Wasserversorgung der Vororte
Im direkten Umfeld der meisten Vorortsgemeinden war die Situation der Wasserversorgung der Einwohnerinnen und Einwohner mit Trinkwasser meist günstiger als in der Stadt selbst, denn dort gab es eine Vielzahl von Quellen und Brunnen, welche die eher zerstreute ländliche Bevölkerung gut mit trinkbarem Wasser versorgten. In vielen Fällen wurden diese wertvollen Wasserquellen im Wiener Umland seit der Frühen Neuzeit genutzt und über verschiedene Wasserleitungen (Gemeinde-, Regierungs- und Privatwasserleitungen) in die Stadt gebracht.
Im 19. Jahrhundert wuchs die Bevölkerung der umliegenden Dörfer Wiens unter anderem aufgrund der Einführung der Verzehrungssteuer rasch an und machte sie durch ihre Einwohnerinnen und Einwohner mehr und mehr von der Stadt selbst abhängig. So stand seit 1850 die Eingliederung der Vororte in die Gemeinde Wien durch fast die ganze zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts unmittelbar bevor. Doch aufgrund zahlreicher kostenintensiver Herausforderungen, zum Beispiel der fehlenden Infrastruktur in den Vororten, welche die Gemeinde Wien erheblich finanziell belastet hätten, dauerte es Jahrzehnte, bis die Vororte in den Jahren 1890/92 letztendlich eingegliedert wurden. Eines der wesentlichen Probleme war die Frage der Wasserversorgung dieser Gemeinden, die ausgebaut werden musste, um die ständig wachsende Bevölkerung in den neuen Bezirken versorgen zu können.
Anschluss der Vororte an die Hochquellenwasserleitung
Bereits vor der endgültigen Entscheidung der Eingemeindung der Vororte wurde in mehreren Kundmachungen deutlich, dass die Regeln für einen Anschluss an die im Jahre 1873 eröffnete Erste Hochquellenleitung streng sein müssen, insbesondere in Bezug auf Wasserabgabe in einzelne Häuser in Orten außerhalb der Stadt. Die Infrastruktur in Wien selbst musste noch an vielen Stellen ausgebaut werden, was bei der Einbeziehung der Vororte finanziell noch viel schwieriger wäre.
Dennoch waren die Orte rund um Wien, die mit der Stadt über eine Eingliederung im Gespräch waren, sehr daran interessiert, einen Anschluss an das saubere Wasser der neuen Hochquellenwasserleitung zu erhalten. Der Hauptgrund dafür war die Tatsache, dass sie bisher auf die Versorgung durch Brunnen und teilweise die Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung angewiesen waren, die sich im Laufe der Jahre als unzureichend in der Menge und in der gesundheitlichen Unbedenklichkeit erwiesen, wie auch mehrere Typhus- und Choleraausbrüche zeigten. Die Vertreter einiger Vororte argumentierten, dass sich ohne ordentliche Infrastruktur die Probleme mit der steigenden Ansiedlung durch vorwiegend ärmere Schichten nur noch verschärfen würden und die Gemeinde Wien für die Kosten verantwortlich sei.
Die Wasserversorgungskommission, die in den 1870er- und 1880er-Jahren die Anträge der betroffenen Gemeinden über den Anschluss an die Hochquellwasserleitung bearbeitete, stimmte zu, dass nach der Eingemeindung die Häuser in den Vororten auf die gleiche Weise mit Wasser versorgt werden sollten wie in der Stadt. Ebenso sollten auch dort alle Häuser systematisch an das Rohrnetz angeschlossen werden.
Die Gemeinden Fünfhaus, Lerchenfeld, Hernals, Währing, Rudolfsheim, Unter- u. Obermeidling, Gaudenzdorf und Oberdöbling wurden bereits kurz nach der Inbetriebnahme der Hochquellwasserleitung in den 1870er-Jahrenn teilweise angeschlossen. Gegen eine Jahresgebühr konnten sie Wasser beziehen, 24.500 Eimer (13.864 Hektoliter) pro Tag. Das Wasser konnte an den Auslaufbrunnen entnommen werden, durfte aber nur zum Trinken und Kochen verwendet werden. Als berechnete Höchstmenge galten 0,5 Eimer (28 Liter) Wasser pro Tag und Person. Über weitere Erweiterungen wurde mit der Stadt Wien verhandelt.
Verhandlungen der Vororte mit der Stadt
Durch den Niederösterreichischen Statthalter Ludwig Possinger von Choborsky stellten die Gemeinden Fünfhaus, Sechshaus, Rudolfsheim und Ottakring bereits am Anfang des Jahres 1881 einen Antrag an den Bürgermeister mit einem Plädoyer für den Direktanschluss an das Rohrnetz der Stadt, um die sich drastisch verschlechternden sanitären Verhältnisse zu verbessern. Ähnliche Ersuchen wurden inzwischen auch von fast allen anderen Vorortsgemeinden erwartet.
Mehrere Analysen der unregelmäßigen Ergiebigkeit der Quellen ergaben jedoch, dass bei dem derzeitigen Wachstum der Stadtbevölkerung in naher Zukunft, bereits ohne der Eingliederung der Vorortsgemeinden, nicht genügend Wasser für die Stadt selbst vorhanden sein könnte.
Auch aus diesem Grund hatte sich der Gemeinderat mit dieser Frage längere Zeit intensiv beschäftigt. Der Magistratsrat Alois Bittmann mit Eduard Uhl, dem Obmann der Wasserversorgungskommission, wurden bereits im Jahr 1881 vom damaligen Bürgermeister Julius Newald damit beauftragt, in mehreren Sitzungen mit den Repräsentanten der Vorortsgemeinden und der Stadtverwaltung zu diesem Thema zu referieren. Das Ziel war, einen komplexen Bericht zu erstellen, wie tragbar es für die Stadt wäre, die Wasserabgabe an die Vororte auf ein solches Niveau zu erhöhen, das den Anschluss aller Häuser an die Wasserleitung ermöglichen würde und nicht nur den von bestimmten Auslaufbrunnen.
So trafen sich beispielsweise im Mai 1881 die Gemeinden Rudolfsheim, Fünfhaus und Ottakring mit dem Wiener Gemeinderat und den Bauingenieuren, um die eventuellen Probleme zu besprechen. Die Gemeinden verfügten über ein sehr begrenztes Budget und konnten nicht das gesamte Bauprojekt finanzieren, sondern forderten von der Stadt eine gewisse Verantwortung für die Wasserversorgung ihrer Bevölkerung, wobei sie selbst bereit waren, einen neuen Wasserbehälter in der Nähe des Wasserbehälters auf der Schmelz zu finanzieren. Ihr Projekt rechnete allerdings nur mit 0,3 Eimer (17 Liter) Wasser pro Person, bei einem Gesamtpreis von fast 300 000 Gulden, somit finanziell immer noch sehr kostspielig. Zudem würde der geplante Wasserbehälter nur den Bedarf von zwei Gemeinden decken, sodass weitere Behälter benötigt werden würden, um die Vororte im Norden zu erreichen.
Wassermangel in der Stadt
Daher war die Weiterführung der Pläne für dieses kleinere Reservoir bereits vorläufig unwahrscheinlich, denn die Hauptfrage, die sich stellte, war nach wie vor nicht finanzieller Natur. Vielmehr ging es darum, ob die Stadt Wien überhaupt in der Lage war, die notwendigen Wassermengen für sich und die Vororte zu gewinnen.
So sollte nach einem Bericht von Rechnungsrat Theodor Ritter vom Oktober 1881 die von der Hochquellenwasserleitung bereitgestellte Wasserkapazität zwar für die einzelnen Vororte noch ausreichen, dafür waren jedoch dringend Erweiterungen notwendig. Bereits in den 1870er-Jahren wuchs der Wasserbedarf in Wien selbst auf mehr als 440.000 Eimer pro Tag an, was vor allem in den Wintermonaten die Gefahr einer Wassernot mit sich brachte.
Mit den notwendigen Ergänzungen wäre eine Gesamtmenge von 30.000 bis 40.000 Eimer pro Tag die maximale verfügbare Menge gewesen, die den neuen Vororten zugewiesen werden konnte, ohne die Wasserversorgung in Wien selbst zu gefährden. Nachdem sich bereits frühere Berechnungen als zu niedrig erwiesen hatten, bestand eine Wahrscheinlichkeit, dass auch dieser Betrag in einigen Jahren überholt sein könnte.
Berichte der Stadtverwaltung zur Wasserversorgung der Vororte
Laut weiteren Gutachten und Diskussionen, wie einem Bericht des Stadtbauamtes, würde bei einer vorschnellen Einbeziehung von fast 350.000 Einwohnerinnen und Einwohnern der Vororte während der frühen 1880er-Jahre in das Wasserversorgungssystem sogar in den Herbstmonaten ein tägliches Defizit von mehr als 150.000 Eimer Wasser entstehen. Das ließe sich auch durch die Einführung starker Kontrollmechanismen durch Wassermesser und Einschränkungen des Wasserverbrauchs nur geringfügig verbessern.
Weiterhin kritisierte die städtische Buchhaltung das Fehlen von verfügbaren ähnlichen Projekten für andere Vorortsgemeinden. Außerdem wurde argumentiert, dass die Einwohnerinnen und Einwohner der Vorstädte bereits durch die 147 Auslaufbrunnen mit 35.600 Eimer Wasser täglich ausreichend mit Trinkwasser versorgt seien. Denn um die Wasserversorgung für Wien selbst nach dem derzeitigen Konzept zu sichern, müssten auch anderswo Wasserbehälter angelegt werden, die aufgrund des Reliefs nördlich von Wien noch teurer wären.
Auch wenn der Wasserverbrauch in den frühen 1880er-Jahren durch die Anbindung der Wasserleitung an einzelne Häuser in den Vorortsgemeinden noch ausreichend gedeckt werden könnte, bestand aufgrund des stetig steigenden Bevölkerungszuwachses die Gefahr von Wasserverlusten und einem erhöhten Bedarf an Nutzwasser für sanitäre Zwecke. Dies hätte sogar die Verfügbarkeit von Trinkwasser in den Wintermonaten gefährdet.
Aus diesen Gründen, zu denen auch noch die hohen Kosten für den Wartungsaufwand kamen, empfahl Stadtrat Alois Bittmann im Jahre 1883, zunächst andere dringende Probleme anzugehen, bevor die Vororte an die Erste Hochquellenleitung angeschlossen werden. Dazu gehörten auch Studien über die Möglichkeit, die derzeitige Hochquellenwasserleitung zu erweitern oder, um die Rentabilität eines solchen Projekts zu erhöhen, die Verhandlungen über die Eingliederung der Vororte in die Gemeinde Wien fortzusetzen und die Bereitschaft der Gemeinde Wien zu zeigen, ihr Wassernetz auf die Vororte auszudehnen, wenn diese erfolgt war. Bis dahin sollte die Versorgung mit Trinkwasser durch Brunnen und deren Ausbau gesichert werden.
Eingemeindung der Vororte
So verzögerte sich der Anschluss der Vororte an die Hochquellwasserleitung bis zu ihrer Eingliederung in die Stadt Wien selbst. Alois Bittmann, bis 1891 neuer Magistratsdirektor, hatte sich zum Ziel gesetzt, diesen Teil der Stadterweiterung zu vollenden, was in den frühen 1890er-Jahren schließlich passierte.
Die Wasserknappheit verschärfte sich in den späteren 1880er-Jahren allerdings noch weiter. 1886 beschloss man aufgrund des akuten Wassermangels sogar, Wasser von der Schwarza direkt in die schon bestehende Wasserleitungen einzuleiten. Zwei Jahre später gab es in Wien einen Typhusausbruch, wofür man diese Aktion verantwortlich machte. In der Folge wurde diese unfiltrierte Ableitung von Wasser verboten.
Auch der Bau neuer und der Ausbau vorhandener Wasserbehälter konnte den Mangel nicht nachhaltig beheben. Einer davon war der zuvor als zu teuer beschriebene Wasserbehälter Breitensee, der ein paar Jahre nach der Eingemeindung der Vororte errichtet wurde.
Das Problem der Wassermenge und die Versorgung auch höher gelegener Vororte wie Döbling, konnte erst mit dem Bau der Zweiten Hochquellenleitung bewältigt werden. Die Planungen für den Bau einer zweiten Wasserleitung wurden bereits in den späten 1870er-Jahren angestoßen, als man die Lösung für den allgemeinen Wassermangel suchte und deutlich wurde dass die Wasserversorgung in den Wintermonaten bei wachsender Bevölkerung gefährdet sein könnte. Die Zweite Hochquellenleitung wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts gebaut und ermöglichte die Versorgung mit natürlichem Wasserdruck auch in den höher gelegenen Teilen Wiens.
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Hauptarchiv – Akten – Kleine Bestände – Besondere Projekte, Akt 3.1.5.3 A32.8 Wasserleitungen: Versorgung der Vororte
- Studie des „Ausschusses für die Wasserversorgung der Stadt Wien“, Verlag des Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereines, Wien 1895
Literatur
- Wasser Stadt Wien. Eine Umweltgeschichte. Hg. vom Zentrum für Umweltgeschichte, Universität für Bodenkultur Wien. Wien: Holzhausen Druck 2019
- Alfred Drenning: Die I. Wiener Hochquellenwasserleitung. Festschrift, Wien: Compress-Verl. 1973
- Alfred Drenning: Die II. Wiener Hochquellenwasserleitung. Festschrift, Wien: Compress-Verl. 1988
- Ruth Koblizek, Nicole Süssenbek, Die Trinkwasserversorgung der Stadt Wien von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Teil 2B (ungedruckte Dissertation). Wien 1999/2000
- Ruth Koblizek, Nicole Süssenbek, "Wasser in jedwedes Bürgers Haus". Die Trinkwasserversorgung Wiens. Wien: MEMO 2003