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Das Brauhaus St. Marx (3., Landstraßer Hauptstraße 173–175, Rennweg 95, Viehmarktgasse 2., Dr.-Bohr-Gasse 2–8; Konskriptionsnummer 572 und 573), ursprünglich Teil des Spitals zu St. Marx, ist seit mindestens 1619 als Brauerei nachweisbar. 1857 erwarb Adolf Ignaz Mautner die Brauerei vom Wiener Bürgerspital und baute sie zu einer der führenden Brauereien Kontinentaleuropas aus.
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Anfänge
Der Gründungszeitpunkt des ursprünglich zum Spital zu St. Marx gehörenden Brauhauses ist nicht bekannt, eventuell bestand es bereits im 15. Jahrhundert. 1394 wurde die Anlage bereits als Bürgerspital zu St. Marx bezeichnet und das dortige Gasthaus in einer Urkunde von Herzog Albrecht III. vom Ungeld befreit. 1543 erlaubte Erzherzog Ferdinand I., dass im Siechenhaus „Wein und Pier Unngelt und Aller Beschwärung frey“ ausgeschenkt werden dürfe.[1]
Nachweisbar ist das Brauhaus St. Marx spätestens im Jahr 1619. 1637 ist im Rechnungsbuch des Wiener Bürgerspitals der Kauf von zwei Eimern Bier aus St. Marx belegt.[2]. Die Zweite Osmanische Belagerung (1683) bedeutete vorerst das Ende der Brautätigkeit. Nachdem das Spital St. Marx 1706 dem Bürgerspital inkorporiert worden war, bildete das St. Marxer Brauhaus eines der Zweigbrauhäuser des Bürgerspitals (Brauhaus des Bürgerspitals, Brauhaus im Unteren Werd). Ab 1733 war es verpachtet.[3]
Der erste Pächter hieß Matthias Erhardt und man kennt auch acht seiner Nachfolger, die jedoch stets mit der rechtzeitigen Bezahlung der Pacht im Rückstand waren. Im Großen und Ganzen waren sie aber als Brauer durchaus erfolgreich.[4] Von Karl Kaltner und Franz Girster weiß man, dass sie am Beginn des 19. Jahrhunderts in Konkurs gegangen sind.[5] Ihr Nachfolger war der letzte Pächter, namentlich Adolf Ignaz Mautner. Er konnte die Brauerei 1857 dem Bürgerspital abkaufen[6].
Übernahme durch Adolf Ignaz Mautner
Adolf Ignaz Mautner, damals noch Abraham Isaak Mautner, kam 1840 nach Wien und pachtete das Brauhaus des Bürgerspitalfonds in St. Marx durch Vermittlung des Wiener Bürgermeisters Ignaz Czapka. Mautner hatte als Jude schon in seiner Heimat in Böhmen viele Nachteile bei der Berufsausübung erleiden müssen und ließ sich und seine Familie 1846 taufen - unter anderem, um eine unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis in Wien erhalten zu können.[7] Die Taufe wurde in der Pfarre Maria Geburt vollzogen und aus Abraham wurde Adolf Ignaz Mautner (der zweite Vorname ist jener seines Taufpaten Ignaz Czapka).
1857 kaufte Mautner dem Bürgerspitalfonds die Brauerei "samt der Braugerechtigkeit, das Wirtshaus mit der Schankgerechtigkeit, das Backhaus mit der Backgerechtigkeit, die Schmiede, das Versorgungshaus, die Gärten und Äcker um den Betrag von 275.000 Gulden" ab.[8] Der Kaufvertrag wird vom Wiener Stadt- und Landesarchiv verwahrt [9]. Mautner konnte die Brauerei St. Marx in den folgenden Jahrzehnten zur drittgrößten Kontinentaleuropas ausbauen. Der Bürgerspitalfonds hatte keinen Bedarf mehr an den Gebäuden, da das neue Bürgerversorgungshaus in der Währinger Straße damals bereits in Planung und Realisierung war.
Nach dem Kauf der Brauerei und dem Auszug der Pfründner in das Bürgerversorgungshaus baute Adolf Ignaz Mautner das Gelände in St. Marx um. Das Hauptgebäude lag zwischen der Landstraßer Hauptstraße, dem Rennweg und der Viehmarktgasse und ihre Nebengebäude sowie Lagerkeller erstreckten sich entlang der heutigen Schlachthausgasse bis zur „Stadtwildnis“. Auf dem alten Spitalsgarten baute er Stallungen, Zimmermanns- und Tischlerwerkstätten und die Dachböden dienten als Malztennen und Malzdörren. Mehrere Häuser, wie etwa das alte Schmiedhaus wurden niedergerissen, alle Bäume, bis auf eine alte Akazie mitten im Hof, wurden umgeschnitten, um Platz zu gewinnen. Das neue Verwaltungsgebäude entstand an Stelle der längst entweihten Kapelle des heiligen Markus, die aber einige Jahre später fast baugleich auf dem Gelände des Mautner Markhofschen Kinderspitals wieder aufgebaut wurde und noch immer als Elisabeth-Kapelle in der Nähe der U3-Station Schlachthausgasse steht.
Brautechnische Erfolge
Bereits vor dem Kauf des St. Marxer Brauhauses war Adolf Ignaz Mautner dort im Brauwesen sehr erfolgreich gewesen. Zeitgleich mit Anton Dreher dem Älteren in Schwechat begann er Anfang der 1840er Jahre untergäriges Bier herzustellen. Während Dreher das „Wiener Lagerbier“ erfand, erzeugte Mautner das so genannte "Abzugbier", das von den Gärbottichen direkt in die Lagerfässer gepumpt wurde, wo es in Ruhe ausreifen und hefefrei ausgeschenkt werden konnte. Mautner ersparte mit dem Abzugbier den Wirten das problematische Nachreifen in ihren Kellern, ohne dass es im Brauhaus selbst eine lange Lagerdauer benötigte. Er machte die Entdeckung, dass die bis dahin bei den Brauern allgemein herrschende Meinung, dass Bier durch starke Kälteeinwirkung Schaden erleiden würde, vollkommen irrig sei. Es gelang ihm zunächst, das Bier bis in den Mai hinein haltbar zu machen, indem er Eis zu den Fässern legen ließ. 1843 entwickelte er einen eigenen Lagerraumtyp – eine "sinnreich konstruierte Wasser- und Eiskühlvorrichtung mit Schlangenrohren und (in die Gärbottiche eingesetzte) Eisschwimmern". Sie wurde "Normal-Bierlagerkeller System Mautner" genannt und gewährleistete durch günstig gelagerte Eismassen auch in wärmeren Jahreszeiten eine gleichbleibende Temperatur im Lagerkeller. Damit konnte er den ganzen Sommer hindurch hochwertiges untergäriges Abzugbier liefern.
Mautner konnte die Produktion von rund 36.000 Hektolitern im Jahre 1840 bis zu seinem letzten Produktionsjahr 1875 versiebenfachen. Dafür benötigte er zahlreiche Zubauten und den Einsatz der Dampfkraft. Die erste Dampfmaschine zum Wasserschöpfen und Malzputzen und -schroten erstand er schon 1845 bei der ersten großen Wiener Gewerbeausstellung von der Wiener Maschinenfabrik Specker. Mautner konnte es sich leisten, in den ersten 1850er-Jahren 130.000 Gulden für die neuen Einrichtungen zu investieren.
Erfindung der Presshefe
Mautner entdeckte gemeinsam mit den Brüdern Reininghaus, die später seine Schwiegersöhne wurden und eine Brauerei in Graz gründeten, eine Produktionsmethode für Presshefe. Seit geraumer Zeit nutzten Bäcker die Hefe obergäriger Biere für ihre Backwaren. Mit dem Rückgang der Popularität dieser Biersorte nach 1840 stießen die sie jedoch auf Schwierigkeiten bei der Verwendung der Hefe aus untergärigen Bieren. Diese war für ihre Zwecke ungeeignet, da sie zu dunkel, zu bitter und von unzureichender Triebkraft war. Infolgedessen lobte die Bäckerzunft einen Preis von 1.000 Gulden aus und versprach die Verleihung einer großen goldenen Medaille an die Person, die ein adäquates, kosteneffizientes Gärungsmittel entwickeln konnte. Dieses sollte zudem widerstandsfähig gegen lange Transportdistanzen und extreme Temperaturschwankungen sein. Im Jahr 1850 wurde Adolf Ignaz Mautner mit dem Preis und der Medaille ausgezeichnet, da er die erste industriell hergestellte Presshefe erfolgreich produzierte. Zur Produktion baute er in Floridsdorf und Simmering eigene Fabriken, die von seinen Söhnen Georg und Carl Ferdinand geführt wurden. Der Weg für einen neuen lukrativen Industriezweig stand nun offen.
Die Brauerei in St. Marx präsentierte sich bei der Wiener Weltausstellung 1873 mit einem Pavillon, wo die breite Produktpalette gezeigt wurde, die sich längst nicht nur ausschließlich auf Bier und Hefe beschränkte. Mautner erhielt als einziger Brauherr vom Gemeinderat das Ehrenbürgerrecht der Stadt Wien und die Große Salvatormedaille verliehen und gehörte damit zu den am meisten ausgezeichneten Industriellen der Gründerzeit. 1872 wurde Adolf Ignaz Mautner wegen seiner industriellen und humanitären Verdienste als "Ritter von Markhof" als einer der wenigen geborenen Juden in den Adelsstand erhoben.
Die Brauerei unter Adolf Ignaz' Nachkommen
In den 1850er-Jahren nahm Adolf Ignaz Mautner schrittweise seinen ältesten Sohn Carl Ferdinand als "Associé" ins Geschäft mit auf und zog sich 1875 75-jährig ins Privatleben zurück. Carl Ferdinand führte nun die einzige Brauerei Wiens innerhalb des Linienwalls, kämpfte aber gegen die große Konkurrenz der Schwechater Brauerei von Anton Dreher junior. Er konnte die Produktion laufend steigern, weil sein Abzugbier wesentlich preiswerter als Drehers Lagerbier war. Es wurde bevorzugt von den Arbeiterinnen und Arbeitern getrunken, so dass in Wien der Marktanteil bald 75 Prozent betrug.
Sowohl Dreher als auch Carl Ferdinand Mautner Markhof begannen eine umfangreiche Exporttätigkeit, wobei das Bier des St. Marxer Brauhauses in eigenen Eiswaggons mit der Eisenbahn nach Deutschland, Italien, Schweiz, Rumänien und die Türkei geliefert wurde. Carl Ferdinand unterstützte auch weiter die wohltätigen Stiftungen seiner Eltern und wendete für Erweiterungen des Mautner Markhofschen Kinderspitals einen hohen fünfstelligen Guldenbetrag auf. Nach seinem Selbstmord übernahm sein Sohn Victor 1896 das zur drittgrößten Brauerei am europäischen Kontinent herangewachsene Unternehmen. Es waren zu dieser Zeit 60 Beamte und 1000 Arbeiter beschäftigt. In diesem Jahr wurden bereits 540.690 Hektoliter gebraut und man näherte sich mengenmäßig immer mehr dem Ausstoß des großen Konkurrenten in Klein-Schwechat an.
Im Gegensatz zu Dreher, dessen Betrieb durch häufige Streiks, Aussperren von Arbeitnehmervertretern und harte Arbeitskämpfe auffiel, durfte in St. Marx kein Beamter und kein Arbeiter ohne besonderes eigenes Verschulden entlassen werden. Es wurde versucht – soweit das nach dem damaligen Zeitgeist möglich war – die Arbeiterinnen und Arbeiter an das Unternehmen zu binden und zu erreichen, dass aus ihnen keine widerwilligen Lohnsklaven, sondern engagierte Mitarbeiter wurden. Es gab eine umfangreiche Sozialunterstützung, modern ausgestattete Bäder im Betriebsgelände, eine Kantine, in der Speisen und Getränke – unbeschadet dem Freitrunk, den die Angestellten bezogen – in guter Qualität gegen mäßiges Geld verabfolgt wurden. Schließlich wurden Arbeiterwohnungen fast unentgeltlich samt Beleuchtung, Beheizung und Wäsche gebaut.
Trotzdem ging es wirtschaftlich mit der Brauerei stetig bergab. Victor Mautner Markhofs unternehmerische Fähigkeiten reichten nicht an jene seines Vaters und Großvaters heran. Er widmete seine Aufmerksamkeit verstärkt seinem Privatleben, insbesondere als Eigentümer eines Rennstalls, anstatt der Brauereiaktivität. So musste er 1913 einer Fusion mit der Anton-Dreher-Aktiengesellschaft in Schwechat zustimmen, wobei die Simmeringer Brauerei der Familie Meichl ebenfalls einbezogen wurde. In den neu entstandenen "Vereinigten Brauereien Schwechat, St. Marx, Simmering – Dreher, Mautner, Meichl A.-G." bekam Victor den Posten des Vizepräsidenten. Nach der Fusion erfolgte 1916 die Auflassung der Brauerei St. Marx.
Die Fabrikanlage wurde im Jahr 1945 durch Bomben schwer beschädigt und danach abgebrochen. 1953–56 errichtete hier die Gemeinde Wien einen Wohnhauskomplex, den Maderspergerhof. Einzig die geräumigen Kelleranlagen, die während des Zweiten Weltkriegs unter dem Decknamen "Maria" der Rüstungsproduktion dienten, sind unter der sogenannten "Stadtwildnis" erhalten geblieben.
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Städtische Anstalten und Fonds, Bürgerspital und Bürgerspitalfonds, A2.2.1 - Adolf Ignaz Mautner, 1857: Kaufvertrag
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Staatliche Gerichte, Handelsgericht, Firmenakten, A4.M12 - Mautner Adolf Ignaz, 3. Viertel 19. Jh.
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Magistratsdepartements und Magistratsabteilungen, MA 119, Vereinsbehörde: Aktiengesellschaften, A10/1.2736/1921 - Vereinigte Brauereien | 1921
- Wien Museum Online Sammlung: hochauflösende Abbildungen zum Brauhaus St. Marx
Literatur
- Heinrich Berg / Karl Fischer: Vom Bürgerspital zum Stadtbräu. Zur Geschichte des Bieres in Wien. Wien: Wiener Stadt- und Landesarchiv 1992 (Wiener Geschichtsblätter, Beiheft 3)
- Joseph Holzinger: Hausgeschichte des Bürgerspitals zu Wien. Unveröffentlichtes Manuskript 1857–1860 [WStLA, Handschriften: A 240], Teil 2/2, Bogen 22 f.
- Alfred Paleczny: Die Wiener Brauherren, Wien Verlag Löcker 2014
- Sarah Pichlkastner: Eine Stadt in der Stadt. InsassInnen und Personal des frühneuzeitlichen Wiener Bürgerspitals – eine Studie anhand exemplarischer Untersuchungszeiträume. Wien 2020
- Leopold Sailer: Das Bierbrau- und Schankmonopol des Wiener Bürgerspitals. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 6 (1926), S. 1–35
- Christian M. Springer / Alfred Paleczny / Wolfgang Ladenbauer: Wiener Bier-Geschichte, Wien [u. a.]: Böhlau Verlag 2016, S. 40–55
Referenzen
- ↑ Hans Pemmer: Aufzeichnungen über die Gebäude im Bezirk Landstraße, Bezirksmuseum Landstraße.
- ↑ Bei der von Johann Ableidinger ("Geschichte von Schwechat", Schwechat 1929, S. 376) erwähnten Lieferung von Bier durch das Brauhaus St. Marx an das Wiener Bürgerspital im Jahr 1537 handelt es sich wohl um eine Verwechslung: in der Rechnung des Bürgerspitals von 1537 ist keine solche Lieferung verzeichnet, wohl aber in der Rechnung von 1637 (WStLA, Bürgerspital, B11: 104 - 1637 fol. 232 r)
- ↑ Sarah Pichelkastner: Eine Stadt in der Stadt. InsassInnen und Personal des frühneuzeitlichen Wiener Bürgerspitals – eine Studie anhand exemplarischer Untersuchungszeiträume. Wien 2020, S. 221.
- ↑ Josef Promintzer: 300 Jahre Brauerei Schwechat, S. 58.
- ↑ Leopold Sailer: Das Bierbrau- und Schankmonopol, S. 24 und Josef Promintzer; 300 Jahre, S. 38.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, Städtische Anstalten und Fonds, Bürgerspital und Bürgerspitalfonds, A2.2.1 - Adolf Ignaz Mautner, 1857: Kaufvertrag
- ↑ Alfred Paleczny: Die Wiener Brauherren, Wien Verlag Löcker 2014, S. 85-92.
- ↑ Leopold Sailer: Das Bierbrau- und Schankmonopol des Wiener Bürgerspitals. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 6 (1926), S. 25.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, Städtische Anstalten und Fonds, Bürgerspital und Bürgerspitalfonds, A2.2.1 - Adolf Ignaz Mautner, 1857