48° 12' 26.76" N, 16° 21' 51.99" E zur Karte im Wien Kulturgut
Leopoldinischer Trakt (1., Hofburg, zwischen dem Platz In der Burg und Heldenplatz), frühbarocker Flügel der Wiener Hofburg mit einer Gesamtlänge von rund 150 Metern, benannt nach seinem Bauherrn Leopold I. In den Bau wurden sowohl die Fundamente des mittelalterlichen Widmertores als auch der sechsachsige Kindertrakt integriert, den Ferdinand I. für seinen Sohn Maximilian II. hatte errichten lassen. Im 18. Jahrhundert befand sich das kaiserliche Appartement im Leopoldinischen Trakt, daher auch die damalige Bezeichnung „Regierender Trakt“; seit 1946 hat der Österreichische Bundespräsident hier seinen Sitz.
Kindertrakt
Im Jahr 1552 berief Ferdinand I. seinen Sohn Maximilian II., der bis dahin als Statthalter Karls V. in Spanien fungierte, nach Wien. Maximilian II. sollte als zukünftiger Nachfolger seines Vaters hier residieren und benötigte somit ein entsprechendes Appartement. Zu diesem Zweck wurde 1553–1556 ein sechsachsiger Neubau im Anschluss an den Westturm der Alten Burg errichtet: der sogenannte Kindertrakt.[1] Dieser bildete eine bauliche Zäsur zwischen der Burgbastei („Spanier“, errichtet 1531) und dem Turnierplatz (heute: In der Burg) und vereinnahmte die Reste des mittelalterlichen Widmertores. Mit der ihm stadtauswärts wie eine riesenhafte Terrasse vorgelagerten Befestigungswerk befand sich der Kindertrakt in baulichem Verband. Seine Länge erstreckte sich bis zu jener Position, an der die Burgbastei im Nordwesten die mittelalterliche Stadtmauer berührte.
Stadtauswärts öffnete sich der Kindertrakt in zweigeschoßigen Pfeilerarkaden unter einem als Terrasse gestalteten Flachdach. Zur Erschließung der Geschoße diente eine in der Flucht der Arkaden liegende, mit Welscher Haube gedeckte Wendeltreppe, die heute noch in der Bausubstanz des Leopoldinischen Traktes erhalten ist. Die platzseitige Fassade des Kindertraktes wurde jener der Alten Burg angeglichen. Seine Steinmetzteile waren aus dem blaugrauen Flyschquarzsandstein des Dornbacher Steinbruchs gefertigt, das sich bei allen renaissancezeitlichen Baulichkeiten der Hofburg findet. Vom Niveau der Burgbastei erhob sich der Kindertrakt über drei Geschoße, vom tiefer gelegenen Burgplatzniveau hingegen über vier Geschoße.
Durch das Erdgeschoß des Kindertraktes führte die öffentliche, nach Westen ausgerichtete Ausfallstraße Wiens: Im Anschluss an die Durchfahrt des Kindertaktes setzte sich die Straße in einem gekurvt abwärts führenden Tunnel durch die Burgbastei und über eine Holzbrücke über den Graben fort. Eine zweite, parallel zur Straßendurchfahrt angelegte Einfahrt im Erdgeschoß des Kindertraktes diente zur Erschließung der Burgbastei und führte über eine breite Rampe auf ihre Plattform. Diese beiden Durchfahrten werden bis heute als Straßenverbindung vom Inneren Burghof zum Heldenplatz genutzt.
Ein großer Saal nahm das erste Obergeschoß des Kindertraktes (heute Mezzanin) ein, das auf gleichem Niveau der Burgbastei lag und vorgelagerte Arkaden besaß. Im zweiten und dritten Obergeschoß richtete man ein je ein aus vier Räumen bestehendes Appartement ein. Die Innenausstattung erfolgte wie in der Alten Burg mit bemalten Holzkassettendecken und Wandvertäfelungen von Hoftischler Thoman Paur sowie mit partiell vergoldeten Stuckdecken. Für die malerische Gestaltung und die Vergoldung zeichnete Pietro Ferrabosco verantwortlich.
Sommerhaus Rudolfs II.
Obwohl Rudolf II. seit 1583 in Prag residierte und sich seither nicht mehr in Wien aufhielt, ließ er 1582–1585 ein sogenanntes Sommerhaus als luxuriösen Wohnbereich für sich errichten. Dafür musste der Kindertrakt aufgestockt und die bis dahin offenen Arkaden durch eine Fassade geschlossen werden. Die Fensterverglasung bestand aus 4000 farblosen Scheiben, hergestellt in zwei Glashütten in Schlesien. Anstelle der Arkaden entstanden Gänge, die Georg Pettenkhofer, Donat Hübschmann, Lorenz Wech, Elias Nusdorffer, Valentin Glaser, Bartholomäus Spranger und Hans Apfelmann mit vergoldetem Stuck und Malereien kostbar ausstatteten (Motive aus der Geschichte des Herkules, des Orpheus und aus Ovid). Im Anschluss an und im Bauverband mit dem Sommerhaus wurde auf Anordnung Rudolfs II. 1587–1590 der im rechten Winkel ansetzende Basteitrakt vermutlich in derselben Höhe erbaut. Damit war der Wohn- und Zeremonialbereich des Kaisers über den traditionellen Südwesttrakt der Alten Burg nahtlos in den vormaligen Kindertrakt, nunmehr Sommerhaus Rudolfs II., ausgedehnt und einheitlich ausgestattet worden. Rudolf II. ließ ein luxuriöses, enorm weitläufiges Appartement in der Wiener Residenz schaffen, das er aber nie zu nutzen gedachte. Der Stadtplan des Job Hartmann von Enenkel aus den 1620er Jahren[2] zeigt die Situation mit Sommerhaus und Basteitrakt, bevor die beiden Gebäude im Neubau des Leopoldinischen Traktes nach der Mitte des 17. Jahrhunderts aufgegangen sind.
Turnier am Burgplatz, rechts der Kindertrakt, 1566
Burg mit Kindertakt/Sommerhaus Rudolfs auf der Burgbastei 1490, Rekonstruktion 2013
Baugeschichte des Leopoldinischen Traktes
Erste Bauphase (1660–1668)
Der Bau einer neuen, dem Spanier vorgelagerten Burgbastei und flankierender Kurtinen seit 1622 ist in Zusammenhang mit der neuerlichen Etablierung Wiens als Residenzstadt unter Ferdinand II. und einer damit einhergehenden Verstärkung der Fortifikationsanlagen zu sehen. Die Wehranlagen rückten nun stadtauswärts, wodurch die räumlichen Voraussetzungen für weitere Baumaßnahmen an der Wiener Hofburg geschaffen wurden. Vorerst blieben der mittelalterliche Stadtwall und die darauf befindliche Mauer samt Laufgang zwischen Kindertrakt und Amalienburg bestehen, doch der junge Kaiser Leopold I. gab schon bald nach seiner Thronbesteigung die Errichtung eines neuen Traktes anstelle der alten Befestigung in Auftrag.[3] Ziel dieses Ausbaus der beengten Residenz war die Schaffung eines repräsentativen Gebäudes, das den Appartements der kaiserlichen Familie ausreichend Platz bieten sollte. Durch den neuen Trakt konnte auch die bauliche Anbindung der Amalienburg an die Alte Burg gewährleistet werden.
Nach Plänen des oberitalienischen Architekten Filiberto Lucchese wurde 1660 mit dem Bau des mächtigen Traktes („Neuer Stock“) in Fortsetzung des Kindertraktes begonnen, die ausführenden Maurermeister waren Carlo Martino und Domenico Carlone. An den enormen Baukosten des nach seinem Bauherrn später als Leopoldinischer Trakt bezeichneten Flügels beteiligte sich auch Kaiserinwitwe Eleonora Magdalena von Gonzaga-Nevers, die Stiefmutter Leopolds I. Der ferdinandeische Kindertrakt ging gänzlich im Neubau auf: Seine hofseitige Fassade gab die Baulinie für den Leopoldinischen Trakt vor, der annähernd die doppelte Breite des Kindertraktes aufweist und auch die erhaltenen Fundamente des Widmertores integrierte. Für diese Verdopplung der bestehenden Baukubatur musste ein Teil des Spaniers abgetragen werden, dessen Terrasse auf Höhe des Mezzanins des Leopoldinischen Traktes lag. Parallel zu den Bauarbeiten wurde mit der Innenausstattung des neuen Flügels begonnen, der im Piano nobile die Appartements des Kaiserpaares (anschließend an jene in der Alten Burg) und im Geschoß darüber die Räumlichkeiten von Kaiserinwitwe Eleonora Magdalena bereithalten sollte.
Wiederaufbau nach Brand (1668–1683)
Zu Beginn des Jahres 1668 hatte Eleonora Magdalena ihr neues Appartement bereits bezogen, als am 23. Februar d. J. ein nächtliches Feuer ausbrach, das verheerenden Schaden anrichtete. Die Kaiserinwitwe und ihr Hofstaat konnten rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden, doch die kostbare Innenausstattung und Möblierung ihres Appartements und der Kapelle samt Sakristei wurden ein Raub der Flammen. Der über Stunden wütende Brand zerstörte den fast fertiggestellten Leopoldinischen Trakt bis auf die Grundmauern. Dem Wiederaufbau ab November 1668 gingen lange Diskussionen über ehemalige Baumängel wie schlecht gesetzte Rauchfänge und rauchende Kamine voraus. Dennoch wurde die Bauleitung erneut in die Hände von Domenico Carlone gelegt, sein Bruder Carlo Martino und Filiberto Luchese waren bereits verstorben. Nach Plänen von Giovanni Pietro Tencalla erhielt der Leopoldinische Trakt ein weiteres Geschoß, das nach dem dort wohnhaften weiblichen Hofstaat auch die Bezeichnung „Frauenstock“ oder „Fräuleingang“ trug. Der Wiederaufbau des abgebrannten Gebäudes kam nur langsam und etappenweise voran: Auf Wunsch des Kaisers sollte zuerst die Josephskapelle am nordwestlichen Ende des Leopoldinischen Traktes instand gesetzt werden, dann folgte der Bereich des ehemaligen Kindertraktes und zuletzt wurden die mittleren Achsen ausgeführt. Nach 15-jähriger Bauzeit war der Wiederaufbau 1683 vollendet, aber die Belagerung und das Bombardement Wiens durch osmanische Truppen zogen den Bau neuerlich arg in Mitleidenschaft.
Fassaden
Ein Charakteristikum des Leopoldinischen Traktes sind seine konträren Fassaden. Während sich die Front zum Burghof an der schlichten Fassadierung der benachbarten Alten Burg orientiert, weist die stadtauswärtige Fassade eine reiche architektonische Ornamentierung auf: Die Achsen sind in serieller Abfolge nebeneinander gesetzt, ohne die Mitte oder die seitlichen Partien der Fassade in besonderer Weise hervorzuheben, wodurch auch die unterschiedlichen Achsbreiten überspielt werden. Dieser Breitenwirkung des Traktes setzen die fein geschichteten Wandvorlagen und Putzfelder einen vertikalen Akzent entgegen. Unter Verzicht auf eine Pilasterordnung lehnt sich das Putzrahmensystem des Leopoldinischen Traktes subtil an älteren Fassaden der Wiener Hofburg wie jener der Alten Burg oder der Amalienburg an. Maria Theresia ließ 1752 den Balkon an der Vorstadtfront ergänzen, dessen Aussicht über das Glacis in historischen Wienbeschreibungen stets gelobt wurde.
Hofburg mit Leopoldinischem Trakt vom Glacis, 1672
Burgplatz mit Kanzleitrakt (links), Alter Burg (Mitte) und Leopoldinischem Trakt (rechts). Im Unterschied zur Fassade gegen die Vorstadt war jene zum Burgplatz hin schlicht. 1725
Appartements und Innenausstattung
Mit dem Bau des Leopoldinischen Traktes verband Leopold I. die Intention, im Piano nobile ein weitläufiges Appartement in direkter Fortsetzung der Alten Burg einzurichten, das er gemeinsam mit seiner Gemahlin zu beziehen gedachte. Zur Ausstattung der neuen Räume des Kaiserpaares waren Holzkassettendecken mit Einsatzbildern vorgesehen, wohingegen sich Kaiserinwitwe Eleonora Magdalena im Geschoß darüber für eine Freskierung ihres Appartements durch Carpoforo Tencalla entschied. Der Maler schloss seine Tätigkeit 1667 ab, während die Arbeiten im Piano nobile noch im Gange waren. Doch durch die Brandkatastrophe 1668 wurden alle Bemühungen zunichte gemacht. Aufgrund des langen Wiederaufbaues entschied sich Leopold I. gegen eine Übersiedlung in den Leopoldinischen Trakt und blieb zeit seines Lebens in seinem angestammten Appartement in der Alten Burg.
Residenz Josephs I. und Karls VI.
Die Vermählung von Leopolds Sohn, dem römisch-deutschen König Joseph I. mit Amalia Wilhelmine von Braunschweig-Lüneburg gab den Anlass, das Appartement im Piano nobile des Leopoldinischen Traktes 1698–1699 neu auszustatten. Dazu erhielt der Hofmaler Peter Strudel den Auftrag zu 148 Ölgemälden, die in stuckierte, teilweise vergoldete Decken von Johann Piazoll einzusetzen waren; 56 dieser Ölbilder sind erhalten geblieben und befinden sich heute in der Sammlung des Kunsthistorischen Museums. An der Innenausstattung des Appartements beteiligte sich auch Johann Bernhard Fischer von Erlach, auf den der Entwurf eines „Indianischen Kabinetts“ (Porzellankabinett) zurückging.
Nach der Thronbesteigung 1705 verzichtete Kaiser Joseph I. auf eine Übersiedlung in das traditionelle kaiserliche Appartement in der Alten Burg und residierte weiterhin im Leopoldinischen Trakt.[4] Die Räume des Kaisers (Herrenseite) nahmen somit in der Trabantenstube in der Alten Burg ihren Ausgang und fanden ihre lineare Fortsetzung im daran anschließenden Leopoldinischen Trakt. Anschließend an die Paradezimmer (Trabantenstube, Ritterstube, Erste und Zweite Antekammer, Audienzzimmer) lagen die Rückzugsräume des Kaisers (Retirade, Kabinett) und in der Mitte des Traktes das gemeinsame Schlafzimmer des Kaiserpaares (später „Reiches Schlafzimmer“, heute „Maria-Theresien-Zimmer"). Daran anschließend war das Appartement der Kaiserin (Damenseite) situiert, das von der gegenüberliegenden Schwarzen Adlerstiege betreten wurde. Das kaiserliche Appartement durchlief somit burghofseitig den gesamten Leopoldinischen Trakt. Auch Josephs Nachfolger und Bruder Karl VI. behielt diese räumliche Konstellation bei, nahm aber Veränderungen an der Innenausstattung des Leopoldinischen Traktes vor (Wandvertäfelungen aus Nussholz, neue Öfen, diverse Maler- und Vergolderarbeiten).
Rokokoausstattung unter Maria Theresia
Unmittelbar nach dem Tod Karls VI. (1740) übersiedelte auch Maria Theresia gemeinsam mit Franz Stephan von Lothringen in das elterliche Paradeappartement im Leopoldinischen Trakt, und ihre Mutter Elisabeth Christine zog sich in ihr Witwenappartement im Geschoß darüber zurück. Vor seiner Kaiserkrönung 1745 stand Franz Stephan ein vergleichsweise kleines Appartement gegen die Vorstädte zur Verfügung, während Maria Theresia als österreichische Landesherrin und neue Regentin auch die Herrenseite in Anspruch nahm und hier ihre Audienzen erteilte. Dies änderte sich erst mit der Rangerhöhung Franz‘ I. Stephan anlässlich seiner Kaiserkrönung (1745), mit der ihm nun das kaiserliche Appartement zustand. In Hinblick auf das Zeremoniell am Wiener Hof fand man zu einer pragmatischen Lösung, indem Kaiser Franz I. Stephan und die österreichische Landesherrin Maria Theresia an aufeinanderfolgenden Tagen ihre Audienz im Audienzzimmer auf der Herrenseite erteilten, um sich nicht "in die Quere zu kommen".
Ab 1749 wurden das gesamte Appartement und seine barocke Ausstattung einer grundlegenden Modernisierung unterzogen. Am Beginn dieser Arbeiten stand die Errichtung der Botschafterstiege in der Alten Burg als adäquater Zugang zum Piano nobile und die Renovierung der dortigen Paraderäume. Am Übergang von Alter Burg und Leopoldinischem Trakt lag die Zweite oder Große Antekammer, die 1749 zu einem Saal über zwei Stockwerke umgebaut und aufgrund ihrer Größe bevorzugt für Feierlichkeiten herangezogen wurde (Taufen, Festtafeln etc.). Analog zur Botschafterstiege wurde auch der Zugang zur Kaiserin erneuert, indem die Schwarze Adlerstiege in den Übergangsbereich zur Amalienburg verlegt und nach Plänen von Jean Nicolas Jadot als dreiläufige Schachttreppe gestaltet wurde, die das Gebäude vom Erdgeschoß bis ins dritte Obergeschoß erschließt (vor 1752). Auf diese erste Ausstattungsphase bis 1753 folgte kurze Zeit später eine zweite Renovierung des kaiserlichen Appartements (1754–1757). Im Zuge dieser beiden Ausstattungskampagnen unter der Leitung von Hofarchitekt Nikolaus Pacassi erhielten alle Räume im Piano nobile des Leopoldinischen Traktes ihre charakteristische Rokokoausstattung mit weißen Boiserien (Vertäfelungen), vergoldetem Stuck und hohen Flügeltüren.
Auch Joseph II. nahm das kaiserliche Appartement im Leopoldinischen Trakt in Anspruch, doch ließ er sich vorstadtseitig einige Zimmer als Wohnräume einrichten, womit es erstmals am Wiener Hof zu einer räumlichen Trennung von Repräsentations- und Rekreationsbereich kam. Pius VI. wohnte bei seinem Besuch in Wien 1782 im Hauptgeschoß des Leopoldinischen Traktes, in jenen Räumen, die Maria Theresia zuletzt bewohnt hatte. Seit Leopold II. diente der Leopoldinische Trakt nur mehr zeremoniellen Zwecken, während die Wohnräume des Kaiserpaares in anderen Trakten lagen.
Krönungsmahl Leopolds II. in der Großen Antekammer, 1792
Zeremoniensaal
Das Fehlen eines großen Festsaales im Verband des Zeremonialappartements im Leopoldinischen Trakt veranlasst Kaiser Franz I. zur Errichtung des Zeremoniensaales, mit der er Oberhofarchitekt Louis de Montoyer am 22. August 1804 beauftragte. Der „Spanier“ bot das Fundament für den neuen Festsaal, der im rechten Winkel zum Paradeappartement angeordnet wurde (Bauzeit 1804–1808). Durch diese Positionierung ragte der Zeremoniensaal allerdings unschön aus der Vorstadtfassade des Traktes heraus, was ihm die spöttische Bezeichnung „Nase“ einbrachte. In krassem Gegensatz zum schlichten Außenbau steht der klassizistische Innenraum des zweigeschoßigen Festsaales, den Montoyer mit umlaufenden Kolossalsäulen mit korinthischen Kapitellen und einer kassettierten Decke aufwendig gestaltete. Dem Saal vorgelagert enstand ein Marmorsaal.
19. Jahrhundert
Mit Ausnahme des Paradeappartements im Piano nobile, dessen Rokokoausstattung aus maria-theresianischer Zeit bis heute weitgehend erhalten geblieben ist, wurden die basteiseitigen Zimmer und das zweiten Obergeschoß im Laufe des 19. Jahrhunderts immer wieder Veränderungen unterworfen. Maria Ludovica, die dritte Gemahlin von Franz II. (I.), ließ sich das gesamte zweite Obergeschoß ab 1809 als Appartement klassizistisch und überaus farbenfroh umgestaltet.[5] Überdauert haben die Wandgestaltung des Musiksaales und das ägyptische Kabinett[6]. Weitere Neuausstattungen auf dieser Etage erfolgten u. a. für Erzherzog Franz Carl und Erzherzogin Sophie ab 1835.[7]
Kurz nach seinem Regierungsantritt 1835 entschieden sich Ferdinand I. und Maria Anna von Savoyen-Sardinien zu einem Umzug in das kaiserliche Appartement des Leopoldinischen Traktes, das zuletzt nur noch zu ausgewählten Anlässen in Verwendung gestanden war. Die bestehende Rokokoausstattung wurde pietätvoll restauriert und mit neuen Einrichtungsgegenständen im Stile des Zweiten Rokoko (Blondel’scher Stil) ergänzt. In ihrer Zweiten Antekammer, die auch als Speisezimmer diente, ließ Maria Anna die berühmten Florentiner Steinbilder aus dem Besitz von Franz Stephan von Lothringen arrangieren (Pietra-dura-Zimmer). Auch Ferdinands Nachfolger Franz Joseph I. nahm hier nach seiner Thronbesteigung 1848 sein erstes Quartier als Kaiser, ab 1854 gemeinsam mit seiner Gemahlin Elisabeth, bevor das Kaiserpaar 1857 Appartements im Reichskanzleitrakt und in der Amalienburg bezog (Kaiserappartements). Das Zeremonialappartement im Leopoldinischen Trakt konnte bereits im späten 19. Jahrhundert nach Anmeldung beim Burghauptmann öffentlich besichtigt werden. In der Ersten Republik dienten die Räumlichkeiten als festlicher Rahmen für Bälle und Veranstaltungen.
Zeremoniensaal, um 1900
Der Leopoldinische Trakt dominiert bis heute den Platz vor der Burg. Nach einem Aquarell von Rudolf von Alt, vor 1859/1860
Joseph II. nimmt im Kontrollorgang, der sich unter den Zeremonialappartements befand, Bittschriften entgegen. Romantisierende Darstellung des 19. Jahrhunderts
Erzherzoginnen empfangen den deutschen Kaiser Wilhelm II. an der Schwarzen Adlerstiege, 1898
Amtssitz des österreichischen Bundespräsidenten
Als man nach dem Zweiten Weltkrieg neue Räumlichkeiten für die Österreichische Präsidentschaftskanzlei suchte, der in der Ersten Republik im Bundeskanzleramt seinen Sitz hatte, fiel die Wahl auf den Leopldinischen Trakt. Die Republik wollte damit die unabhängige Stellung des Bundespräsidenten unterstreichen. Dies geschah auf Initiative des ersten Bundespräsidenten der Zweiten Republik, Karl Renner. Er sah die prunkvollen Appartements unter den möglichen Räumlichkeiten als jene an, die für den höchsten politischen Vertreter im Land am besten geeignet waren. Das ehemalige „Reiche Schlafzimmer“, der höchstrangige repräsentative Raum der Appartements, wurde zum Empfangsraum umgestaltet, indem man das barocke Paradebett nach Schloss Schönbrunn überführte. An seiner Stelle hängt heute ein großes Staatsporträt Maria Theresias. Dies bildet zusammen mit der angrenzenden Tapetentüre, die in das Arbeitszimmer des Bundespräsidenten führt, den zentralen Blickfang des als „Maria-Theresien-Zimmer“ bezeichneten Raums. Die Raumflucht der Präsidentschaftskanzlei entspricht dem historischen Appartement der Kaiserin.
Organisationen im Leopoldinischen Trakt
- Präsidentschaftskanzlei
- Betriebsfeuerwehr Hofburg
Literatur
- Renate Leggatt-Hofer und Reinhold Sahl [Hg.]: Die Wiener Hofburg. Sechs Jahrhunderte Machtzentrum in Europa. Wien: Brandstätter Verlag 2018
- Hellmut Lorenz und Anna Mader-Kratky [Hg.]: Die Wiener Hofburg 1705–1835. Die kaiserliche Residenz vom Barock bis zum Klassizismus. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2016
- Herbert Karner [Hg.]: Die Wiener Hofburg 1521–1705. Baugeschichte, Funktion und Etablierung als Kaiserresidenz. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2014
- Werner Telesko [Hg.]: Die Wiener Hofburg 1835–1918. Der Ausbau der Residenz vom Vormärz bis zum Ende des „Kaiserforums“. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2012
- Richard Kurdiovsky [Hg.]: Die Österreichische Präsidentschaftskanzlei in der Wiener Hofburg. Wien: Christian Brandstätter Verlag 2008
- Eva B. Ottillinger und Lieselotte Hanzl: Kaiserliche Interieurs. Die Wohnkultur des Wiener Hofes im 19. Jahrhundert und die Wiener Kunstgewerbereform. Wien-Köln-Weimar: Böhlau Verlag 1997 (Publikationsreihe der Museen des Mobiliendepots 3)
- Felix Czeike: Wien. Kunst und Kultur-Lexikon. Stadtführer und Handbuch. München: Süddeutscher Verlag 1976, S. 47 f.
- Felix Czeike: Wien. Innere Stadt. Kunst- und Kulturführer. Wien: Jugend und Volk, Ed. Wien, Dachs-Verlag 1993, S. 86 f.
- Moriz Dreger: Baugeschichte der k. k. Hofburg in Wien bis zum XIX. Jahrhunderte. Wien: 1914 (Österreichische Kunsttopographie 14)
Einzelnachweise
- ↑ Herbert Karner [Hg.]: Die Wiener Hofburg 1521–1705. Baugeschichte, Funktion und Etablierung als Kaiserresidenz. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2014, S. 122–124, 131–138.
- ↑ Ferdinand Opll und Martin Scheutz: Der Schlierbach-Plan des Job Hartmann von Enenkel. Ein Plan der Stadt Wien aus dem frühen 17. Jahrhundert. Wien-Köln-Weimar: Böhlau Verlag 2014.
- ↑ Herbert Karner [Hg.]: Die Wiener Hofburg 1521–1705. Baugeschichte, Funktion und Etablierung als Kaiserresidenz. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2014, S. 377–421, 548–553.
- ↑ Hellmut Lorenz und Anna Mader-Kratky [Hg.]: Die Wiener Hofburg 1705–1835. Die kaiserliche Residenz vom Barock bis zum Klassizismus. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2016, S. 43–47, 205–209, 272–280, 361–405.
- ↑ Lieselotte Hanzl-Wachter: Das Appartement der Kaiserin Maria Ludovica in der Wiener Hofburg. In: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 55 (2011), Heft 1/2, S. 84–100.
- ↑ Das ägyptische Kabinett ist heute im Hofmobiliendepot – Möbel Museum Wien ausgestellt.
- ↑ Werner Telesko [Hg.]: Die Wiener Hofburg 1835–1918. Der Ausbau der Residenz vom Vormärz bis zum Ende des „Kaiserforums“. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2012, S. 55–73, 122–129.