlegistischer Maßnahmen getroffen. So schuf die "Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden" die Voraussetzung für die "Arisierung" jüdischer Betriebe. Ende 1938 zwang eine weitere Verordnung die jüdischen Eigentümerinnen und Eigentümer, ihren Besitz binnen kurzer Frist und weit unter dem tatsächlichen Wert zu veräußern. Neben Betrieben und Geschäften wurden in Wien auch über 50.000 Wohnungen arisiert. Andere Vorschriften betrafen Berufsverbote, die Ablieferung von Schmuck und Wertgegenständen oder die zwingende Annahme der zusätzlichen Vornamen "Sara" bzw. "Israel" in bestimmten Fällen. Die Federführung bei dieser Strategie systematischer Entrechtung lag in der Regel bei überregionalen Stellen. Antisemitische Hetze wurde aber auch direkt durch Magistratsstellen betrieben, etwa durch das Marktamt via Rathauskorrespondenz. Darüber hinaus gab es auch dienstrechtliche Vorschriften, wie mit jüdischen Parteien umzugehen sei.
Mit Beginn des Jahres 1939 wurde das deutsche Personenstandsgesetz im Gebiet des ehemaligen Österreich eingeführt. Das bedeutete die Übernahme der zuvor überwiegend den Religionsgemeinschaften zugeordnete Matrikenführung durch städtische Standesämter. Dies betraf vor allem die Meldung von Geburt und Todesfällen; zivile Eheschließungen waren schon ab August 1938 möglich gewesen. In "Groß-Wien" wurden insgesamt 34 Standesämter eingerichtet.
Die Übergangs- und Konsolidierungsphase der nationalsozialistischen Stadtverwaltung endete mit dem sogenannten "Ostmarkgesetz", das am 1. Mai 1939 in Kraft trat. Sein Ziel war, verbliebene gesamtösterreichische Instanzen möglichst aufzulösen und deren Geschäfte entweder den Reichsbehörden oder den sieben Reichsgauen auf ehemals österreichischem Gebiet als mittlerer Verwaltungsebene zu übertragen. An der Spitze des Reichsgaus Wien stand nun Reichsstatthalter Josef Bürckel, der in der übertragenen staatlichen wie kommunalen Selbstverwaltung über umfangreiche Befugnisse verfügte. Zugleich war er als Gauleiter der regionale Parteiführer; dies sollte die Einheit von Staat und Partei gewährleisten. Das bisherige Stadtoberhaupt Hermann Neubacher wurde zu Bürckels Stellvertreter degradiert, behielt aber die Amtsbezeichnung "Bürgermeister".
Die Gemeindeverwaltung gliederte sich nun in einen zentral geführten und Bürckel direkt unterstellten Bereich – zu dem unter anderem die bisherige Magistratsdirektion, das Personalamt und das Rechnungsprüfungsamt gehörten – sowie acht je einem Beigeordneten (am ehesten einem Amtsführenden Stadtrat vergleichbar) unterstehende Hauptabteilungen. Als parlamentarische Scheinvertretung ohne Kompetenzen fungierten die Ratsherren, ein aus 45 Personen bestehendes beratendes Gremium, dessen Mitglieder vom Reichsstatthalter auf sechs Jahre ernannt wurden. Die Mehrheit der Ratsherren hatte höhere Parteifunktionen in der NSDAP oder deren Gliederungen vorzuweisen.
Quellen
- Die Gemeindeverwaltung der Stadt Wien im Jahre 1938. Verwaltungsbericht. Wien 1941
Literatur
- Christian Mertens [Hg.]: "Wir wissen es, dass diese Beamtenschaft ihre Pflicht auch im neuen Wien tun wird". Die Wiener Stadtverwaltung 1938. Wien: Metroverlag 2018, insbesondere S. 58 ff. und 138 ff.
- Brigitte Rigele: Wiener Stadtpolitiker vor dem Volksgericht 1945-1957. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 67/68 (2011/2012), S. 73–92
- Gerhard Botz: Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme, Herrschaftssicherung, Radikalisierung 1938/39. Überarb. und erw. Neuaufl. Wien: Mandelbaum 2008
- Margaret Feiler: The Viennese Municipal Service 1933 to 1950. A case study in bureaucratic resiliency. New York <NY>: [o. V.] 1964