Vasquez-Pläne
Carl Vasquez Pinos (1798–1861) brachte in den 1830er-Jahren Pläne der Wiener Polizeibezirke (Innere Stadt, Leopoldstadt, Landstraße, Wieden, Mariahilf, St. Ulrich, Josefstadt, Alsergrund und Roßau) sowie mehrere Gesamtpläne Wiens mit seinen Vorstädten auf den Markt. Dabei fügte er gemäß einer damals verbreiteten Darstellungsart den Randleisten jeweils Detailansichten markanter oder lokalspezifischer Gebäude als Sammelbilder hinzu. Die Motive für die Kleinveduten reichten von Kirchen und staatlichen Bauten bis hin zu repräsentativen Bürgerhäusern und stehen in der Tradition biedermeierlicher Stadt- und Architekturdarstellungen. Sie bilden ein hervorragendes Hilfsmittel der historischen Topografie und aufgrund der Randveduten ein Kulturdokument ersten Ranges. Ergänzt wurde die Serie schließlich durch einen Plan Wiens im Jahre 1147 (der dem heutigen Kenntnisstand kaum entspricht) sowie einen der Stadt Baden.
Wandel der Stadt und der Lebenswelten
Vasquez reagierte mit der Veröffentlichung neuer Stadtpläne auf ein gestiegenes Bedürfnis der Wiener Bevölkerung nach Hilfsmitteln zur Orientierung in einer nunmehr unübersichtlichen Stadt. Wien befand sich in einer Wachstumsphase, die aus dörflichen Siedlungen erwachsenen Vorstädte waren zusammengewachsen und hatten ihre Stellung als vielfach ausschließlicher Lebensmittelpunkt verloren. Gleichermaßen war die Lebenswelt der Menschen großräumiger geworden: Die Tradition der aus Gesellen, Lehrlingen und Dienstboten bestehenden Hausgemeinschaft wurde durch die Trennung von Arbeits- und Wohnstätte abgelöst. Für Freizeitaktivitäten verließ man die eigene Vorstadt und kehrte in den berühmten Vergnügungsstätten des Biedermeier ein (Neulings Etablissement, Schwenders Colloseum).
Die Vorstädte bildeten dennoch weiterhin die Grundeinheiten der Häusernummerierung, die sich seit der Ersten Häusernummerierung 1770 in weiteren Konskriptionsperioden deutlich verkompliziert hatte. Erst die Schaffung eines einheitlichen Wiener Gemeindegebiets 1850 prägte die Basis für eine Nummerierung nach Straßen und Gassen, 1862 wurde das bis heute gültige System der Orientierungsnummern eingeführt.
Erfindungen und Vorarbeiten
Bereits Ende des 18. Jahrhunderts waren Pläne von Wien und den Vorstädten in Form von verkleinerten und erschwinglichen Nachstichen, wobei insbesondere die zahlreichen Neuauflagen des Plans "Grundriss der k.k. Residenzstadt Wien mit allen Vorstädten und der umliegenden Gegend" von Maximilian Grimm die weite Verbreitung solcher Karten bezeugen. Jedoch wird anhand der Grimm-Pläne der bedingte Gebrauchswert dieser Publikationen deutlich, handliche Fassungen waren ob des kleines Maßstabs zu ungenau, große Fassungen aufgrund ihres Formats nicht alltagstauglich. Die Erfindung der Lithographie machte es möglich, mehrteilige Pläne der Stadt beziehungsweise der Vorstädte in hoher Qualität und Auflage zu erschwinglichen Preisen zu produzieren. Vasquez konnte durch seine Mitarbeit am Franziszeischen Kataster in drucktechnischer als auch kartografischer Hinsicht mit seinen Plänen auf neuen Grundlagen aufbauen. Für Wien wurde auf eine Neuvermessung verzichtet und auf den von Anton Behsel 1825 vollendeten Plan, der deutlich genauer als der Franziszeische Kataster war, zurückgegriffen. Mit dem so entstandenen, in 31 lithografierten Blättern erschienen "Katastral-Plan der Haupt und Residenzstadt Wien" konnte Vasquez auf eine verlässliche Quelle zurückgreifen, die er nur in Einzelfällen durch den Eintrag inzwischen entstandener Neubauten ergänzte.
Die Pläne der Polizeibezirke
Die Polizeibezirke
Vasquez wählte die Polizeibezirke als Grundeinheit seiner Pläne. 1751 waren jeweils mehrere Vorstädte zu solchen Verwaltungseinheiten zusammengefasst worden, wobei die Einteilung vielfach schon den 1850 geschaffenen Gemeindebezirken entsprach. Der heutige neunte Bezirk bildete eine Ausnahme mit der Teilung in die zwei Polizeibezirke Alservorstadt und Roßau. Die späteren Bezirke vier und fünf waren dagegen im Polizeibezirk Wieden und bis 1861 als Gemeindebezirk vereint. Dass manche Polizeibezirke auch Siedlungen außerhalb des Linienwalls umfassten, wurde von Vasquez nur in den zwei Übersichtsplänen, nicht jedoch bei den einzelnen Bezirksplänen berücksichtigt, um den Maßstab bei gleichbleibendem Format möglichst groß zu halten.
Die Pläne
Die einzelnen Stadtviertel bzw. Vorstädte sind durch unterschiedliches Kolorit gekennzeichnet, die Häuser weisen die letztgültige Konskriptionsnummer auf, womit die Zuordnung und das Auffinden einer Adresse merklich erleichtert wurde. In moderner Perspektive wird die absolutistisch-feudalistische, zur Zeit der Entstehung schon längst überholte, Kleinteiligkeit der Verwaltungsstruktur verdeutlicht. Die Konskriptionsnummern folgen auf Vasquez' Plänen der Häusernummerierung von 1821, bei den Vorstädten Landstraße, Mariahilf und Wieden sich auch die 1830 erfolgten Änderungen berücksichtigt. Die angeführten Nummern entsprechen in der Regel auch denen in der historischen Literatur. Die Blätter waren als Inselkarten ausgeführt und kartographisch wesentlich besser als die Arbeiten seines ehemaligen Kollegen Anton Ziegler gestaltet.
Die Veduten
Darüber hinaus sind sie in einen ornamentalen Rahmen mit kleinen, sehr ansprechend ausgeführten Veduten gestellt, welche die Blätter heute zu begehrten Sammlerstücken machen. Überdies heben sich die Vasquez-Pläne durch die Veduten über andere Pläne des Biedermeier hinaus, womit diese eine kulturgeschichtliche Quelle ersten Ranges darstellen. Diese künstlerisch anspruchsvollen Vignetten zeigen die "vorzüglichsten Gebäude" des am jeweiligen Plan erfassten Gebiets. Kirchen und staatliche Bauten stehen mit Palais und Bürgerhäusern in einer Reihe. Die Übersichtspläne mit den Wohn- und Geschäftsbauten sowie mit eine Auswahl der bekanntesten öffentlichen Gebäude Wiens bilden eine Ausnahme. Diese Veduten stehen künstlerisch in der Tradition biedermeierlicher Stadt- und Architekturdarstellungen, Standort und Bildausschnitt sind sorgfältig ausgewählt, um die Bauten aus der Sicht eines flanierenden Fußgängers abzubilden. Eine reizvolle Staffage belebt die Straßenräume, die Vielfalt der Figuren und Szenen liefert ein lebendiges Bild des Straßenlebens. Die Gebäude erscheinen eingebunden in den Alltag der Bevölkerung, die Veduten sind mehr als bloße Verschönerung der Pläne, sondern ergänzen sie zu einer sehr anschaulichen Darstellungen des Stadtlebens im biedermeierlichen Wien.
Darstellung des Wirtschafts- und Industrielebens
Die Auswahl der dargestellten Wohn- und Geschäftshäuser ist kennzeichnend für den Stand der ökonomischen Entwicklung Wiens in den 1830er-Jahren, als die Stadt erst an der Schwelle zum Industriezeitalter stand. Das Wirtschaftsleben wurde von Handwerkern und Kleingewerbetreibenden dominiert. Die Textilindustrie produzierte bereits im größeren Stil, Hausherren und Seidenmanufakturen stellten Luxusware für Adel und Hof her. In "Fabriken" - zeitgenössische Bennenung für jeden außerhalb der traditionellen Zunftschranken agierenden Betrieb -, beispielsweise die Danhausersche Möbelfabrik oder die Porzellanmanufaktur, waren zwar jeweils über hundert Menschen beschäftigt, trotzdem konnten sie sich ihrer Dimension nach wie auch den Grad der Arbeitsteilung und den Einsatz moderner Maschinen nicht mit denen fortgeschrittener Industriestädte messen. Erst mit dem Bau von Eisenbahnen, als Wien mit der Ansiedlung von Lokomotiv- und Maschinenfabriken tatsächlich zum industriellen Zentrum wurde, sollte sich dies ändern.
Siehe auch:
Quelle
Literatur
- Das Stadtbild Wiens im 19. Jahrhundert. Von der Festung zur Großstadt, Wien: Historisches Museum der Stadt Wien 1961 (Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien 7), S. 11, 13
- Sándor Békési / Elke Doppler [Hg.]: Wien von oben. Die Stadt auf einen Blick (Katalog zur 414. Sonderausstellung des Wien Museums). Wien: Metro-Verlag 2017, S. 103
- Walter Öhlinger (Hg.): Die Pläne der k. k. Haupt- und Residenzstadt Wien von Carl Graf Vasquez, Schleinbach 2011
- Kathrin Pokorny-Nagel: Carl Graf Vasquez. Wiener Kartografie des Biedermeier: In: Ortsansichten in öffentlichen Sammlungen. Bestände, Erschließung, Projekte. Die Vorträge der 2. Kurztagung der NÖ Landesbibliothek im Jubiläumsjahr 2013, St. Pölten, 3. Dezember 2013, Hg. von Ralph Andraschek-Holzer (Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde 61), 34-43