Medizinerinnen
Die ersten Medizinerinnen
Grundsätzlich garantierte die Verfassung von 1867 die "freie Berufswahl" und den dafür erforderlichen Zugang zu einer entsprechenden Ausbildung allen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern. Dazu im praktischen Widerspruch war Mädchen und Frauen der Zugang zu höheren Schulen mit Maturaabschluss und das Universitätsstudium nicht erlaubt. Jene Frauen, die ein Studium beginnen und abschließen wollten, mussten daher bis Ende des 19. Jahrhunderts auf ausländische Universitäten, besonders in der Schweiz, ausweichen. Dank der hartnäckigen Bemühungen von Gabriele Possanner von Ehrenthal, die ein Medizinstudium in Zürich abgeschlossen hatte, erlaubte ein Erlass von 19. März 1896 die Nostrifizierung solcher Auslandsstudienabschlüsse. Dadurch wurde Possanner 1897 zur ersten Doktorin der Medizin approbiert.
Mittlerweile wurde der Zugang zum universitären Studium in Österreich 1897 erlaubt, allerdings lediglich für die philosophischen Fächer. Erst drei Jahre später, mit Gesetz vom 3. September 1900, erhielten Frauen Zugang zum Studium der Medizin. Dieser Zugang war noch zusätzlich durch den Umstand erschwert, dass Mädchen erst ab 1901 die Vollmatura, die zum Studium an einer Universität der Habsburgermonarchie erforderlich war, ablegen durften. Die erste Frau, die ein Studium der Medizin an der Universität Wien abschloss, war am 3. September 1904 Margarete Hönigsberg, die später den Ökonomen und Sozialwissenschaftler Rudolf Hilferding heiratete. Ihr folgte die Gynäkologin Bianca Bienenfeld.
Spitalsärztinnen
Bis 1900 war es approbierten Ärztinnen nur als unbezahlte Gastärztinnen (Hospitantinnen) erlaubt, eine praktische Spitalausbildung zu erwerben, so auch Gabrielle Possanner 1902 am Kronprinzessin-Stephanie-Spital. Erst 1904 wurden sie probeweise in den Wiener Krankenanstalten als "Aspirantinnen" zugelassen, um ihnen praktische Erfahrungen für ihre spätere Tätigkeit als praktizierende Ärztinnen zu ermöglichen. Zu diesem Zeitpunkt gab es drei Aspirantinnen am Allgemeinen Krankenhaus. Erst ab 1907 durften Frauen als Sekundarärztinnen tätig sein, doch nur nach Nachweis einer höheren Qualifikation im Vergleich zu männlichen Mitbewerbern. Erste in Österreich ernannten Sekundarärztin war Bianca Bienenfeld. Sie war Assistentin an der Klinik Schauta, bevor sie als Leiterin der gynäkologischen Abteilung ins Sanatorium Loew (Frauenheilanstalt des Sanatoriums Loew) wechselte. Anna Pölzl wurde 1909 die erste Sekundarärztin im Allgemeinen Krankenhaus, Olga Schulze in der Krankenanstalt Rudolfstiftung. Die Führung von Privatpraxen durch Ärztinnen war noch die Ausnahme von der Regel. Bianca Bienenfeld führte 1912 als erste Frauenärztin eine solche.
Ab 1920 war Ehelosigkeit keine Voraussetzung für die Anstellung von Ärztinnen in Wiener Krankenanstalten mehr, doch erst 1931 gab es die erste Assistenzärztin an Wiener Spitälern und 1937 waren 65 Assistenzstellen an Wiener Fondskrankenanstalten nur fünf Frauen. Noch geringer war ihr Anteil unter den Universitätsassistenten.
Vergleichsweise früh wurden Krankenkassen- und Amtsärztinnen angestellt. Die Allgemeine Arbeiterkrankenkasse stellte die erste Kassenärztin schon 1903 ein. Sie war für die ambulante Behandlung von weiblichen Mitgliedern zuständig. Bis 1933 erfolgte diese nach Geschlecht getrennt.
Erster Weltkrieg
Die Zahl der Frauen, die ein Medizinstudium abschlossen und als Ärztinnen tätig waren, stieg in der Folge nur langsam an. Lediglich in beiden Weltkriegen, vor allem im Ersten Weltkrieg, in dem in der ersten Kriegsphase viele Ärzte gefallen waren, kam es situationsbedingt zu einem Ärztemangel, der das Medizinstudium von Frauen begünstigte und ihnen in größerer Zahl befristete Stellen als Spitalsärztinnen ermöglichte. Im Besonderen traf das etwa auf die Rudolfstiftung zu, der zwölf Kriegsspitäler angegliedert waren. Der Ärztemangel im Ersten Weltkrieg ermöglichte es auch Flora Barolin (Maria Flora Stricker-Barolin), zur ersten supplierenden Assistentin an der I. Chirurgischen Abteilung der Universitätsklinik aufzusteigen.
Zwischenkriegs- und NS-Zeit
Dank des nun schon einige Zeit bestehenden Zugangs zum Medizinstudium stieg der Anteil der Ärztinnen in Wien bis 1929 auf und 1937 schließlich auf 14 Prozent. Die auf Prävention und soziale Fürsorge setzende kommunale Sozialpolitik im Roten Wien eröffnete promovierten Medizinerinnen Berufschancen im städtischen Dienst. 1922 wurde die erste Ärztin in der Gemeinde Wien eingestellt. Von den Schulärztinnen und Schulärzten stellten Frauen in der Folge etwa die Hälfte, von den Schulzahnärztinnen und Schulzahnärzten mehr als 60 Prozent. Einige Ärztinnen gelangten auch in führende Positionen, so die Leiterin der Schulzahnkliniken Erna Greiner, die Leiterin des städtischen Entbindungsheimes Rahel Holländer und die Primaria der Kinderübernahmestelle Gertrude Bien. Im Allgemeinen waren Ärztinnen auf "typisch weibliche" Berufszweige in der Medizin verwiesen. Das traf auch auf das "Rote Wien" zu. Nach dem "Anschluss" mussten alle Arztpraxen von der Nationalsozialistischen Wohlfahrtsstelle neu bewilligt werden. Rassisch oder politisch Verfolgte wurden nicht mehr zugelassen. Dadurch sank die Zahl der praktischen Ärztinnen von 379 vor dem 12. März 1938 auf 38 1943 und bei den Fachärztinnn von 75 auf 24.
Soziale Herkunft und fachliche Orientierung
Medizinerinnen der ersten Jahrzehnte stammten vor allem aus dem jüdischen Bürgertum. Im Zeitraum 1902-1911 waren etwa 60 Prozent jüdischen Glaubens. Sie stammten aus Familien von Kaufleuten und dem Bildungsbürgertum. Nach dem "Anschluss" durften 85 Prozent der davor tätigen Ärztinnen ihren Beruf nicht mehr ausüben. Zahlreichen Ärztinnen gelang die Flucht vor dem NS-Regime, doch fielen auch einige der rassischen Verfolgung zum Opfer, unter ihnen Margarete Hilferding-Hönigmann. Von jenen, die vor dem "Anschluss" praktiziert hatten, übten nach Ende des Zweiten Weltkriegs vermutlich nur noch fünf ihren Beruf in Wien aus. Nach 1945 rekrutierten sich die Medizinstudentinnen zu rund einem Drittel aus Ärztefamilien. Ab der Zwischenkriegszeit konnten vereinzelt auch Frauen der Mittelschicht und aus dem Kleinbürgertum Medizin studieren.
Die ersten Ärztinnen waren großteils entweder als Ärztinnen für Allgemeinmedizin für Frauen und Kinder oder als Fachärztinnen für Frauenheilkunde tätig. Die ersten Ärztinnen für Frauenheilkunde in Wien waren Bianca Bienenfeld (1879-1929) und Dora Brücke-Teleky (1879-1963).
Schon vor 1919 wurde Else Richter zur außerordentlichen Professorin an der medizinischen Fakultät der Universität Wien ernannt. Sie war jedoch eine Ausnahme. Die ersten habilitierten Medizinerinnen waren vor allem in nicht-klinischen Fächern wie Histologie, Physiologie, medizinische Chemie und Bakteriologie tätig. So habilitierte sich die Physiologin Helene Wastl 1931, Hilda Maier, seit 1934 Leiterin der radiumtechnischen Versuchsanstalt, 1943, ohne aber NSDAP-Mitglied zu sein. Zu den prominenteren habilitierten Medizinerinnen der 1950er Jahre zählten Alexandra Piringer-Kuchinka, nach der die von ihr entdeckte Lymphknotenentzündung benannt ist und die die European Society of Pathology begründete, die klinische Neurologin Klara Weingarten und die Medizinhistorikerin Erna Lesky.
Medizinstudium im Bildungsboom
Bis Mitte der 1960er Jahre öffnete sich das Studium für andere Bevölkerungsschichten kaum. Medizinerinnen waren bis dahin als Amtsärztinnen, in den Fächern Anästhesie, Geburtshilfe, Kinderheilkunde und Augenheilkunde tätig. Sehr selten waren Internistinnen und Chirurginnen.
Vor allem ab Mitte der 1970er Jahre kam es zu einem sprunghaften Anstieg des Frauenanteils am Medizinstudium und des Anteils an praktizierenden Ärztinnen. Mit einer gewissen Verzögerung galt das auch für Spitalsärztinnen.
Medizinerinnen im Wien Geschichte Wiki
- Jenny Adler (*Geburtsjahr: 1877, †Sterbejahr: 1950)
- Anny Angel-Katan (*Geburtsjahr: 1898, †Sterbejahr: 1992)
- Marianne Melitta Bauer (*Geburtsjahr: 1885, †Sterbejahr: 1980)
- Ilse Benedikt (*Geburtsjahr: 1918, †Sterbejahr: 1969)
- Gabriela Berlakovich (*Geburtsjahr: 1963)
- Bianca Bienenfeld (*Geburtsjahr: 1879, †Sterbejahr: 1929)
- Dora Brücke-Teleky (*Geburtsjahr: 1879, †Sterbejahr: 1963)
- Barbara Burian-Langegger (*Geburtsjahr: 1952)
- Ida Eckstein (*Geburtsjahr: 1888, †Sterbejahr: 1982)
- Gertraut Ehrmann-Binder (*Geburtsjahr: 1915, †Sterbejahr: 1997)
- Martha Eibl (*Geburtsjahr: 1931, †Sterbejahr: 2023)
- Helga Feldner-Busztin (*Geburtsjahr: 1929, †Sterbejahr: 2024)
- Stephanie Felsenburg (*Geburtsjahr: 1902, †Sterbejahr: 1977)
- Marie von Frischauf (*Geburtsjahr: 1882, †Sterbejahr: 1966)
- Lucia Heilman (*Geburtsjahr: 1929)
- Margarete Hilferding (*Geburtsjahr: 1871, †Sterbejahr: 1942)
- Alexandra Kautzky-Willer (*Geburtsjahr: 1962)
- Gabriela Kornek (*Geburtsjahr: 1961)
- Hilde Krampflitschek (*Geburtsjahr: 1888, †Sterbejahr: 1958)
- Gertrude Kubiena (*Geburtsjahr: 1938)
- Marie Langer (*Geburtsjahr: 1910, †Sterbejahr: 1987)
- Claudia Laschan (*Geburtsjahr: 1964)
- Ingrid Leodolter (*Geburtsjahr: 1919, †Sterbejahr: 1986)
- Erna Lesky (*Geburtsjahr: 1911, †Sterbejahr: 1986)
- Ella Lingens (*Geburtsjahr: 1908, †Sterbejahr: 2002)
- Maria Montessori (*Geburtsjahr: 1870, †Sterbejahr: 1953)
- Else Pappenheim (*Geburtsjahr: 1911, †Sterbejahr: 2009)
- Elisabeth Pittermann (*Geburtsjahr: 1946)
- Gabriele Possanner von Ehrenthal (*Geburtsjahr: 1860, †Sterbejahr: 1940)
- Pamela Rendi-Wagner (*Geburtsjahr: 1971)
- Suzanne Rödler (*Geburtsjahr: 1957)
- Eva Schmidt-Kolmer (*Geburtsjahr: 1913, †Sterbejahr: 1991)
- Maria Sibilia (*Geburtsjahr: 1963)
- Ruth Sonntag Nussenzweig (*Geburtsjahr: 1928, †Sterbejahr: 2018)
- Mona Spiegel-Adolf (*Geburtsjahr: 1893, †Sterbejahr: 1983)
- Marianne Springer-Kremser (*Geburtsjahr: 1940, †Sterbejahr: 2023)
- Klara Weingarten (*Geburtsjahr: 1909, †Sterbejahr: 1973)
- Edith Wellspacher-Emery (*Geburtsjahr: 1909, †Sterbejahr: 2004)
- Gerda Winklbauer (*Geburtsjahr: 1955)
- Gerlinde Zita (*Geburtsjahr: 1929, †Sterbejahr: 2002)
Literatur
- Birgit Bolognese-Leuchtenmüller / Sonia Horn [Hg.]: Töchter des Hippokrates. 100 Jahre akademische Ärztinnen in Österreich. Wien: Verlag der Österreichischen Ärztekammer 2000