Adolf-Loos-Stadtführung (8. November 1913)
48° 12' 14.25" N, 16° 22' 8.12" E, 48° 12' 10.43" N, 16° 22' 1.71" E, 48° 12' 1.00" N, 16° 22' 0.94" E, 48° 12' 17.66" N, 16° 22' 10.32" E zur Karte im Wien Kulturgut
Route: Albertinaplatz → Opernring → Operngasse → FührichgasseEs handelt sich um die erste von zehn Stadtführungen, die Adolf Loos im Rahmen seiner Bauschule Adolf Loos zwischen November 1913 und März 1914 veranstaltete.
Transkription der Mitschrift
"Oper von Van der Nüll und Siccardsburg. Fresken von Schwind. Brunnenfiguren von Schwanthaler. Plastiken am Dach von Lessner. Haus Ecke Opernring und Operngasse vom Otto Wagner. Jugendwerk 1864 (?). Café de l’Operá. Das alte vom Wagner eingerichtet. Das neue unter fast gänzlicher Beibehaltung seiner Pläne. Der Brunnen im zweiten Raume ist nicht mehrt dort. Gliederung und Profilierung musterhaft. Loos sagt, man könne an dieser Café-Einrichtung die ganze Architektur lernen. Türgriff mit unterlegtem Marmor für Wagner charakteristisch. Donaubrunnen von Meixner. Geschenk des Kaisers an die Stadt. Palais des Erzh. Karl, jetzt Friedrich von Hofarchitekten Loehr. Warenhäuser und Abschluss des Kaisergartens von Baumann. Erzherzog Albrecht Denkmal von Zumbusch. Architektur von König. Haus des Jockey-Club von König. Plastische Ornamente von Meixner. Portalaufsatz nach einem Hotel in Venedig nachgebildet. Palais Lobkowitz, Architekt unbekannt. Nach dem Unterrichtsministerium (Minoritenplatz) ältestes Palais Wiens. Haus gegenüber von Otto Wagner. Sehr schönes Portal, ursprünglich grün. Die Stufen sind aufwärts geneigt, um Stiegen zu ersparen, sehr niedrig und bequem. Geländer sehr schön."
Kommentar
Für den 8. November 1913 notierte der Teilnehmer Loos' Ausführungen zu sechs Gebäuden, darunter drei Monumentalbauten, einem Denkmal und einer Brunnenanlage. Der erste Stadtspaziergang nahm bei der Oper seinen Ausgang, führte die Operngasse entlang zur Albertina und zum Philipphof. Beim Lobkowitzpalais und dem gegenüberliegenden Länderbankzinshaus endete die erste Tour. Die Streckenwahl belegt Loos' didaktische Absicht, starke Kontraste sowohl in städtebaulicher als auch in architektonischer Hinsicht zu erzeugen: er bewegte sich mit seiner Gruppe von der Ringstraße und dem Stadterweiterungsgebiet, also von einem jüngeren Teil Wiens aus, in die Innenstadt und damit in die Vergangenheit. Diese Strategie ermöglichte die Darstellung mehrerer Jahrhunderte Architekturgeschichte unmittelbar nebeneinander und unterstrich Loos' Absicht, die Stärken und Schwächen der eigenen Epoche an den von ihm stets gepriesenen barocken und klassizistischen Bautraditionen zu messen.
Die besprochenen Baulichkeiten sind konkret die Oper, das Palais Dreher, der Monumentalbrunnen bei der Albrechtsrampe (Danubiusbrunnen), die Albertina mit dem Erzherzog-Albrecht-Denkmal, die Begrenzungsbauten des Burggartens gegen die Albertina, der Philipphof, das Palais Lobkowitz sowie das Länderbankzinshaus.
Den Aufzeichnungen folgend wurde die Oper lediglich von außen besichtigt und besprochen. Neben den beiden Architekten Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg erwähnte Loos noch den Maler Moritz von Schwind, der an der Innenausgestaltung der Oper beteiligt war. Die Pegasusplastiken am Dach sowie der figurale Schmuck des Opernbrunnens wurden den falschen Künstlern zugeschrieben: Die Brunnenfiguren stammen nicht von dem bereits 1848 verstorbenen Bildhauer Ludwig von Schwanthaler, sondern wurden von Hanns Gasser geschaffen. Schwanthaler war der Schöpfer des Austriabrunnens auf der Freyung. Die tatsächlich vom Dresdner Bildhauer Ernst Julius Hähnel geschaffenen Pegasusskulpturen auf der Attika des Mittelrisalits wurden als Arbeiten eines Künstlers mit Namen "Lessner" erwähnt. Ob die Verwechslung bereits Loos unterlaufen oder auf den Verfasser der Aufzeichnungen zurückzuführen ist, kann nicht sicher ausgemacht werden. Wie weitere Passagen der Mitschrift mit Namensverwechslungen und Schreibfehlern zeigen, dürfte der Verfasser mit architektonischer oder kunsthistorischer Terminologie, die Loos gebrauchte, nicht vertraut gewesen sein und konnte daher einige Inhalte nicht korrekt wiedergeben.
Auch die anschließende Besprechung zum "Haus Ecke Opernring und Operngasse von Otto Wagner" beinhaltet einen Irrtum. Das im Zweiten Weltkrieg beschädigte und anschließend abgetragene als Palais Dreher (Operngasse 8) bezeichnete Gebäude stammte tatsächlich vom Architekten Franz Ehrmann und wurde 1863 errichtet. Otto Wagner zugeschrieben wird lediglich das im Gebäude untergebrachte Café de l‘ Operá, die tatsächliche Urheberschaft ist jedoch noch ungeklärt. Loos hatte in der Reichspost anlässlich des 70. Geburtstages von Otto Wagner einen Essay publiziert, in welchem er die von ihm entdeckte Urheberschaft Wagners als von diesem bestätigt erklärte. Als zur Zeit der Stadtführungen dieses Lokal unter der Leitung des Architekten Franz Schönthaler d. J. umgebaut wurde, bestritt dieser die Gestaltung durch Otto Wagner. Unabhängig von der Autorenfrage des Cafés beinhaltet diese Passage einen wichtigen Hinweis auf die Loos-Bauschule, für welche die Führungen in erster Linie gestaltet waren: Loos wies darauf hin, dass die Gestaltung des Cafés für das gesamte Architekturstudium vorbildlich sei und sich alle architektonischen Gestaltungstechniken daran erlernen ließen. Dies ist nicht zuletzt auch auf den akademischen Lehrer Wagner hin gesagt, der sich 1911 vom Lehrbetrieb zurückgezogen hatte, welchen Loos eben erst aufgenommen hatte.
Die Albertina, die Albrechtsrampe mit Denkmal und Brunnen werden mehr kursorisch denn ausführlich besprochen. Der verantwortliche Architekt wird in der Mitschrift fälschlich als "Lehr" verzeichnet und als "Hofarchitekt" tituliert, da der Albrechtsbrunnen, der nach einer Schenkung des Kaisers in das Eigentum der Gemeinde Wien überging, ein Hofauftrag war. Gemeint ist Moritz von Löhr, der als Staatsbeamter (jedoch nicht als Hofarchitekt) sich hauptsächlich mit Eisenbahnprojekten befasste, aber auch einen Wettbewerbsentwurf für die Stadterweiterung ablieferte.
Ludwig Baumann, den Loos in einer anderen Führung wegen seiner Eingriffe als Burgbauarchitekt in die Semper’schen Pläne tadelte, wurde marginalisiert und nur als Gestalter der Bauten, die den Burggarten gegen die Hanuschgasse bei der Albertina abschließen (zweites Warmhaus des Palmenhauses und Albrechtstor) genannt. Der Vortrag Loos' zu Baumann weist noch eine weitere markante Fehlstelle auf: Das just im Jahr dieser Exkursion nach Plänen Baumanns fertiggestellte Haus der Riunione Adriatica di Sicurtà in der Tegetthoffstraße war in direktem Sichtkontakt, wurde aber der Mitschrift zufolge von Loos übergangen.
Ausführlicher besprochen wird die Außengestaltung des Philipphofes. Dessen Architekt Carl König war von Loos in Zusammenhang mit dem Herbersteinpalais auf dem Michaelerplatz massiv angegriffen worden, worauf hin König Loos zufolge in seiner Funktion als Professor den Teilnehmern an der Loos-Bauschule den Rauswurf aus der Technischen Universität angedroht haben soll. Loos besprach dessen architektonische Leistung in anderen Zusammenhängen jedoch sehr sachlich und durchaus wertschätzend. So erklärt er, dass Carl König bei der Gestaltung der Attika den figuralen Schmuck eines venezianischen Hotels sich zum Vorbild genommen hatte.
Die erste Exkursion endete am Lobkowitzplatz. Typisch für Loos und dessen Hochachtung vor aristokratischer barocker Architektur ist der Hinweis auf das Lobkowitzpalais. Der Architekt des Bauwerks, Giovanno Pietro Tencala, war Loos offenbar nicht bekannt. Sehr wohl hervorgestrichen wird der Beitrag von Loos' bevorzugtem Barockarchitekten Johann Bernhard Fischer von Erlach, der 1694 nicht nur das Portal errichtete, sondern die von Tencala begonnenen Planungsarbeiten unter dem Einfluss von Domenico Martinellis entstehendem Liechtensteinpalais bedeutend abänderte.
Den Abschluss bildete einmal mehr Otto Wagner: Vis-á-vis des Lobkowitzpalais befindet sich das zwischen 1884 und 1885 errichtete Länderbankzinshaus. Das Gebäude musste Loos gut gekannt haben, da er darin 1903 die Wohnung für Jakob Langer, den Bruder des Wechselstubenbesitzers Dr. Leopold Langer, für welchen Loos ebenfalls tätig war, eingerichtet hatte. So nimmt es nicht wunder, dass er auch die Innenansicht referiert und ausdrücklich auf eine Besonderheit im Bau der Stufen hinweist: Diese wurden aus Sparsamkeitsgründen mit einer leichten Neigung errichtet, was diese zudem besonders bequem mache.
Quelle
- Mitschrift zu Stadtführungen im Rahmen der Bauschule Adolf Loos. Wien, 1913-1914 / Wienbibliothek im Rathaus, ZPH 1442, schriftlicher Teilnachlass Adolf Loos, 1.4.20, Blatt 1
Literatur
- Harald Stühlinger: Adolf Loos als Führer zu Architektur und Städtebau. In: Adolf Loos. Schriften, Briefe, Dokumente aus der Wienbibliothek im Rathaus. Hg. von Markus Kristan, Sylvia Mattl-Wurm und Gerhard Murauer. Wien: Metroverlag 2018, S. 223 f.
- Burkhardt Rukschcio / Roland Schachel: Adolf Loos. Leben und Werk. Salzburg: Residenz Verlag 1982, S. 187 ff.