Stadtplan, Ludwig Zettl (1866)
Historische Einordnung
Zur Zeit der Herausgabe des gedruckten Plans, 1866, befand sich Wien mitten in einer sehr dynamischen Entwicklungsphase, sowohl in politischer, baulicher und technischer wie in demographischer Beziehung. 1850 hatte die erste Stadterweiterung stattgefunden, die Vorstädte wurden in das Stadtgebiet einbezogen. Wien bestand nun auch rechtlich nicht mehr nur aus der Inneren Stadt, sondern es war ungefähr das Gebiet der heutigen Bezirke 2 bis 9, teilweise 10, und 20 eingemeindet worden. Diese Vergrößerung des Stadtgebietes hatte den Anlass zur Schaffung von 8 Gemeindebezirken gegeben. Die administrative Realisierung wurde jedoch durch die neoabsolutistische Phase ab 1852 unterbrochen und wurde erst mit dem Februarpatent von 1861 möglich.
1861 wurde auch die Teilung des damaligen 4. Bezirks Wieden in den 4. Bezirk Wieden und den 5. Bezirk Margareten beschlossen, so dass alle anderen Bezirke eine um eins höhere Zahlenbezeichnung erhielten und es nun 9 Bezirke gab (der 2. Bezirk umfasste auch die Brigittenau, den späteren 20. Bezirk). Das Stadtgebiet reichte nun im Wesentlichen bis an den Linienwall (etwa dem Verlauf des inneren Gürtels entsprechend), im Nordosten bis etwa an die heutige Alte Donau (damals Hauptarm des noch unregulierten Stroms) und im Süden über den Linienwall hinaus teilweise bis zur Höhe des Wienerbergs. Die wichtigsten baulichen Veränderungen vor 1866 waren die Niederlegung der Basteien und die Verplanung/Verbauung des Glacisgeländes (Ringstraßenzone – so genannte Stadterweiterung) sowie der Eisenbahnbau. Wie im Titel des Plans vermerkt, war neben der Bezirkseinteilung auch die Umbenennung zahlreicher Straßen vorgenommen und ein neues System der Häusernummerierung eingeführt worden.
Entstehungsgeschichte
Der vorliegende Plan ist keine völlige Neuschöpfung. Bereits die Katastralmappe Wiens war 1832 reduziert auf den halben Maßstab (1 : 5760) bearbeitet und lithographiert von Anton von Guldenstein erschienen, mehrere aktualisierte Auflagen folgten. Vermutlich darauf basierend und vielleicht im Zusammenhang mit dem Ringstraßenprojekt gab das k.k. Ministerium des Innern 1858 einen schwarz-grün lithographierten Plan auf vier Blättern ohne Nennung eines Autors heraus. Der hier besprochene Plan von 1866 ist eine direkte aktualisierte und in Bezug auf das dargestellte Gebiet leicht erweiterte Fortführung des Plans von 1858, er zeigt die Innenstadt bereits ohne Fortifikation, aber mit der neu angelegten Ringstraße. Das "Ministerium des Innern" war 1860-1867 durch ein "Staatsministerium" ersetzt worden, danach wurde wieder ein "Ministerium des Innern" eingerichtet. Ludwig Zettl, der 1866 als Planverfasser bezeichnet wird, war Angehöriger des Hochbaupersonals des Ministeriums für Handel, Gewerbe und öffentliche Bauten, war aber ins Innenministerium/Staatsministerium abgeordnet worden. Anscheinend wurde er um 1864 pensioniert und zum Ritter des Franz-Josephs-Ordens ernannt. Zettl könnte also bereits der Bearbeiter der Ausgabe von 1858 gewesen sein.
Inhalte
Seine besondere Bedeutung erhält der vorliegende Plan durch seine späteren amtlichen Eintragungen. Der Plan trägt links oben eine Aktenzahl des Stadtbauamtes (B.A.Z.=Bauamtszahl) aus dem Jahr 1871. Mit Farbe wurden die geltende Stadtgrenze (dunkelgrau) und die Bezirksgrenzen hervorgehoben. Dabei hielt man sich an das Farbenschema, das bereits anlässlich der Einführung der neuen Hausnummern 1862 für die Ränder der Nummern- und Straßentafeln festgelegt worden war (1. Bezirk Innere Stadt rot, 2. Bezirk Leopoldstadt violett, 3. Bezirk Landstraße grün, 4. Bezirk Wieden rosa, 5. Bezirk Margareten schwarz – hier aus Lesbarkeitsgründen braungrau, 6. Bezirk Mariahilf gelb, [7|7. Bezirk Neubau]] blau, 8. Bezirk Josefstadt grau, 9. Bezirk Alsergrund braun).
Im Süden der Stadt wurde das außerhalb des Linienwalls liegende Gebiet des 3., 4. und 5. Bezirks bereits als "neu beantragter Bezirk" (später 10. Bezirk Favoriten) ockerfarben eingezeichnet, weshalb die drei alten Bezirke im Süden auch nicht mit dem damals gültigen, sondern mit dem projektierten Grenzverlauf eingetragen sind. Da die Trassen von Süd- und Ostbahn das neu zu schaffende Favoriten vom übrigen Stadtgebiet ziemlich stark abschotteten, wurde auch besonderer Wert auf die Darstellung bestehender und projektierter Durchgänge und Viadukte gelegt. Farblich angelegt sind auch teilweise erst projektierte großflächige Straßenraster, die später nicht immer in dieser Form umgesetzt wurden.
Derartige Einzeichnungen finden sich nicht nur im Bereich des späteren Favoriten, sondern auch in anderen Teilen der Stadt. Besonders hingewiesen sei auf die Eintragung des Verbauungsprojekts am ehemaligen Exerzier- und Paradeplatz zwischen Ring, Lastenstraße, Alser Straße und heutigem Schmerlingplatz mit Universität, Rathaus, Rathauspark und Parlamentsgebäude. Auch Franz-Josephs- und Nordwestbahnhof sowie das neue Bett der regulierten Donau wurden erst nachträglich eingezeichnet. Im Bereich des künftigen Favoriten sind auf dem gedruckten Grundplan noch der Gloggnitzer und der Raaber Bahnhof zu sehen, die damals durch den Südbahnhof (errichtet 1869-1873) und den Staatsbahnhof (ab 1918 Ostbahnhof, errichtet 1867-1870) ersetzt wurden, was ebenso händisch nachgetragen wurde.
Das Gebiet "südlich der Favoritenlinie" (daher auch der Name des späteren neuen 10. Bezirks Favoriten) hatte sich erst nach 1850 zu entwickeln begonnen. Besonders rasch ging diese Entwicklung in den 60er Jahren vor sich, so dass bereits 1871, erst zehn Jahre nach der Festlegung der Bezirkseinteilung, das Bedürfnis zur Schaffung eines neuen Gemeindebezirks bestand. Die Verbauung entlang der Laxenburger Straße und der damaligen Himberger Straße (heute Favoritenstraße) reichte 1866 zwar kaum erst bis zur heutigen Gudrunstraße (auf dem Plan: Berthagasse und Simmeringer Straße), doch sind auf dem gedruckten Plan bereits eine große Zahl bereits genehmigter neuer Bauplätze eingezeichnet (vor allem um den Wielandplatz bis zur Quellenstraße), von denen bis 1871 sicherlich bereits etliche verbaut waren. Man muss auf dem Plan in diesem Bereich daher zwischen Hausnummern nach dem neuen Nummerierungssystem und Bauplatznummern unterscheiden. Als Planung ist auch der händisch eingezeichnete Straßenraster aufzufassen, dem bereits mehrere Planungsphasen vorangegeangen waren, und der auch später noch in manchen Bereichen abgeändert wurde. Mit roten Schraffen eingezeichnete projektierte Änderungen der Stadtgrenze blieben unrealisiert.
Der Plan zeigt eindrucksvoll, dass die Administration bereits mehr als ein Jahr vor der ersten politischen Antragsstellung im März 1873 ein Projekt fertig ausgearbeitet hatte, das dem später tatsächlich beschlossenen weitgehend entsprach. Der Gemeinderat hatte noch 1873 die Schaffung eines neuen Bezirks genehmigt, dessen Grenzen im Mai 1874 festgelegt und im September desselben Jahres von der Statthalterei genehmigt wurden.
Quellen
Literatur
- Historischer Atlas von Wien, 13. Lieferung (Wien 2010)